Dezentrale Energieerzeugung und Versorgungssicherheit im neuen Energiewirtschaftsgesetz

Beitrag aus der Zeitschrift Solarzeitalter 1/2005

Dr.-Ing. Eike Schwarz

Derzeit befindet sich der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neurege-lung des Energiewirtschaftsrechts (EnWG-E) in der parlamentarischen Beratung. Dabei konzentriert sich die politische und öffentliche Erörterung auf die Regulierung der Elektrizitäts-- und Gasnetze als der wesentlichen Neuerung. Bisher nicht Gegenstand der Diskussion sind dagegen im Gesetzentwurf enthaltene wichtige Wettbewerbshemmnisse für die Einspeisung von Strom (und Gas) aus Erneuerbaren Energien und aus dezentraler Kraft-Wärme-Kopplung in die Netze der Versorgungsunternehmen. Dies und die abnehmende Versorgungssicherheit in einem liberalisierten Energiesystem sind Thema des folgenden Beitrags.

Da die Diskriminierung der dezentralen Energiegewinnung in der Elektrizitätsversorgung deutlicher hervortritt und besser bekannt ist als in der leitungsgebundenen Gasversorgung, wird im folgenden in erster Linie der Elektrizitätsbereich behandelt. Aufgrund der gleichartigen Regelungen im EnWG-E gelten die Ausführungen jedoch im Grundsatz auch im Bereich der Gasversorgung, besonders bezüglich der dezentralen Biogasnutzung.

1. Diskriminierung der dezentralen Stromerzeugung

Der Gesetzentwurf diskriminiert kleinere dezentrale Energiegewinnungsanla-gen, obwohl das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) den klaren politischen Willen zur Entwicklung dieser Bereiche zum Ausdruck bringen. Diese Diskriminierung geschieht dadurch, dass ein Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EltVU) Netzanschluss, Netzzugang, Grund- und Reserveversorgung einem Kunden verweigern kann, wenn ihm dies aufgrund einer eigenen Stromerzeugungsanlage des Kunden (sogenannte Eigenanlage) als wirtschaftlich unzumutbar erscheint. Besonders diskriminierend sind die Paragraphen 18, 20 und 37 des EnWG-E (siehe Anhang). Diese Regelungen entstammen dem noch geltenden EnWG, das in wichtigen Vorschriften auf dem Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft vom 13.12.1935 und der Fünften Durchführungsverordnung hierzu vom 21.10.1940 beruht, die noch heute gilt. In dieser Verordnung wird die Zumutbarkeit der Reserve- und Zusatzstromversorgung bei Verbrauchern mit Eigenanlagen mit dem Ziel geregelt, EltVU vor konkurrierender Stromerzeugung zu schützen. Diesen Vorschriften liegt ein Top-Down-Konzept der Elektrizitätsversorgung zu Grunde: Der Strom wird in Großkraftwerken erzeugt und durch ein Übertragungssystem auf Höchstspannungsebene zu Verteilernetzen transportiert, die den Strom an die Letztverbraucher verteilen. Gegenwärtig geschieht das überwiegend in integrierten Unternehmen mit eigener Stromerzeugung, Übertragung und Verteilung. Solche EltVU versuchen in aller Regel, die Einspeisung von Strom aus Eigenanlagen in ihre Netze zu behindern, weil diese Anlagen mit ihren eigenen Kraftwerken konkurrieren. Das ist eine aus Unternehmenssicht durchaus rationale Vorgehensweise. Energie- und umweltpolitisch ist es jedoch notwendig, über einen Eigenbedarf hinaus erzeugten Strom in das Elektrizitätsversorgungsnetz ohne Hemmnisse einzuspeisen zu können. Außerdem kann die Diskriminierung von Eigenanlagen nach der Entflechtung von Stromerzeugung und Netz auch wettbewerbspolitisch nicht hingenommen werden.

Die skizzierte Diskriminierung ist von erheblicher Bedeutung, weil die Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien und aus Kraft-Wärme-Kopplung praktisch nur dezentral sinnvoll möglich ist. Kennzeichnend für die erneuerbaren Energien ist nämlich ihre im Vergleich zu Großtechnologien sehr geringe Leistungsdichte mit beispielsweise höchstens 1 KW/m2 bei der direkten Nutzung der Sonnenstrahlung. Aus dieser Eigenschaft folgt die Notwendigkeit der örtlichen "Einsammlung" der Energie. Nur in wenigen Fällen sind Großanlagen wie große Wasserkraftwerke oder Windparks möglich.

