Notvorrat - von Maria Waffenschmidt

Es ist einige Jahre her, seit das Buch „Blackout“ von M. Elsberg uns in Unruhe versetzte. Durch einen Hackerangriff brechen in Europa alle Stromnetze zusammen. Schnell ist die gesamte Infrastruktur gefährdet, die Kommunikation, der Verkehr, die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Trinkwasser, Treibstoff, Brennstoff, denn alles benötigt mehr oder weniger Strom um zu funktionieren. Soweit die ungefähre Handlung.

Ich fand den Roman wahnsinnig spannend, hätte aber weiter nichts unternommen, wenn nicht ein guter Bekannter mir glaubhaft versichert hätte, dass sowas jederzeit tatsächlich passieren könne. Kristof, ein kräftiger Typ, keiner von der ängstlichen Sorte, hatte sich mit Notvorräten eingedeckt. Essen für mindestens 14 Tage, dazu Wasser und Akkus.
Nach einem ausgedehnten Spaziergang mit Kristof war ich fest entschlossen, es ihm gleich zu tun. Ob Blackout oder GAU in einem AKW, ich wollte vorbereitet sein.

Mein Vorrat bestand schließlich aus einem großen Umzugskarton randvoll gefüllt mit Nudeln, Reis, Öl, Mehl, Zucker, Salz sowie Dosen mit
Fertiggerichten, die mir normalerweise nicht ins Haus gekommen wären, weil ich es bevorzuge, beim Kochen frische Zutaten zu verwenden. Daneben
standen 4 Kästen Gerolsteiner um eventuelle Durststrecken zu überbrücken. Alles fand Platz in unserem Wäschekeller, kühl und gut gelüftet.
Der Sommer kam, der Sommer ging, es wurde Herbst, Winter und irgendwann wieder Sommer – die Katastrophe blieb zum Glück aus.

Irgendwann kam mir der Gedanke, meine Notfallkiste noch einmal zu inspizieren. Die Spaghetti (platzsparender als Fusili) lagen wohlverwahrt in der
Kiste, ebenso der Reis. Der Zucker hatte leider Feuchtigkeit gezogen, das Salz war aus demselben Grund zu einem kompakten Klumpen verdichtet.
Das Öl näherte sich dem Verfallsdatum und die Dosen begannen ein wenig Rost anzusetzen, was meinen Verdacht nährte, dass die Kiste wohl doch
schon deutlich länger als 1 Jahr dort stand. Die Sprudelkästen waren weg, wahrscheinlich nach und nach leergetrunken.

Mein Notvorrat musste also dringend aktualisiert werden. Da es mir grundsätzlich widerstrebt, Nahrungsmittel wegzuwerfen, habe ich vor dem Einkauf frischer Ware versucht, das verklumpte Salz und den Zucker so zu zerkleinern, dass sie wieder rieselfähig und somit verwendbar wurden. Es ist mir nur unzureichend gelungen. Außerdem stand ich vor der Frage, was ich mit 20 Dosen Fertiggerichten tun sollte. Würde meine Familie die Ernährungsumstellung mitmachen? Konnte ich das eingelagerte Öl noch für Salat verwenden oder sollte ich es lieber einem Freund schenken, dessen Auto mit Pflanzenöl fährt?

Fragen über Fragen.

Inzwischen weiß ich von meinen Kolleginnen aus dem Einkauf, wie man es richtig hätte machen müssen. Das Zauberwort heißt Fifo – first in first
out. Praktisch bedeutet das, dass ich nicht von dem esse, was ich gerade eingekauft habe sondern erst prüfe, ob sich das gleiche in meiner
Notfallkiste befindet. Dann wird die alte Ware verwendet und die frische eingelagert.

Ich sollte meine Notvorräte nach dem Prinzip moderner Lagerhaltung organisieren.

Gleichzeitig begann ich zu zweifeln, ob diese Kiste im Keller mir die gewünschte Sicherheit geben kann. Denn wer Zeitung liest und sich informiert, erfährt täglich, dass die Bedrohungslage viel komplexer ist. Da sind die Wetterextreme, bedingt durch den Klimawandel. Bei Hochwasser, wie im letzten Frühjahr an Rhein und Elbe, hätte mir die Kiste im Keller nichts genützt.
Bei einer atomaren Katastrophe wäre es womöglich sinnvoller zu flüchten anstatt nach 2 Wochen festzustellen, dass die Vorräte verbraucht, die
Strahlung aber immer noch immens ist.
Außerdem sollte man die Vorsorge nicht nur auf wenige Ereignisse konzentrieren sondern umfassender gestalten.
Was schützt mich vor Gift im Essen oder vor Feinstaub? Wie entkomme ich einem Selbstmord-Attentäter oder der Totalüberwachung durch die NSA?
Was mache ich, wenn die Russen nicht nur die Ukraine sondern ganz Europa besetzen oder wenn der IS Aachen bombardiert?
Wie begegne ich der Finanzkrise, der Immobilienblase, Altersarmut, Infraschall, Hautkrebs, Darmkrebs, Arbeitsplatzverlust, Beziehungskrisen, Übergewicht, Falten....?

