Der Vorwahlkampf hat bereits begonnen. Sigmar Gabriel, Chef und Spitzenkandidat der SPD ist als Wirtschaftsminister verantwortlich für die Energiewende, d.h. für den Umstieg auf die CO2-freien Erneuerbaren Energien, weg von Kohle, Erdöl und Erdgas sowie weg vom Atom.

Wie Sigmar Gabriel diese Aufgabe wahrgenommen hat, stellt er in einem "Impulspapier des BMWi" unter der Internetadresse https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Energie/impulspapier-strom-2030.html zur öffentlichen Diskussion. Dort heißt es einleitend: "Das Impulspapier identifiziert zwölf robuste, langfristige Trends einer sicheren, kostengünstigen und klimafreundlichen Stromversorgung bis 2050."

Offensichtlich ist Gabriel bewusst, dass die Mehrheit der Bevölkerung aus Klimaschutzgründen eine rasche Klimawende wünscht. Entsprechend stellt er die Arbeit seines Ministeriums als erfolgreich in dieser Hinsicht dar.

Der Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) wird im Folgenden einige Hinweise dazu geben, wo die Selbstdarstellung des BMWi allzu weit von den tatsächlichen Verhältnissen abweicht oder wo die vom BMWi angesteuerten Ziele die Energiewende nicht voranbringen sondern ausbremsen. Wir halten uns dabei an das Inhaltsverzeichnis des Impulspapiers und deuten an, was sich hinter den dort angepriesenen "robusten langfristigen Trends" verbirgt.


 

Trend 1: Die fluktuierende Stromerzeugung aus Wind und Sonne prägt das System (Seite 9 des Impulspapiers)

Das Impulspapier behauptet wahrheitswidrig, das Stromversorgungssystem würde sich an die Sonderheiten der fluktuierenden Stromquellen anpassen. Doch leider ist das nicht der Fall und es ist von Seiten des BMWi auch nicht so gewollt. Dazu werfen wir einen Blick in das vom BMWi formulierte und von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Erneuerbaren-Energien-Gesetz EEG 2017. Dort heißt es ganz im Gegenteil:
   § 2 Grundsätze des Gesetzes, Absatz 1
   "Strom aus erneuerbaren Energien und aus Grubengas soll in das Elektrizitätsversorgungssystem integriert werden."

SFV Kommentar: Das Impulspapier entspricht im entscheidenden Punkt NICHT dem jüngst verabschiedeten EEG 2017. Nicht das Elektrizitätsversorgungssystem soll sich, wie das Impulspapier schönfärbend behauptet, an die Besonderheiten der fluktuierenden Stromerzeugung anpassen, sondern der fluktuierende Strom aus Erneuerbaren Energien (EE) soll sich nach EEG 2017 an das bestehende atomar-fossile Elektrizitätsversorgungssystem anpassen. Dazu ist er jedoch ohne massiven Ausbau von Stromspeichern nicht in der Lage. Siehe dazu den Beitrag "Stromspeicher - Engpass der Energiewende".
Außerdem zwingt Gabriel die Erneuerbaren Energien, die kaum externe Kosten aufweisen, in einen Preiswettbewerb zu konventionell erzeugten Energien, die ihre extrem hohen externen Kosten nicht selbst tragen müssen. Dazu siehe unseren Beitrag "CO2- und Brennelementesteuer".

Trend 2: Der Einsatz fossiler Brennstoffe im Kraftwerkspark geht deutlich zurück. (Seite 12)

Das ist Schönfärberei! Der Einsatz fossiler Brennstoffe ist bei weitem nicht in dem Tempo zurückgegangen, wie die Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien zugenommen hat. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass Fossilstrom nicht abgeregelt wurde, sondern mehr Strom ins Ausland exportiert wurde. Seit 2011 hat der Exportüberschuss von Strom aus Deutschland ins europäische Ausland von Jahr zu Jahr zugenommen. Die Grenzkuppelstellen werden zu diesem Zweck sogar weiter ausgebaut.

