In den Aachener Nachrichten vom 30. Oktober erschien ein Interview mit Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber, dem Leiter des Potsdamer Instituts für Klimafolgenabschätzung. Schellnhuber ist unter anderem Berater für Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.

Der Solarenergie-Förderverein Deutschland betont ausdrücklich seinen Respekt vor Schellnhubers Klimawarnungen. Auch im Endziel - einer völligen Abkehr von der fossilen Energieerzeugung und der Atomenergie und dem vollständigen Umstieg auf die Erneuerbaren Energien - besteht Einigkeit.

Hier und jetzt geht es aber um eine grundsätzliche Kritik an den im Interview dargestellten politischen Vorschlägen.

Dazu zunächst ein Auszug aus dem Interview:


AN: Beim Klimagipfel der Nobelpreisträger in Potsdam wurde ein Memorandum verabschiedet. Was sind die Kernpunkte?


Sch.: Im Grunde enthält das Papier alle Elemente einer Klima-Architektur: Die Erwärmung soll auf zwei Grad begrenzt werden. Globaler Emissionshandel. Gleiche Pro-Kopf-Emissionen langfristig - das ist ein Vorschlag, der mehr als eine Diskussion wert ist.

AN: Was bedeutet der Pro-Kopf-Vorschlag konkret?

Sch.: Die Länder würden damit Quoten erhalten - je nach Bevölkerungsstärke. Bei rund neun Milliarden Menschen im Jahr 2050 kommt man auf eine zulässige CO2-Emission von 2,2 Tonnen CO2 pro Jahr und Kopf.

AN: Und wieviel Emissionen pro Kopf haben wir heute?

Sch.: In den USA sind es über 20 Tonnen CO2, in Deutschland über zehn. In Deutschland würde dieses Ziel also eine Reduzierung um rund 80 Prozent bedeuten. Die Entwicklungs- und Schwellenländer liegen allerdings auch schon bei vier Tonnen, selbst die Chinesen müssten reduzieren. Nur Indien und Afrika könnten noch mehr als heute emittieren.

AN: Worin liegt der Vorteil eines globalen Handels mit Verschmutzungsrechten?

Sch.: Afrika zum Beispiel könnte damit Emissionsrechte an Deutschland verkaufen. Deutschland könnte mehr Kohlendioxid ausstoßen als vereinbart, und für Afrika brächte dieses System einen riesigen Investitionsschub - die größte Entwicklungshilfe, die es jemals gegeben hat. Meiner Überzeugung nach ist dies gleichzeitig die einzig Chance, Afrika aus seiner misslichen Lage herauszuholen.

AN: Mit anderen Worten: Ohne einen globalen Emissionshandel geht es nicht?

Sch.: Richtig. Auch der Druck auf die Industrieländer würde gemildert. Deutschland müsste seinen Treibhausgas-Ausstoß statt um 80 nur um 60 Prozent reduzieren. Wenn man sieht, dass sich die Bundesregierung bereits ein Reduktionsziel von 40 Prozent bis 2020 gesteckt hat, dann sind wir gar nicht mehr so weit davon entfernt.

Unser Kommentar

Schellnhuber nennt eine Zahl von 2,2 Tonnen CO2-Ausstoß pro Kopf und Jahr, die noch gerade zulässig sei, damit die Erderwärmung eine Grenze von 2 Grad nicht übersteigen könne. Damit bestärkt er den Eindruck, man könne in etwa beziffern, wieviel CO2-Ausstoß noch gerade erlaubt sei, damit die Temperatur nicht um mehr als zwei Grad ansteigt. Diese in der Öffentlichkeit weit verbreitete Vorstellung erscheint in doppelter Hinsicht fragwürdig. Einerseits ist bereits der jetzige Temperaturanstieg um "nur" knapp ein Grad besorgniserregend, wenn man die Häufung der bisher schon eingetretenen großräumigen Katastrophen (New Orleans, die Oderflut, Kyrill, Waldbrände in Griechenland und Kalifornien, Ausbreitung der Wüste in Afrika, Zunahme der Taifune, Abschmelzen des nördlichen Polareises und Grönlands) bedenkt. Zum anderen ist überhaupt nicht sicher, ob eine weitere Erwärmung überhaupt noch beim Stand von zwei Grad angehalten werden kann. Prof. Schellnhuber selbst weist immer wieder darauf hin, dass bereits heute eine Temperatur erreicht ist, bei der Teilsysteme instabil werden und dann sogar ganz ohne weiteres menschliches Zutun die Erwärmung oder den CO2-Ausstoß von sich aus weiter vorantreiben, so dass es nach Überschreiten des Kipppunktes zu sehr viel höheren - und sicherlich äußerst unangenehmen - Temperaturen kommen kann.

Solche "Kippunkte" sind - auch nach seinen eigenen Aussagen:

In einer solchen für die Menschheit lebensgefährlichen Situation ist es verfehlt, seine Hoffnung auf marktwirtschaftliche Anreize" durch Emissionshandel zu setzen. "Der Markt" ist zukunftsblind und
begünstigt stets die bestehenden kapitalkräftigen Strukturen. Solange nicht ausdrücklich die Verwendung CO2-freier Techniken wie beim EEG vorgeschrieben ist, wird die konventionelle Energiewirtschaft alles daran setzen, die Verfügungsgewalt über die fossilen Lagerstätten so lange wie möglich gewinnbringend zu nutzen. So läuft der Emissionshandel darauf hinaus, die CO2-erzeugenden Energietechniken zwar zu verbessern - aber auch, sie auf weitere 40 Jahre (die Lebensdauer moderner Kraftwerke) zu verlängern und zu zementieren.

Jede weitere Investition in die Verbesserung der konventionellen Energiebereitstellung ist eine Fehlinvestition, da wir wegen Verschärfung des Klimawandels gezwungen sein werden, noch vor Erreichen der Lebensdauer der neu geplanten Kohlekraftwerke auf die Erneuerbaren Energien umzusteigen. Was wir brauchen, ist nicht eine Verbesserung und Verlängerung der CO2-emittierenden Technik sondern ausschließlich ein entschlossener Umstieg auf CO2-freie Techniken - auf 100% Erneuerbare Energien. Dazu empfiehlt sich eine nationale Initiative.

Eine nationale Initiative hätte gleich dreierlei Vorteile.
Erstens sie bedarf keiner mühseligen internationalen Verhandlungen - bei denen erfahrungsgemäß nur völlig unzureichende Ergebnisse herauskommen.
Zweitens, sie verschafft unserem Land einen technischen Vorsprung in einer Zukunftstechnologie und erhebliche Exportchancen.
Drittens, sie führt zur Verbilligung durch Massenproduktion und verschafft den Erneuerbaren Energien inernationale Wettbewerbsfähigkeit. Damit setzten sich die Erneuerbaren Energien dann auch ohne internationale Abkommen weltweit durch.