Beim G7 Gipfeltreffen in Schloss Elmau hat die Bundesregierung den Begriff der Dekarbonisierung in die große Politik eingeführt. Seither versuchen verschiedene Interessengruppen, diesen Begriff mit ihren interessengebundenen Inhalten zu füllen.

Inhalt:

Rückblick auf die Erfahrungen des SFV

Der Solarenergie-Förderverein (SFV) hat bereits 1989 das erfolgreichste Markteinführungsprogramm für Solar- und Windstrom entwickelt und vorgestellt, die kostendeckende Einspeisevergütung. Dieses zunächst kommunale Programm und das darauf aufbauende Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) haben den nationalen Zubau bis zum Jahr 2010 auf über 7 GW jährlich gesteigert. Außerdem hat dieses nationale Programm international die Herstellungskosten für Solarstrom auf etwa ein Zehntel der anfänglichen Kosten gesenkt. Ein erfolgreicheres Investitionsförder-und Entwicklungshilfeprogramm mit globaler Auswirkung hat es wohl kaum jemals gegeben:
Werfen wir einen Blick auf die PV-Zubau-Entwicklung in Deutschland:
Zubau 2006 bis 2015

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Anfangs gab es trotz der fünfprozentigen jährlichen Vergütungsabsenkung eine vorbildliche Zubauentwicklung von 2006 bis 2010. Diese Entwicklung brach jedoch harsch ab. Ab dem Jahr 2012 gab es dramatische Wachstumseinbrüche, denn zwischen 2009 und 2010 wurde schon in einem Jahr die Einspeisevergütung für kleine PV-Dachanlagen nichtmehr um 5, sondern um 9 Prozent gesenkt.

Ab 2012 begann dann das große PV-Firmensterben. Es wurde eingeleitet durch eine brutale Senkung der Einspeisevergütung zwischen 2012 und 2013 um 30 Prozent. Weitere schikanöser Vergütungsabsenkungen können in den verschiedenen EEG-Versionen nachgelesen werden.

Irreführende Argumentation für die Verminderung des Ausbautempos:

Die Verminderung des Ausbautempos wurde einerseits mit der sogenannten "Strompreisbremse" begründet. Bei den Stromkunden wurde der Eindruck erweckt, es würden andernfalls die Bedürftigen mit dem Strompreis die Solaranlagen der Wohlhabenden finanzieren. Die Bürger werden mit der steigenden EEG-Umlage geängstigt, aber die irrsinnig höheren externen Kosten von Fossilstrom und Atom, die letztlich von uns allen zu bezahlen sind, werden ihnen verschwiegen.

Ein anderes Argument besagt, man müsse das Ausbautempo an den Bau der Ferntransportleitungen für den Windstrom aus Norddeutschland nach Süddeutschland anpassen. Dies ist zwar nicht zutreffend, wird aber gerne geglaubt, weil jedem Besucher Norddeutschlands die höhere Zahl der Windanlagen im Norden auffällt. (Warum dann zusätzlich auch noch bundesweit der Ausbau der Solarenergie gebremst werden soll, ist allerdings nicht ersichtlich.)

Was der Bevölkerung verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass die Verlangsamung des Solar- und Windanlagenwachstums die Aussicht auf eine erfolgreiche Abwehr des Klimawandels immer weiter vermindert.

Ungleichmäßiger Ausbau in den verschiedenen Regionen kann und muss ausgeglichen werden

EE-Anlagen gehören überall in die Nähe der Verbraucher! Die Ertragsunterschiede aufgrund unterschiedlicher Windgeschwindigkeit und Sonneneinstrahlung sind innerhalb Deutschlands nicht so groß, dass sie sich nicht durch größere Windanlagen im Süden und größere Solaranlagen im Norden ausgleichen ließen. Sie rechtfertigen keine Konzentration von Windanlagen im Norden bzw. Solaranlagen im Süden der Republik.
So könnte ein Sturmtief, das von Norden nach Süden über Deutschland hinweg zieht, auch weiter im Süden hohe Windstromerträge erzeugen.

Kurze Übertragungswege vom Stromerzeuger zum Stromverbraucher verringern die Notwendigkeit von Fernübertragungs-Trassen und erhöhen die Robustheit der Stromversorgung gegenüber Extremwetterereignissen, Unfällen und Terroranschlägen. Regional geringere Stromerträge können durch regional beschleunigten Zubau von EE-Anlagen ausgeglichen werden. Dazu sind regional unterschiedliche Vergütungsanreize das Mittel der Wahl.
Die Genehmigungsvoraussetzungen für den Bau von Windanlagen an Land müssen zudem bundesweit erheblich vereinfacht und entbürokratisiert
werden.

Dezentralisierung und Markteinführung für Stromspeicher ist dringend erforderlich

Stromspeicher gehören so nahe wie möglich an die fluktuierenden Stromquellen heran, damit die hohen Spitzenleistungen von Solar- und Windenergie nur über kurze Entfernungen übertragen werden müssen. Das spart Stromleitungskosten.

