Herrn Minister Johannes Remmel
Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen
40190 Düsseldorf

 

Anlagen
 
1 - Offener Brief des SFV vom 2.3.2017 an NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und NRW-Umweltminister Johannes Remmel
 
2 - Erwiderung von Johannes Remmel vom 4.4.2017 auf den offenen Brief des SFV
 
3 - Gutachten vom 09.12.2016 des Büros für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH (BET) Unterauftragsnehmer: Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft - Lehrstuhl Univ.-Prof. Dr. - Ing. Albert Moser
"zur Stromversorgung Belgiens im Falle eines Atomausstieges"

 


Sehr geehrter Herr Minister Remmel,


für Ihre ausführliche Antwort (Anlage 2) auf unseren offenen Brief vom 2.3.2017 (Anlage 1) danken wir Ihnen.

In Ihrer Antwort (Anlage 2) haben Sie versichert, dass die Landesregierung alles in ihrer Macht Stehende tut, um die vorgeschädigten belgischen Atomreaktoren Tihange 2 und Doel 3, "diese tickenden Zeitbomben" so schnell wie möglich vom Netz zu nehmen, und dass das BET-Gutachten (Anlage 3) dabei sogar hilfreich sein soll.
Wir befürchten allerdings im Gegenteil, dass der Eindruck entsteht, Ihr Ministerium und das Land NRW würden dem Gutachten folgen wollen. Und deshalb wenden wir uns erneut an Sie.

Was schlägt das BET-Gutachten vor?

Auf Seite 64 des Gutachtens findet sich unter der Überschrift "ZUSAMMENFASSUNG UND HANDLUNSGEMPFEHLUNG" ein entscheidender Satz, den sicher keiner von uns hinnehmen will. Er lautet wörtlich: "Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass unter den angenommenen Randbedingungen ein teilweiser Kernenergieausstieg der Blöcke Tihange 2 und Doel 3 bereits in 2020 umsetzbar ist." (Als notwendige Randbedingung wird dann weiter unten die Inbetriebnahme der geplanten unterirdischen Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitung HGÜ Aachen-Lüttich ALEGrO im Jahr 2020 genannt.)

Nicht nur inhaltlich, sondern auch in Stil und Form halten wir diese "Zusammenfassung und Handlungsempfehlung" des BET-Gutachtens für eine versteckte Unverschämtheit, die Sie anscheinend so nicht wahrgenommen haben.

Mit der Zeitangabe "bereits in 2020" wird Ihnen als dem Auftragsgeber unterstellt, es sei Ihnen mit Ihrer Forderung nach einer sofortigen Abschaltung nicht ernst gewesen ("sofort" bedeutet "jetzt im Jahr 2017", nicht aber "im Jahr 2020").
Die Gutachter übergehen in herablassender Weise die berechtigte Forderung des Landes NRW nach Sofortabschaltung.

Dabei hätte ein ernst gemeintes Gutachten für das Jahr 2017 durchaus hilfreich sein können. Es hätte in seiner Zusammenfassung formal etwa so aufgebaut und formuliert sein können:

"Bei der vom Auftraggeber des Gutachtens geforderten sofortigen dauerhaften Stilllegung der beiden AKW-Blöcke Tihange 2 und Doel 3 im Jahr 2017 kann es unter besonders ungünstigen Umständen, d.h. beim Eintritt besonderer "Stressfaktoren" (die dann aufgezählt werden müssten) zu folgenden Nachteilen kommen:
a) für die belgischen Stromverbraucher ...
b) für die belgischen Kraftwerksbetreiber ...
c) für die belgische Wirtschaft ...
d) für die angrenzenden Länder ...

Um eine solche seriöse und brauchbare Antwort zu erstellen, dazu hätten die Gutachter freilich die sorgfältigen Berechnungen und Abwägungen, die sie im vorliegenden BET-Gutachten systematisch für das Jahr 2020 angestellt haben, nunmehr in gleicher Vollständigkeit und Sorgfalt für das eigentlich zu untersuchende Jahr 2017 ausführen müssen. Das haben die Gutachter aber nicht getan. Das Jahr 2017 wird in dem BET- Gutachten nur lückenhaft behandelt und in der Zusammenfassung nicht erwähnt.

