Kein Zukunftsszenario mehr, sondern Realität

 

Wenn wir sagen, dass der Klimawandel das bei weitem wichtigste Problem ist, vor dem die Welt heute steht, dann müssen wir nicht nur bei dem unbelehrbaren Häuflein krakeelender Klimawandel-Leugner mit Widerspruch rechnen. Es gibt auch andere globale Problemlagen, die sich vielen Menschen viel unmittelbarer aufdrängen. Zu den wichtigsten gehören zur Zeit Kriege und das weltweite Flüchtlingsdrama. Die Probleme der fliehenden Menschen, aber auch der sie aufnehmenden Gesellschaften, sind unmittelbar mit Händen zu greifen. Sollte deshalb der Klimaschutz erst einmal hintangestellt werden, um erst dieses vermeintlich dringlichere Problem zu lösen?

Wenn man so denkt, vernachlässigt man die systemischen Zusammenhänge globaler Problemlagen. Z.B. müsste es schnell einleuchten, dass Kriege und Flüchtlingskrisen ursächlich miteinander verknüpft sind. Die vielen SyrerInnen, die im Jahr 2015 nach Deutschland gekommen sind, flohen unmittelbar vor den Folgen des dort seit über vier Jahren tobenden erbarmungslosen Bürgerkriegs. Solche Kausalzusammenhänge müssen in ihrer Komplexität verstanden werden, wenn man denn die Ursachen der Probleme beseitigen will.

 

Flucht, Krieg und Klimawandel hängen systemisch zusammen

 

Dass Flucht durch Krieg verursacht werden kann, ist nur ein relativ trivialer solcher Zusammenhang. Weniger offensichtlich, aber desto wichtiger für die Analyse, ist eine andere Kausalität: dass die gegenwärtige Kriegskonjunktur im Nahen Osten 2003 mit der Intervention der USA im Irak begonnen hat. Das war ein klassischer Krieg um Öl, durch die George-W.-Bush-Administration dilettantisch maskiert mit grotesken Lügen über irakische Massenvernichtungswaffen und eine Verbindung von Saddam Hussein zum Terrornetzwerk Al-Qaida. Der im Irak am Ende dieser Intervention hinterlassene gescheiterte Staat und die dadurch ausufernden ethnisch-religiösen Konflikte führten zu einer massenhaften Flucht von Irakern ins Nachbarland Syrien, was dort bestehende soziale und politische Spannungen verschärfte. Halten wir fest, dass das auf Erdöl basierende klassische globale Energieversorgungssystem eine wichtige Ursache der derzeitigen Kriege im Nahen Osten und der von dort ausgehenden Fluchtbewegungen ist.

Der Klimawandel wiederum ist eine andere Folge dieses Energieversorgungssystems. Und er hat das Potenzial, durch die mit ihm einhergehenden Extremwetterereignisse und den Meeresspiegelanstieg zu einer ganz eigenen Quelle großer Migrations- also Fluchtbewegungen zu werden – einerseits unmittelbar, durch die Vernichtung von Existenzmöglichkeiten in den betroffenen Weltregionen, andererseits wieder vermittelt durch darauf folgende Verteilungskonflikte (denken wir vor allem an die Ressource Wasser). Der Soziologe Harald Welzer hat in seinem 2008 erschienenen Buch „Klimakriege“ bereits die Diagnose aufgestellt, es liege „auf der Hand, dass man in absehbarer Zeit Umwelt- und Kriegsflüchtlinge nicht mehr sinnvoll voneinander unterscheiden können wird, weil neue Kriege umweltbedingt entstehen und Menschen vor der Gewalt fliehen. Da sie irgendwo bleiben müssen, entwickeln sich neue Gewaltquellen“. (1) Und weiter:

Die mit der Erderwärmung einhergehenden Raum- und Ressourcenkonflikte werden in den nächsten Jahrzehnten fundamentale Auswirkungen auf die Gestalt der westlichen Gesellschaften haben – Frontex ist da nur ein unscheinbarer Vorbote. Der Klimawandel ist deshalb nicht nur eine umweltpolitische Angelegenheit von äußerster Dringlichkeit, sondern er wird zugleich die größte soziale Herausforderung der Moderne sein, weil er die Überlebenschancen von Millionen von Menschen gefährdet und diese zu Massenmigrationen zwingt.“ (2)

Das klingt bedrohlich, aber durch die Schilderung im Futur auch irgendwie noch entfernt von unserer Realität. Ich möchte fragen, ob Welzers Diagnose nicht längst in den Präsens umgeschrieben werden müsste.

