Klimaleugner in der deutschen Wissenschaftslandschaft – ein Essay

 

Die Wissenschaftler*innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz stehen hinter Greta Thunberg und den Schulstreiks. Mehr als 26.800 Forscher*innen aller Disziplinen haben einen Aufruf unterzeichnet, der eine schallende Ohrfeige für den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner darstellt. Lindner hatte den streikenden Schüler*innen ins Stammbuch geschrieben, sie könnten die Komplexität der Problematik noch nicht ermessen und sollten das den Profis überlassen. Die Profis haben nun geantwortet: Die Kinder haben recht!

Aber sind es wirklich „die“ Wissenschaftler*innen? So monolithisch ist die Wissenschaft dann doch nicht. Wollte man ausblenden, dass auch andere Gewächse in diesem Garten gedeihen, dann würde man sich das Sensorium für einen nicht unwichtigen gesellschaftlichen Diskurs selbst aus der Hand schlagen.

 

Händler des Zweifels

 

Innerhalb der Klimawissenschaft ist die Tatsache der menschengemachten Erderwärmung und der Dringlichkeit des Handlungsbedarfs seit Jahrzehnten entschieden. Man kann diesen Konsens in den Verlautbarungen des „Weltklimarates“ (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) nachlesen. Aber außerhalb der Wissenschaften, in der Öffentlichkeit, herrschte lange das Bild vor, die Frage sei umstritten. Dafür sind ebenfalls Wissenschaftler*innen verantwortlich, die zwar nicht ihre Fach-Community hinter sich haben, aber dafür mächtige Interessen.

Für die USA haben diesen Sachverhalt Naomi Oreskes und Erik Conway analysiert, in ihrem 2010 publizierten Buch „Merchants of Doubt“ (Händler des Zweifels, auf Deutsch 2014 unter dem Titel „Die Machiavellis der Wissenschaft“ erschienen). Sie zeigen, wie sich seit den 1960er Jahren ein Netzwerk aus industriellen Lobbyisten, konservativen oder ultraliberalen Ideologen und im Kalten Krieg sozialisierten Wissenschaftlern begann, Zweifel über erwiesene Sachverhalte zu produzieren. Diese Methode, „Wissenschaft mit Wissenschaft zu bekämpfen“, wurde zuerst hinsichtlich der krebserzeugenden Wirkung des Tabakrauchens erfolgreich angewendet und später anhand verschiedener Umweltthemen weiterentwickelt und perfektioniert. Das Geld für die oft schon emeritierten, aber zuweilen durchaus reputierlichen Wissenschaftler kam von einem Geflecht konservativer Stiftungen und Denkfabriken wie dem Cato-Institute, dem American Enterprise Institute, der Heritage Foundation, dem Competitive Enterprise Institute und dem Marshall-Institut. Ihnen war die Abscheu gegenüber staatlichen Regulierungen und eine Vergötzung des freien Marktes gemeinsam. Wer für Gesundheits- oder Umweltschutz eintritt, neigt in dieser Sichtweise immer schon verkappt zur Planwirtschaft, also zum Kommunismus.

Nebenbemerkung: Hier kann ich auf das Gender-Sternchen tatsächlich verzichten, denn in diesem Diskurs tauchen keine Frauen auf. Wahrscheinlich ist dies kein Zufall, sondern hat mit dem wissenssoziologischen Sachverhalt zu tun, dass Männer aufgrund ihrer relativen Abstinenz von Vorsorgefunktionen tendenziell einen schwierigeren Zugang zur Wahrnehmung von Problemen im Hinblick auf eine teils weit entfernten Zukunft haben. Aber dies nur am Rande.

 

Fritz Vahrenholt: Kampf gegen Windmühlen

 

Eine investigative Untersuchung der deutschen Leugner-Szene steht noch aus, aber die Parallelität der Argumentationen gibt schon einen guten Hinweis. Beobachtet man z.B., welche politischen Milieus sich etwa an Anti-Windkraft-Initiativen bevorzugt andocken, wird man neben AfD-Anhängern immer wieder auf Mitglieder und Parteigliederungen der FDP stoßen. Sie können sich auf einen einheimischen Wissenschaftler berufen: den Chemiker Fritz Vahrenholt. Dieser agitiert als „Alleinvorstand“ der „Deutschen Wildtier Stiftung“ gegen den Ausbau der Windenergie, weil die Windräder zuweilen Wildvögel töten. (Die mehr als tausendfach höheren Verluste an Hochspannungsleitungen thematisiert er nicht, ebensowenig die noch viel höheren Verluste durch Gebäude sowie den Verkehr.)