Meine Notfallkiste habe ich nicht mehr aufgefüllt. In unserem Vorratskeller erinnern nur noch 2 Dosen Ravioli und diverse Dosen mit Eintopfgerichten an ihre Existenz.

Jetzt aber mal im Ernst (Nachwort von Wolf von Fabeck)

Also: Ich halte Notvorräte für dringend erforderlich, nicht nur im Dreiländereck, wo uns defekte belgische AKW ängstigen, sondern überall.

Bereits der Übergang vom Nomadenleben zur Sesshaftigkeit, zu Ackerbau und Viehzucht war nur mit dem Aufkommen der Vorratshaltung möglich. Anfangs erfolgte sie in privater Initiative. Doch das änderte sich später: Die Bibel berichtet vom Traum des Pharao von den sieben fetten und den sieben mageren Kühen und von der weisen Entscheidung, staatliche Notvorräte in Ägypten anzulegen. Staatsvorsorge! Das wurde sogar nachträglich verfilmt.

Heute sind wir von der Globalisierung verwöhnt. So lange die staatlichen Strukturen und die Energieversorgung intakt sind, kann man mit
Flugzeugen nicht nur Erdbeeren sondern sogar Massengüter von weit entfernten Regionen der Welt abholen. Die Älteren unter uns erinnern sich noch dankbar an die "Luftbrücke", mit der 1948/49 Amerikaner, Engländer und Franzosen die durch die sowjetische Besatzungsmacht von jeder Versorgung abgeschnittene Stadt Westberlin nicht nur mit Nahrungsmitteln, sondern sogar mit Kohle für die Kraftwerke versorgt haben. Ein ganzes Jahr lang!
Rosinenbomber
(Quelle: Wikipedia "Rosinenbomber")

Doch das ist schon lange her. Die staatlich verordnete Vorratshaltung wurde nach dem Ende des kalten Krieges privatisiert und fiel damit weitgehend weg. Logistik-Unternehmen wetteifern seither in der Kunst, die Lagerhaltungskosten zu minimieren, indem sie die Pünktlichkeit der Transporte erhöhen. Dieses immer stärker ausgefeilte System hat bisher im allgemeinen gut funktioniert.

Auch die individuelle Vorratshaltung wurde in der Folge immer weiter vernachlässigt. Man kann ja innerhalb von ein oder zwei Tagen alle Güter des täglichen Bedarfs einkaufen. Ich kenne liebenswerte Menschen, die das Mehl und das Backpulver für den Nachmittagskuchen erst am Vormittag
mit dem Fahrrad aus der Stadt holen und die bei zwei aufeinanderfolgenden Feiertagen echte Probleme bekommen. Die leihen sich dann beim Nachbarn drei Eier und eine Tüte Mehl aus. Das Überleben der Menschheit scheint dadurch trotzdem nicht mehr gefährdet.

Anders sieht es aber mit dem Überleben der eigenen Familie bei einer regionalen Katastrophe aus.

Vorratshaltung dezentralisieren ist eine bittere Notwendigkeit. Natürlich hilft ein Notvorrat nicht gegen jede Gefahr; absolute Sicherheit gibt es nicht. Aber ein Notvorrat kann immerhin für zwei Wochen vor dem Verhungern und Verdursten beim Zusammenbruch der Wasser-, Lebensmittel-und Medikamentenversorgung helfen (das ist ja sein Zweck)!
Nudeln und Reis, die man erst kochen muss, um sie genießen zu können, sind da wenig geeignet. Schokolade, Haferflocken, Zucker, Salzstangen,
Mineralwasser, Apfel- oder Orangensaft sind bessere Beispiele. Sogar Kinder kann man für das FIFO-System begeistern. Mit einer riesigen Menge
preiswerter halb-bitterer Schokoladentafeln von Edeka oder Kaisers Kaffee. Die kann man auch bei Stromausfall essen. Und die müssen auch
zwischendurch verbraucht werden. Man darf nur nicht warten, bis die vorletzte Tafel aufgefuttert worden ist, denn dann ist es eben kein Notvorrat mehr.

Aber nun kommt das Problem: Ob sich jemand einen Notvorrat einrichtet, ist seine ganz private Entscheidung. Wir möchten deshalb mit den beiden
Artikeln das Thema in die Diskussion bringen.

Übrigens, Ich habe mal nachgefragt und mein heimlicher Verdacht hat sich bestätigt: Maria Waffenschmidt hat ihre Vorratshaltung schon immer nach
dem "FIFO"-System organisiert. So wie das schon ihre Mutter und Großmutter getan hat. In übersichtlichen Regalen, nicht in einem Umzugskarton!