Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Doch es kommt auf den Gehalt an Treibhausgasen dort oben an. Denn Freiheit – das brauchen vor allem die vielen Menschen hier unten, auf dem Erdboden. Und in einem „Treibhaus Erde“ wird davon nicht viel übrig bleiben.

Wer sich um effektive Klimaschutzmaßnahmen bemüht, hört oft dieses: Man wolle ja nur verbieten und die Leute gängeln, staatliche Regulierungsmaßnahmen beförderten uns schnurstracks in den Kommunismus und beraubten uns aller unserer Freiheitsrechte.[1] So heißt es auf der Homepage des deutschen Klimaleugner-Netzwerks EIKE: „Nicht das Klima ist bedroht, sondern unsere Freiheit!“ Ihre großen US-amerikanischen Vorbilder und Verbündeten, Thinktanks wie das ultrakonservative und marktradikale „Heartland Institute“, haben diese Strategie bereits in der Auseinandersetzung um die Gesundheitsgefahren des Tabakrauchens entwickelt, im Kampf gegen diverse Umweltschutzmaßnahmen perfektioniert und 2020 erneut eingesetzt, um in den USA effektive Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie zu sabotieren – bekanntlich mit einem wahrlich katastrophalen „Erfolg“.

Freiheitliche Presse?
 

In Deutschland hat EIKE – nicht viel mehr als eine pseudowissenschaftliche Briefkastenfirma mit pompöser Homepage – kaum so viel Gewicht wie seine amerikanischen Gegenstücke. Aber das dort vertretene ideologische Muster hat mächtige Entsprechungen in der deutschen politischen Landschaft und im Journalismus. Am 13.9.2019 titelte beispielsweise die BILD-Zeitung: „Was ist wichtiger – Klima oder Freiheit?[2] Mit dieser Schlagzeile wurde insinuiert, dass es sich um zwei Güter handele, die in striktem Widerspruch zu einander stehen. Entweder – oder. Entscheidet euch! Ist es wichtiger, undurchschaubaren Szenario-Modellen zu folgen, die unschöne Zukunftsperspektiven an die Wand malen – oder ist doch der nächste Flug nach Malle wichtiger, und billiges Benzin im Autotank? Die Frage der BILD ließe sich auch folgendermaßen umformulieren: „Was kommt zuerst – die Moral oder das Fressen?“ Die Antwort kann man bei Bertolt Brecht nachlesen.

Die als seriös geltende Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte bereits am 10.4.2019 geschafft, dieses BILD-Niveau zu unterbieten. Unter der Überschrift „Wieviel Klima-Staat?“ ließ sie ihren Kolumnisten Jasper von Altenbockum formulieren: „Lieber zwei Grad höhere Temperatur als zwei Grad weniger Freiheit“.[3] Hat dieser saloppe Journalist sich einmal die Mühe gemacht zu überlegen, wie es in einer zwei Grad heißeren Welt aussieht? Welche Chancen es dort noch gibt, einer selbsttragenden Runaway-Erhitzung zu entkommen? Oder bescheidener: Hat er sich mal die Folgen der klimabedingten Katastrophen der letzten 20 Jahre angeschaut (bei 1,0 bis 1,2 °C Erderwärmung)? Hat er mit einem einzigen Überlebenden aus der taifun-verwüsteten philippinischen Stadt Tacloban geredet, um wieviel Grad ihre „Freiheit“ nun durch den Verlust ihrer Wohnung und den Tod ihrer Freunde sich verändert habe? – Lassen wir es bei diesem Beispiel bewenden und lenken unseren Blick vom journalistischen aufs parteipolitische Feld. Da gibt es eine Partei, die das „Freie“ bereits im Namen trägt.

Freiheitliche Parteien?
 

