Datum: 03.01.2003

Die ökologische Steuerreform: Arbeit und Wohlstand für alle!

Von Wolf von Fabeck und Jürgen Grahl

Das Thema Umwelt ist in den letzten Jahren aufgrund anhaltender Massenarbeitslosigkeit völlig ins Hintertreffen geraten. Trotz existentieller Bedrohung der menschlichen Zivilisation durch die Klimakatastrophe: Umweltschutz gilt als Luxus für bessere Zeiten. Trauriger Höhe- oder eher Tiefpunkt: die von billiger Polemik geprägte Kampagne gegen die Ökosteuer.

Diese Haltung ist um so fataler, als Ökologie und Ökonomie nicht nur keine Gegensätze darstellen, sondern der ökologische Umbau unseres Energie-, Wirtschafts- und Steuersystems im Gegenteil einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung unserer Arbeitsmarktprobleme leisten kann.

Arbeitsplatzeffekte der Energiewende

Bereits heute bietet der Umweltschutz etwa einer Million Menschen in Deutschland Arbeit. Die Energiewende, die komplette Umstellung unseres fossil-atomaren Energiesystems auf regenerative Quellen, wird den Wandel von den heutigen kapitalintensiven, zentralistischen Energieversorgungsstrukturen mit wenigen Großkraftwerken hin zu einer arbeitsintensiven, dezentralen Stromerzeugung bedeuten: Während für die Bedienung eines Kernkraftwerks nur wenig Personal erforderlich ist, ist die Installation der vielen benötigten Solar- und Windkraftanlagen sehr arbeitsaufwändig, im Gegenzug fallen die Ausgaben für die Beschaffung der Primärenergien weitgehend weg. Die rasche Markteinführung der Erneuerbaren Energien wird daher massenhaft Arbeitsplätze bei den Installateuren der Solarmodule und Windräder schaffen - und schafft sie bereits heute: Die Windenergie gibt mittlerweile schon 45.000 Menschen in Deutschland Arbeit - mehr als die gesamte Atomindustrie. Der Windstromanteil in Deutschland beträgt jedoch erst knapp 4%, der Atomstromanteil hingegen über 30%! Und die Solartechnik ist noch arbeitsintensiver als die Windenergie. Die Ablösung von Kohle und Atom durch Sonne, Wind und Biomasse kann mindestens eine Million neuer Arbeitsplätze schaffen!

Energiepreise und Arbeitslosigkeit

Gegen diese Argumentation wird in der Regel eingewandt, der Anstieg der Strompreise, der mit einer Umstellung auf die Erneuerbaren einhergehen würde, sei für die Privatkunden, vor allem aber für die Industrie unzumutbar und koste Arbeitsplätze.

Das Gegenteil ist der Fall: Unsere Arbeitsmarktprobleme sind zu einem wesentlichen Teil gerade dadurch bedingt, dass die relativ teure menschliche Arbeit gegenüber der viel zu billigen Energie nicht im entferntesten konkurrenzfähig ist. Der Schlüssel zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit liegt darin, die heutige Unattraktivität des Produktionsfaktors Arbeit zu überwinden, indem man Arbeit verbilligt und Energie verteuert. Dies ist die Zielsetzung der ökologischen Steuerreform: Sie will Energie höher besteuern und die Steuern und Abgaben auf menschliche Arbeitskraft verringern, um einerseits den umweltbelastenden Verbrauch von Energie einzuschränken und andererseits die Personalkosten in der Wirtschaft zu senken.

Diskussionen zu diesem Thema finden zur Zeit noch auf einem erschreckend niedrigen Wissensniveau statt. So erschöpfte sich eine von der Zeitschrift "Die Woche" in Auftrag gegebene Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa in der einzigen Frage: "Sollte man angesichts der hohen Benzinpreise auf die Öko-Steuer verzichten?" Und die Antwort war denn auch - wer hätte anderes erwartet? - ein schlichtes "Ja" von 61 Prozent der Befragten.

Zurück in die Steinzeit? Sollen wir künftig wieder alles von Hand machen?

Einer der häufigsten Einwände gegen die ökologische Steuerreform lautet, sie strebe den Rückfall in die Zeit vor der industriellen Revolution an. "Wollen Sie zurück in die Steinzeit?", heißt es polemisch, "Sollen die Bauarbeiter den Zement wieder auf dem Buckel bis zum Dachboden schleppen?" oder "Wollen Sie in den Fabriken wieder handbetriebene Bohrmaschinen einführen?" Solche Ironie schlägt denjenigen entgegen, die dazu aufrufen, Energie höher zu besteuern, um Arbeitsplätze zu sichern.