Bei der Kraft-Wärme-Kopplung ist es ähnlich. Die bei der Stromerzeugung als Koppelprodukt anfallende Wärme kann nur über geringe Entfernungen wirtschaftlich transportiert werden. Dagegen kann der zugleich erzeugte Strom anderen Stromverbrauchern über das Elektrizitätsnetz kostengünstig zugeführt werden. Deshalb werden Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in der Regel dort errichtet, wo der Wärmebedarf besteht. Nur bei Vorliegen besonders günstiger Umstände wie in Millionenstädten sind große Heizkraftwerke mit dementsprechend umfangreichen Fernwärmenetzen wirtschaftlich betreibbar.

Anlagen zur Nutzung Erneuerbarer Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung, die an diese Gegebenheiten angepasst sind, bezeichnet man als dezentral. Im Gegensatz dazu ist die Versorgung mit konventionellen Energieträgern generell durch großtechnische Gewinnungs- und Umwandlungs anlagen sowie weiträumige Transport- und Verteilungsstrukturen gekennzeichnet. Die hier bestehenden technischwirtschaftlichen Erfordernisse haben weltweit zu einer erheblichen Konzentration von Kapital, Know-how und Fachpersonal und damit zu Unternehmensstrukturen geführt, wie sie typisch als großtechnischzentral bezeichnet werden. Als Folge dieser Entwicklung lohnt sich jedoch die Nutzung Erneuerbarer Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung durch EltVU betriebswirtschaftlich in der Regel erst ab einer gewissen Mindestleistung (Größenordnung 1 Megawatt). Da deren typisches Charakteristikum jedoch ihre dezentrale Erscheinungsform mit meist weit geringeren örtlichen Leistungen ist, bedingt eine Ausweitung ihrer Nutzung, dass zusätzlich zu den traditionell in der Energiewirtschaft tätigen Unternehmen auch neue Interessenten wie Industrie-oder Gewerbebetriebe, Kommunen und Privatpersonen hierfür gewonnen werden müssen. Im Ergebnis wird die zukünftige Elektrizitätsversorgung viel stärker als bisher aus einem Mischsystem von zentraler Erzeugung in Kraftwerken und dezentraler Erzeugung in kleineren Eigenanlagen bestehen. Sehr viele solcher Eigenanlagen summieren sich dann zu "virtuellen Großkraftwerken". Hierbei ist das Elektrizitätsnetz der "Marktplatz", auf dem der in großen Kraftwerken und vergleichsweise kleinen Eigenanlagen erzeugte Strom zwischen großen und kleinen Verbrauchern gehandelt und geliefert wird.

Bekanntlich erfolgen Erzeugung und Lieferung in aller Regel dann volkswirtschaftlich optimal, wenn dies nach den Regeln fairen Wettbewerbs geschieht. Entsprechend dieser Philosophie basiert das Wettbewerbskonzept, wie es in den Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rats 2003/54/EG (Stromrichtlinie) und 2003/55/EG (Gasrichtlinie ) vom 26. Juni 2003 festgelegt ist, auf der strikten Trennung des natürlichen Monopols Netz, also Übertragung und Verteilung, von der wettbewerblich organisierbaren Erzeugung und Lieferung. Dadurch wird die dezentrale Stromerzeugung in Eigenanlagen der zentralen Erzeugung in Großkraftwerken wettbewerblich grundsätzlich gleichgestellt. Anstatt aber nun dieses stringente EU-Konzept konsequent und in klaren Formulierungen national umzusetzen, hat die Bundesregierung mit dem EnWG-E einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Eigenanlagen auch weiterhin diskriminiert, d.h. der vom alten Energierecht beabsichtigte Schutz der EltVU vor konkurrierender Stromerzeugung soll auch in Zukunft bestehen bleiben. Die Darstellung der zur Beseitigung der Diskriminierung erforderlichen zahlreichen Änderungen des EnWG-E würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, sie kann jedoch von www.bundestag.de heruntergeladen werden.