 

Klimawandel und Konfliktsteigerung in Afrika

 

Welzer selbst nennt einen Fall eines gegenwärtigen klimainduzierten Konfliktes, nämlich den Sudan.

Der Sudan ist der erste Fall eines kriegsgeschüttelten Landes, für den als sicher gilt, dass Klimaveränderungen eine Ursache für Gewalt und Bürgerkrieg bilden. […] In einem Land, in dem 70 Prozent der Bevölkerung auf dem und vom Land leben, gibt es ein Problem, wenn Weideflächen und fruchtbares Land verschwinden. […] Der Blick auf den Sudan ist ein Blick in die Zukunft.“ (3)

Welzer kann sich hier auf die Einschätzung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) berufen. In einem Bericht von 2007 hatte UNEP die Ausbreitung der Wüste (Desertifizierung), die Entwaldung und die Verschlechterung der Böden (Degradation) zu den Grundursachen der jahrzehntelangen Konflikte vor allem in der Region Darfur gezählt. Teilweise waren hier unmittelbare menschliche Verursachungen wie Überweidung verantwortlich zu machen. Zugleich aber schrieb UNEP:

Unterdessen gibt es Anzeichen für langfristigen Klimawandel in verschiedenen Teilen des Landes. Dies wird durch einen sehr unregelmäßigen, aber deutlichen Rückgang des Regens belegt, der am deutlichsten in den Regionen Kordofan und Darfur zu beobachten ist.
In Nord-Darfur zum Beispiel sind die Niederschläge in den vergangenen 80 Jahren um ein Drittel zurückgegangen […].
Das Ausmaß des Klimawandels, das für Nord-Darfur aufgezeichnet wurde, ist fast beispiellos, und seine Folgen sind mit den Konflikten in der Region eng verknüpft, denn die Desertifikation hat die Belastungen für die traditionellen bäuerlichen und pastoralen Lebensweisen deutlich erhöht. 
Überdies ‚lässt der vorhersehbare Klimawandel einen weiteren Rückgang der Nahrungsmittelproduktion infolge abnehmender und unberechenbarerer Regenmengen erwarten, insbesondere im Sahel-Gürtel. Ein Rückgang der Ernteerträge um bis zu 70 Prozent lässt sich für die verwundbarsten Regionen vorhersagen‘, so das ‚Sudan Post-Conflict Assessment‘.“ (4)

Auch der Konflikt zwischen Nord- und Südsudan wurde teilweise durch Wanderungsbewegungen angeheizt, die in den beschriebenen Klimaveränderungen eine ihrer Ursachen hatten. So hieß es 2007, der südliche Nuba-Stamm habe gewarnt, man könne den Krieg wieder aufnehmen, weil arabische Nomaden – durch die Dürre südwärts ins Nuba-Territorium gezwungen – begonnen hatten, Bäume zu fallen, um ihre Kamele zu ernähren. (5)

Solcher Wanderungsdruck zeigt übrigens beispielhaft einen unangenehmen Rückkoppelungseffekt von Klimawandelphänomenen. Nachvollziehbar, aber fatal ist es, dass Menschen, die gezwungen sind, ihre gewohnten Lebens- und Wirtschaftsweisen aufzugeben bzw. ihre vertrauten Regionen zu verlassen, nicht so gut auf Nachhaltigkeit achten können wie zuvor – etwa was die Nutzung von Wasserreserven oder Bäumen betrifft. Dies gilt auch für Flüchtlinge, die zunächst an ihr eigenes Überleben denken müssen, bevor sie sich mit einem schonenden Ressourcenumgang beschäftigen können. Dies ist ein weiterer Komplexitätszusammenhang zwischen der Fluchtproblematik und der Umwelt-, insbesondere der Klimaproblematik.