Vahrenholt hatte sich 1978 mit der chemie-kritischen Veröffentlichung „Seveso ist überall“ einen Namen gemacht. Das SPD-Mitglied war in den 90er Jahren Umweltsenator in Hamburg und ging danach in die Energiewirtschaft; er arbeitete u.a. für Shell und für RWE. Nun erzielte er wiederum Wirkung als Buchautor. 2012 legte er zusammen mit dem Geologen Sebastian Lüning (ebenfalls RWE) das Buch „Die kalte Sonne“ vor, in dem geleugnet wird, dass das klimatische Geschehen auf der Erde überhaupt vom Menschen nennenswert beeinflusst werden könne. Ausschlaggebend seien einzig Schwankungen in der Sonnenaktivität. Diese sei derzeit schwach, was uns „eine jahrzehntelange Abkühlungsperiode bescheren“ werde.

Dieses Buch veranlasste direkt nach seinem Erscheinen eine große Serie der Bild-Zeitung: „Die CO2-Lüge“. Ein „renommiertes Forscherteam“ habe, so die Boulevardzeitung, die Behauptungen „hysterischer Wissenschaftler“ nun widerlegt. Das politische Ziel dieses Coups wurde ebenfalls deutlich benannt: „Stoppt den Wahnwitz mit Solar- und Windkraft“. Eine reiche Aussaat des kontrafaktischen Zweifels fiel hier auf fruchtbaren Boden.

Die pseudowissenschaftliche Leugner-Szene sammelt sich in Deutschland vor allem auf der Internet-Plattform „EIKE“. Die Abkürzung steht für „Europäisches Institut für Klima und Energie“. Freilich handelt es sich um kein „Institut“, geschweige denn ein „Europäisches“; aber immerhin tummeln sich hier eine Anzahl von echten Wissenschaftlern, oftmals Ingenieure im Ruhestand, wenn auch kaum Klimaforscher*innen. Fritz Vahrenholt ist hier einer der Säulenheiligen; auf der EIKE-Homepage wird nicht nur fortgesetzt Werbung für dessen „kalte Sonne“ gemacht, sondern es ist eine Echtzeit-Sonnenfleckenkarte von spaceweather.com eingebunden, die auf die überragende Bedeutung des Faktors Sonne bei der Klimaentwicklung hinweisen soll. Witzigerweise zeigt diese Sonnenkarte zur Zeit eine extrem niedrige Sonnenfleckenaktivität, was zu einer relativ geringen Einstrahlung von Sonnenenergie führt. Vahrenholts Prognose einer Abkühlung der globalen Durchschnittstemperatur müsste demnach eintreffen; bekanntlich ist aber das Gegenteil der Fall, und zwar in dramatischem Tempo.

Mit ihrem ingenieurs- und naturwissenschaftlichen Jargon kreieren die EIKE-Mitarbeiter eine Aura der Wissenschaftlichkeit, mit der sie ihren Thesen einen seriösen Anstrich verleihen. Den Klimawissenschaftler*innen wird unterstellt, dass sie aufgrund ihrer Gier nach Fördermitteln nur konforme Ergebnisse produzieren – als ob nicht umgekehrt die IPCC-Berichte durch das Einwirken fossilenergiefreundlicher Regierungen immer wieder verwässert würden. EIKE hält auch nicht damit hinter dem Berg, dass sie – ganz wie ihre US-amerikanischen Gegenstücke – von einer Sorge um „die Freiheit“ angetrieben sind. Das Motto lautet: „Nicht das Klima ist bedroht, sondern die Freiheit!“ Mit diesem großen Wort „Freiheit“ wird der entfesselte Kapitalismus neoliberaler Provenienz bezeichnet. Nicht wenige EIKE-Beiträge nehmen ausdrücklich Bezug auf die neoliberalen Gründungsväter wie Friedrich August von Hayek oder Milton Friedman. Wie freiheitlich diese Doktrin z.B. 1973 in Chile implementiert wurde, ist eine Frage für einen anderen Aufsatz. Aber es ist vielleicht ein Indiz dafür, wohin die totalitäre Besessenheit von der Idee der entfesselten Märkte führen kann. Man flüchtet in die Diktatur, aus Angst vor der Diktatur. Wie schrieben Vahrenholt und Lüning in „Die kalte Sonne“ über die Versuche, die Energieversorgung auf regenerative Energien umzustellen? Diese geplante "Große Transformation" habe Vorbilder in der Industrialisierung der Sowjetunion der 20er und 30er Jahre sowie im "Großen Sprung nach vorn" und der "Kulturrevolution" des maoistischen China.