Die gegenwärtige besondere Förderung der Einspeisung von Erneuerbaren Energien und von Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung mittels des EEG und des KWKG erfährt durch den vorgelegten Gesetzentwurf übrigens eine zusätzliche Rechtfertigung: Die Förderung kompensiert wenigstens die gesetzliche Diskriminierung der dezentralen Stromeinspeisung und muss daher solange aufrecht erhalten werden, wie die Diskriminierung bestehen bleibt.

2. Versorgungssicherheit und Wettbewerb

Die im EnWG-E enthaltenen Regelungen zum Monitoring (§ 51) und besonders zur Ausschreibung neuer Erzeugungskapazitäten (§ 53) erscheinen nicht geeignet, die gewohnte Sicherheit der Stromversorgung längerfristig zu gewährleisten. Außerdem fehlen Grundsätze für die einzuhaltende Versorgungsqualität und Haftungsregelungen bei deren Nichteinhaltung. Denn die Abhängigkeit der modernen Volkswirtschaften von einer immerwährenden Stromversorgung mit konstanter Spannung ist geradezu total, weil ohne Strom fast nichts mehr funktioniert: Das gewohnte Leben und Wirtschaften wird völlig unterbrochen, dem die wenigen vorhandenen Notstromaggregate kaum entgegenwirken können. Während kurze Zeit andauernde und auf kleine Gebiete beschränkte Unterbrechungen im wesentlichen "nur" Schäden einzelner zur Folge haben, dürfte ein tagelanger, ein ganzes Land erfassender Stromausfall zu einem Zerfall der Ordnungsstruktur mit Plünderungen führen und letztlich in einem allgemeinen Chaos enden. Die Liberalisierung mit der Entflechtung der bisher einheitlichen Verantwortung der EltVU für die Stromerzeugung und die Übertragung/Verteilung in nunmehr zwei unternehmerisch getrennte Bereiche führt zu einer grundsätzlich neuen Verhaltensweise der beiden Unternehmensteile. So bestimmt sich die Errichtung neuer Kraftwerkskapazität wettbewerblichen Usancen entsprechend zukünftig weit stärker als bisher aus Angebot und Nachfrage. Das bedeutet, dass neue Kraftwerke erst bei knappem Angebot und dementsprechend hohen erwartbaren Renditen in Angriff genommen werden. Hierbei ist nun eine Besonderheit der Stromversorgung wichtig: Die üblichen Warenmärkte funktionieren auch, wenn wegen zu geringer Erzeugungskapazität entstandene Versorgungsengpässe erst nach einiger Zeit durch neue Erzeugungskapazitäten beseitigt werden. Die Elektrizitätsversorgung ist dagegen durch ein fundamental anderes Verhalten gekennzeichnet: Strom ist nicht großtechnisch, etwa in Akkumulatoren, mit vertretbarem Aufwand speicherbar. Deshalb müssen Erzeugung und Verbrauch fortwährend, und zwar im Sekundenbereich, im Gleichgewicht gehalten werden. Beginnt irgendwo im Netz die Erzeugung nicht auszureichen, droht die Versorgung alsbald vollständig zusammenzubrechen, wobei durchaus große Gebiete betroffen sein können (Black-out). Um solche Versorgungszusammenbrüche zu vermeiden, müssen bei absehbar zu geringer Erzeugungskapazität mehr oder weniger große Gebiete vorsorglich vom Stromnetz abgetrennt werden, d.h. es wird dort der Strom abgeschaltet, um den Verbrauch der (zu geringen) Erzeugung anzupassen. Aber auch derartige Abschaltungen sind in einer hoch entwickelten Volkswirtschaft nicht hinnehmbar, besonders nicht in Deutschland mit seiner bislang fast 100 prozentigen Versorgungssicherheit.

Da die Errichtung neuer großer Kraft-werke Jahre benötigt, käme jede Reaktion auf bald bevorstehende Erzeugungsengpässe zu spät, zumal solche Engpässe oftmals durch unplanbare Ereignisse wie durch einen Kraftwerksausfall oder einen ungewöhnlich kalten Winter verursacht werden. Es muss daher wie bisher eine ausreichend große Reserveerzeugungskapazität vorgehalten werden. Diese ist jedoch unwirtschaftlich, weil sie nur selten benötigt wird. Hier greift nun die neue Politik der EltVU. Während sich die Unternehmenspolitik in der Vergangenheit aufgrund der im Monopolbereich erzielbaren Finanzpolster in erster Linie an den technischen Erfordernissen der Stromversorgung orientierte, wird mit dem Übergang auf eine vorrangig am finanziellen Quartalsergebnis orientierten Unternehmenspolitik zunehmend an Investitionen zur Reservehaltung gespart. Es zählt, wie allgemein im Wettbewerb üblich, die Produktivität, was die Auslastung der vorhandenen Produktionskapazitäten erfordert.