Es gibt weitere Konfliktregionen, für die inzwischen der Klimawandel als konfliktverschärfender Faktor diskutiert wird. In einem Beitrag für „Le monde diplomatique“ hat Agnès Sinai im vergangenen September (6) unter anderem auf den Fall Nord-Nigerias hingewiesen, wo ähnlich wie im Sudan die Zerstörung traditioneller Lebensweisen infolge Bodendegradation zu sozialen Destabilisierungen (insbesondere zu Konflikten zwischen Bauern und Hirten um die knapper werdenden ländlichen Ressourcen) führte, in deren Folge das Vordringen der Terrorgruppe Boko Haram zu verstehen ist, die religiöse und ethnische „Begründungen“ für die Misere liefert. Auch hier könnte der Rückgang der durchschnittlichen Niederschlagsmengen zu den Ursachen gehören. Bereits 2007 hatte der amerikanische Wirtschaftswisenschaftler Jeffrey D. Sachs in einem Aufsatz mit dem Titel „Klimawandel-Flüchtline“ konstatiert: „Die Gewalt in Darfur und in Somalia ist grundlegend gekoppelt mit Nahrungs- und Wasserunsicherheit. Der Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste hat seine Ursache zumindest teilweise in ethnischen Konflikten, die aus der Flucht von Menschen aus den nördlichen Trockengebieten Burkina Fasos in Richtung Küste resultierten.“ (7)

Sinai weist auch darauf hin, dass lokale Klimaveränderungen bzw. Wetterextreme komplexe globale Folgen zeitigen können. So führten ausbleibende Niederschläge und zahlreiche Sandstürme im Winter 2010/11 im Osten Chinas zu beträchtlichen Ernteausfällen; diese zwangen die Regierung in Peking dazu, in großem Maßstab Weizen auf dem Weltmarkt einzukaufen. Dadurch stiegen die Weizenpreise weltweit an, und in Ägypten trug dieser Preisanstieg zur Steigerung der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Mubarak-Regime bei, das dann im Februar/März 2011 zusammenbrach. Es wäre sicherlich verfehlt, hier einen monokausalen Zusammenhang zu behaupten, so als hätte es ohne chinesische Missernten keinen „arabischen Frühling“ gegeben. Aber es sieht so aus, dass Klimawandelfolgen längst ihre Rolle in den Verursachungszusammenhängen der globalen Politik spielen, und dass sie in der Regel konfliktverschärfend wirken.

Möglicherweise lässt sich inzwischen auch zeigen, dass es keineswegs nur einzelne extreme Wetterkonstellationen sind, sondern langfristige Klimatrends, welche die Konfliktmuster beeinflussen. Den Versuch eines solchen Nachweises haben Solomon M. Hsiang, Kyle C. Meng und Mark A. Cane in einer 2011 in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlichten Studie unternommen. Dort korrelieren sie das Klimaphänomen „El Niño Southern Oscillation“ (ENSO), das einen Zyklus von drei bis sieben Jahren aufweist, mit weltweiten Bürgerkriegen („civil conflicts“). Sie gelangen dabei zu dem Ergebnis,

dass die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung eines neuen Bürgerkriegs in den tropischen Weltregionen während der ‚El-Niño-Jahre‘ doppelt so hoch ist wie in den von ‚La Niña‘ geprägten Jahren. Dieses Ergebnis, das anzeigt, dass ENSO bei 21% der bürgerkriegsartigen Konflikte seit 1950 eine Rolle gespielt haben könnte, stellt den ersten Beleg dafür dar, dass die Stabilität moderner Gesellschaften stark mit dem Weltklima korreliert.“ (8)

 

Der Fall Syrien

 

Der Konflikt, welcher uns zur Zeit vielleicht am stärksten beschäftigt, ist der Bürgerkrieg bzw. Krieg in Syrien. Ich hatte eingangs schon darauf hingewiesen, dass dieser Konflikt in seinem Ursachenbündel einen Faktor enthält, der auch dem Klimawandel zugrunde liegt, nämlich unser auf fossilen Rohstoffen gründendes Energieversorgungssystem. Wenn der „arabische Frühling“ u.a. von steigenden Weltmarktpreisen für Getreide angetrieben wurde, dann hätte überdies auch die Rebellion in Syrien, die im Kontext dieses „arabischen Frühlings“ gesehen werden muss, eine klimabedingte Mitverursachung – wenn auch in sehr vermittelter Form.