 

„Klimahysterie“ – der Biologe Reichholf

 

Trotz des großen „Bild“-Hypes um Vahrenholts „kalte Sonne“ schmoren die EIKE-Leugner und ihr Umfeld weitgehend im Saft ihrer eigenen Filterblase. Problematischer erscheint, dass sich im deutschen Klimadiskurs noch andere Wissenschaftler hervortun, die den klimapolitischen Handlungsbedarf leugnen, bei denen ein lobbyistischer Background aber nicht ohne weiteres nachweisbar ist. Zu ihnen zählt z.B. der Biologe Josef H. Reichholf. Wie Vahrenholt machte dieser sich zunächst einen Namen als Umweltschützer. Er spielte seine Rolle in der Gründungsgeschichte des „Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland“ (BUND). Seit vergangenen Oktober ist er Ehrenpräsident des „Vereins für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern“ (VLAB), und damit Nachfolger des BUND-Renegaten Enoch zu Guttenberg, der kurz zuvor verstorben war. Mit diesem teilt er eine hochemotionale Abwehr gegen die klimafreundliche Windenergie. Der VLAB ist u.a. mit Vahrenholts Deutscher Wildtier-Stiftung verbandelt, so dass sich hier Indizien für ein Netzwerk zeigen.

Reichholf hat in mehreren seiner zahlreichen Buchpublikationen das Klima-Thema angesprochen und dabei den anthropogenen Treibhauseffekt geleugnet („Die falschen Propheten“, 2003; „Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends“, 2007; „Klimahysterie“, 2011). Er macht dies mit einer flotten Schreibe und teils originellen Argumenten. Eines davon lautet, der Kampf gegen den Klimawandel lenke von näherliegenden Umweltschutzanliegen ab; die Klimaschützer richteten ihren Blick weit in die Zukunft, wo es doch in der Gegenwart genug Aufgaben gebe. "Jahrzehnte oder gar ein ganzes Jahrhundert voraus im Blick zu behalten und noch weiter in die Zukunft zu planen, ist für fast die gesamte Menschheit bedeutungslos." Dass die Menschen dennoch Olivenbäume pflanzen und nach Atommüllendlagern suchen, beirrt ihn nicht in diesem Diktum. 

Zur Gegenwart sagt Reichholf: "Die Katastrophen gehen von der Art der Landnutzung aus. Nicht vom Kohlendioxid in der Luft oder vom Anstieg der Durchschnittstemperaturen." Das ist mehr als reiner Whataboutism, denn Reichholf bestreitet das Außergewöhnliche an der gegenwärtigen Erderwärmung rundheraus. Der Konsens der Klimawissenschaften erscheint ihm als quasireligiöse Dogmatik, und die gegenwärtigen Emissionszertifikate enstprechen den päpstlichen Ablassbriefen am Vorabend der Reformation. In diesem Zusammenhang erscheint es ihm als "Ehre“, als Klimaskeptiker bezeichnet zu werden. Das soll hier dementsprechend unterbleiben. Skepsis ist in der Tat ein Lebenselixier aller Wissenschaft. Kontrafaktische Behauptungen haben diesen Ehrentitel nicht verdient.

"Die Propheten des Wandels“, so führt Reichholf seine religiöse Allegorese fort, „suchen sich die Schuldigen dort aus, wo sie nicht in kraftvollen Interessenverbänden organisiert sind.“ Das ist nun eine überraschende Diagnose: Ließen sich denn in Deutschland kraftvollere Interessenverbände denken als die Energiewirtschaft und die Automobilindustrie samt ADAC, welche im Fokus der Klimaschutzdebatten stehen? Auch Reichholf reiht sich hier in die „freiheitliche“ Argumentationslinie der Klimawandelleugner ein, wenn er der Klimaschutz-Bewegung diktatorische Absichten andichtet: „Das 'Volk' soll am besten gar nicht mobil sein, dann lässt es sich besser kontrollieren."

