In den letzten Jahren ist eine neue Idee zur Eingrenzung der CO2-Emissionen in Mode gekommen, die auf den ersten Blick besonders konsequent und kompromisslos zu sein scheint und damit viele Umweltfreunde in ihren Bann zieht: die Einführung persönlicher CO2-Budgets. U.a. hat sich bereits 2009 der WWF hierfür ausgesprochen, ebenso der damalige Bundesumweltminister Röttgen Ende 2011 im Vorfeld des (wieder einmal gescheiterten) Klimagipfels in Durban, und die ÖDP diskutiert derzeit darüber, dieses Konzept in ihr neues Grundsatzprogramm aufzunehmen 1. Als besondere Stärke der CO2-Budgetierung wird immer wieder genannt, dass damit – anders als bei einer Energie- bzw.- CO2-Steuer – eine direkte und zielgenaue Mengenregulierung möglich werde.

Nimmt man dieses Instrument hingegen etwas genauer unter die Lupe, so offenbaren sich gravierende prinzipielle Nachteile:

1.) Eine CO2-Budgetierung setzt die sorgfältige und lückenlose Erfassung des „CO2-Rucksacks“ jedes einzelnen Produkts voraus. Diese bedeutet einen gigantischen bürokratischen Aufwand und ist – wenn überhaupt machbar - bestenfalls ein Beschäftigungsprogramm für CO2-Bilanzierungs-Agenturen. (Übrigens würde diesen damit eine Macht zufallen, die den – zurecht kritisierten - Einfluss der heutigen Rating-Agenturen wohl noch in den Schatten stellen würde...)

2.) Damit man Menschen, die ihr CO2-Budget vorzeitig aufgebraucht haben, nicht die Stillung von Grundbedürfnissen verweigern muss, sollen die CO2-Budgets handelbar sein. Damit infiziert sich das Instrument jedoch mit der Fehleranfälligkeit des heutigen Emissionshandels (siehe hierzu ausführlich [1, 2]): Emissionsrechte sind (ebenso wie Emissionen selbst) äußerst „flüchtig“ und schwer zu kontrollieren; schon ein geringer Anteil an „unechten“ Emissionszertifikaten würde aber zu deren Kursverfall führen - womit echte Investitionen in den Klimaschutz unattraktiv würden. (So gab es z.B. Anfang 2011 mehrere Vorfälle, bei denen tausende Emissionszertifikate durch Cyber-Angriffe gestohlen und der Emissionshandel für Umsatzsteuerbetrug in Höhe von 850 Millionen Euro missbraucht wurde.) Vollends illusorisch erscheint es, ein solches System der CO2-Budgetierung mitsamt den für sein Funktionieren erforderlichen lückenlosen Emissionskontrollen weltweit zu etablieren – einschließlich der zahlreichen totalitären Staaten und Staaten mit korrupten Verwaltungen.

In Puncto Fehleranfälligkeit ist eine CO2-Budgetierung (mit handelbaren Budgets) der Energiebesteuerung hoffnungslos unterlegen: Bei ersterem können die vom Fehlverhalten bereits relativ weniger Akteure ausgehenden Störungen das gesamte System aushebeln (strukturelle Instabilität), bei Energiesteuern ist dies nicht möglich (strukturelle Stabilität).

3.) Es ist ethisch fragwürdig, klimazerstörende Handlungen, die man aus pragmatischen Gründen nolens volens noch für eine gewisse Übergangszeit dulden muss, durch Vergabe persönlicher CO2-Kontingente (die in der öffentlichen Wahrnehmung als Rechte bzw. Besitzstände empfunden würden) aufzuwerten und damit die Illusion zu fördern, sie seien im Rahmen dieser Kontingente unbedenklich. Hier lässt sich fast wörtlich übertragen, was Hermann Scheer zu den psychologisch fatalen Wirkungen des Emissionshandels festgestellt hat: „Der Begriff des „Emissionsrechts“ macht aus einer bisher legal geduldeten Emission eine öffentlich legitimierte. Die Duldung wurde immer damit begründet, dass es keine Alternative gebe und Energie eben unverzichtbar ist. Die Geschichte des Rechts zeigt, dass kein legaler Rahmen auf Dauer aufrecht zu erhalten ist, wenn er als nicht mehr legitim empfunden wird. Nicht alles, was rechtens ist, ist auch legitim. Mit der Erkenntnis, dass es die Möglichkeit einer emissionsfreien Energieversorgung mit erneuerbaren Energien gibt, verlieren fossile Energien ihre Legitimität. Durch ein völkerrechtlich verankertes System von quotierten und handelbaren „Emissionsrechten“ erscheinen jedoch nur noch die rechtlosen Emissionen als illegitim. Denjenigen mit „Emissionsrecht“ wird die höhere Weihe verliehen, dass sie integraler Bestandteil eines Weltrettungsversuchs sind. Sie werden damit legitimatorisch aufgewertet und auf eine Stufe mit den erneuerbaren Energien gestellt, deren besondere Legitimation dadurch relativiert wird.“ [3]

4.) Noch in anderer Hinsicht ist ein CO2-Budget bestens geeignet, die Akzeptanz des ökologischen Umbaus in den Köpfen der Menschen zu unterminieren: Es bedeutet de facto die Einführung einer Parallelwährung, vergleichbar den Bezugssscheinen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren. Eine Maßnahme, die solch negative Assoziationen auslöst und Erinnerungen an Zeiten größter Not und Entbehrung weckt, wird die Klimaschutzbemühungen mental eher blockieren als fördern.

