Kommentar zum gleichgültigen Umgang der Menschen mit Bäumen 

 

In Wuppertal, wo ich wohne, gab es bis vor Kurzem eine Baumsatzung. Wenn also wirklich ein Baum in der Stadt gefällt werden musste, dann war der entweder krank oder gemeingefährlich oder schränkte in solcher Weise die Lebensqualität ein, dass eine Fällung vorgezogen werden musste. Allerdings mit Ersatzbaumpflanzung. Die Baumsatzung gibt es nun nicht mehr. Eine Bürgerinitiative zum Erhalt der Satzung war nicht erfolgreich.

Seitdem wird allerorts eifrig gefällt, was zu erwarten war. Was ich nicht erwartet hatte war, dass es offenbar niemanden zu stören scheint. Bäume sind in der öffentlichen Wahrnehmung Lichträuber, Laubschleudern, Autodachverschmutzer, Sichthindernisse, potentiell umsturzgefährdet oder einfach nur teuer, weil man sie zuweilen pflegen muss. Dass Bäume für gute Luft sorgen, große Ökosysteme sind, Wind und Wetter abzuhalten helfen und überdies ganz schlicht auch einfach SCHÖN sind - das ist offenbar den meisten Leuten inzwischen neu.

„Ganz recht!“ könnte der verantwortungsbewusste Philanthrop nun einwenden. „So etwas muss doch in die Richtlinien der Schulen!“ Dazu eine Beobachtung aus unserer Stadt. Eine Schülerin fährt jeden Tag die Strecke Oberbarmen - Elberfeld mit der S-Bahn. In der Schule lernt sie etwas über Ökologie, Umweltverschmutzung und Müllvermeidung; in dem entsprechenden Unterrichtsfach hat sie eine gute Note. Gelernter Wert: Behutsamer Umgang mit Umwelt und Natur. Nun fegt im Januar 2007 der Orkan "Kyrill" über Deutschland. Der Sturm ist so stark, dass tausende Leute auf Bahnhöfen übernachten müssen, weil die Bahn den Bahnverkehr stilllegt. (Wer weiß, wie viele Leute zu Schaden gekommen wären, wenn die Bahn das nicht getan hätte.) Einen Tag später die ersten Reaktionen wütender Kunden und der Presse: Die Informationspolitik sei unter aller Sau gewesen, man verlange Entschädigung. Die Entschädigung wird vage von der Bahn versprochen; alles scheint in Butter.

Eine Woche später wird der gesamte Grünstreifen an der Bahn zwischen Barmen und Unterbarmen abrasiert. Unzählige Bäume und Sträucher, die vom Sturm durchaus nicht versehrt wurden, werden gefällt. Warum das? Die Nachfrage ergibt: Es ist zu kostspielig für die Bahn, das Risiko einzugehen, nach weiteren Stürmen, die häufiger werden könnten, für Schäden durch Bäume gerade zu stehen.

Schäden durch Bäume. Diese merkwürdigen Lebewesen haben offenbar zwei Existenzen. Kurzfristig sind sie im Hinblick auf einen starken Sturm 2Mr.-Hyde-Tree“, der durch freches Umknicken z.B. den freien Fluss des Verkehrs meuchelt. Doch Bäume sind Klima-Regulatoren, sie beeinflussen die Gaszusammensetzung der Luft als CO2-Binder ebenso positiv wie den Wasserhaushalt der Böden, und sie sind dadurch, dass sie das Relief der Erde „rauer“ machen, sogar unmittelbar Sturmhemmer. In vielfacher Weise können sie also als „Dr.-Jekyll-Tree“ dazu beitragen, die katastrophischen Entwicklungen unseres Wetters zu dämpfen. Aber das zu erkennen, erfordert eine Weite des Blicks, die über kurzfristige Effizienzerwägungen hinausgeht, obwohl sie ihnen am Ende auch nützt.

Was lernt das Mädchen, das jeden Tag die Bahnstrecke fährt, in diesen Tagen? Ohne dass es jemand merkt, während sie in der Schule schlaue Unterrichtsprojekte über Papierrecycling macht, lernt sie Folgendes: Der Klimawandel ist eine anzunehmende Tatsache. Diese Tatsache lässt möglicherweise Bäume auf Schienen kippen. Risiken dieser Art müssen vermindert werden, denn sie sind teuer. Also werden alle Bäume - obwohl sie außer Sauerstoffstation, Ökosystem, Freude für's Auge, Schallschutz und Sichtschutz auch Windschutz für die Menschen darstellen, gefällt.

Welcher Wert wurde hierbei dem Schulmädchen vermittelt? Nun: Inhaltliche Beschreibungen der Bäume, alles, was wir in Biologie über sie lernen, ist nicht von Interesse. Von Interesse ist, welchen kurzfristigen wirtschaftlichen Schaden diese Bäume anrichten können. Das Schulkind lernt auch noch etwas Anderes: Der Klimawandel ist unänderbar.

Er ist ein Schicksal, das einfach hinzunehmen ist. Was aber kein Schicksal ist, nicht hinzunehmen, sind die Folgen der Orkane. Orkane müssen beherrschbar sein. Wir können uns nicht von jedem x-beliebigen Sturm in unserem Arbeitsalltag belästigen lassen. Die Herren über das Wetter sind immer noch wir Menschen, notfalls unter Eliminierung aller Alleen in der Stadt. Was hat das Schulkind – in Kurzform – gerade gelernt? Lauter Widersprüche:

  1. Wir Menschen sind Chef der Welt
  2. Nicht die Ursachen des Klimawandels sind unser Problem, sondern seine Folgen.
  3. Die Ursachen des Klimawandels sind unantastbar.

Das dürfte exakt das Gegenteil dessen sein, was heute in der Schule gelehrt wird. Von wegen „Bewahrung der Schöpfung“, „Verantwortung für den Nächsten“ im Religionsunterricht.

Also: es ist nicht immer der Inhalt von Reli und Sowi, den wir verändern sollten. Sondern unseren Alltag.

 

Zur Verfasserin:
Beate Haude ist Schulreferentin der evangelischen Kirche, Wuppertal