Was hat dies mit der politischen Realität in Deutschland im laufenden Jahrzehnt zu tun? Die Wissenschaft, fabuliert Reichholf weiter, habe heute damit umzugehen, dass "es mitunter Politikern nicht schnell genug gehen kann". Einem solchen Satz, auf die Klimapolitik gemünzt, haftet schon etwas Weltfremdes an. Viel Fantasie ist auch beim holzschnittartigen Geschichtsbild Reichholfs am Werk gewesen, das sich mit Detailtreue nicht aufhalten kann; so löste die „'Dust Bowl' der 1930er Jahre“ bei ihm die Weltwirtschaftskrise aus, die diesem Klimaereignis doch ein halbes Jahrzehnt vorauslag.

Unangenehmer ist der Eurozentrismus in Reichholfs Geschichtsbild. Während in Europa und Asien „alle wesentlichen Impulse, Neuerungen und Entdeckungen der Menschheit“ hervorgebracht worden seien, habe in Afrika die Zeit still gestanden, schreibt er. Die Menschen Afrikas interessieren ihn nur, insofern sie „in Massen nach Europa […] drängen“. Diesem Drängen liege (wie immer in Reichholfs Menschheitsgeschichte) ein „Bevölkerungsdruck“ zugrunde, der wiederum "eine Folge des günstigeren Klimas der letzten 150 Jahre" sei. Also nicht eine Folge der postkolonialen weltwirtschaftlichen Ausbeutungsverhältnisse; und schon gar nicht eine Folge des Klimawandels als Fluchtursache (etwa in der austrocknenden Sahelzone).

2007 breitete Reichholf die Thesen aus seiner damals aktuellen „Naturgeschichte des letzten Jahrtausends“ in einem „Spiegel“-Interview aus; auf dem „Spiegel“-Titel prangte damals eine Roy-Lichtenstein-artige Karikatur mit der spöttischen Sprechblase „Klima-Hysterie. Hilfe … Die Erde schmilzt!“ Wie später bei der „CO2-Lüge“ der Bild-Zeitung, verdoppelten die Journalisten hier den Furor der ideologiegetriebenen Wissenschaft, und vervielfachten zugleich ihre Reichweite.

 

„Gelassenheit empfehlen“ – der Historiker Behringer

 

Wer sich auf das äußerst komplexe Gebiet der Klimawissenschaften begibt, muss notwendigerweise in vielen Fragen Dilettant bleiben. Deswegen ist es etwas misslich, dass die geschichtlichen Aspekte des Klimas lange nur von Geografen oder, wie im Falle Reichholfs, von Biologen behandelt wurden. Erst in den letzten Jahrzehnten hat die Geschichtswissenschaft ihre lange Abstinenz gegenüber dem Thema aufgegeben. Leider ist dabei beim wirkungsreichsten klimahistorischen Buch in Deutschland nichts Besseres herausgekommen. Es handelt sich um Wolfgang Behringers zuerst 2007 erschienene und seitdem in immer neuen Hardcover- und Paperback-Ausgaben veröffentlichte und in zahlreiche Sprachen übersetzte „Kulturgeschichte des Klimas“.

Behringer, der sich Meriten in der Forschung zu den Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit verdient hat, fand in den 90er Jahren heraus, dass es einen Zusammenhang zwischen jenem grausamen Kapitel der frühneuzeitlichen Geschichte und der seinerzeitigen „Kleinen Eiszeit“ gab. Für die sich häufenden Fehlernten und Extremwetterereignisse wurden Sündenböcke gesucht und gefunden. Diese Einsicht überträgt Behringer nun auf die Gegenwart, indem er den damaligen Hexenverfolgern die heutige Klimawissenschaft parallelisiert – beide gingen von einem „anthropogenen Klimawandel“ aus, und die Klimawissenschaftler*innen bedienten sich einer religiösen Sprache, wenn sie von „Klimasündern“ sprechen. So argumentierte gleichzeitig, wie wir sahen, auch Reichholf, aber dem Historiker Behringer darf man einen solchen Unsinn noch viel weniger durchgehen lassen als jenem.

Atemberaubend an seinem Buch ist der – gelinde gesagt: sorglose – Umgang mit den Quellen und der Literatur. Der Historiker Behringer weigert sich nicht nur, die neueren Ergebnisse der Klimawissenschaften zur Kenntnis zu nehmen, sondern tut auch den älteren Arbeiten Gewalt an. Zum Beispiel schreibt er, um zu insinuieren, Klimaerwärmungen seien immer etwas Gutes, die fünf erdgeschichtlichen Massenextinktionen seien alle an Klimaabkühlungen gekoppelt gewesen. Dabei beruft er sich z.B. für das Massenaussterben am Ende des Perm-Erdzeitalters auf den Geologen Douglas H. Erwin. Liest man in dessen Text nach, so steht dort klipp und klar: "Es gibt keine Hinweise auf eine globale Abkühlung am Ende des Perm; in der Tat gibt es wesentlich mehr Hinweise auf ein warmes Klima“.