In einem Interview mit „t-online.de“ prägte der FDP-Vorsitzende Christian Lindner im Dezember 2019 das schöne Bild: „Die individuelle Freiheit schmilzt wie Eis in der Sonne.“ Grund dafür sei u.a. ein „Klima-Absolutismus“ der Grünen. Außerhalb von Berlin fragten sich die Menschen, „ob es nicht noch andere Themen außer dem Klimathema“ gebe. Die Interviewführung bezeichnete er als „einseitig“, als sie von einer „Klimakrise“ sprach.[4] Wir erinnern uns: Es ist derselbe Christian Lindner, der früher im selben Jahr den streikenden Schüler*innen von „Fridays for Future“ ans Herz gelegt hatte, Klimapolitik den Profis zu überlassen. Woraufhin 26.800 Wissenschaftler*innen (also: Profis) so frei waren, sich hinter die Jugendlichen zu stellen. In Lindners damaliger paternalistischer Empfehlung offenbarte sich ein besonderes „Freiheits“-Konzept, nämlich das einer Expertokratie, die möglichst wenig von demokratischen Ansprüchen einfacher Menschen gestört werden soll.

Alle diese Zitate stammen aus dem Jahr 2019, betreffen also eine Phase der Klimapolitik, die z.B. ein Reduktionsziel von 55% Kohlendioxid bis zum Jahr 2030 für ausreichend und sogar für „ambitioniert“ erklärte. Selbst diese bräsige business-as-usual-Politik wurde von einem Teil des politischen Spektrums als freiheitsbedrohend dargestellt. Und das Argument wird – so viel kann man prognostizieren – wieder herausgeholt werden bei jeder geplanten politischen Maßnahme, welche die Gewinninteressen der Klimaverschmutzer bedroht.

Freiheiten gemäß Grundgesetz
 

Nachdem die Klima-Problematik 2020 durch die grassierende Pandemie weitgehend aus den öffentlichen Diskursen verdrängt wurde, ist sie im Frühjahr 2021 wieder da. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 29.4. sein Klima-Urteil verkündet, angeregt von vier Klagen, deren älteste bereits 2018 vom SFV veranlasst worden war. 2020 waren drei weitere Klagen hinzugekommen, nicht zuletzt von „Fridays-for-Future“-Aktiven, die sich die Freiheit nahmen, immer noch nicht die Klimapolitik den Profis zu überlassen. Das BVerfG hat interessanterweise in seinem Urteil den Schwerpunkt nicht auf das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2,2 GG) gelegt. Sondern es verlangt energischere Klimaschutzmaßnahmen im Namen von „Freiheitsrechten“. Wie dies? Hatten wir bei BILD, Altenbockum und Lindner nicht gelernt, dass Klimaschutz direkt gegen die Freiheitsrechte gerichtet sei?

Das Rätsel löst sich folgendermaßen. Wir kommen in der Politik nicht daran vorbei zu fragen: Von welcher „Freiheit“ reden wir? Freiheit von was? Freiheit wozu? Und vor allem: Wessen Freiheit? Der abstrakte Freiheitsbegriff der Neoliberalen verschleiert, dass manchmal die Freiheit der einen gegen die Freiheit der anderen steht. Oft ist es die Freiheit der Wenigen gegen die Freiheit der Vielen. Noch konkreter: Es ist die Freiheit zur Gewinnmaximierung, zur persönlichen Bereicherung von Kapitaleignern, die für die Neoliberalen Alpha und Omega darstellt. Alles andere hat dahinter zurückzustehen.

Es ist wichtig, dies im Hinterkopf zu behalten, wenn z.B. die FDP – traditionell auch ein Sammelplatz für Klimawandel-Leugner – nun erneut den Handel mit Verschmutzungsrechten als goldenen Weg zur Klimarettung anbietet. Dieser Zertifikatehandel war auf europäischer Ebene im Jahre 2005 eingeführt worden und hatte bewirkt, dass z.B. der damalige Erfolg der Energiewende in Deutschland oder Emissionsreduktionen im Zuge der Finanzkrise von 2008 auf jeden Fall wieder durch erhöhte Emissionen in anderen Ländern oder zu späteren Zeiten zunichte gemacht werden mussten. Dieses „freiheitliche“ Markt-Instrument verhindert also eine Überbietung der einmal festgelegten Reduktionsziele. Deshalb wird es auch von den Verschmutzern bevorzugt.