Doch treffen solche Einwände nur scheinbar den Kern des Problems. Es geht bei der ökologischen Steuerreform eben nicht darum, den hohen Automatisierungsgrad der industriellen Wirtschaft rückgängig zu machen und körperlich anstrengende Arbeit zukünftig wieder durch Menschen anstatt durch Maschinen erledigen zu lassen. Doch worum geht es sonst?

Automaten, Bohrmaschinen, Kräne usw. brauchen vergleichsweise wenig Energie. Der hauptsächliche Energieverbrauch entsteht bereits in der Grundstoffindustrie. Der Arbeiter im Automobilwerk, auf der Werft oder in der Bauindustrie bemerkt den hauptsächlichen Energieverbrauch überhaupt nicht. Die verwendete Energie steckt sozusagen verborgen in jedem Bauteil, das durch seine Hände geht. Er bearbeitet energieintensiv hergestellte Grundstoffe oder Halbzeuge (Aluminium, Kupfer, Glas, Zement, Kunststoff). Das Hauptwirken der Energie geschieht im Verborgenen, bei der Herstellung dieser Vorprodukte. In einem Aluminiumbauteil von einem Kilogramm Gewicht z.B. stecken bereits 50 kWh, mit dieser Energie könnte man das gleiche Teil fast 5000mal von Meereshöhe bis auf Zugspitzniveau anheben! Die Corus Aluminium GmbH verbraucht nach einem Bericht der SZ vom 10.8.02 mehr Strom als eine Großstadt mit 350.000 Einwohnern. Die ökologische Steuerreform soll der unintelligenten Verschwendung der Vorprodukte einen Riegel vorschieben. Das Verschrotten und Vernichten von technischen Produkten wie Küchenmaschinen, Fahrrädern, Fernsehern wegen kleiner Defekte muss aufhören. Es muss sich wieder lohnen, erfahrene Facharbeiter mit der Instandsetzung von Produkten zu beauftragen, anstatt in einer Art sinnlosen Materialschlacht diese Produkte völlig neu aus allzubilligen Halbzeugen herzustellen.

Betrachten wir dazu eine Reihe von Beispielen aus den verschiedensten Lebensbereichen, durch die das zuvor eher abstrakte Thema plötzlich eine beklemmende Anschaulichkeit und Dringlichkeit bekommt:

  • Haben Sie sich nicht auch schon geärgert, dass Sie für die Reparatur Ihrer Schuhe, Ihrer Küchenmaschine, Ihres Fahrrades fast genauso viel Geld ausgeben mussten wie für eine Neuanschaffung? Haben Sie gar vergeblich nach einem Reparaturbetrieb gesucht und mussten ein an sich hochwertiges Gerät schließlich wegen eines kleinen Defektes wegwerfen?
  • Haben Sie auch schon den ständigen Rückgang solider mittelständischer Handwerksbetriebe bedauert? Radio- und Fernsehtechniker ist mittlerweile ein aussterbender Beruf!
  • Haben Sie sich auch schon gewundert, wie unerschwinglich ein handgefertigtes Kleid, ein handwerklich hergestellter Schreibtisch, eine handwerklich gefertigte Keramik sind?
  • Warum wohl wartet man immer häufiger in überfüllten Schalterhallen vor wenigen besetzten und vielen leeren Schaltern oder Kassen?
  • Was hat wohl die unfachgemäße Pflege der städtischen Hecken und Bäume mit unserem Problemkreis zu tun? Drei Jahre lang kein Pflegeschnitt, dann aber alles ratzekahl bis auf Kniehöhe heruntergeschnitten, sogar in der Vogelbrutzeit? Personalmangel.
  • Ist der brutale Umgang mit dem Schlachtvieh immer nur mit Gefühllosigkeit und Rohheit zu erklären? Steckt nicht teilweise auch eine aus Personalknappheit und Zeitnot bedingte Überarbeitung dahinter? Die katastrophalen Arbeitsbedingungen der LKW-Fahrer sind längst zum Sicherheitsrisiko auf Deutschlands Straßen geworden.
  • Wie entwürdigend und unmenschlich ist es (für beide Seiten), wenn Krankenschwestern nicht einmal mehr die Zeit zu einem ermunternden Gespräch mit den Patienten haben?
  • Versagen vor der Zukunft: Trotz wohlklingender Versprechungen im Wahlkampf werden so wenig Lehrer eingestellt, dass unsere Kinder in überfüllten Klassen angesichts der Unruhe und der Aggressivität der Mitschüler kaum mehr zum Lernen kommen.