Diese hier nur skizzierbare Entwicklung in der Elektrizitätsversorgung ist grundsätzlich neu, und ihr muss wegen der fundamentalen Bedeutung einer sicheren Stromversorgung geeignet begegnet werden. Das sollte derart erfolgen, dass sich die Vorteile des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs in der Elektrizitäts-versorgung soweit wie möglich entfalten können und zugleich die gewohnte Versorgungssicherheit erhalten bleibt. Dazu ist es notwendig, die im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen zum Monitoring und zur Ausschreibung neuer Erzeugungskapazitäten zu einem Instrument für die Bewältigung sich abzeichnender Erzeugungsengpässe weiterzuentwickeln und mit den diesbezüglichen Vorschriften des Energiesicherungsgesetzes von 1975 zu verknüpfen. Demgegenüber stellen die Regelungen im EnWG-E nur eine Ermächtigung dar, ohne dass wenigstens in den Grundzügen dargelegt ist, wie das dort vorgesehene Ausschreibungsverfahren funktionieren soll und wie eine ausreichende Reserveerzeugungskapazität sichergestellt wird. Wegen der immensen Bedeutung einer sicheren Stromversorgung muss im Gesetz klar geregelt werden, welche staatliche Stelle handeln muss, an wen sich die Maßnahmen richten und wer für die Kosten aufzukommen hat. Vergleichbare Erwägungen betreffen auch die Kapazitätsvorhaltung im Übertragungsnetz, während die Verteilungsnetze wegen der geringeren volkswirtschaftlichen Auswirkungen dortiger Versorgungszusammenbrüche weniger betroffen sind.

Auch vor diesem Hintergrund sind die diskriminierenden Regelungen über die dezentrale Stromerzeugung in Eigenanlagen zu beseitigen. Denn die dezentrale Stromerzeugung stützt die allgemeine Stromversorgung bei Erzeugungsengpässen, und es können bei Ausfall des Versorgungsnetzes Inselversorgungen aufrechterhalten werden. Außerdem kann die dezentrale Erzeugung bei sich abzeichnenden Versorgungsengpässen im Vergleich zur Errichtung neuer Kraftwerke schnell ausgebaut werden. Dies betrifft auch Notstromaggregate, die ebenfalls nicht länger diskriminiert werden dürfen.

Falls es zu Versorgungsunterbrechungen kommt, haben Haftungsregelungen bisher das Ziel, Energieverbraucher bei Versorgungsunterbrechungen finanziell zu entschädigen. Solche Regelungen müssen allerdings das Problem berücksichtigen, dass eine angemessene Entschädigung jedes einzelnen Energiever-brauchers bei einer großflächigen Versorgungsunterbrechung so große Schadenssummen erreichen kann, dass diese nicht mehr versicherbar sind und das Versorgungsunternehmen existentiell gefährden.

Die Versorgungswirtschaft argumentiert daher u.a. wie folgt:
Haftungsregelungen für Netzbetreiber und Energieversorger müssen die typischen Risiken der leitungsgebundenen Energieversorgung im Interesse möglichst kostengünstiger Netznutzungsentgelte und Energiepreise angemessen berücksichtigen. Die Energieversorgung in einem weitgehend verrnaschten und hochtechnisierten Leitungssystem kann dazu führen, dass bereits geringste, nie auszuschließende menschliche Fehler nicht vorhersehbare Schadens folgen auslösen können. Eine uneingeschränkte Haftung der Netzbetreiber und Energieversorger für dieses unkalkulierbare Risiko ist für Vermögensschäden überhaupt nicht und für Sachschäden kaum versicherbar. Hohe Versicherungsprämien oder Rückstellungen für nicht versicherbare Vermögensschäden würden daher zu Kostenbelastungen führen, die dem gesetzlichen Ziel an einer möglichst preisgünstigen Energieversorgung zuwider laufen. Die Haftung der Netz-betreiber und Energieversorger für Sach- und Vermögensschäden, die durch Unterbrechungen oder Unregelmäßigkeiten der Energieversorgung entstehen, muss daher auch weiterhin im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt und der Höhe nach begrenzt bleiben.