Trend 3: Die Strommärkte werden europäischer (S. 14)

Über diese Entwicklung sind wir nicht erfreut. Gerade die Regionalität der Strommärkte eröffnet die Möglichkeit durch gezielte Preissignale regional notwendige Entwicklungen anzureizen. Der große Vorteil der Erneuerbaren Energien Sonne und Wind ist ja gerade die Möglichkeit, die Erzeugungsanlagen verbrauchernah zu installieren. Die Verbrauchernähe und Dezentralisierung spart Netzkosten, vermeidet Transportverluste und erhöht die Sicherheit gegenüber Wetterextremen und Terrorakte.

Trend 4: Versorgungssicherheit wird im Rahmen des europäischen Strombinnenmarkts gewährleistet (S. 16)

Die hier aufgestellte Behauptung geht davon aus, dass Ausfälle technischer Art in einem Teilgebiet durch Lieferungen aus anderen Teilgebieten Europas ausgeglichen werden können. Dazu fehlen die technischen Voraussetzungen: Keines der europäischen Länder hat Überkapazitäten, aus denen es den anderen Ländern abgeben kann, wenn in ganz Mitteleuropa Sonne und Wind nachlassen. Es fehlen insbesondere Stromspeicher, die eventuelle Überschüsse aus Sonnen- und Windenergie für Zeiten der Dunkelflauten aufbewahren können.

Trend 5: Strom wird deutlich effizienter genutzt (S. 18)

Falls irgendwo die Effizienz gestiegen ist, so ist das nicht auf eine Aktivität des BMWi zurückzuführen. Effizientere Nutzung von Strom braucht wirtschaftliche Anreize. Doch daran fehlt es. So werden z.B. gerade die Stromvielverbraucher weitgehend von der EEG-Umlage befreit - das ist eher ein Anreiz zum Vielverbrauch

Trend 6: Sektorkopplung: Heizungen, Autos und Industrie nutzen immer mehr erneuerbaren Strom statt fossiler Brennstoffe (S. 20)

Wenn mehr Strom aus Erneuerbaren Quellen in das Stromnetz eingespeist wird, erhält JEDER Stromverbraucher einen höheren Prozentsatz an EE-Strom, das ist trivial. Was hier aber verschwiegen wird ist die Tatsache, dass der Zubau an Solar- und Windanlagen bewusst durch das EEG 2017 verlangsamt wird. "Ausbaukorridore" mit festen Obergrenzen und Ausschreibungen von Solar- und Windanlagen wurden sogar ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen, um das Tempo des Ausbaus "planbarer" zu machen. https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/E/eeg-novelle-2017-eckpunkte-praesentation,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf

Der Zubau neuer Wind- und Solaranlagen betrug im Jahr 2012 insgesamt 12 GW. Im Jahr 2015 betrug er nur noch 5 GW (die Zubauleistung von Wind und Solar jeweils addiert)

Der Zubau nahm somit nicht schneller, sondern nur noch langsamer zu.

Zubau an Solar- und Windanlagen
Zubaugrafik Wind u Solar

eigene Darstellung

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Ursächlich für die Verlangsamung des Wachstums der Erneuerbaren Energien ist das vom BMWi formulierte EEG 2017 durch den sogenannten "atmenden" Deckel" in § 46a Absatz 2 für die Windenergie und § 49 Absatz 2 für die Solarenergie. Der "atmende Deckel" ist eine Regelung, mit der die gesetzliche Einspeisevergütung für Wind- und Solarenergie um so stärker abgesenkt wird, je mehr Wind oder Solaranlagen ihre jeweiligen jährlichen Zubaugrenzen von 2,5 GW überschreiten. Ein widersinniges Förderverfahren, bei dem jeder Erfolg durch Kapitalentzug bestraft wird.