In all diesen Fällen wird als Ursache fehlendes Personal genannt. Doch angesichts gleichzeitiger Rekordarbeitslosigkeit kann dies ja wohl nicht die Ursache sein, allenfalls das Symptom! Die Ursache liegt darin, dass Unternehmer am ehesten einen Gewinn erwarten können, wenn sie sich für eine Umstrukturierung ihres Konzerns auf materialintensive (sprich energieintensive) Betriebsweise entscheiden, und dagegen dort den Rotstift ansetzen, wo ihnen die höchsten Kosten entstehen - beim Personal. Die Schließung der Reparaturwerkstätten der Deutschen Bahn AG vor zwei Jahren ist ein Beispiel von Hunderten.

Nun kommt meist der unvermeidliche Hinweis auf die Billig-Lohn-Länder, in denen die Arbeiter mit der sprichwörtlichen Tasse Reis am Tag zufrieden seien. Dieser Hinweis soll hier nicht moralisch bewertet werden. Rein Betriebswirtschaftlich gesehen ist er nicht völlig abwegig. Sicher besteht für große Unternehmen durchaus die Verlockung, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern, doch ist diese Ursache zweitrangig im Vergleich zu dem wesentlich bedeutsameren Verdrängungswettbewerb zwischen den Produktionsfaktoren Arbeit und Energie im Inland. In jenem Verdrängungswettbewerb liegt die Hauptursache des Problems.

Die Bedeutung der Energie als Produktionsfaktor

In den westlichen Industrienationen liegt der Anteil der Arbeitskosten an den Gesamtkosten der Produktion bei durchschnittlich 60 bis 70%, der der Energiekosten dagegen bei unter 5% (Rest: Kapitalkosten). Genau umgekehrt verhält es sich jedoch, wenn man danach fragt, wie "wichtig" die einzelnen Produktionsfaktoren für den Produktionsprozess sind, welche "Anteile" an der Gesamtwertschöpfung ihnen zugeschrieben werden können. Ein Maß hierfür sind die sog. Produktionsmächtigkeiten oder Produktionselastizitäten; diese geben die Gewichte an, mit denen die Wachstumsraten der einzelnen Faktoren zum Wachstum der Wertschöpfung beitragen. Nach Studien von R. Kümmel, J. Henn und D. Lindenberger vom Institut für Theoretische Physik der Universität Würzburg lag die Produktionsmächtigkeit der Arbeit in Deutschland im Mittel der Jahre 1960 bis 1989 bei nur 9%, die der Energie hingegen bei 44%, der Rest entfällt auf den Faktor Kapital. Etwas vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies:

Eine Erhöhung des Energieeinsatzes um z.B. 10% (bei gleichbleibendem Einsatz von Arbeit und Kapital) bewirkt im Mittel eine Steigerung der Wertschöpfung um 44% von 10%, also um 4,4%, erhöht die Energiekosten aber lediglich um 5% von 10%, also um 0,5%. Demgegenüber lässt eine Ausweitung des Einsatzes an Arbeit um ebenfalls 10% (bei Konstanz des Faktoreinsatzes von Kapital und Energie) die Wertschöpfung nur um durchschnittlich 9% von 10%, d.h. um 0,9% wachsen, die Kosten jedoch um 60 bis 70% von 10%, also um 6 bis 7%. (Eine detaillierte Darstellung dieser Untersuchungen findet sich in R. Kümmel, "Energie und Kreativität", Teubner, Leipzig 1998.) Die Energie hat eine hohe Produktionsmächtigkeit und kostet wenig; die Arbeit hat eine geringe Produktionsmächtigkeit und kostet viel.

Diese Betrachtungen machen die Grundtendenz der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahrzehnten verständlich: die Ersetzung von teurer - zudem hoch besteuerter - menschlicher Arbeitskraft durch billige und gering besteuerte Energie, genauer gesagt durch Verschwendung von energieintensiv hergestellten Grundstoffen. Der Wirtschaft, sprich den Kapitalgebern, ist die ständige "Freisetzung" von Arbeitskräften betriebswirtschaftlich gesehen gleichgültig, doch für die Gesellschaft und die Politik ergibt sich daraus der unselige Zwang zu permanentem Wachstum, um nämlich die fortlaufend "freigesetzten" Arbeitskräfte an anderer Stelle wieder in den Produktionsprozess zu integrieren und so den weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verhindern. Früher funktionierte das auch recht gut, heute jedoch, da wir die hohen Wachstumsraten früherer Jahrzehnte aus verständlichen Gründen nicht mehr erreichen können, geht diese Rechnung zunehmend weniger auf.