Demgemäß sieht auch die geltende "Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden" (AVBEltV) in § 6 "Haftung bei Versorgungsstörungen" Haftung nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit vor. Eine auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit beschränkte Haftung macht es jedoch für die Versorgungsunternehmen billiger, das Risiko von Versorgungsunterbrechungen einzugehen, als durch Vorsorgemaßnahmen Versorgungsunterbrechungen schon im Ansatz zu vermeiden. Denn Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit lassen sich in vernetzten Systemen durch Externe, beispielsweise Verbraucher, praktisch nicht nachweisen. Auch hier wirkt sich aus, dass mit dem Übergang auf eine vorrangig am finanziellen Quartalser-gebnis orientierten Unternehmenspolitik nun zunehmend an Maßnahmen gespart wird, die der Vorsorge dienen. Im Ergebnis werden sich die Verbraucher veranlasst sehen, in großem Umfang eigene Notstromaggregate anzuschaffen, um eine gesicherte Stromversorgung zu erreichen. Dies wäre allerdings nicht nur volkswirtschaftlich unsinnig, sondern auch wegen der damit verbundenen Umweltbelastung ein deutlicher Rückschritt gegenüber heute. Ziel sollte daher eine neue Haftungsregelung sein, die die Versorgungsunternehmen auch unter der heutigen Unternehmensphilosophie veranlasst, aus eigenem unternehmerischem Antrieb wirksame Maßnahmen gegen Versorgungsunterbrechungen zu ergreifen (z.B. vorsorgende Wartung anstelle "ereignisorientierter" Reparatur nach Störungen).

Da im Wettbewerb stehende Unternehmen in erster Linie auf finanzielle Belastungen reagieren, werden für die Sicherstellung der Energieversorgung notwendige Vorsorgemaßnahmen nur dann bei den unternehmerischen Detailentscheidungen berücksichtigt, wenn ihre Unterlassung noch teurer wird. Es gilt also eine Regelung dergestalt zu formulieren, dass einerseits der gewünschte Handlungsdruck erzeugt wird, andererseits jedoch das betreffende Unternehmen nicht existenziell gefährdet wird, wenn es zu einer möglicherweise sein gesamtes Versorgungsgebiet umfassenden Versorgungsunterbrechung kommt, da dies die Versorgungssituation nur noch weiter verschlechtern würde.

Qualitätsstandards, die das Gesetzesziel der "möglichst sicheren Versorgung" konkretisieren, könnten z.B. vorsehen, dass die Versorgung nicht länger als x Minuten pro Jahr unterbrochen sein darf, andernfalls droht eine Zahlungsverpflichtung an die betroffenen Verbraucher. Eine solche Regelung ist jedoch mit dem Nachteil verbunden, dass Versorgungsunterbrechungen bis zur vorgegebenen Zeitspanne nicht kostenwirksam würden. Diesen Nachteil weist beispielsweise die folgende Regelung nicht auf: Ausgangsbasis ist die durchschnittlich bezogene Energiemenge des Verbrauchers pro Zeiteinheit (also Leistung in Kilowatt oder Megawatt, pauschaliert für Standardverbraucher im Massengeschäft), die mit der Zeitdauer der Versorgungsunterbrechung multipliziert wird. Die so ermittelte "nicht gelieferte" Energiemenge wird dann mit einem sogenannten Unterbrechungs-Energiepreis multipliziert. Dieser Preis ist so zu bemessen, dass ein ausreichender Handlungsdruck ohne Existenzgefährdung erreicht wird, d.h. er muss wesentlich höher als der Preis der zu liefernden Energie sein und könnte summiert etwa die in der AVBEltV genannten Höchstbeträge von bis zu 50 Mio Euro bei großen EltVU abbilden, jedoch ohne die dortigen Beschränkungen auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit.

