Energieland NRW

Die energiewirtschaftlichen Aufgaben in Nordrhein-Westfalen sind gewaltig. Über 18 Mio. Einwohner und zahlreiche energieintensive Industriebetriebe, allen voran die Schwer- und Chemieindustrie, haben einen gewaltigen Energiehunger. Mit jährlich 1,2 Billionen Kilowattstunden erklimmt das bevölkerungsreichste Bundesland den Spitzenplatz im Primärenergiebedarf. [1]

Einen „Spitzenplatz“ erreicht NRW auch bei der Erzeugung von Fossilstrom und Treibhausgasen. Im Rheinland befindet sich die größte zusammenhängende Braunkohlelagerstätte Europas. Mehr als 88 Mio t Braunkohle werden in NRW pro Jahr gefördert und erzeugen weit mehr als die Hälfte des bundesdeutschen Braunkohlestroms [2]. Die größten CO2-Produzenten sind die drei Braunkohle-Kraftwerke Neurath im Süden von Grevenbroich (29,9 Millionen Tonnen CO2/Jahr), Niederaußem im Rhein-Erft-Kreis (27,1 Millionen Tonnen CO2/Jahr) und Weisweiler (18,9 Millionen Tonnen CO2/Jahr) [3].
Es gäbe also viel zu tun in Sachen Klimaschutz und Energiewende. Freie Fahrt für Erneuerbare - das wäre die drängendste Antwort auf die gefährliche Erderhitzung und die bundesdeutschen Verpflichtungen im Paris-Abkommen zur Reduzierung der Treibhausgase. Investitionshindernisse müssten beseitigt und Flächennutzungen zum Bau von Wind- und Solaranlagen erleichtert werden.

Doch von umfassendem Klimaschutz ist man entfernter denn je. Zu Protesten im Rheinischen Revier wurde die Landesregierung wiederholt als Handlanger des Stromriesen RWE entlarvt. Auf den Transparenten stand „NRWE“. Diese Umbenennung bietet sich mehr als an!

Demo - NRW: Alle Dörfer bleiben

Denn Mitte Juli beschloss die schwarz/gelbe Landesregierung zahlreiche Änderungen des Landesentwicklungsplan (LEP) und katapultierte die Mammutaufgabe „Energiewende“ auf ein Abstellgleis - trotz zahlreicher Warnungen in Landtagsdebatten, öffentlichen Anhörungen und kommunale Stellungnahmen. Der neue LEP läutete damit ein weiteres Kapitel verfehlter NRW-Umwelt- und Klimaschutzpolitik ein. Massive Standorteinschränkungen für neue Windanlagen und Restriktionen für Freiflächen-Solaranlagen können unweigerlich zum Stillstand der Energiewende führen.
Gleichzeitig wurden Regelungen zur flexibleren Bebauungs- und Flächenausweisungen für neue Wohn- und Gewerbeflächen und Straßen festgeschrieben, obwohl zahlreiche Innenstädte in NRW verwaisen und der ökologisch fragwürdige Landschaftsfraß meist auch noch mit einem zunehmenden Verkehrsaufkommen und mehr Energieverbrauch einhergeht. Die LEP-Vorgängerregelung der rot/grünen Landesregierung, auf deren Grundlage der Flächenverbrauch auf 5 ha/Tag beschränkt wurde, strich man. Naturräume und Landschaftsgebiete dürfen nun ohne tägliche Flächeneinschränkungen mit weiteren Wohngebieten und Infrastruktureinrichtungen überbaut werden. Die Städte in NRW rücken dadurch näher zusammen.

Neuregelungen im Landschaftsentwicklungsplan zur Windenergie

a) Abstandsregeln
Es wurde irrsinnigerweise festgeschrieben, dass man zwischen Windenergieanlagen und reinen sowie allgemeinen Wohngebieten Abstände von 1.500 Metern einhalten solle. Schwarz/Gelb musste klar gewesen sein, dass eine solche restriktive Abstandsregel im dichtbesiedelten und weiter in der Bebauung wachsenden NRW zum tatsächlichen Ausbaustopp der Windenergie führen wird. Schon heute gibt es kaum Flächen, die dem „Vorsorgeabstand“ von 1500 m genügen. Offensichtlich ist mehr Windenergie nicht gewollt.

Der Ausbau befindet sich schon jetzt auf einem Rekordtief. Im ersten Halbjahr 2019 wurden in NRW – und das auch ohne einschränkende Wirkung des LEP - gerade mal 14 neue Windräder errichtet. Im Vergleich zu den Vorjahreszeitraum 2017 und 2018 entspricht das einem Einbruch um mehr als 80% [4].