Es ist der wohl entscheidende Fehler der modernen Wirtschaftstheorie, die volkswirtschaftliche Bedeutung der Energie bisher fast völlig ignoriert zu haben. Die Energie wird meist noch nicht einmal als eigener Produktionsfaktor anerkannt, als solche gelten bis heute (in der Tradition von Adam Smith) nur Kapital, Arbeit und Boden. Hier dürfte einer der Hauptgründe dafür liegen, weshalb Wirtschaftstheorie wie Wirtschaftspolitik bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bisher so grandios versagt haben. Insbesondere ist das neoliberalistische Konzept, durch eine sogenannte angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, d.h. die Entlastung der Unternehmen, Investitionen anzuregen, die dann zur Schaffung neuer Arbeitsplätze führen sollen, völlig ungeeignet: Zugegeben, es wird weiter investiert, aber die Investitionen fließen heute nur noch in kleinem Maße in den Faktor Arbeit, in wesentlich größerem Maße aber in den ungleich ergiebigeren Faktor Energie. Auch eine Entlastung der Unternehmen ändert nichts an der Unrentabilität der Arbeit gegenüber der Energie. Unternehmerische Entscheidungen werden nun einmal vorwiegend durch die Aussicht auf Maximierung des Gewinns beeinflusst; Arbeitsplätze entstehen nicht aus "karitativen" Motiven, sondern nur dann, wenn es betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, was unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen nur selten der Fall ist.

Damit lässt sich auch das in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder Ratlosigkeit auslösende Paradoxon erklären, dass der Aufschwung insbesondere in den 1990er Jahren zunehmend am Arbeitsmarkt vorbeigegangen ist, dass mit den Unternehmensgewinnen und Börsenkursen auch die Arbeitslosigkeit geklettert ist. Es zeigt sich hier, wie sehr der Faktor Arbeit von der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung bereits entkoppelt ist.

Dass die Anerkennung der Energie als Produktionsfaktor keine theoretische Spitzfindigkeit ist, zeigt das Scheitern des kommunistischen Modells: Dass es statt der von Marx vorausgesagten Verelendung zu einer Nivellierung der sozialen Gegensätze gekommen ist, lässt sich im Sinne dieser Theorie damit erklären, dass an die Stelle der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft die Ausbeutung der Energie und damit der natürlichen Rohstoffe getreten ist. Der Antagonismus von Kapital und Arbeit im Sinne von Marx ist durch den Antagonismus von Kapital und Arbeit einerseits und Energie andererseits ersetzt worden. In diesem Sinne ist der Marxismus also AUCH an der Vernachlässigung des Produktionsfaktors Energie gescheitert.

Warum ist Arbeit so teuer, Energie so billig?

Die Lohn- und Lohnnebenkosten stellen den Löwenanteil der Produktionskosten dar. Natürlich ist es völlig gerechtfertigt, dass menschliche Arbeiter wesentlich besser bezahlt werden als "Energiesklaven", um ihnen einen menschenwürdigen Lebensstandard zu ermöglichen; schließlich sind Menschen wertvoller als Maschinen. Überhaupt nicht gerechtfertigt ist es aber, wenn Unternehmen, die mehr Personal einsetzen, auch noch durch steuerliche Maßnahmen "bestraft" werden: Traditionell ruht die Steuer und Abgabenlast - also die Finanzierung der Staatsausgaben wie auch der sozialen Sicherungssysteme - fast ausschließlich auf dem Faktor Arbeit. Merkwürdigerweise wurde diese Tradition in unserer Gesellschaft nur selten in Frage gestellt. Sogar der Sprachgebrauch verdrängt die Tatsache: Wer ohne weiteren Zusatz vom "Gehalt" spricht, meint in aller Regel das Bruttogehalt, von dem dann ja noch die Lohnsteuer sowie der 50%ige Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherung (Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung) abgehen. Und der Arbeitgeber zahlt zusätzlich noch die andere Hälfte der Sozialabgaben.