Aber es gibt offenbar eine viel direktere Verknüpfung zwischen dem Syrien-Konflikt und dem globalen Klimawandel. Die als „fruchtbarer Halbmond“ bekannte Weltregion, die grob gesagt die Levante und das Zweistromland um Euphrat und Tigris umfasst und damit auch große Teile Syriens, hat in den vergangenen Jahrzehnten dramatische Einbußen an Wasserzufuhr erlebt – sowohl was die Flusssysteme als auch was die Niederschläge betrifft. In einer Veröffentlichung im „Smithsonian Magazine“ wies dessen Korrespondent Joshua Hammer 2013 auf Satellitenmessungen hin, die anzeigten, dass das Tigris-Euphrat-Becken zwischen 2003 und 2009 „schneller Wasser verlor als irgendeine andere Gegend auf der Erde, mit Ausnahme des nördlichen Indiens“. Der Verlust habe in dieser Zeit mehr als 144 Mrd. Kubikmeter (das entspricht einem Würfel von mehr als fünf Kilometer Kantenlänge) betragen. Neben schlechter Wassernutzungspolitik seien abnehmende Niederschlagsmengen die Hauptursache für diese alarmierende Beobachtung. Die Folgen waren bereits im Irak nach dem Zusammenbruch der dortigen Staatlichkeit in Gestalt gesteigerter Gewalt zu beobachten, so Hammer: „Im Irak führten die Abwesenheit einer starken Regierung nach 2003, Trockenheit und zurückgehende Grundwasserbestände zu einer Flut von Mordanschlägen auf Beamte der Bewässerungsbehörden, sowie zu Zusammenstößen zwischen ländlichen Clans.“ (9)

Der Fokus von Hammers Gedankengang lag aber nicht auf dem Irak, sondern auf Syrien. Die dort von 2006 bis 2011 anhaltende Dürre habe eine Landflucht ausgelöst und bestehende Spannungen in den überbevölkerten Städten verschärft. Aaron Wolf, ein Wassermanagement-Experte von der Oregon State University, wird mit den Worten zitiert: „Es gab eine Menge zorniger arbeitsloser Männer, die nun halfen, eine Revolution loszutreten“. (10)

Dies war zunächst nicht mehr als eine freihändig entwickelte Hypothese. Im Jahr 2014 behandelte der kalifornische Umweltwissenschaftler Peter H. Gleick diese Frage in einem Beitrag für die Zeitschrift der American Meteorological Society systematischer. Gleick arbeitete die sozialen und technischen Ursachen des syrischen Dramas (Bevölkerungswachstum; ineffiziente Bewässerungsverfahren in der Landwirtschaft) sorgfältig heraus, zeigte aber, dass gerade unter diesen Bedingungen der Rückgang von Niederschlägen gerade im Winterhalbjahr (der klassischen Niederschlags-Saison in Syrien), und eine infolge Temperaturerhöhung gestiegene Verdunstung katastrophale Folgen haben musste. Syrien hat immer wieder Trockenperioden erlebt, bei denen die Winter-Niederschläge unter ein Drittel des Normalmaßes sanken. Diese währten aber im 20. Jahrhundert durchgängig einen bzw. maximal zwei Winter lang. Die Trockenheit, die 2006 begann, hielt aber ununterbrochen fünf Jahre bis 2011 an und hat sich von 2013 bis heute fortgesetzt. Gleick zitiert den Agrarökologen Gary Nabhan mit der Einschätzung, diese Trockenperiode sei „die schlimmste Langzeit-Dürre und ernsthafteste Serie von Missernten, seit die agrikulturellen Zivilisationen vor vielen Jahrtausenden im fruchtbaren Halbmond entstanden“. Gleick selbst resümiert, dass „Wasser und Klimabedingungen eine direkte Rolle beim Verfall der ökonomischen Bedingungen in Syrien gespielt haben“. (11)