In vielen Bereichen – z.B. wenn es um ein Enddatum der Zulassung von Verbrennungsmotoren geht – ist eine gesetzliche Regelung (also z.B. ein Verbot) die bessere Lösung. In anderen Bereichen sind Marktinstrumente wie Steuern, Abgaben oder auch Anreize das Mittel der Wahl. Aber stimmt es denn nun, dass die Klimaschutzbewegung immer nur Verbote und Freiheitseinschränkungen fordert? Hat denn nicht das EEG ab dem Jahr 2000 Millionen Menschen neue Handlungsoptionen eröffnet, um die Energiewende auf den Weg zu bringen? Gibt es nicht auch heute eine starke Bürgerenergie-Bewegung, der die jetzige Gesetzgebung massenhaft Steine in den Weg legt, um die großen Player am Energiemarkt weiter zu schützen? Es ginge doch um die Entfesselung der kreativen Energie von unten! Sie wird seit mindestens einem Jahrzehnt von Parteien ausgebremst, die lauthals vorgeben, „die Freiheit“ zu verteidigen. Also noch einmal: Welche Freiheit?

Die Lage wird freilich noch durch folgenden Sachverhalt kompliziert: Das System, welches die Ideologen dieses Freiheits-Begriffs so erbittert verteidigen, hat es geschafft, vielen seiner Opfer ein Wertemodell zu vermitteln, das ebendieses System stabilisiert. Freiheit manifestiert sich nach diesem Wertekanon vor allem im Besitz eines möglichst „dicken“ Autos, das mit möglichst billigem Treibstoff betrieben wird. Oder in mehreren fast kostenlosen Flugreisen pro Jahr (über deren kulturellen Wert wir hier nichts sagen wollen). Oder im täglichen Konsum großer Mengen von Fleisch. Oder allgemein in einer Ex-und-hopp-Mentalität. Und in dem Anspruch, über die Bedingungen und Folgen all dessen nicht nachdenken zu müssen. Über Grundrechte und Grundfreiheiten, die im ersten Abschnitt des Grundgesetzes festgeschrieben sind, machen sich viele dieser Menschen nur selten Gedanken.

Dabei leiden sie selbst unter den Folgen ihres Tuns. Eine Lungenerkrankung aufgrund städtischer Autoabgase hat z.B. ebenfalls Freiheitseffekte. Wer an der Beatmungsmaschine hängt, dessen Freiheiten sind wesentlich massiver beeinträchtigt als z.B. die Freiheiten einer Aktienbesitzerin eines Autokonzerns, dessen Gewinnmargen durch ein Verbot von Verbrennungsmotoren geschmälert werden und der deshalb weniger Dividende ausschüttet.

Freiheiten abwägen
 

Das Klima-Urteil des BVerfG hat diese Abwägung unterschiedlicher Freiheiten zum Prinzip gemacht. Nicht nur im Hier und Jetzt. Das Gericht hat die „internationale Dimension“ des grundgesetzlichen Klimaschutzgebots betont (Art. 20a GG). Es stellte ferner und vor allem fest, dass das Grundgesetz zur „Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen“ verpflichte. Es ist eigentlich ganz einfach: Handlungen, durch die Menschen jenseits der Staatsgrenzen und/oder jenseits der nächsten Legislaturperiode geschädigt werden, sind nicht durch heutige und hiesige Freiheitsrechte zu legitimieren.

Konkret gesprochen, ist es also unzulässig, heute kaum beschränkte Emissions-Freiheiten zu genießen, wenn man dadurch kommenden Generationen eine klimapolitische Vollbremsung aufnötigt. Oder ihnen einen beschädigten Planeten hinterlässt, auf dem ein Weiterleben für die Menschen nur noch durch massivste Einschränkungen der Freiheitsrechte möglich ist. (Den umgekehrten Fall kennen wir aus der Geschichte der neuzeitlichen Revolutionen. Daraus sollten wir gelernt haben: Es ist ebenso unzulässig, die Freiheiten im Hier und Jetzt mit dem Versprechen auf eine goldene Zukunft für die Enkel einzuschränken. Glücklicherweise werden wir von einer ambitionierten Klimaschutzpolitik aber auch unmittelbar mit einem Mehr an Freiheiten profitieren – man denke nur an die Entfaltungsmöglichkeiten in Innenstädten ohne Autos!)