Natürlich kann der Staat nicht auf Steuergelder verzichten. Aber warum eigentlich muss er sich den Hauptanteil ausgerechnet vom schwächsten der drei Produktionsfaktoren (Kapital, Arbeit Energie), von der Arbeit holen?

Während die Verbesserung der sozialen Absicherung den Produktionsfaktor Arbeit immer teurer gemacht hat, ging es mit der Energie umgekehrt: Um 1880 kostete eine Kilowattstunde Kohlestrom noch umgerechnet 20 Euro. Heute gibt es die Kilowattstunde für 10 bis 15 Cent. Einer Kilowattstunde messen wir deshalb keinen besonders hohen Wert zu, doch kann uns das folgende Beispiel rasch vom Gegenteil überzeugen: Um einen Zentnersack (50 kg) von Meeresspiegelhöhe auf die Höhe der Zugspitze zu hieven, braucht man noch nicht einmal eine halbe Kilowattstunde. (Bitte kein Missverständnis: Der Zentner soll natürlich nicht zukünftig im Personentransport auf die Zugspitze geschleppt werden. Das Beispiel soll nur die Bedeutung des Begriffs Kilowattstunde veranschaulichen.)

Wie billig Energie tatsächlich ist, illustriert auch folgende Gegenüberstellung: Für Heizzwecke, Strom und Gas wurden 1993 von den privaten Haushalten in Deutschland umgerechnet 37 Milliarden EUR ausgegeben, für Kraftstoffe zum Antrieb von Fahrzeugen weitere 30 Milliarden. Dagegen verschlang das Speisen in Restaurants 41 Milliarden, und für Tabak hatten die Deutschen immerhin noch 16 Milliarden EUR übrig.

Dass Energie so billig ist, lässt sich teilweise historisch erklären: Die Bereitstellung konventioneller Energien wurde vom Staat in jeder Hinsicht gefördert. Damals spielte der Gedanke eine wichtige Rolle, dass nur durch billige Energie die Großindustrie aufblühen könne, und dass deren Produkte einen Staat wehrhaft machen und ihm internationale Anerkennung verschaffen. Abbaurechte für Stein- und Braunkohle wurden damals nahezu ohne Gegenleistung erteilt. Die Befreiung von voller Haftpflichtversicherungspflicht für Atomkraftwerke setzt bis in die Gegenwart diese Tradition fort. Bis heute werden auf Energie Steuern in weitaus geringerem Ausmaß als auf menschliche Arbeitskraft erhoben.

So wurde und wird durch staatliches Handeln das katastrophale Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen Produktionsfaktoren noch verstärkt.

Unternehmer weichen den hohen Personalkosten aus

Ob ein Unternehmen Elektrogeräte repariert oder neue Elektrogeräte in Serie herstellt, ist den Kapitalgebern gleichgültig, wichtig ist ihnen lediglich eine hohe Rendite. Unglücklicherweise wirft die Herstellung neuer Geräte heutzutage einen höheren Gewinn ab als die Reparatur defekter Geräte. Der Grund: Die Reparatur ist ein arbeitsplatzintensives Geschäftsfeld, und Arbeitskräfte sind teuer. Die automatisierte Serienproduktion neuer Geräte dagegen ist energieintensiv, und Energie ist billig. Ähnlich verhalten sich die öffentlichen Arbeitgeber: Ob Krankenschwestern, Lehrer, Gartenfacharbeiter eingestellt werden, hängt entscheidend von den Personalkosten ab. Und diese sind exorbitant hoch.

Durch die gigantische Schieflage zwischen Arbeit und Energie wächst die Versuchung für jeden Unternehmer und Unternehmensgründer, arbeitsplatzintensive Produktionen (Reparaturbetriebe, Handwerk, Dienstleistungen) zu unterlassen und statt dessen Gewinne durch energie- und kapitalintensive Produktionen (Herstellung von Massenprodukten) zu suchen. Die Zahl der Arbeitslosen nimmt dabei zu, die Zahl mittelständischer Unternehmen nimmt ab.

Die Chancen der ökologischen Steuerreform

Die ökologische Steuerreform kann hier gegensteuern: Mit den Mehreinnahmen aus Energiesteuem können die Sozialversicherungsbeiträge und/oder die Lohnsteuer gesenkt werden. Der oben erwähnte Unternehmer wird dann eher eine Reparaturwerkstatt für defekte Geräte eröffnen als eine Abteilung zur Produktion neuer Geräte. Damit wird einerseits die Arbeitslosigkeit verringert und andererseits die Umwelt entlastet: Nicht nur der Energieverbrauch wird gesenkt, es wird auch ein bedeutsamer Beitrag zur Überwindung unserer Wegwerfmentalität geleistet.