3. Fazit

Mit dem EnWG-E hat die Bundesregierung die Chance vertan, ein modernes, zukunftsweisendes Recht für die leitungsgebundenen Energien Elektrizität und Gas vorzulegen, das ihrem Innovationsanspruch gerecht wird. Es wird sich zeigen, dass diejenigen Mitgliedsstaaten, die die EU-Richtlinien gemäß ihrem Sinngehalt umsetzen, Wettbewerbsvorteile erringen werden, besonders bei der dezentralen Energieerzeugung als einem neuen Wirtschaftssektor. Denn die Innovationsdynamik ist in Wettbewerbsmärkten immer sehr viel größer als in abgeschotteten Wirtschaftsbereichen.
Die nicht genutzte Innovationschance zeigt sich aber auch in dem weiter wuchernden Bürokratismus des neuen Gesetzentwurfs. Gegenüber dem EnWG von 1998 ist das neue EnWG-E sowohl hinsichtlich der Paragrafenzahl als auch des Textumfangs mindestens um den Faktor 5 angewachsen. Vieles wird detailliert geregelt mit der Folge, dass die Formulierungen sehr viel komplizierter und verwirrender sind als im bisherigen EnWG und in den EU-Richtlinien. Derart komplexe Gesetze können nur von einer geübten Bürokratie oder teuren Spezialisten gehandhabt werden, worüber praktisch nur der Staat und die großen Energieunternehmen verfügen. Das bedeutet, dass solche Gesetze besonders mittlere und kleine Unternehmen sowie die Standardverbraucher benachteiligen, weil diese nicht die Möglichkeit haben, ihre Rechte zu erkennen und im Streitfall auch durchzusetzen.
Man kann wohl generell sagen, dass sich in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher herausgestellt hat, dass es auch mit noch so detaillierten Gesetzesausprägungen in der Regel nicht gelingt, die tatsächliche Lebenswirklichkeit hinreichend zu erfassen und allgemeinverbindlich sinnvoll zu regeln. Da gemäß EnWG-E eine Bundesregulierungsbehörde mit zwei gerichtsähnlichen Beschlusskammern eingerichtet wird, wäre es zweckmäßiger, das Gesetz auf die notwendigen Grundsätze für die Gestaltung der leitungsgebundenen Energieversorgung und die Befugnisse der Bundesregulierungsbehörde zu beschränken. Dadurch könnte das EnWG-E von Detailregelungen entlastet und wesentlich übersichtlicher werden. Ohnehin werden sich die Beschlusskammern (bzw. die ordentlichen Gerichte) mit auftretenden Streitfällen zu befassen haben.
 

Nachtrag nach Abschluss der Verhandlungen der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen des Deutschen Bundestages über das EnWG-E am 10.3.2004

1. Zu Nr. 1: Diskriminierung der dezentralen Stromerzeugung
Wesentliches Ergebnis der Verhandlungen zu diesem Thema ist eine Erhöhung der in §18 Abs. 2 EnWG-E genannten elektrischen Höchstleistung von Eigenanlagen von 50 auf 150 kW. Dagegen ist in dem korrespondierenden §37 alt (§40 neu) zur Grundversorgung unverändert an der Höchstgrenze von 50 kW festgehalten worden.

Mit der Erhöhung auf 150 kW elektrischer Leistung sind Anlagen bis zu dieser Leistung aus den diskriminierenden Restriktionen herausgenommen worden, wobei allerdings Eigenerzeuger nur bei Anlagen bis 50 kW auch Anspruch auf Grundversorgung haben. Durch die Erhöhung ist die infrage kommende Anlagenzahl und -leistung gegenüber dem Regierungsentwurf deutlich vergrößert worden, jedoch bleibt die grundsätzliche Diskriminierung der dezentralen Erzeugung bestehen.

2. Zu Nr. 2: Versorgungssicherheit und Wettbewerb
Zu diesem Themenkomplex ist in § 12 Abs. 4 eine Art "erweitertes Monitoring" mit einem umfangreichen Berichtswesen für die Netzbetreiber neu festgelegt worden. Damit vertraut man mehr auf externe Kontrolle als auf unternehmensintern wirksame Anreizsysteme wie etwa durch eine Haftungsregelung. Des Weiteren ist mit § 56 (neu) eine neue Regelung zur Sicherstellung der Versorgung von Haushaltskunden mit Erdgas auch im Falle außergewöhnlich hoher Gasnachfrage in extremen Kälteperioden eingefügt worden. Sosehr eine solche Regelung gerechtfertigt sein mag: Ohne gleichzeitige Stromversorgung funktionieren moderne Gaszentralheizungen nicht mehr.

