Endlich Ins Handeln kommen  

Wo wir für die Energiewende aktiv werden können.

 

Auf den nachfolgenden Seiten stellen wir verschiedene Handlungsarenen vor, auf denen sich Menschen um Lösungen für die Klimakrise bemühen. Wir reißen einige Vorzüge, aber auch Probleme der einzelnen Arenen an – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Wir hoffen, damit zu weiteren Diskussionen anzuregen. Das eine Patentrezept haben wir nämlich auch nicht; wahrscheinlich gibt es das auch überhaupt nicht.

Den Einleitungen in die Handlungsarenen haben wir nicht nur Tipps für die weitere Beschäftigung hinzugefügt – Bücher, Videos, Petitionen und manches mehr. Sondern wir vertiefen sie auch mit exemplarischen Texten, für die wir namhafte Gastautor:innen gewinnen konnten. Auch diese Texte sind als Diskussionsbeiträge zu verstehen. Es geht hier nicht um die Verkündung einer „offiziellen“ SFV-Linie; das würde ja zu einer wenig hilfreichen Verengung des Stimmen-Spektrums führen. Wir haben aber durchwegs Texte erhalten, die wichtige, konstruktive Ansätze in den laufenden Strategie-Debatten verkörpern.

Wir wünschen Ihnen eine gewinnbringende Lektüre und freuen uns auf Ihr Feedback. Gerne drucken wir auch Ihre Leserbriefe ab (wobei wir uns Auswahl und Kürzungen vorbehalten müssen).

 

R. Haude: Die globale Klimakatastrophe droht außer Kontrolle zu geraten, aber das politische System tut noch immer so, als gebe es wichtigere Probleme. Wir beim SFV setzen uns seit über 35 Jahren dafür ein, einen Ausweg aus dieser Krise zu finden. Wir hatten einige Erfolge, aber es geht nicht schnell genug! Es stellt sich also die Frage: wie kommen wir endlich ins Handeln? Und vor allem: was sollten und können wir tun?

Sind vielleicht Wahlen das Instrument, das klimapolitisch Notwendige durchzusetzen? Es tut sich ja gerade etwas im Parteienspektrum. Aber ich glaube, dass die Politiker:innen in Berlin oder Düsseldorf am Ende weniger ihren Wahlprogrammen verpflichtet sind als dem Druck von außen. Und da sind Fossil- und Autolobby einfach stärker als die Klimagerechtigkeitsbewegung.

 

S. Jung: Viele spüren diese Sackgasse, und auch ich habe das Vertrauen verloren, dass die Politik jetzt wirklich alles in Bewegung setzt, um die Brandherde zu löschen und Ursachen anzupacken. Und das, obwohl die Situation dramatischer nicht sein kann. Die Erderhitzung ist so real und die Veränderungen überall sichtbar. Mich bewegt sehr, dass bereits die ganz Kleinen im Kindergartenalter sorgenvoll über die Zukunft kommunizieren. Am Thema Klima kommt niemand mehr vorbei. Wieviel Zeit bleibt uns noch und haben wir eine Chance? Das sind die Fragen, die sich die junge, aber auch unsere Generation stellen.

Und gleichzeitig spüren wir in der Gesellschaft aber auch diese Kraft, sich aufzumachen, um gesellschaftliche Strukturen und Wirtschaftsweisen infrage zu stellen und neue Wege zu gehen. Der öffentliche Protest wird lauter und die Handlungs-Arenen für Nachhaltigkeit und Klimaschutz immer vielfältiger. Reicht das Engagement der Klimabewegung?

 

R. Haude: Wir beim SFV haben es ja immer vor allem mit Überzeugungsarbeit versucht. Das ist ja auch ein gutes Instrument, aber es dauert immer sehr lange, bis sich gute Ideen dann im parlamentarischen Prozess durchgesetzt haben. Greta Thunberg hat gesagt: “Das Haus brennt!” Sie hat Recht! Aber wenn es brennt, fängt man ja nicht an, darüber zu diskutieren, ob womöglich die Feuerwehr gerufen werden soll, und wenn ja, auf welchem Dienstweg. Man fängt an zu löschen! - Bedeutet das bei der Klimakatastrophe nicht, die fossilen Verbrenner mit allen Mitteln zu stoppen? Können da nicht Schritte gerechtfertigt sein, auch wenn sie verboten sind?  

 

S. Jung: Ich habe großen Respekt davor, wenn Protestformen genutzt und enorme persönliche Risiken eingegangen werden, um die Dramatik der Klimazerstörung und deren Verursacher in die öffentliche Wahrnehmung zu rücken. Die Arbeit der Klimaaktivisten ist von großer gesellschaftlicher Wichtigkeit. Aber welche ihrer Aktionsformen sind denn tatsächlich verboten?

In § 20 des Grundgesetzes findet man, dass jeder Bürger und jede Bürgerin das Recht auf zivilen Ungehorsam hat, wenn der Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung anders nicht mehr möglich ist. Da die dramatische Erderhitzung dazu führt, unsere Grundrechte auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit, auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf Freiheit zu bedrohen, sind gewaltfreie Protestformen völlig gerechtfertigt. Wenn der Staat nicht hinreichend handelt und auch sonst nichts anderes mehr hilft, um das Überleben zu sichern, muss aktiver Widerstand möglich sein.