Für den Abbau der Arbeitslosigkeit entscheidend ist also, den Faktor Arbeit gegenüber dem Faktor Energie wieder attraktiv zu machen: Im Augenblick besteuern wir Arbeit (Kapital nur halbherzig) und subventionieren Energie, was sowohl zu der hohen Arbeitslosigkeit als auch zur ökologischen Krise geführt hat, denn von allem, was man mit Steuern belegt, gibt es meist am Ende weniger, und was man subventioniert, vermehrt sich. Bei den von der rot-grünen Bundesregierung initiierten ersten Schritten der ökologischen Steuerreform hat man sich dafür entschieden, die Einnahmen zur Senkung des Rentenversicherungsbeitrages zu verwenden. Um auch diejenigen zu entlasten, die hiervon nicht profitieren (Rentner, Arbeitslose etc.), sollte zudem an alle Haushalte eine Art Ökobonus ausgeschüttet werden. Dass dies bei der rot-grünen Ökosteuer bisher nicht vorgesehen ist, ist ein ernstzunehmendes Manko dieses an sich so wichtigen Projektes und hat möglicherweise zu den bisherigen Akzeptanzproblemen beigetragen.

Wesentlich für den Erfolg und die Umsetzbarkeit des Konzeptes ist, dass die Reform erstens strikt aufkommensneutral ist, der Staat also sämtliche Einnahmen aus den Ökosteuern an die Bürger bzw. Unternehmen zurückgibt, und dass zweitens die Erhöhung der Energiepreise nur allmählich in kleinen Schritten nach einem festen, über mehrere Jahrzehnte kalkulierbaren Planungshorizont erfolgt, um schockartige Wirkungen zu vermeiden und der Wirtschaft und den Bürgern die notwendige Zeit zur Anpassung zu lassen. Eine spürbare Lenkungswirkung der Reform wird auf diese Weise zwar erst nach mehreren Jahren auftreten, aber dafür werden die Reibungsverluste gering gehalten; um so wichtiger ist es angesichts dieses langfristigen Zeithorizonts, dass jetzt mit der Reform begonnen wurde - wenn auch nur eher zaghaft.

Unglückliche Bezeichnung der Reform

Es ist ein großer psychologischer Fehler, dass die beabsichtigte finanzielle Entlastung der arbeitenden Bevölkerung mit dem abschreckenden und irreführenden Namen "Ökosteuer" belegt wird. Eine Strukturreform einseitig als "Steuer" zu bezeichnen und die gleichzeitige Entlastung zu verschweigen, endet zwangsläufig in Verwirrung. Die Meinungsumfrage von Forsa zur Ökosteuerreform wäre sicher nicht so deprimierend ausgefallen, wenn die Frage gelautet hätte: "Soll der Staat weniger Lohnsteuer und Sozialabgaben kassieren und stattdessen Strom, Öl, Gas und Benzin höher besteuern?" Und wenn man schon von "Steuer" sprechen will: Warum nicht "Arbeitsentlastungssteuer"?

Steuerkampf statt Arbeitskampf! Die neue Aufgabe der Gewerkschaften

Die Gewerkschaften und die betroffenen Arbeiter haben, obwohl der beschriebene ökologische Umbau des Steuersystems in ihrem ureigenen Interesse liegt, bisher nur wenig Notiz von diesen Zusammenhängen genommen. Wenn ein Unternehmer eine arbeitsplatzintensive Abteilung ersatzlos schließt, z.B. die Reparaturwerkstatt, und stattdessen eine andere Abteilung eröffnet, in der er mit Hilfe von energieintensiv hergestellten Halbzeugen höhere Gewinne erzielt, so mögen die Betroffenen zwar Widerstand leisten; letztlich muss ihr Protest aber mehr oder minder erfolglos bleiben, angesichts der vergleichsweise schwachen Stellung des Faktors Arbeit. Die Tatsache, dass hier der Produktionsfaktor Energie als "Billigarbeiter" dem teuren Produktionsfaktor Arbeit vorgezogen wird, wird jedoch oftmals von der Belegschaft nicht wahrgenommen. Und natürlich liegt es weder im Interesse der Kapitaleigner noch im Interesse der Energiewirtschaft, über diese Mechanismen aufzuklären.