Abwägungen verschiedener Freiheiten sind nichts Neues; wir kennen ihre Logik aus dem Alltag. Wenn wir unsere Demonstrationsfreiheit an einem Sonntagvormittag ausüben wollten, mussten wir schon immer leise bleiben, um nicht die Religionsfreiheit von Anderen stören. Wenn wir in einem Braunkohlegebiet wohnten, mussten wir unter Umständen sogar unser Eigentumsrecht an Haus und Hof aufgeben, um das (anscheinend höherstehende) Eigentumsrecht eines Bergbaukonzerns nicht zu schmälern. Und so weiter. Das BVerfG hat nun deutlich gemacht, dass es keine verfassungsmäßige Freiheit dafür gibt, der Generation von „Fridays for Future“ (und nicht nur dieser) die Zukunft zu klauen – um den Jargon der jungen Leute einmal zu übernehmen. Sollte eigentlich selbstverständlich sein. War es aber bis zum 29. April 2021 nicht, denn sonst wäre der Urteilsspruch des BVerfG ja nicht nötig geworden. Und die Verlautbarungen der meisten Parteipolitiker nach jenem Spruch klingen auch jetzt wieder nur wie Lippenbekenntnisse. Sie gehen einen Schritt nach vorne, wo zehn erfordert wären. Sie jubeln über den Spruch, der ihnen doch ihr verfassungswidriges Gesetz um die Ohren gehauen hat. Denen sollen wir unsere Freiheiten anvertrauen?

Geschwister, zur Sonne, zur Freiheit
 

Unterschiedliche Interessen und Freiheitsrechte werden anhand von Machtpotenzialen ausgehandelt. Meistens setzen sich dabei die Eigentums-Interessen großer ökonomischer Player durch (die gerne z.B. auch mal die Koalitionsfreiheit ihrer Angestellten aushebeln).  EIKE, FDP und wie diese Speerspitzen des Neoliberalismus alle heißen, wollen uns diese Freiheit zur Gewinnmaximierung als „die Freiheit“ schlechthin verkaufen. Dem hat das BVerfG nun einen Dämpfer verpasst und so eine neue Chance für wirksame Klimaschutzpolitik eröffnet. Nur ein Dämpfer, nur eine Chance; denn es reicht nicht aus, die Freiheitseinschränkungen durch aktive Klimapolitik mit jenen infolge der Klimakatastrophe abzuwägen, als wären es gleichwertige Dimensionen. Aber immerhin haben wir jetzt höchstrichterlich verbrieft, dass die Vernachlässigung von Klimaschutz, wie sie die Politik der derzeitigen Regierung prägte, verfassungswidrig ist, weil sie Freiheitsrechte massiv beeinträchtigt.

Nehmen wir uns die Freiheit, diesen Impuls aufzugreifen und der Regierungspolitik ein Klimaschutzgesetz abzutrotzen, das auch den physikalischen Notwendigkeiten gerecht wird, die das BVerfG noch nicht explizit anerkannt hat: 2030 brauchen wir nicht 65% Erneuerbare Energien, auch nicht 70%, sondern 100%! Denn ein Emissionsbudget, von dem das Gericht noch ausgeht, gibt es nicht mehr. Wie sagte Leo Tolstoi: „Freiheit wird nicht mit dem Streben nach Freiheit, sondern mit dem Streben nach der Wahrheit erlangt.“ Wer vor den klimawissenschaftlichen Erkenntnissen die Augen verschließt, wird unser aller Freiheit verspielen.


 

Titelbild: Ausschnitt aus Eugène Delacroix, "Die Freiheit führt das Volk" (1830). (Public Domain, via Wikipedia)

[1]             Beispiele für diese Argumentationsfigur sind nachgewiesen unter https://sfv.de/artikel/freiheit_der_maerkte_oder_zukunft_der_menschheit

[2]             https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/klima-oder-freiheit-was-ist-wichtiger-die-welt-spricht-ueber-wong-und-thunberg-64669418.bild.html

[3]             https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/deutsche-klimapolitik-wie-viel-klimastaat-ist-sinnvoll-16132986.html

[4]             https://www.fdp.de/pressemitteilung/lindner-interview-die-gruenen-ordnen-dem-klima-absolutismus-alles-unter-