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Der Solarenergie-Förderverein Deutschland sieht mit Sorge, dass die Bundesregierung die Umstellung der Energieversorgung auf 100 Prozent Erneuerbare Energien durch den unnötigen Bau von Fernübertragungsleitungen verzögert und verteuert. Intensive wirtschaftliche Anstrengungen und ungeheurer Materialaufwand fließen in ein ungeeignetes Projekt. Der Bevölkerung wird weisgemacht, es könnten überhaupt erst dann mehr Solar- und Windanlagen errichtet werden, wenn die Fernleitungen fertiggestellt seien. Gleichzeitig werden Möglichkeiten geschaffen, wie weiterhin Braunkohlestrom erzeugt und sogar exportiert werden kann. Wie kann es zu einer so folgenreichen Fehlsteuerung und Fehlinformation der technisch interessierten Bevölkerung kommen?

Finanzielle Gewinne als Lockspeise

Um den Bau der Fernübertragungsleitungen voranzutreiben, gab es bisher eine regierungsseitig zugesagte Eigenkapitalrendite von 9,05 Prozent, die ab 2019 auf immer noch beachtliche 6,91 Prozent herabgesetzt werden wird. Unter der Verlockung solch außergewöhnlich hoher Renditen sind die vier Gebietsmonopolisten Amprion, 50Hertz, TenneT und TransnetBW brennend daran interessiert, neue - auch aufwendige und sogar unnötige - Übertragungsleitungen zu errichten. Dazu müssen sie überzeugende Gründe nennen oder erfinden.

Die Story der Übertragungsnetzbetreiber

Das vorgeschobenes Hauptargument der Übertragungsnetzbetreiber lautet, man brauche solche Übertragungsleitungen "für die Energiewende", nämlich um einen Ausgleich zwischen Regionen zu schaffen, in denen Wind- und Solaranlagen bereits abgeregelt werden müssen, mit anderen Regionen, in denen zu wenig Erneuerbare Energie zur Verfügung steht.

Der erste Anschein scheint den Übertragungsnetzbetreibern Recht zu geben. Es werden tatsächlich immer häufiger Wind- und Solaranlagen abgeregelt. Und es trifft auch zu, dass gleichzeitig in anderen Regionen Deutschlands zu wenig Wind- und Solarstrom (EE-Strom) zur Verfügung steht. Doch diese Situationsbeschreibung und die Beschreibung ihrer Ursachen ist nicht vollständig.

Die eigentlichen Gründe für das Abregeln

1. In den Regionen, in denen Wind- oder Solaranlagen abgeregelt werden, erfolgt die Abregelung nicht, weil die Region vollständig mit Wind und Solarstrom übersättigt wäre, sondern deshalb, weil niemand bei windigem und sonnigen Wetter die hohen Spitzenerträge speichert, um sie dann gleichmäßig und bedarfsgemäß über das Jahr verteilt abzugeben.

2. In den Regionen, in denen zu wenig EE-Strom zur Verfügung steht, liegt das nicht am ungünstigen Wetter, sondern an der Tatsache, dass es dort immer noch zu wenig Wind- und Solaranlagen (und Stromspeicher) gibt. In Bayern z.B. hat die CSU den Ausbau der Windenergie mit völlig übertriebenen Abstandsregeln zum Erliegen gebracht. In NRW plant Schwarz-Gelb ähnliche Einschränkungen.

Der Regelfall

Der Regelfall ist vielmehr, dass in ganz Deutschland der EE-Strom wetterbedingt so ungleichmäßig (fluktuierend) erzeugt wird, dass manchmal über Wochen hinweg überall gleichzeitig großer Mangel besteht. Wir haben bereits in einem früheren Beitrag gezeigt, dass es 2016 im Bereich des gesamten deutschen Stromnetzes 52 Dunkelflauten gegeben hat. Dass Fernübertragungsleitungen dieses ungünstige Wetter nicht ausgleichen können, soll hier noch einmal aufgezeigt werden.

Wir bedienen uns dazu der sorgfältigen Aufzeichnungen der AGORA Energiewende, die mit dem "Agorameter" ein Instrument zur Verfügung stellt, das die Verhältnisse im deutschen Strommarkt grafisch anschaulich darstellt.

 


Bild 1: Agora-Grafik aus dem Frühsommer 2017
Sommerlastkurve
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Das Agorameter liefert für jeden beliebigen Zeitraum der Vergangenheit stundenweise den Stromverbrauch (Lastkurve), die Summe der Einspeisungen aller konventionellen Kraftwerke, die Summe der Einspeisung aller Wasserkraftwerke, die Summe der Einspeisung aller Biomassekraftwerke, die Summe der Einspeisungen der Offshore-Windanlagen, die Summe der Einspeisungen der Onshore-Windanlagen und die Summe der Einspeisungen der Solarstromanlagen.

Die jeweiligen Einspeisungen werden zusammengezählt, gleichgültig, an welchem Ort sie erfolgen. Damit nimmt das Agorameter die Verhältnisse vorweg, die durch den Ausbau der Fernübertragungsnetze erreicht werden sollen. Die AGORA-Grafiken sind deshalb bestens geeignet, die von der Bundesregierung angestrebten zukünftigen Verhältnisse abzubilden und zu analysieren.

Wir beschränken uns bei der weiteren Untersuchung auf die Erneuerbaren Energien. Da es uns nicht um hohe Genauigkeit geht, sondern nur darum, das Prinzip aufzuzeigen, lassen wir die Wasserkraft und die Biomasse weg, deren Leistung und Wachstumspotential nur noch beschränkt sind. Auch lassen wir Energieverluste unberücksichtigt. Wir beschränken uns auf die drei wesentlichen fluktuierenden Energieangebote: Sonnenenergie, Onshore-Wind und Offshore-Wind, denn es ist ja gerade die Fluktuation des Energieangebots, die es auszugleichen gilt.