Leider hat die historisch bedingte Polarisierung zwischen Arbeiterschaft und Kapital den Blick davon abgelenkt, dass es einen weiteren Produktionsfaktor, die Energie gibt. Dieser ist zwar nicht der neue "Klassenfeind", aber seine Einbeziehung in die Finanzierung der Staatsaufgaben und der Sozialversicherung ist dringend notwendig.

Die Gewerkschaften müssen sich daher fragen lassen, ob es noch zeitgemäß ist, weiterhin Arbeitskämpfe gegen die Arbeitgeber zu führen. Wäre es nicht sinnvoller, wenn sie, anstatt für Lohnerhöhungen zu kämpfen, stattdessen entsprechende Senkungen der Lohnsteuer und der Sozialabgaben bei gleichzeitiger Erhöhung der Energiesteuern einfordern würden?

Weitere Einwände gegen die Ökosteuer

Man hört oft mit abfälligem Unterton, die Einnahmen aus der Ökosteuer würden ja "nur" zum Stopfen der Löcher in den Rentenkassen verwandt, nicht oder nur zu einem kleinen Teil für ökologische Projekte. Dies verkennt jedoch, dass es gerade das Ziel dieser Reform ist, die Finanzierung der scheinbar unbezahlbar gewordenen Sozialversicherungssysteme wieder auf eine sichere Grundlage zu stellen, indem man hierzu jeden Produktionsfaktor gemäß seiner Leistungsfähigkeit heranzieht, die für die Energie nun einmal um ein Vielfaches höher ist als für den Faktor Arbeit. Für die ökologische Wirkung der Steuer ist es nicht erforderlich, dass die erzielten Einnahmen dem Umweltschutz zugute kommen; der ökologische Effekt liegt vielmehr bereits in der Lenkungswirkung steigender Energiepreise und Verteuerung der energieintensiv hergestellten Grundstoffe.

Hartnäckig hält sich auch die Behauptung, die Verquickung von ökologischer Zielsetzung und Finanzierung der Sozialversicherung sei ein grundlegender Strukturfehler, denn sobald die beabsichtigte Lenkungswirkung eintrete, würden die für die Rentenkasse benötigten Einnahmen versiegen, die Ökosteuer entziehe sich somit ihre eigene Besteuerungsgrundlage. Dies ist offensichtlich arithmetischer Unsinn, denn natürlich lässt sich der Energieverbrauch lediglich verringern, niemals aber auf Null absenken. Selbst bei einer Reduzierung um 30% - was bereits ein riesiger Erfolg wäre! - verblieben noch 70% des heutigen Verbrauchsniveaus als Basis der Besteuerung. Und auch auf lange Sicht dürften Einsparungen von mehr als höchstens 60 bis 70% unrealistisch sein, so dass auch dann noch 30 bis 40% für die Besteuerung zur Verfügung stehen werden. Dass die Steuersätze, bezogen auf die Energieeinheit, dann entsprechend höher liegen müssen, um die gleichen Gesamteinnahmen zu erzielen, ist völlig unproblematisch, da sich ja der Verbrauch im gleichen Maße reduziert hat: Wenn in 20 Jahren die Autos nur noch 3 Liter Benzin (bis dahin hoffentlich aus nachwachsenden Rohstoffen!) auf 100 km benötigen, dann darf der Liter auch 3 EUR kosten, ohne den Autofahrer mehr zu belasten als heute. Zudem bedeutet sinkender Energieverbrauch eine Entlastung des Staates von den externen Kosten der Energienutzung (z.B. Kosten durch Umweltschäden), die an die Bürger weitergegeben werden kann.

Weiterhin wird der ökologischen Steuerreform vorgeworfen, sie sei unsozial, treffe vor allem die "kleinen Leute", führe dazu, dass Autofahren zum Luxus werde etc. Das Gegenteil ist richtig: Die ökologische Steuerreform hilft, den sozialen Frieden zu bewahren, indem sie zur Sicherung der Renten und zur Überwindung der Arbeitslosigkeit beiträgt. Durch sinkende Personalkosten werden soziale Dienstleistungen, etwa im Gesundheits- oder Bildungsbereich wieder bezahlbar. Die höheren Strom-, Gas- und Benzinpreise werden durch sinkende Lohnnebenkosten (und somit steigende Nettolöhne) kompensiert. Wer dennoch - weil er überdurchschnittlich viel Energie verbraucht - unter dem Strich belastet wird, kann dies in vielen Fällen durch energiesparendes Verhalten ausgleichen. Insofern können die meisten Menschen zu einem beträchtlichen Teil selbst Einfluss darauf nehmen, wie hoch ihre Aufwendungen für Energie sind - anders als bei den Lohnnebenkosten, die ja durch individuelles Verhalten nicht beeinflusst werden können. Dabei muss Energiesparen keineswegs mit Einschränkungen und Verlust an Lebensqualität verbunden sein, es kann z.B. auch den Umstieg auf verbrauchsärmere Autos oder Haushaltsgeräte bedeuten.

