Dies ist mehr als eine Buchrezension, denn hier geht es um DIE Grundsatzfrage überhaupt: Lassen wir das Schicksal seinen Gang gehen oder setzen wir uns zur Wehr, wenn Unvernunft die Lebensgrundlagen unserer Welt systematisch zerstört?

Das Buch „Zehn Milliarden“ von Stephen Emmotts sagt, wir seien verloren, weitere Anstrengungen, den Untergang abzuwenden, seien aussichtslos. Und dieses Buch entwickelt sich zum Sachbuch-Bestseller; eine bedenkliche Entwicklung!

Wer ist Stephen Emmott?

In seinem Buch „Zehn Milliarden“ stellt Emmott sich selbst als Wissenschaftler vor, der zusammen mit jungen Wissenschaftlern in einem Labor in Cambridge komplexe Systeme erforscht sowie den Einfluss, den wir Menschen auf die Erde haben.

Liest man das Buch mit 204 Seiten unkritisch durch, was keine große Mühe bereitet, denn es ist im Layout hervorragend angelegt und enthält viele beeindruckende Bilder aus aller Welt, so kommt man von Seite zu Seite mehr zu dem Schluss, dass die Menschheit nicht mehr zu retten ist. Scheinbar lückenlos weist Emmott nach, dass jeder denkbare Ausweg versperrt ist. Er badet sich und seine Leser geradezu in Hoffnungslosigkeit.

Seine Begründung ist einfach und scheinbar überzeugend: Die Zahl der Menschen nimmt unaufhaltsam zu. Bald werden wir die 10 Milliarden erreicht haben, die dem Buch den Titel geben. Jeglicher Verbrauch nimmt mit der Zahl der Menschen zu. Der Nahrungsmittelverbrauch nimmt zu - wir brauchen eigentlich eine grüne Revolution, sagt Emmott. Der Trinkwasserverbrauch nimmt zu - wir müssten eigentlich das Meerwasser in großem Maßstab entsalzen können, so Emmott. Der Energieverbrauch nimmt zu - wir brauchten eigentlich 14.000.000 Windräder, 36 Mrd. Solarmodule und 23.000 Atomkraftwerke (sic!) sagt Emmott. Der Bedarf an Stromspeichern nimmt zu - wir brauchten eigentlich 1.800 riesige Stauseen, schreibt Emmott (Wo sollen die wohl errichtet werden, fragt sich der Leser). Der Klimawandel nimmt zu - wir brauchten eigentlich Geoengineering, sagt Emmott.

Aber was werden wir stattdessen tun? Wir werden 36.000 Kohlekraftwerke errichten und damit das Klima endgültig ruinieren, prophezeit Emmott.

Emmott macht es sich einfach. Er sieht keinen Ausweg, aber hat er sich denn vollständig umgesehen? In der Frage einer klimafreundlichen und radioaktiv-freien dezentralen Energieversorgung ist er bedauerlich schlecht informiert. Das rasche Aufwachsen von Solar- und Windenergie in Deutschland zwischen 2000 und 2010 z.B. hat er anscheinend nicht wahrgenommen.

Und was will Emmott erreichen, fragt man sich nach der Lektüre?

In seiner Selbstvorstellung erwähnt Emmott nicht, dass er im Jahr 1987 seinen Bachelor of Science in Experimenteller Psychologie an der University of York, England gemacht hat. Mit dieser Vorbildung sollte Emmott eigentlich wissen, was man anrichtet, wenn man eine tonangebende Gruppe von Menschen nicht nur intellektuell sondern auch emotional davon überzeugt, dass es für sie und die von ihnen geführten Mitmenschen keine Hoffnung mehr gibt und dass jeder weitere Veränderungsversuch sinnlos bleibt.

Vollkommene Resignation bei den Einen oder aber die Einstellung: „Genießen wir das Leben jetzt, so lange es noch möglich ist“, bei den Anderen denen es besser geht, werden die Reaktionen sein. Diesen Folgen der Entmutigung begegnen wir überall, sogar bei den höchsten Spitzen unseres Staates.

Und damit kommen wir zu der misstrauischen Frage an Herrn Emmott, den Bachelor für experimentelle Psychologie, wem die von ihm verbreitete Einstellung wohl nützen wird, die alle Veränderungsversuche für sinnlos hält.

Es geht in seinem Buch immerhin auch um den Schutz des Klimas durch Umstellung der Energieversorgung - also um die wichtigste Menschheitsaufgabe dieses Jahrhunderts überhaupt. Diese Aufgabe müssen wir in der Tat so rasch wie möglich lösen. Denn auf Energie können wir nicht einfach verzichten. Ohne Energieeinsatz geht buchstäblich nichts auf dieser Welt (ein wichtiger Hauptsatz der Physik)!

Aber die Umkehr dieser Überlegung gilt ebenso: Mit genügend umweltfreundlich erzeugter Energie könnten wir viele Probleme lösen, die von Emmott als unlösbar angesehenen werden, z.B. das Meerwasser entsalzen, Geoengineering betreiben, wenn es sein muss, Kunststoffe und künstliche Nahrung aus dem CO2 der Atmosphäre herstellen usw. Wir könnten es!

Mit der Energiefrage hätten wir das Problem gelöst, das einem Wachsen der Menschheit grundsätzlich entgegensteht. Natürlich gibt es dann weitere Probleme zu lösen - allen voran das Verteilungsproblem. Und eine Erfolgsgarantie kann niemand geben. Aber der Weg in die Zukunft steht wieder offen.

Aber wenn wir durch Nutzung fossiler Energien das Klima weiter schädigen, dann wären wir in der Tat rasch verloren. Und davon geht Emmotts aus. Auf Seite 159 fasst er zusammen, dass die „Grünen Technologien“ wie er sie pauschal bezeichnet, keine realistische Option für unseren Planeten darstellen.

Seinen Vorschlag, den Bau von 23.000 Atomkraftwerken, hat er sich genau überlegt; auf Seite 164 bekräftigt er, er hätte nie gedacht, dass er so etwas einmal sagen würde. Sein Ruf nach der Atomenergie also als letzter Verzweiflungsschrei! Ernst gemeint oder als Absurdität?

Wie auch immer, man ahnt plötzlich im Hintergrund den Beifall der großen Energieversorgungskonzerne RWE, EON, EDF und TEPCO.

Warum erwähnt Stephen Emmott nicht, dass Solar- und Windanlagen gemeinsam mit dezentralen Pufferspeichern und Saisonspeichern eine vollständige Energieversorgung übernehmen können? Hat er sich mit dieser Möglichkeit noch nie auseinander gesetzt? So verpasst er genau die Chance, von der er behauptet, dass sie nicht existiert. Tragisch! Oder berechnend?

Fassen auch wir zusammen:

Ein beeindruckendes Buch mit hervorragend aufgelockertem Layout, stilistisch kurz und knapp, ohne lange Umschweife. Eine perfekte Ausrede für alle, die sich nicht mehr engagieren und nichts mehr hinzulernen wollen.

Doch wer Widerstand leisten will, braucht dieses Buch nicht.