In den „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“ (PNAS) erschien Anfang 2015 die Untersuchung eines Teams von Klimatologen, das von Colin P. Kelley (Universität Santa Barbara, Kalifornien) angeführt wurde. Darin wurden die Beobachtungen der großen syrischen Dürre mit den Klimamodellen korreliert, die in den vergangenen Jahren stark verfeinert worden waren - nicht zuletzt aufgrund der Arbeit des „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC) oder „Weltklimarats“. Kelley und seine Koautoren zeigen,

dass der kürzliche Rückgang der Niederschläge in Syrien auf einer Kombination aus natürlicher Varianz und einem langfristigen Trend zur Trockenheit beruht, und dass die außergewöhnliche Schwere der beobachteten Dürre ohne jenen Trend als äußerst unwahrscheinlich erwiesen ist. Niederschlagsveränderungen in Syrien hängen mit einem Anstieg des durchschnittlichen Luftdrucks [sea level pressure] im östlichen Mittelmeerraum zusammen, der ebenfalls einem Langzeittrend unterliegt. Überdies gibt es einen Langzeittrend zur Erwärmung im östlichen Mittelmeerraum, der zum Rückgang der Bodenfeuchtigkeit beiträgt. Es gibt keine offensichtliche natürliche Ursache für diese Trends, während die beobachteten Austrocknungen und Erwärmungen konsistent mit Modellen sind, welche die Konsequenzen des Anstiegs von Treibhausgasen untersuchen.“ (12)

Die Autoren postulieren, dass eine so starke und lange Dürre durch menschliche Eingriffe ins Klimasystem zwei- bis dreimal so wahrscheinlich geworden sei wie bei reinem Wirken der natürlichen Varianz. Wenn sie nun „schließen, dass menschliche Einflüsse auf das Klimasystem sich auf den aktuellen syrischen Konflikt ausgewirkt haben“, dann liegt dem noch eine zweite, soziologische Hypothesenbildung zugrunde – dieselbe, die wir auch bei Hammer und bei Gleick schon vorgefunden haben.

Kelley und seine Koautoren berufen sich dabei auf die allgemeine Beobachtung, dass „schneller demografischer Wandel Unstabilität anregt“. Ein solcher Wandel lag in Syrien schon mit dem starken Bevölkerungswachstum (zwischen den 50er Jahren und der Gegenwart von 4 Mio. auf 22 Mio. Einwohner) und mit dem Zustrom von bis zu 1,5 Millionen irakischen Flüchtlingen vor.

Ob es ein primärer bzw. erheblicher Faktor war, lässt sich nicht klären, aber Dürre kann zu verheerenden Konsequenzen führen, wenn sie mit einer bereits vorhandenen akuten Verletzbarkeit gekoppelt ist, wie sie im syrischen Fall durch schlechte Politik und nicht nachhaltige Landnutzungspraktiken vorlag und durch zögerliche und ineffektive Maßnahmen des Assad-Regimes verstärkt wurde.“ (13)

Der PNAS-Aufsatz erregte weltweit große Resonanz. Teilweise wurde er auch einer massiven Kritik unterzogen. In einem Beitrag auf Spiegel-online räumte der Geologe und Wissenschaftsjournalist Axel Bojanowski zwar ein, die „Klimadaten aus Syrien“ seien „beunruhigend“. Er zitiert dann aber Kritiker aus Europa und den USA, die fünf Punkte an der Kelley-Studie bemängeln. 1) Es lägen nur unzureichende Daten über Temperaturen und Niederschläge aus Syrien vor. 2) Die existierenden Klimamodelle könnten das Klima in Syrien nur unzureichend simulieren, da dieses Land am Schnittpunkt dreier Klimazonen liege. 3) Regionale Unterschiede innerhalb Syriens würden vernachlässigt. 4) Die Benennung des Klimawandels als Konfliktursache lenke von den „wahren Problemen“ ab. 5) Es gebe im allgemeinen keine Studien, die einen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Konflikt glaubhaft belegten. (14)

Der Punkt 5) ist rein tautologisch: Man kann eine Pionierarbeit nicht dadurch aushebeln, dass sie keine Vorläufer hat. Ernster zu nehmen ist das Argument 4): Wenn Baschar al-Assad den Klimawandel als Argument verwenden könnte, von seiner eigenen Verantwortung für das syrische Drama abzulenken, würde daraus ein moralisches Dilemma erwachsen. Tatsächlich ist es aber so, dass im Lichte der klimatischen Herausforderungen Fehlentscheidungen der syrischen Machthaber – also z.B. die Förderung extrem wasserzehrender Feldfrüchte und Anbaumethoden, aber auch Korruption und Repression – erst recht negativ zu Buche schlagen. Von einer Entlastung regionaler Problemverursacher kann daher keine Rede sein.