Mindestabstände zu fossilen Techniken in NRW sind nie ein großes Thema gewesen. Die Bewohner des Rheinischen Reviers mussten und müssen noch immer damit leben, dass ihre Häuser dem Grubenrand immer näher rücken (bei der Gemeinde Holzweiler sogar bis auf 400 m) und Luftschadstoffe aus dem Tagebau- und Kraftwerksbetrieb ihre Gesundheit und die ihrer Familie und Nachbarn dauerhaft gefährden. Und die Landesregierung sieht sich bis heute nicht gezwungen, den Braunkohleabbau zu stoppen.

Für Abstandsregeln bei Windenergie sieht die Landesregierung allerdings dringenden Handlungsbedarf. Es sei wichtig, einen Riegel vorzuschieben, denn erst bei der „Einhaltung eines ... Vorsorgeabstandes könne generell davon ausgegangen werden, dass von den Windenergieanlagen bei immer noch zunehmender Anlagenhöhe keine optisch bedrängende Wirkung zu Lasten der Wohnnutzung ausgeht und somit das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt wird.“

Optische Bedrängung durch Windenergie - ist das nicht immer ein subjektives Empfinden? Zukunftstechnologien werden zu landschaftlichen Veränderungen führen - ohne Frage. Nicht alle Menschen finden das schön. Aber es steigt auch die Zahl der Befürworter, die Windkraftanlagen als ästhetisch und beruhigend empfinden. Windräder bieten - anders als Braunkohle - immerhin die Chance, die Lebensgrundlagen auf diesem Planeten zu retten.

Die NRW-Landesregierung begründet die Notwendigkeit einer Abstandsregel allerdings nicht nur mit optischen Beeinträchtigungen. Sie vermutet, dass „Gesichtspunkte der Lärm- und Lichtbeeinträchtigung, [...] der Schattenwirkung und auch der Berücksichtigung von räumlichen Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen“ mit pauschalen Regelungen hinreichend berücksichtigt würden. Dies wäre ein Schritt zu mehr Akzeptanz der Windenergie.

Über welche neuen Windenergieanlagen redet man im Landtag, wenn immer weniger gebaut werden kann? Konkrete Ausbauziele bzw. sonstige quantitative Festlegungen oder Hinweise zur Windenergie werden im neuen LEP nicht vorgegeben. Die Klimaschutzverantwortung wird auf die kommunale Planungshoheit und die Bundespolitik verlagert. Schlau gedacht!

Das gibt bei aller Kritik allerdings auch Möglichkeiten für positive Ansätze, die über die Verhinderungshaltung der Landesregierung hinaus gehen. Der Landesentwicklungsplan ist nur eine „Konzeption“ für die räumliche Entwicklung „ohne verbindlichen Charakter“. Kommunale Entscheider können die Anforderungen beim Natur- und Anwohnerschutz in Einzelfalluntersuchungen, auch unter der Prämisse drängender Klimaschutzmaßnahmen, überprüfen und Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen beschleunigen.

Beispielhaft hierzu das nordrhein-westfälische Münster: Die Stadt schreibt weitaus geringere Abstandsregeln für Windenergie vor. So werden Windenergieanlagen erst dann ausgeschlossen, wenn der Abstand zur allgemeinen Wohnbebauung weniger als 300 m beträgt. Zu Einzelgehöften und Einzelhäusern darf der Abstand sogar nur 125 m betragen. Damit kann in Einzelfalluntersuchungen geprüft werden, ob Windenergieanlagen möglich sind. Aktuell befinden sich fast 30 Windanlagen im Stadtgebiet Münster. Weitere könnten auch mit dem restriktiven LEP des Landes Nordrhein-Westfalen hinzukommen.

b) Windkraft im Wald?

In NRW nimmt der Wald mit ca. 935.000 Hektar etwa 27 Prozent der Landesfläche ein, ein Großteil davon ist bewirtschafteter Wirtschaftswald und in privater Hand [5]. Hier könnten Windenergieanlagen Platz finden.
Positive Beispiele gibt es im gesamten Bundesgebiet. Windhöffige Höhenzüge und Flächen in der Nähe von Autobahnen und Bundestraßen, Schienenwegen und Wirtschaftswegen müssen und dürfen nicht generell ausgeschlossen werden. Ohne Windkraft im Wald ist die Energiewende in NRW nicht zu schaffen. Hier muss dringend ein Umdenken stattfinden.
Nach Willen der Landesregierung NRW soll jedoch die Errichtung von Windanlagen im Wald ab sofort weitestgehend ausgeschlossen werden. Welche, für den Klimaschutz, unsinnige Entscheidung!

c) Repowering von Windenergie

Stattdessen soll die Windenergieplanung in Zukunft ihren Schwerpunkt im Repowering finden. Der Ersatz älterer durch leistungsfähigere und emissionsärmere Anlagen soll gefördert werden. Dies steigere die Effizienz und entlaste die Landschaft, so die Landesregierung.

Trotz der kontraproduktiven Schwerpunktsetzung und der daraufhin hagelnden Kritik werden einige viele Windkraftbetreiber darüber erfreut sein. Einige von ihnen befürchteten, dass mit dem Auslauf der EEG-Vergütung nicht nur die Einnahmequelle sondern auch der Windkraft-Standort wegfallen könnte.