Die vollständige Dekarbonisierung der deutschen Stromversorgung muss bis Mitte des Jahrhunderts vollendet sein. Das schließt ein, dass auch während der Pausen von Sonne und Wind die elektrische Energie aus gespeicherter Solar- und Windenergie gedeckt wird. Markteinführung unter realistischen Bedingungen, d.h. die praktische Beschäftigung von Tausenden von Ingenieuren und Tüftlern mit einer neuen Technik führt erfahrungsgemäß am schnellsten zu praxisnahen Lösungen.
Kurzzeitspeicher haben die Aufgabe, rasch wechselnde Einspeiseleistungen zu glätten. Bei Solarstrom müssen sie z.B. die Mittags-Spitzenleistung aufnehmen und gegen Abend sowie nachts wieder ins Netz abgeben. Für diese Aufgabe sind aufladbare Batterien mit gutem Wirkungsgrad geeignet. Für die Integration von Pufferspeichern in den Gleichstromteil von PV-Anlagen muss es finanzielle Anreize geben.

Langzeitspeicher müssen in Zeiten ohne Wind und Sonne den Fossil- und Atomstrom ersetzen. Die extrem großen Mengen und Leistungen an EE, die dafür über Wochen hin gespeichert werden müssen, können weder in aufladbaren Batterien noch in Pumpspeicherkraftwerken räumlich untergebracht werden. Es kommen nur chemische Speicherverfahren mit hoher Energiedichte infrage, wie z.B. Power to Liquid oder Power to Gas. Erdgas-Einfuhren dürfen nicht die Lösung sein.

Zubautempo von Jahr zu Jahr steigern - kein statischer Ausbaukorridor!

Das Zubautempo muss gesteigert werden. Dazu ist das ursprüngliche Programm der kostendeckenden Einspeisevergütung bestens geeignet. Auch die von einer ursprünglich hohen Einspeisevergütung ausgehende jährliche Verminderung der Einspeisevergütung um 5 Prozent hat sich bewährt.
Bis zum vollständigen Ersatz von Kohle- und Atomkraftwerken müssen jedes Jahr deutlich mehr neue Solar- und Windanlagen errichtet werden als im Vorjahr, weil jedes Jahr mehr Altanlagen ihre Altersgrenze erreichen und abgebaut werden. Nur der "Netto-Zubau" zählt. Aber nicht nur das Brutto-, sondern sogar das Netto-Zubautempo muss kontinuierlich gesteigert werden, weil die derzeitigen Herstellungs- und Installationskapazitäten nach dem o.a. Firmensterben nicht ausreichen. Der Kapitalbedarf für den Wiederaufbau darf nicht unterschätzt werden.
Obere Grenzen bei den Ausbaukorridoren müssen entfallen, Es gibt kein "Zu Schnell"!

Zur Abschätzung der notwendigen Bedarfsdeckung mit Solarstrom müssen zukünftig von der Bundesnetzagentur realitätsnahe Berechnungsverfahren für die Solarstromerträge angesetzt werden. Verluste müssen berücksichtigt werden. Die tatsächlich verfügbare Leistung am Ausgang der Wechselrichter ist in der Praxis erheblich geringer als die von der BNetzA derzeit angesetzte Gleichstrom-Peakleistung (Abweichung der Modulausrichtung von der Südausrichtung und dem idealen Neigungswinkel wird derzeit vernachlässigt).

Bei der Abschätzung des Zeitbedarfs für eine Umstellung auf 100 Prozent Erneuerbare Energien werden die Pufferspeicherverluste von 15% und die erheblichen Langzeitspeicherverluste von bis zu 80 Prozent vernachlässigt.

Außerdem wird zumeist übersehen, dass nicht nur der bisherige Strombedarf, sondern auch die Raumwärme, die Hochtemperaturwärme und die Fahrzeug-, Flugzeug- und Schiffsantriebe aus Erneuerbaren Energien gedeckt werden muss. Die Aufgabe ist also bis zu viermal größer als bisher angenommen.

Bezüglich des Windenergieausbaus gibt es entsprechend fehlerhafte Berechnungen. Die übliche Rechenmethode

Jahres-Windertrag = Installierte Leistung x Jahresvollaststunden

ist falsch. Sie geht davon aus, dass der erzeugte Windstrom direkt verbraucht werden kann. Doch das ist keineswegs der Fall. Ein großer
Teil der Windleistung muss zunächst von Langzeitspeichern aufgenommen werden.

Die richtige Formel lautet deshalb

Jahres-Windertrag
   = Installierte Leistung x Jahresvolllaststunden - Speicherverluste

Bei den notwendigen Maßnahmen darf nicht zu kurz gegriffen werden.

Vielleicht kann Winston Churchill als Vorbild dienen, der in seiner berühmten "Blut, Schweiß und Tränen"- Rede am 13.05.1940 den Widerstand seines Landes gegen die Agression aus Deutschland gestählt hat, indem er seinem Volk die Wahrheit gesagt hat.

Welches Ausbautempo wird erforderlich?

2021 werden drei Atomkraftwerke und 2022 weitere drei AKW abgeschaltet. In zwei aufeinander folgenden Jahren müssen jeweils 3 GW Dauerleistung durch Erneuerbare Energien und ihre Stromspeicher ersetzt werden. Eine grobe Überschlagrechnung ergibt, insbesondere unter der Berücksichtigung der niedrigen Wirkungsgrade bei den Langzeitspeichern, dass dafür netto 15 GW Solarzubau und 15 GW Windzubau erforderlich sind. Da aber gleichzeitig noch weitere Fossilenergie abgeschaltet werden soll, ist ein Gesamtzubau im Jahr 2021 von 20 Gigawatt Solar- und 20 Gigawatt Windanlagen anzustreben.