5.) Der CO2-Minderungspfad bei einer CO2-Budgetierung bemisst sich nicht an der tatsächlichen technologisch-ökonomischen Leistungs- und Anpassungsfähigkeit der Volkswirtschaft (d.h. am maximal möglichen Reduktionstempo), sondern an einem vorher in beinahe planwirtschaftlicher Weise vorgegebenen und daher zwangsläufig suboptimalen Pfad 2 . Hier erweist sich der angebliche Vorteil einer Mengensteuerung, die Erfüllung der Reduktionsziele punktgenau zu garantieren, als gravierender Nachteil: Denn dabei wird die Kontrolle über die Preise (der CO2-Zertifikate) aufgegeben; der zu einer vorgegebenen Menge gehörige Preis kann starken, unvorhersehbaren Schwankungen unterliegen. Bei knappen Zertifikaten und hohen Börsenkursen wäre die Wirkung ähnlich wie in vergangenen Ölkrisen: Es käme zu heftigen Preisausschlägen, denen die Wirtschaft aber nicht sofort ausweichen kann, da Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen nur mit einer gewissen Verzögerung greifen. Diese Gefahr entfällt bei einer einem langfristigen Erhöhungspfad folgenden Energiebesteuerung - sie gewährleistet Planungssicherheit und vermeidet allzu heftige Preisschocks; der vermeintliche Nachteil fehlender direkter Mengenvorgaben ist in Wirklichkeit ein Vorteil, weil er die Kontrollierbarkeit der Energiepreise bewahrt. Denn der einzig „richtige“ Reduktionspfad kann nur der schnellstmögliche sein; für die Entscheidung, was „schnellstmöglich“ genau bedeutet, welches Tempo für Wirtschaft und Gesellschaft noch verkraftbar ist, ist aber der Preis die relevante Größe - und nicht die Menge. Es kommt nicht darauf an, die Reduktionen punktgenau zu steuern, sondern die ökonomischen Rahmenbedingungen so rasch und entschlossen wie möglich zu ändern, um alle verfügbaren volkswirtschaftlichen Ressourcen (insbesondere die heute ungenutzten in Form von Millionen von Arbeitslosen!) in Richtung Treibhausgasreduktion umzulenken.

Sich von der Vorgabe konkreter Mengenziele eine rasche CO2-Minderung zu erhoffen, ist etwa ebenso naiv und realitätsfern, als wenn man einem Notarztwagen eine feste Geschwindigkeit vorschreiben würde, die er unabhängig von der Verkehrslage einzuhalten hätte, da die Vorgabe „Fahre so schnell wie möglich!“ ja zu unkonkret sei und keine Kontrolle über die tatsächliche Fahrtzeit erlaube...

6.) Selbst wenn man alle bisher genannten Nachteile hintanstellt, kann eine CO2-Budgetierung weder eine gezielte, technologieangepasste Förderung der Erneuerbaren, wie das EEG sie darstellt, ersetzen noch eine Energiesteuerreform, z.B. gemäß dem Energiesteuer-/Energiegeld-Modell des SFV: Würde man für den Ausbau der Erneuerbarenallein auf eine Deckelung fossiler Energienutzung setzen, so kämen dabei allenfalls die jeweils kostengünstigsten erneuerbaren Energieträger zum Zuge; Technologien wie die Photovoltaik, die kurzfristig teuer sind, langfristig aber ein enormes Kostensenkungspotential haben, blieben auf der Strecke. Und eine Energiesteuerreform, die die Steuer- und Abgabenlast schrittweise, aber konsequent vom Produktionsfaktor Arbeit zum Faktor Energie verschiebt, ist beileibe nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomisch-sozialen Gründen dringend geboten, um die Energie (auch die regenerativ erzeugte!) entsprechend ihrer hohen Produktivkraft angemessen zur Finanzierung unseres Gemeinwesens heranzuziehen. (Beim Energiesteuer-/Energiegeld-Modell des SFV steht dieser Aspekt sogar im Vordergrund!) Eine CO2-Budgetierung kann dies offensichtlich nicht leisten und greift daher viel zu kurz.

Bedenkt man diese schwerwiegenden Nachteile, dann erscheint das ohne Zweifel gutgemeinte Instrument des CO2-Budgets schlicht als Irrweg. Es verletzt in grotesker Weise das KISS-Prinzip („Keep it simple, stupid!“), das designtheoretische Pendant zu Ockhams Rasiermesser, und ist bestenfalls als Thema für akademische Seminare geeignet, nicht aber für den praktischen Einsatz zur Rettung des Patienten Weltklima.

Quellen:
[1] J. Grahl und G. Hübener: Scheinalternative Emissionshandel, Solarbrief 3/07, S. 32-34; http://www.umsteuern-mit-energiesteuern.de/artikel/scheinaltern-eh.html

[2] J. Grahl: Der Emissionshandel – eine Alternative zur ökologischen Steuerreform, Solarbrief
3/02, S. 112-122; http://www.sfv.de/lokal/mails/wvf/zerthand.htm

[3] H. Scheer: Das Kyoto-Syndrom und das Elend neoliberaler Energie- und Umweltökonomie, Solarzeitalter 1/2005, S. 18 – 28

Fußnoten:
1 Endgültig soll hierüber in einer Urabstimmung aller ÖDP-Mitglieder Ende 2012 oder Anfang 2013 entschieden werden.

2 Dies gilt natürlich in ähnlicher Weise für Mengenregulierungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien (wie etwa Quotensysteme).