Zu den übrigen Kritikpunkten verweist Kelley (nach Rücksprache mit seinen Koautoren) darauf, dass sie die Unsicherheiten in der Datenlage keineswegs verschwiegen, sondern ausdrücklich betont und überdies auch methodisch aufgefangen hätten. So habe man die syrischen Daten mit denen von weiteren Messstationen im größeren Fruchtbaren Halbmond ergänzt, und mit der Nutzung globaler Klimamodelle, welche den Trends im fruchtbaren Halbmond so frappierend entsprechen, vor allem „ein zusätzliches Stück Evidenz“ für die Absicherung der vorhandenen Daten beisteuern wollen. Man habe die Effekte der Dürre auf den Zusammenbruch der Landwirtschaft im nordöstlichen Syrien, der „Kornkammer-Region“ betont. Zur Erklärung der Konfliktursachen habe man die anderen wichtigen Faktoren hervorgehoben und auch keinesfalls, wie die Kritik nahelegt, unterstellt, „dass die heimatlos Gewordenen [displaced persons] zu Rebellen wurden“. Sie hätten aber den schon bestehenden „Gesamtdruck verstärkt“ [„increased overall stress“]. Kelley verweist darauf, dass das Forschungsfeld der Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Konflikten noch jung und im Wachsen begriffen ist, und er bekräftigt in seinem Schreiben an den Autor dieser Zeilen zum syrischen Fall: „Zu ignorieren, dass der Klimawandel ein wichtiger Faktor war, wäre unverantwortlich, genau wie wenn man die schlechte Regierungsführung ignorieren würde.“ (15)

Die Multikausalität von bewaffneten Konflikten und von Flüchtlingsströmen hat der oben bereits erwähnte Umweltökonom Solomon Hsiang mit einem Vergleich veranschaulicht:

Nehmen wir an, Sie betrachten Statistiken über Autounfälle und sehen, dass diese an Regentagen häufiger auftreten. Heißt das, dass Regen der einzige Faktor ist, der für diese Unfälle verantwortlich ist? Selbstverständlich nicht. Letztendlich werden Unfälle durch Fahrfehler verursacht, aber der Regen kann diese viel wahrscheinlicher machen. Ganz ähnlich können gewaltsame Konflikte aus einer Vielzahl von Gründen entstehen, die einfach wahrscheinlicher werden, wenn sich die klimatischen Bedingungen verschlechtern.“ (16)

Damit ist auch die eingangs zitierte These Harald Welzers beglaubigt, „dass man in absehbarer Zeit Umwelt- und Kriegsflüchtlinge nicht mehr sinnvoll voneinander unterscheiden können wird“. Deswegen zu behaupten, dass Umweltfaktoren, insbesondere Klimafaktoren keinen Einfluss auf Krieg und Flüchtlingsbewegungen hätten, wäre fahrlässig.

 

Syrische Stimmen

 

Es ist sicherlich angebracht, nicht nur westliche Wissenschaftler und Journalisten zu einem Phänomen zu Wort kommen zu lassen, dass sich zunächst einmal in einem armen Land der Peripherie auswirkt. Wie sehen die Syrer selbst den Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und den Konflikten in ihrem Land?

In dem erwähnten Spiegel-online-Beitrag zitiert Axel Bojanowski die Hamburger Friedensforscherin Christiane Fröhlich. Deren Gespräche mit Menschen vor Ort „würden der Klimathese eher widersprechen: Jene, die vor der Dürre geflüchtet wären, seien eher selten zu Aufständischen geworden, berichtet sie“. Eine so kurze Kausalkette, nach der die Entwurzelten identisch mit den Aufständischen sein müssten, hatten weder Kelley noch die anderen Vertreter der Klima-Hypothese behauptet. Wenn Fröhlich bemerkt, dass „die Verflechtungen zwischen Klimawandel, Migration und Konflikt komplex sind und sich simplen und sensationalistischen Schlussfolgerungen entziehen“, (17) dann befindet sie sich nicht im Widerspruch zu Kelley.

