Sehr geehrte Mitbürger,

Am 10. Dezember wird in einem Bürgerentscheid darüber entschieden, ob in Aachen das sogenannte Bauhaus Europa nach dem Entwurf des Architekten Wolfgang Chapeller gebaut werden soll. An der Stelle eines unscheinbaren Verwaltungsgebäudes zwischen dem Aachener Dom aus der Zeit Karls des Großen und dem historischen Rathaus soll nach dem Willen der Ratsmehrheit ein Ausstellungs- und Veranstaltungsgebäude entstehen, das schon durch seine auffällige äußere Gestaltung die Blicke auf sich ziehen soll; durchgehende Glasfassaden im Osten und Süden sollen einen Einblick in ein unkonventionell gestaltetes Inneres gewähren und zu einem Besuch animieren. Die Befürworter erhoffen sich so 200.000 zusätzliche Touristen jährlich. Gegner des Bauhauses bezweifeln seine Ausstrahlungskraft und seine Notwendigkeit und befürchten hohe Folgekosten, insbesondere wegen der Notwendigkeit, das Bauhaus bei Sonnenschein im Sommer zu kühlen.

Der Energiebedarf des Hauses ist ein Thema, das den Solarenergie-Förderverein besonders interessiert.

In der heftigen Diskussion wird von den Bauhausbefürwortern die Meinung vertreten, man könne durch geschickte nachträgliche energetische Optimierung den erwarteten hohen Kühlungsbedarf minimieren. Der Energieverbrauch könne dann sogar noch unter die gesetzlichen Vorgaben gedrückt werden. Das ist wahrscheinlich möglich, doch sei hier angemerkt, dass die gesetzlichen Vorgaben längst nicht mehr den Möglichkeiten der Technik entsprechen. Heutzutage gibt es sogar Häuser mit positiver Energiebilanz; d.h. sie verbrauchen weniger Energie zum Heizen und Kühlen, als sie selber erzeugen. Geringer Energieverbrauch ist im wesentlichen eine Frage der Energieeffizienz. Energieeffizienz lässt sich allerdings nur in geringem Maße nachrüsten; sie ist vielmehr in erster Linie eine Angelegenheit des Konzeptes. Man kann (um ein Beispiel aus einem anderen Bereich aufzugreifen) nicht die Karosserieform und das Gewicht eines Offroad-Fahrzeuges vorgeben und sich dann in der Hoffnung wiegen, trotz des hohen Luftwiderstands und des hohen toten Gewichts nachträglich ein Dreiliterauto daraus zu machen.

Die Frage, über die am 10. Dezember mit ja oder nein zu entscheiden ist, lautet exakt: „Sind Sie für den Verzicht auf das geplante Ausstellungs- und Veranstaltungsgebäude am Aachener Katschhof, das so genannte „Bauhaus Europa“? Schon die formale Beantwortung der Abstimmungsfrage verlangt einige Intelligenz: Wer mit Ja stimmt, ist für den Verzicht, also gegen das Bauhaus Europa. Wer mit Nein stimmt, ist gegen den Verzicht, also für das Bauhaus.

Aber zurück zur Sachfrage: Hier geht es - wie so oft in der Politik - um die Abwägung von Prioritäten. Das Haus soll schon vom Konzept her in die Zukunft weisen. Das gilt aber - und darin sind wir anderer Meinung als die Befürworter - nicht nur für den Aspekt 'Zukunft Europa' oder 'Vorfahrt für die Jugend' oder andere Ziele, sondern viel mehr noch für die größte der zu meisternden Zukunftsaufgaben, nämlich für den Klimaschutz.

Den Vorrang für den Klimaschutz hat der Grünen-Politiker Reinhard Loske mit einigen Parteifreunden sehr treffend in einem lesenswerten Beitrag: "Für einen neuen Realismus in der Ökologiepolitik" ausführlich begründet, aus dem wir hier nur einen kurzen Auszug zitieren:

(...) Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen lässt sich der drohende Klimawandel nicht mehr als weiches Thema behandeln. Wenn, wie üblich, als "hart" die Fragen des wirtschaftlichen Wohlstandes und der globalen Sicherheit bezeichnet werden, dann ist er sogar ein sehr hartes Thema. Er ist wahrscheinlich sogar das Thema, das die Menschheit in wenigen Jahrzehnten mehr bedrücken wird als jedes andere, wenn nicht endlich konsequent gehandelt wird. Nimmt man die Prognosen der Klimaforschung ernst, sind die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre für ein Umsteuern entscheidend. Wir schlagen deshalb vor, dass die Grünen als Partei der Ökologie den Klimaschutz konsequent in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen und alle Politikfelder systematisch an diesem Ziel ausrichten.