Damit sind wir an einem wichtigen Punkt: Natürlich wäre es schlimm, wenn der Benzinpreis auf 3 EUR/Liter klettern würde und sonst alles so bliebe, wie es ist. Tatsächlich wird aber nichts so bleiben, wie es ist: Vielmehr geht es um ein umfassendes gesellschaftliches Gesamtkonzept; ein langsamer, aber kontinuierlicher Anstieg der Benzinpreise geht dabei einher mit dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Umstellung auf benzinsparende Autos. Leider ist aber durch unpräzise und bewusst einseitige Darstellung die Ökosteuer in Verruf geraten, bevor sie richtig verstanden wurde. Mit der polemischen Reduzierung auf die "5-DM-pro-Liter"-Formel ist es den Gegnern gelungen, die öffentliche Meinung gegen ein gut durchdachtes Konzept zu mobilisieren.

Wem das soziale Zusammenleben am Herzen liegt, der müsste dem Gedanken einer Senkung der Personalkosten ohne Sozialabbau sogar ohne den ökologischen Hintergrund zustimmen. Die durch Personalknappheit verursachte ständige Überlastung der Beschäftigten, die Erosion der bisher allein auf den Faktor Arbeit gestützten sozialen Sicherungssysteme sowie die Tatsache, dass Menschen mit leicht unterdurchschnittlicher Qualifikation im Arbeitsleben nicht mehr gesucht werden, dies alles birgt gefährlichen sozialen Zündstoff. Diesen gilt es zu entschärfen, und die Umschichtung der Steuerlast von der Arbeit auf die Energie ist ein hervorragendes Mittel dazu.

Ein regelrechtes Totschlagargument gegen die ökologische Steuerreform sind die angeblichen Standortnachteile, die für die deutsche Wirtschaft daraus resultierten. Dieses Argument ist allein schon deshalb nicht stichhaltig, weil die Energiekosten so niedrig sind - durchschnittlich höchstens 5% der Gesamtkosten -, dass eine Verteuerung im Vergleich mit den Arbeitskosten kaum ins Gewicht fällt, eine Erhöhung der Energiepreise um 50% hat im Mittel etwa denselben Kosteneffekt wie eine 4%ige Lohnerhöhung. Schlimmstenfalls kann man energieintensiven Branchen für eine gewisse Übergangsfrist (nicht dauerhaft!) eine spezielle Kompensation oder Steuerfreistellung gewähren (wie sie bei der rot-grünen Ökosteuer tatsächlich praktiziert wird), wenngleich dies aus ökologischer Sicht eigentlich unerwünscht ist.

Vor allem aber stehen bei der ökologischen Steuerreform den Mehrkosten bei der Energie Entlastungen beim Faktor Arbeit gegenüber, so dass sich an der Summe der Faktorkosten nichts ändert: lediglich die Verteilung ist eine andere. Und der Zwang zum Energiesparen sowie die Verbreitung der regenerativen Energien können einen gewaltigen Innovationsschub und eine ungeahnte Stärkung des "Standorts Deutschland" nach sich ziehen: Der nationale Alleingang, bisher Schreckgespenst der Wirtschaftspolitiker aller Länder, könnte sich als großartige Chance erweisen: Das Land gewinnt, das zuerst anfängt. Der Vorwand, man könne sich eine ökologische Steuerreform aus wirtschaftlichen Gründen nicht leisten, ist daher nichts anderes als der Versuch, Ökonomie und Ökologie gegeneinander auszuspielen.

Diese Zusammenhänge einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln - nicht nur zaghaft-verschämt darauf hinzuweisen, dass Umweltschutz AUCH Arbeitsplätze schaffen könne - wird eine der zentralen Aufgaben der Umweltbewegung in den nächsten Jahren sein.

(aktualisiert: aus Solarbrief 3/00)