Haben Sie, sehr geehrter Herr Minister, insofern bereits eine nachträgliche vollständige Erfüllung des Auftrages angemahnt? Welche Nachteile bei einer Sofortabschaltung der beiden Bröckelreaktoren möglicherweise zu erwarten sind, dazu sollten sich die Gutachter schon noch äußern müssen.
Immerhin waren die AKW-Blöcke Tihange 2 und Doel 3 im Jahr 2015 von Jahresbeginn bis Mitte Dezember gleichzeitig abgeschaltet.

Einsatzzeiten der AKW-Kraftwerksblöcke im Jahr 2015 und 2016

Einsatzzeit Tihange2 u. Doel3.

Quelle: BET-Gutachten - Hervorhebung der Blöcke Thiange 2 (T2) und Doel 3 (D3) durch SFV - Zur Vergrößerung in das Bild klicken

Dass es dabei zu keinen nennenswerten Störungen in der belgischen Stromversorgung gekommen ist, wird in der Zusammenfassung des BET-Gutachtens nicht kommentiert.


Leider haben Sie, Herr Minister, das Gutachten (Anlage 3) am 25.01.2017 OHNE RICHTIGSTELLUNG oder Kommentierung an die Präsidentin des Landtages zur Weiterverteilung an die Landtagsabgeordneten übersendet und auf Ihrer Ministeriums-Internetseite veröffentlicht. Sie haben es auch im Februar 2017 an die belgische Regierung übergeben, wie wir aus Ihrer Antwort (Anlage 2) entnehmen konnten.

Mit der kommentarlosen Veröffentlichung und Weitergabe des BET-Gutachtens an die Abgeordneten des NRW-Landtages und an die belgische Regierung erwecken Sie nun - ungewollt - den Eindruck, Sie teilten die Ansicht der Gutachter und seien bereit, mit der Stilllegung von Tihange 2 und Doel 3 noch drei Jahre bis zur Fertigstellung der Fernübertragungs-Stromleitung ALEGrO von Aachen nach Lüttich zu warten, die im BET-Gutachten auf Seite 64 als Vorbedingung genannt wird.
Damit schwächen Sie Ihre und die NRW-Verhandlungsposition.

Was wir von Ihnen, sehr geehrter Herr Minister Johannes Remmel, nun erhoffen, ist deshalb eine unmissverständliche Erklärung in der Öffentlichkeit und insbesondere auch an die belgische Regierung gerichtet, dass Sie die Folgerungen aus dem BET- Gutachten nicht akzeptieren, sondern weiterhin auf einer Sofortabschaltung (2017) von Tihange 2 und Doel 3 bestehen, sogar dann, wenn es dadurch drei Jahre lang unter außergewöhnlich unwahrscheinlichen Umständen möglicherweise zu vorübergehenden Stromabschaltungen in Belgien kommen könnte.

Dazu wäre eine für jeden Bürger Deutschlands, Belgiens der Niederlande und Frankreichs verständliche Gegenüberstellung der unterschiedlichen Risiken hilfreich:

  • Einerseits beim fortgesetzten Betrieb der Bröckelreaktoren über weitere drei Jahre bis 2020 die ständige Drohung einer unbeherrschbaren Kernschmelze in Mitteleuropa mit Unbewohnbarkeit großer Landesteile.

 

  • Andererseits bei Sofortabschaltung von Tihange 2 und Doel 3 im ungünstigsten Fall das Risiko zeitweiliger vorübergehender ungeplanter Stromabschaltungen in Belgien.

Wir bitten Sie höflich und dringlich, diesen Vergleich der unterschiedlichen Risiken so schnell wie möglich öffentlich zu machen.

Uns geht es darum, auch im NRW-Wahlkampf das Bewusstsein für die extreme Gefährdung von Millionen von Bürgern durch die tickenden Zeitbomben in Tihange 2 und Doel 3 nicht einschlafen zu lassen.


Mit guten Wünschen für einen baldigen Erfolg bei der Sofortabschaltung von Tihange 2 und Doel 3,


Wolf von Fabeck

für den Vorstand des Solarenergie-Fördervereins Deutschland (SFV)


Nebenabschrift
Landtagspräsidentin
Frau Carina Gödecke MdL
Platz des Landtags 1
40221 Düsseldorf

mit der Bitte um Verteilung dieses offenen Briefes an die Mitglieder des Landtages Nordrhein-Westfalen