Auch mit geschichtswissenschaftlicher Literatur und mit Primärquellen verfährt Behringer in ähnlicher Weise. Indem er deren Aussage teils in ihr Gegenteil verkehrt, macht er aus dem Politiker der US-Demokraten, Robert F. Kennedy Jr., einen religiösen Fundamentalisten, und aus pazifischen Atollbewohnern, die wegen des steigenden Meeresspiegels umsiedeln mussten, geldgierige Egoisten. Zur Illustration des Buchs bedient er sich u.a. einer Karikatur des rassistischen Hetzers Götz Wiedenroth, in der Klimawissenschaftler als amoralische Geldscheffler dargestellt werden, die „skeptische“ Kollegen aus dem Diskurs drängen.

Dieses Buch, das eigentlich nicht weniger als einen Wissenschaftsskandal darstellt, entfaltet bis heute seine schädliche Wirkung. Direkt nach seinem Erscheinen druckte die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) eine Sonderauflage für die Bildungsarbeit. In der schuldidaktischen Literatur ist Behringers Ansatz quasi unangefochten. Und auch darüber hinaus diente es nicht nur in der Leugnerszene à la EIKE als vermeintliche Bestätigung ihrer Weisheiten. Vom „Spiegel“ über das von der bpb herausgegebene Periodikum „Aus Politik und Zeitgeschichte“ bis hin zu den Kommentarspalten auf amazon.com wiederholen Zeitgenoss*innen Behringers Diktum, angesichts der stattfindenden Erderwärmung könne man „nur Gelassenheit empfehlen“.

Auch Behringer malt – ähnlich wie Reichholf – das Gespenst einer „ökostalinistischen Weltregierung“ an die Wand, ist also in einer ähnlichen ideologischen Frontstellung verfangen wie jener. Beide befleißigen sich beim Blick auf die Geschichte eines Klimadeterminismus, der andere Ursachen geschichtlicher Prozesse für nebensächlich erklärt – um dann bei den präzedenzlosen Klimaentwicklungen der Gegenwart mit den Schultern zu zucken.

Es ist aufschlussreich, die in den groben Zügen parallel laufenden Argumentationen des Biologen und des Historikers im Detail zu betrachten. Dabei ergibt sich eine gewisse Beliebigkeit des Klimadeterminismus. Behringer führt z.B. genau wie Reichholf den Siegeszug des Islams auf klimatische Faktoren zurück; aber bei Behringer soll es ein „ungünstiges“ Klima in den arabischen Stammregionen gewesen sein, das zur Expansion drängte; bei Reichholf hingegen im Gegenteil ein feuchteres Klima, das zu größerem Bevölkerungsdruck führte. Die Heuschreckenplagen nördlich der Alpen im 14. Jh. werden bei Behringer auf Hitze, bei Reichholf auf nasses, kaltes Klima zurückgeführt. Aber dass die Klimawissenschaft als moderne Inquisition unsere Liberalität bedroht – darin sind sie sich einig.

Die Leugner-Szene à la EIKE ist durchdrungen von einer die Realität genau auf den Kopf stellenden Verschwörungstheorie: Dass die Klimawissenschaftler*innen käuflich seien und von mächtigen Lobbyinteressen gelenkt würden. Behringer unterstützt das durch den Abdruck der Wiedenroth-Karikatur. Reichholf seinerseits schreibt: "Der Eindruck drängt sich auf, dass das Kohlendioxid vornehmlich deswegen so sehr ins Zentrum gerückt worden ist, weil die wirtschaftlich hoch entwickelten, vergleichsweise reichen Industriestaaten die Hauptemittenten davon sind." Von wem sollen sie ins Zentrum gerückt worden sein? Welche eigenartige Lobbygewalt sollte eine solche Verzerrung zuungunsten der mächtigsten Staaten und zuungunsten eines der global mächtigsten Industriezweige, der Fossilindustrie, ins Werk setzen? Hier streifen die Mutmaßungen dieser Wissenschaftler das Absurde.