Dr.-Ing. Eike Schwarz, Mitglied des Vorstandes der EUROSOLAR-Sektion Deutschland


Anhang:
Eigenanlagen besonders diskriminierende Vorschriften des EnWG-E: § 18 Abs. 2:
(2) Wer zur Deckung des Eigenbedarfs eine Anlage zur Erzeugung von Elektrizität betreibt oder sich von einem Dritten an das Energieversorgungsnetz anschließen lässt, kann sich nicht auf die allgemeine Anschlusspflicht nach Absatz 1 Satz 1 berufen. Er kann aber einen Netzanschluss unter den Voraussetzungen des § 17 verlangen. Satz 1 gilt nicht für die Deckung des Eigenbedarfs von Tarifabnehmern aus Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung bis 150 Kilowatt elektrischer Leistung und aus erneuerbaren Energien.

§ 20 Abs.2 (neu: Abs. 4):
(2) Betreiber von Energieversorgungsnetzen können den Zugang nach Absatz 1 verweigern, soweit sie nachweisen, dass ihnen die Gewährung des Netzzugangs aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen unter Berücksichtigung der Ziele des § 1 nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Die Ablehnung ist in Textform zu begründen und der Regulierungsbehörde unverzüglich mitzuteilen. Auf Verlangen der beantragenden Partei muss die Begründung im Falle eines Kapazitätsmangels auch aussagekräftige Informationen darüber enthalten, welche Maßnahmen und damit verbundene Kosten zum Ausbau des Netzes erforderlich wären, um den Netzzugang zu ermöglichen; die Begründung kann nachgefordert werden. Für die Begründung nach Satz 3 kann ein angemessenes Entgelt verlangt werden, sofern auf die Entstehung von Kosten zuvor hingewiesen worden ist und das Entgelt die Hälfte der entstandenen Kosten nicht überschreitet.

§ 37 Abs. 1 und 2 (neu: § 40):
(1) Wer zur Deckung des Eigenbedarfs eine Anlage zur Erzeugung von Energie betreibt oder sich von einem Dritten versorgen lässt, hat keinen Anspruch auf eine Grundversorgung nach § 396 Abs. 1 Satz 1. Er kann aber Grundversorgung im Umfang und zu Bedingungen verlangen, die für das Energieversorgungsunternehmen wirtschaftlich zumutbar sind. Satz 1 gilt nicht für Eigenanlagen (Notstromaggregate), die ausschließlich der Sicherstellung des Energiebedarfs bei Aussetzen der öffentlichen Energieversorgung dienen, wenn sie außerhalb ihrer eigentlichen Bestimmung nicht mehr als 15 Stunden monatlich zur Erprobung betrieben werden, sowie für die Deckung des Eigenbedarfs von in Niederspannung belieferten Haushaltskunden aus Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung bis 50 Kilowatt elektrischer Leistung und aus erneuerbaren Energien.

(2) Reserveversorgung ist für Energieversorgungsunternehmen im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 nur zumutbar, wenn sie den laufend durch Eigenanlagen gedeckten Bedarf für den gesamten Haushalt umfasst und ein fester, von der jeweils gebrauchten Energiemenge unabhängiger angemessener Leistungspreis mindestens für die Dauer eines Jahres bezahlt wird. Hierbei ist von der Möglichkeit gleichzeitiger Inbetriebnahme sämtlicher an das Leitungsnetz des Energieversorgungsunternehmens angeschlossener Reserveanschlüsse auszugehen und der normale, im gesamten Niederspannungs- oder Niederdruckleitungsnetz des Energieversorgungsunternehmens vorhandene Ausgleich der Einzelbelastungen zu Grunde zu legen.



Quelle: "Dezentrale Energieerzeugung und Versorgungssicherheit im neuen Energiewirtschaftsgesetz" von Dr.-Ing. Eike Schwarz, Solarzeitalter -Politik und Ökonomie Erneuerbarer Energien 1/2005, Seite 12-16, Hrsg. Eurosolar e.V.

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