Die Ergebnisse von Fröhlichs Gesprächen mit syrischen Flüchtlingen sind nach meiner Kenntnis noch nicht veröffentlicht. Es gibt aber eine Reihe anderer Statements von Syrern zur Bedeutung des Klimawandels für die politische Entwicklung Syriens seit 2011. Der Kolumnist Thomas L. Friedman ließ im Mai 2013 in der New York Times einige zu Wort kommen. In einem kleinen Grenzort in der Türkei hatte er die frühere syrische Bäuerin Faten getroffen, die mit ihrem Mann zusammen Getreide und Gemüse angebaut hatte. „Gott sei Dank gab es Regen“, erzählte sie, „und die Ernten waren sehr gut. Und dann, plötzlich, kam die Dürre.“ Die syrische Regierung habe keinerlei Hilfe angeboten. Zwei Jahre habe man mit der Dürre umgehen können, dann sei man in eine Stadt abgewandert, wo man ein hartes, ungewisses Leben geführt habe. Beim Ausbruch der Rebellion habe man es nicht erwarten können mitzumachen: „Seit dem ersten Ausruf des ‚Allahu akbar‘ schlossen wir uns alle der Revolution an. Sofort.“ Hatte dies einen Zusammenhang mit der Dürre? „Selbstverständlich, die Dürre und die Arbeitslosigkeit waren wichtig, um die Leute zur Revolution zu treiben.

Friedman zitiert auch den früheren Baumwoll-Farmer Abu Khalil, der jetzt eine Einheit der „Free Syrian Army“ anführte. „Die Dürre konnten wir hinnehmen,“ sagte dieser, „denn sie kam von Allah. Aber wir konnten nicht akzeptieren, dass die Regierung nicht darauf reagierte.“ (18)

In einem neueren Beitrag in der Zeitschrift „Scientific American“ zitiert der Journalist John Wendle weitere syrische Stimmen. Wendle hat mit einem Dutzend früherer Bauern und Geschäftsleute gesprochen, die nach seiner Aussage die Annahme der PNAS-Studie vollauf bestätigen. Der 30jährige Farmer Mustafa Abdul Hamid aus Azaz äußerte sich ihm gegenüber so: „Der Krieg und die Dürre, das ist dasselbe.“ Und weiter: „Der Beginn der Revolution war: Wasser und Land.“ – „Die Dürre dauerte schon Jahre, und niemand sagte etwas gegen die Regierung. Dann, 2011, hatten wir genug. Es gab eine Revolution.“ Ali, ein anderer Gesprächspartner von Wendle, der seine Arbeit als Brunnengräber aufgeben musste und den der Krieg an den Rollstuhl fesselte, resümiert in einem Flüchtlingslager auf Lesbos: „Es steht schon im Koran: Wasser ist Leben.“ (19)

Selbstverständlich können diese Zitate keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben. Aber sie zeigen doch, dass auch in der syrischen Selbstwahrnehmung ein Zusammenhang zwischen der jahrelangen Dürre – einem Klimaphänomen – und der politisch-militärischen Zuspitzung im Land gesehen wird.

 

Schlussfolgerung

 