Wir stimmen dieser Aussage zu. Sie sollte allerdings nicht nur für die Grünen gelten, sondern für alle politischen und weltanschaulichen Gruppierungen!

Im Bauwesen fordert Loske eine Senkung des durchschnittlichen Energieverbrauchs von 15 Liter Heizöl pro Quadratmeter und Jahr auf 1 Liter pro Quadratmeter und Jahr. Das ist machbar, verlangt aber konsequente Nutzung aller technischen Möglichkeiten.

Bei der Ausschreibung des Bauhauses wurde die Forderung nach hoher Energieeffizienz überhaupt nicht gestellt. Und deshalb haben sich - diese Vermutung liegt jedenfalls nahe - die Wettbewerber auch nur an die unzureichenden gesetzlich vorgegebenen Standards gehalten, die sie durch nachträgliche Verbesserungen dann immer noch geringfügig übertreffen können.

Das so entstandene Konzept halten wir für unzureichend, weil es aus ästhetischen Gründen (die angestrebte unterbrechungsfreie Durchsichtigkeit der Gebäudehülle) einen höheren Energiebedarf als notwendig in Kauf nimmt. Die übermäßige Energiezufuhr durch direkte Sonneneinstrahlung im Sommer bei einer so großen Glasfront kann nur durch aktive Kühlmaßnahmen, die ihrerseits Energie verbrauchen (Klimaanlage) und damit den Energieverbrauch des Gebäudes erhöhen, wieder rückgängig gemacht, bzw. in Grenzen gehalten werden. Das Problem der übermäßigen Erwärmung im Sommer ist zumindest den Besitzern großer Südfenster gut bekannt. Man kann es aber von vornherein vermeiden, wenn die Fenster durch hohe Laubbäume oder außenliegende Beschattungselemente wie Markisen oder Balkone vor der hochstehenden Sommersonne geschützt werden.

In der "Solararchitektur" wird großer Wert darauf gelegt, dass die flachstehende Wintersonne durch große Südfenster weit in die Räume hineinstrahlen und Licht und Wärme spenden kann. Die hochstehende Sommersonne wird hingegen bereits außerhalb des Gebäudes abgefangen. Innenliegende Rollos oder Gardinen oder andere Beschattungselemente sind dafür nicht geeignet, weil die Strahlung der Sonne bereits ins Haus hineingelassen wurde. Das gilt auch für Beschattungselemente, die innerhalb einer durchsichtigen Doppelwand angebracht werden.

Die Stadt Aachen hat beim Bauhaus Europa die große Chance vertan, ein Projekt - bei dem sie die Planungshoheit hat - von Anfang an ökologisch zu konzipieren und damit ein beispielgebendes "Leuchtturmprojekt" für Europa zu erstellen. Es wäre wirklich spannend gewesen, wie der Entwurf von Wolfgang Tschapeller ausgesehen hätte, wenn ihm der Auftragsgeber die Aufgabe gestellt hätte, einen europäischen Zweckbau nach energetischen Gesichtspunkten - also für die Zukunft - zu konzipieren.

Endergebnis: Aachener Bürgerentscheid

Über 10.000 Aachener hatten mit ihrer Unterschrift eine Abstimmung über das teure Bauprojekt verlangt. Der Bürgerentscheid fand am 10. Dezember statt. Mehrheitlich mussten mindestens 36.939 Stimmen für den Verzicht auf das „Bauhaus“ abstimmen.

Der Bürgerentscheid hat die Mindeststimmenzahl weit übertroffen.
An der Abstimmung teilgenommen haben 71.199 wahlberechtigten Aachener (gültige Stimmen 71.078).
Gegen das Bauhaus stimmten 56.532, dafür lediglich 14.546.

Der Ratsbeschluss zum Bau des Bauhauses Europa vom 16. August 2006 ist damit durch den Bürgerentscheid ersetzt. Das „Bauhaus Europa“ wird nicht gebaut.