Die überraschende Unterstützung der Landespolitik wird helfen, die Kommunen zum Erhalt der Windkraftstandorte und für ein Repowering zu erwärmen. Auch Betreiber aus Aachen erhalten damit überraschend Unterstützung.

2) Solarenergie-Nutzung auf Freiflächen

Ohne Solarenergie ist die Energiewende nicht zu schaffen. Insofern wäre eine Unterstützung durch die Landesregierung bei der Genehmigung weiterer neuer solarer Flächen wichtig.

Im neuen LEP äußert man sich zwar zunächst bereitwillig, die Solarenergienutzung auf Brachen und baulich geprägten Konversionsflächen weiter zu verbessern. Man betonte allerdings gleichzeitig, dass „die Inanspruchnahme von Flächen für Solarenergie nur dann möglich [sei], wenn der Standort mit der Schutz- und Nutzfunktion der jeweiligen Festlegung im Regionalplan vereinbar sei. Dies sei gegeben, wenn es sich um gewerbliche, bergbauliche, verkehrliche oder wohnungsbauliche Brachflächen oder baulich geprägte militärische Konversionsflächen, Aufschüttungen oder Standorte entlang von Bundesfernstraßen oder Schienenwegen mit überregionaler Bedeutung“ handelt.

Damit ging die Landesregierung nicht über die restriktiven Flächenvorgaben des EEG hinaus, obwohl die Möglichkeit bestanden hätte, im Rahmen einer sogenannten „Länderöffnungsklausel“ auch benachteiligte landwirtschaftliche Flächen zur solaren Nutzung freizugeben.

Auch der Hinweis, dass nur dann Flächen neben Bundesfernstraßen und Schienenwegen für Solarenergie nutzbar wäre, wenn eine überregionale Bedeutung der Infrastruktur nachgewiesen würde, schränkt unnötig ein. Alle Flächen in kommunaler Verantwortung sollten auf Eignung für solare Freiflächenanlagen überprüft werden. Selbstverständlich ist die Nutzung der Solarenergie auf und an Gebäuden und vorhandenen baulichen Anlagen (Aufschüttungen etc.) einer Errichtung auf Freiflächen vorzuziehen. Dennoch müssen sich die Kommunen mit dem Gedanken vertraut machen, dass eine vollständige Energiewende ohne solare Freiflächen nicht möglich sein wird. Innovative Lösungen wie Straßenbeläge, Agrophotovoltaik, städtische Lärmschutz-PV durch Wände und Überdachungen von Bundestraßen und Schienenwegen bieten großes solares Potential.

Und wenn die Landesregierung schon einmal über kommunale Verantwortung bei der Errichtung von Solaranlagen an und auf Gebäuden heiß entscheidet, hätte dargelegt werden können, dass auch Solaranlagen an und auf denkmalgeschützten Häusern zum Landschaftsbild gehören und bei entsprechender Eignung genutzt werden sollten. In zahlreichen Städten in NRW wird der Bau von Solaranlagen aus Gründen des Denkmal- und Ensembleschutzes untersagt. Da nützen auch die zahlreichen Online-Solar-Kataster nichts, die motivierend zur Verfügung gestellt werden.

Fazit

Wird der neue Landesentwicklungsplan von den Kommunen kritiklos umgesetzt, wird NRW noch lange Braunkohleland und Spitzenreiter im Energieverbrauch bleiben. Es ist verlogen, wenn von der Energiewende und einer Klimaschutz-Gemeinschaftsaufgabe geschwärmt wird und gleichzeitig Fallstricke und Bremsen beschlossen werden. Schwarz/Gelb schwadroniert über einen dringenden Schutz vor Negativentwicklungen und unterstützt mit überzogenen Abstandsregeln und Verboten diejenigen Bedenkenträger, die schon seit Jahren Erneuerbare Energien und Klimaschutz verhindern.


NRW - Demo am Hambacher Wald


Ob es der Landesregierung dauerhaft gelingt, sich bei der Energiewende aus der Verantwortung zu ziehen, ist fraglich. Die Nebelkerzen über die Zukunft der Braunkohle im Rheinland werden nicht dauerhaft verschleiern. Die Bürger in NRW wollen Antworten darauf, wie es mit der Energiewende in NRW weitergeht. Die Proteste um die aktuelle Bedrohung des Hambacher Waldes und der Dörfer rund um die Tagebaue wird nicht enden. Und die Sorgen der Menschen vor der Erderhitzung und deren Folgen für Mensch und Natur werden immer gewaltiger.

Zahlreiche Kommunen haben den Klimanotstand ausgerufen und die Verantwortung für schnellstmögliche Klimaschutz-Maßnahmen übernommen. Die Energiewende muss beschleunigt werden!