Eine simple Kausalität des Typs, die syrische Tragödie sei schlichtweg eine Folge des Klimawandels, wird niemand behaupten. Dennoch können wir zwei grundsätzliche Lehren aus dem Fall Syrien ziehen: 1) In labilen politischen Gemengelagen können klimawandel-induzierte Ereignisse der Tropfen sein, welcher das Fass zum Überlaufen bringt. Übrigens sind nicht alle der resultierenden Konflikte zu verurteilen. Rebellionen gegen eine Diktatur z.B. können eine durchaus lobenswerte Angelegenheit sein. Aber die massenhafte Vernichtung beruflicher Existenzen, der Verlust von bewohnbarem Raum und von Ackerböden wäre selbst im Falle einer erfolgreichen Demokratiebewegung ein allzu hoher Preis. In sehr vielen Fällen überwiegen ohnedies die Kosten den Gewinn; hierfür ist Syrien ein trauriges Beispiel. 2) Im Zusammenhang mit dieser systemischen Beobachtung ist mit der Verwandlung von sesshaften Menschen in Flüchtlinge zu rechnen, wobei die Größenordnung von Millionen (wie im aktuellen syrischen Fall) eher typisch als außergewöhnlich sein wird. Welche weiteren sozialen Folgen diese Migrationsbewegungen zeitigen, ist schwer vorherzusagen. Es wird klug sein, sich darüber beizeiten Gedanken zu machen. Am klügsten wird es sein, diese Ursache von Bürgerkriegen und Massenmigration nicht noch weiter zu befeuern. Eine sehr schnelle Dekarbonisierung der Weltwirtschaft ist die Bedingung der Möglichkeit einer friedlichen und gerechten Entwicklung der Gesellschaften auf unserem Planeten. Zögern wir nicht!

 

Nachweise


1 Harald Welzer: Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird. Frankfurt a.M. 2010. S.14.

2 Ebd. S.22f.

3 Ebd. S.24f.

4 UNEP: Environmental Degradation Triggering Tensions and Conflict in Sudan. 22.6.2007.

5 Ebd. – Vgl. auch Julian Borger: Darfur conflict heralds era of wars triggered by climate change, UN report warns. In: The Guardian, 23.6.2007.

6 Agnès Sinai: Verwüstung. Wie der Klimawandel Konflikte anheizt. In: Le Monde diplomatique, September 2015. S.1, 18.

7 Jeffrey D. Sachs: Climate Change Refugees. As global warming tightens the availability of water, prepare for a torrent of forced migrations. In: Scientific American, 1.6.2007.

8 Solomon M. Hsiang, Kyle C. Meng und Mark A. Cane: Civil conflicts are associated with the global climate. In: Nature, International Weekly Journal of Science, 24.8.2011.

9 Joshua Hammer, Is a Lack of Water to Blame for the Conflict in Syria? In: Smithsonian Magazine, June 2013. Hammer bezieht sich auf das satellitengestützte „Gravity Recovery And Climate Experiment“ (GRACE), das von der NASA und der deutschen DLR gemeinsam durchgeführt wird. Mithilfe von zwei Satelliten werden Feinmessungen der irdischen Gravitation vorgenommen. Vgl. UCI News (Universität Irvine): Middle East river basin has lost Dead Sea-sized quantity of water, 12.2.2013, sowie NASA Satellites Find Freshwater Losses in Middle East, 2.12.2013.

10 Ebd.

11 Peter H. Gleick: Water, Drought, Climate Change, and Conflict in Syria. In: Weather, Climate and Society (American Meteorological Society Journal), Vol. 6 Issue 3, July 2014. S.331-340.

12 Colin P. Kelley, Shahrzad Mohtadi, Mark A. Cane, Richard Seager und Yochanan Kushnir: Climate change in the Fertile Crescent and implications of the recent Syrian drought. In: Proceedings of the Natioal Academy of Sciences of the United States of America (PNAS), Vol. 112 No.11.

13 Ebd.

14 Axel Bojanowski: Umstrittene Studie: Löste Klimawandel den Syrien-Krieg aus? In: Spiegel Online Wissenschaft, 7.3.2015.

15 Colin Kelley, persönliche Kommunikation, 14.1.2016.

16 Z.n. Annie Hauser: Heat, Drought Linked to Violence Worldwide.

17 Michael Brzoska / Christiane Fröhlich: Climate change, migration and violent conflict: vulnerabilities, pathways and adaptation strategies. In: Migration and Development. 30.3.2015.

18 Thomas L. Friedman, Without Water, Revolution, in: New York Times, Sunday Review, 18.5.2013.

19 John Wendle: The Ominous Story of Syria's Climate Refugees. Farmers who have escaped the battle-torn nation explain how drought and government abuse have driven social violence. In: Scientific American, 17.12.2015.