 

Arbeitsplätze als „Totschlagsargument“ – der Ökonom Sinn

 

Dass man, wenn man durchdrungen ist vom neoliberalen Dogma, den Klimawandel gar nicht leugnen muss, ist gerade in der ökonomischen Disziplin vorexerziert worden. Der damalige Chef des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, ein Flaggschiff des deutschen Marktfundamentalismus, legte 2008 „Das grüne Paradoxon“ vor. Das ist ein Buch, in dem die Klimakrise nicht abgestritten wird – denn energiepolitisch ist Sinn ein unbelehrbarer Anhänger der Atomenergie – aber alle ordnungspolitischen Maßnahmen gegen diese Krise werden dennoch als untauglich verworfen. Dafür hat er ein kostbares Argument: Unter dem Regime des europäischen Emissionshandels wird jede bedeutendere Einsparung von CO2-Emissionen notwendigerweise wieder zunichte gemacht. Mit den Worten Sinns: "Jeder weitere Windflügel, der auf deutschen Auen errichtet wird, und jede neue Solaranlage, die auf den Häusern glitzert, kurbelt im gleichen Umfang, wie hier Strom erzeugt und die Emission von Treibhausgasen reduziert wird, die Produktion entsprechender Treibhausgase im Rest Europas an." Das Nebeneinander von Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und dem Zertifikatehandel ist also dysfunktional. In Sinns Trick, nun gerade das erfolgreiche Instrument (das EEG) als das Problem zu betrachten und das schädliche (den Zertifikatehandel) als Naturgesetz, steckt natürlich eine kleine Perfidie. Tatsächlich gehört der Handel mit „Verschmutzungsrechten“ schleunigst durch eine CO2-Steuer ersetzt, um die Dysfunktionalität aufzuheben.

In „Das grüne Paradoxon“ setzt Sinn sich auch mit dem Sachverhalt auseinander, dass in der Branche der Erneuerbaren Energien überproportional viele Arbeitsplätze entstanden sind. Er sagt dazu: "Arbeitsplätze sind das Totschlagargument, mit dem man seine Pfründe letztlich immer verteidigen kann." Eine Weisheit, die man sich für andere energiepolitische Debatten einmal merken sollte.

Mit dem neoliberalen Dogma haben wir nun tatsächlich einen quasireligiösen Bereich vor uns, wo das Scheitern der Doktrin damit pariert wird, dass man noch fester daran glauben muss. Dies ist das Credo fast unserer gesamten politischen Klasse. Der zukunftsblinde Kapitalismus, die Doktrin des endlosen Wachstums auf einem an seine Grenzen gestoßenen Planeten, soll die Klimakrise lösen. Dafür kassiert die Bundesregierung ein selbstgestecktes Klimaziel nach dem anderen ein und macht sich auf globaler Ebene zu einer klimapolitischen Lachnummer. Dabei sind schon diese selbstgesteckten Ziele der Bundesregierung streng genommen eine Leugnung des Notwendigen – nämlich, in Deutschland vor Ablauf der 30er Jahre eine CO2-Neutralität in allen Sektoren zu erzielen. Alles darunter setzt die Möglichkeit menschlicher Zivilisation im 22. Jahrhundert aufs Spiel.

 

Eine Alternative

 

Die hier zitierten Wissenschaftler liefern den Politiker*innen für dieses Versagen die intellektuelle Begleitmusik. Sie teilen mit diesen die irrationale Abwehr ordnungspolitischer Gestaltung in der existentiellsten Frage des 21. Jahrhunderts. Das ist die Alternative, vor der wir heute stehen: Ist die Freiheit der Märkte das oberste Primat, dem sich alles andere – auch die Bewohnbarkeit des Planeten – unterzuordnen hat; oder liegt das Primat, dem sich alles – auch die Freiheit der Märkte – unterzuordnen hat, in der Bewahrung eines bewohnbaren Planeten? Auf beiden Seiten dieser Alternative finden sich, wie wir sahen, Wissenschaftler*innen.

Nicht „die Wissenschaft“ steht also auf der Seite der Klimaschutzbewegung, sondern man muss immer genau hinschauen. Nicht überall, wo Wissenschaft draufsteht, ist auch Wahrheit drin. Es ist deshalb zu begrüßen, dass die Initiative „Scientists for Future“ klarstellen konnte, dass die hier geschilderten prominenten Kollegen wohl gut im Vermarkten sind und gut lesbare Texte produzieren können, aber ganz sicher nicht repräsentativ für die (auch nicht für ihre jeweilige) Wissenschaft sind. Ihre schädliche politische Wirkung aber ist beträchtlich. Wir brauchen in der Tat mehr Skepsis, um diese ungerechtfertigte Publizität zu dekonstruieren.

7.6.2019