 


Bild 2: Agora-Grafik Winter 2016 / 2017
Winterlastkurve
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Anmerkung: Eine Winterlastkurve unterscheidet sich deutlich von einer Sommerlastkurve (Bild 1) dadurch, dass es im Winter zwei Lastspitzen gibt, eine zur Mittagszeit, wenn gekocht wird und die Halbtagsbeschäftigten nach Hause fahren. Die zweite Lastspitze ergibt sich durch abendliche Aktivitäten.
Auch fällt auf, dass im Winter die Solarenergie einen erheblich geringeren Energiebetrag zur Verfügung stellt, weil die Sonnenscheindauer erheblich kürzer ist als im Sommer und weil die Sonne niedriger steht, so dass viele Solaranlagen in Tallagen schon am frühen Nachmittag im Schatten liegen. Hier zeigt sich, dass Deutschland im Winter auf Windenergie nicht verzichten kann.

Wenn man davon ausgeht, dass zur weiteren Verminderung des CO2-Ausstoßes möglichst viele Energieanwendungen auf Elektrizität umgestellt werden müssen (Stichwort "Sektoren-Kopplung"), so wird sich zukünftig gerade im Winter der Strombedarf (die Last) erhöhen. Wir werden aus diesem Grund die weitere Untersuchung am schwierigeren Fall, d.h. am Beispiel der Agora - Wintergrafik durchführen.

Zur weiteren Umstellung auf Erneuerbare Energien nehmen wir gedanklich einen überall gleichen Zubau von Wind und Solaranlagen vor, und gehen davon aus, dass dann zukünftig im Winter das gleiche Wetter herrschen wird, wie in Bild 2.

Dieses Vorgehen ist zulässig, denn gleichgültig welches Wetter wir auch immer wählen würden, würde das Endergebnis zeigen, dass der von den Übertragungsnetzbetreibern behauptete Ausgleich zwischen den verschiedenen Regionen nicht funktionieren kann und wird.

Zunächst vergrößern wir die Zahl der Wind- und Solaranlagen so weit, bis zu irgend einer Stunde in diesem zukünftigen Wintermonat die Leistung der eingespeisten Wind- und Solarenergie die Lastkurve erreicht.


Bild 3: Vollständige Stromversorgung mit EE an einem Tag im Winter
Zubau bis 80 GW
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Der Erfolg ist enttäuschend, weil an allen anderen Tagen die Leistung von Wind- und Sonne nicht ausreicht. Wir müssen deshalb weitere Solar- und Windanlagen zubauen.

Bild 4 zeigt uns den Erfolg dieses Zubaus.


Bild 4: Bisherige Zahl an Solar- und Windanlagen etwa verfünffacht
Zubau fünffach
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Die Leistungsspitze zum Zeitpunkt (1) liegt jetzt bei etwa 150 GW, kann aber nicht genutzt werden.
Zum Zeitpunkt (2) liegt trotz des mächtigen Zubaus an Wind- und Solaranlagen noch immer keine Leistung vor. Das ist erklärlich: Bei einer deutschlandweiten Dunkelflaute gibt es weder Wind- noch Sonnenenergie.
Zum Zeitpunkt (3) liefern die vielen installierten Wind- und Solaranlagen wegen des ungünstigen Wetters immer noch zu wenig Wind- und Solarleistung.


 


Bild 5: Gegenüberstellung von Leistungsüberschuss und Leistungsmangel
Überschuss und Mangel
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Man möchte doch so gerne den Überschuss dorthin geben, wo der Mangel herrscht. Dazu müsste man ihn in der Grafik nach rechts verschieben. Doch ..



Bild 6: Verschiebungen von links nach rechts sind keine örtliche sondern zeitliche Verschiebung
Verschiebung auf Zeitachse
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Wenn man den Umstieg auf 100 Prozent EE erreichen will, muss man den Zubau an Wind- und Solaranlagen weiter fortführen, bis die (gelben) Überschüsse ausreichen, den (braunen) Mangel auszugleichen. Für eine genaue Berechnung muss man dann auch noch die Speicherverluste berücksichtigen.

 

Das Ergebnis unserer Untersuchung

Wer überschüssig erzeugten Strom aus Sonne und Wind nutzen will, um einen bald folgenden Mangel an Strom aus Erneuerbaren Energien auszugleichen, braucht dafür keine neuen Strom-Fernübertragungsleitungen, sondern Stromspeicher!

Deshalb fordert der SFV dringend finanzielle Anreize zum Speicherbau. Der Klimawandel wartet nicht. Wegen der gebotenen Eile müssen die finanziellen Anreize durch Eigenkapitalverzinsung beim Speicherbau den eingangs erwähnten Betrag übersteigen. Kapital fließt nun einmal dahin wo die höchsten Gewinne winken. Die Angst wegen des derzeitig noch geringen Wirkungsgrades und der hohen Kosten der Stromspeicher ist unbegründet. Der Wirkungsgrad der Speicher wird sich durch Erfahrung in der massenhaften Anwendung und im Wettbewerb der Speicherhersteller um das bessere Produkt verbessern. Der Preis der Speicher wird durch Massenproduktion sinken. Beispiel: die Entwicklung der Taschenrechner!

Ohne Stromspeicher werden wir die Fossil- und Atomkraftwerke nie stilllegen können. Benötigt werden Stromspeicher mit einer aufsummierten Ausgangsleistung von über 80 GW, damit sie bei einer Dunkelflaute den Gesamtbedarf an Elektrizität decken können.

Hier geht es um die Zukunft!