Aber haben wir überhaupt schon alle privaten Handlungsebenen und die in Legislative, Exekutive und Judikative ausgeschöpft?

 

R. Haude: Das Problem liegt ja im Tempo! Wie viele Gerichtsinstanzen können wir angesichts der galoppierenden Klimakatastrophe abwarten, bis wir sagen: Es ist alles ausgeschöpft? Der BUND hat mal gegen die Enteignung einer Wiese im Braunkohlerevier geklagt. Als sie nach einigen Jahren Recht zugesprochen bekamen, gähnte anstelle der Wiese ein 300 Meter tiefes Loch.

Dennoch ist der Rechtsweg für uns oft ein Weg gewesen, auf dem wir besser vorwärts kamen als auf dem parlamentarischen Weg. Wie schätzt du das ein? Sind Richter:innen die besseren Klimapolitiker:innen?

 

S. Jung: Leider nein. Wir haben zwar mit unserer Klimaklage im April letzten Jahres eine der weitreichendsten juristischen Entscheidung eines Obersten Gerichts erstritten und gehofft, dass die Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik an einer prioritären Beurteilung des Klimaschutzes nicht mehr vorbeikommt. Aber auch uns holte die Realität schnell auf den Boden zurück. Die Gesetze wurden kaum geändert, die kommunalen und länderspezifischen Planungen zur Wind- und Solarenergie nur marginal nachjustiert und die Hemmnisse allenfalls benannt, aber nicht beseitigt. Hier müssen wir unbedingt dran bleiben.

Eine wichtige Veränderung hat es in den letzten Monaten aber doch gegeben: die öffentliche Einsicht für radikalen Klimaschutz hat sich verstärkt. Allerorts regt sich der dringende Wunsch, die Energiewende selbst in die Hand zu nehmen.

 

R. Haude: Ja; und nicht nur aufgrund des Urteils! Es gibt so vieles, was Millionen Menschen schon jetzt tun: Eine Solaranlage aufs eigene Dach setzen oder sich an einer Bürgerenergie-Genossenschaft beteiligen; zu einem Stromanbieter wechseln, der nur Erneuerbare im Angebot hat; zu einer Bank wechseln, die keine fossilen Infrastrukturen unterstützt; das eigene Konsum- und Verkehrsverhalten klimafreundlicher gestalten.

Aber auch wenn es Millionen sind, ist es doch eine Minderheit. Wir brauchen diese Veränderungen im Grunde genommen bei allen Menschen, und dafür benötigen wir die politischen Rahmensetzungen. Ärmere Menschen müssen auch erst einmal finanziell in die Lage versetzt werden, sich noch klimafreundlicher zu verhalten.

 

S. Jung: Unbedingt! Und es sind ja nicht die Ärmeren, die den größten CO₂-Rucksack tragen. Es ist statistisch klar belegbar, dass ein höheres Einkommen zu einem größeren Konsum und  deutlich größerem Pro-Kopf-Ausstoß an Treibhausgasen führt. Um alle Menschen mitzunehmen, braucht es einen Staat mit starken Klimaschutzgesetzen, mit klaren Lenkungsmechanismen und mit umfassenden sozialen Hilfeleistungen. Und es braucht eine Abkehr von diesem seit Jahrzehnten geschürten Wachstumsdogma.

Was glaubst Du? Nutzen die vielen kleinen und größeren Energiewende-Schritte, die wir auf den nachfolgenden Seiten darstellen und diskutieren? Braucht es nicht viel größere Veränderungen?

 

R. Haude:  Ich glaube, es ist schon viel gewonnen, wenn wir nicht einen Ansatz als den allein seligmachenden betrachten, sondern erkennen, dass viele Arenen sich auch gegenseitig unterstützen können. Wir Menschen haben ja unterschiedliche Temperamente und sollten sie mit den jeweils angemessenen Handlungsformen zur Geltung bringen.

Aber trotzdem müssen wir auch kontrovers diskutieren können: Nutzt oder schadet es dem Klima, wenn ich einen Elektro-SUV kaufe? Beeinträchtigen radikale Aktionsformen die Akzeptanz der Klimagerechtigkeitsbewegung? Beruhigt der Stromanbieterwechsel nur das Gewissen und wirkt dadurch demobilisierend? Sollten wir den Kapitalismus ökologisch zähmen, oder ihn überwinden?

 

S. Jung: Über all die Fragen haben wir im SFV-Team schon sehr häufig diskutiert. Ich freue mich deshalb über diesen Solarbrief. Er beinhaltet ein so großes Angebot von Themen des öffentlichen Klimaschutz-Diskurses. Und er bietet Raum für vielfältige Meinungen und Erfahrungen. Es wäre toll, wenn die Beiträge einen Anstoß geben würden - zur Diskussion und im besten Fall für ein weiteres persönliches Engagement für mehr Klimaschutz.

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