Darüber hinaus und grundsätzlich stellen die vom BMWi formulierten Obergrenzen für den jährlichen Ausbau von Wind- und Solaranlagen einen eklatanten Verstoß gegen die Forderung der Pariser Klimakonferenz zu vermehrten Anstrengungen bei der Dekarbonisierung dar.

Trend 7: Moderne KWK-Anlagen produzieren den residualen Strom und tragen zur Wärmewende bei (S. 22)

KWK, also Kraft-Wärmekopplungsanlagen, nutzen keine kohlenstofffreie Brennstoffe. Sie produzieren keinen CO2-freien Strom und keine CO2-freie Wärme. Insofern ist das nicht die gewünschte Wärmewende.

Trend 8: Biomasse wird zunehmend für Verkehr und Industrie genutzt (S. 24)

Nach Aussage des UBA weisen Energiepfade auf Basis der Anbaubiomasse ein deutlich geringeres, (ggf. sogar negatives) Klimaschutzpotenzial als Wind- und Solarenergie auf. Deswegen und aus vielen anderen Nachhaltigkeitsgründen hat das UBA in seiner Veröffentlichung zum "Treibhausgasneutralen Deutschland im Jahr 2050" auch Anbaubiomasse aus seinem Lösungsraum ausgeschlossen. http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/treibhausgasneutrales_deutschland_im_jahr_2050_langfassung.pdf.

Trend 9: Gut ausgebaute Netze schaffen kostengünstig Flexibilität (S. 26)

Die Bundesregierung setzt auf den Ausbau der Fernübertragungsnetze von Nord- nach Süddeutschland, doch diese Netze können keinen Wind- oder Solarstrom übertragen, wenn es dunkel ist und in Mitteleuropa nur wenig Wind weht.

Sogenannte "Dunkelflauten" kommen häufiger vor. Im Jahr 2016 zum Beispiel 52 mal http://www.sfv.de/artikel/naechte_ohne_ausreichende_windenergie_im_deutschen_stromnetz.htm

Bei den Windvorhersagen des Deutschen Wetterdienstes erkennt man solche Wetterlagen daran, dass über Mitteleuropa ein Hoch liegt und rund um dieses Hoch der Abstand zu den nächsten Isobaren extrem groß ist.

Bei solchen Wetterlagen ist ohne Zubau von Solar- und Windanlagen in allen Regionen von Deutschland und ohne massiven Zubau von dezentralen chemischen Langzeitspeichern in der Nähe von Solar- und Windparks keine Versorgung mit Strom aus Erneuerbaren Energien möglich. Die Fernübertragungstrassen erweisen sich in solchen Nächten als milliardenschwere Fehlinvestitionen.

Wer auf Netzausbau setzt, wenn es gilt, ZEITLICHE Leistungsverschiebungen zu erreichen, der hat nicht verstanden, dass Stromnetze die Leistung ÖRTLICH verschieben, während nur Stromspeicher elektrische Leistung ZEITLICH verschieben können.

Trend 10: Die Systemstabilität bleibt bei hohen Anteilen erneuerbarer Energien gewährleistet (S. 28)

Hier handelt es sich um einen Wunschtraum, so lange nicht ernsthaft ein massiver Zubau dezentraler Stromspeicher auf Batterie- oder Power to Gas- oder Power to Liquid-Basis erfolgt.

Trend 11: Die Netzfinanzierung erfolgt fair und systemdienlich (S. 30)

Derzeit liegen die Renditen bei üblichen Geldanlagen nahezu bei null Prozent. Die vom BMWi zugesagte Eigenkapitalrendite von 6 Prozent beim Ausbau der Fernübertragungstrassen durch die Übertragungsnetzbetreiber, die von den Stromkunden zu tragen ist, kann man wohl kaum als fair und systemdienlich bezeichnen. Sie dient im wesentlichen der Fortsetzung des Verkaufs von Kohlestrom, hat mit Energiewende also nichts zu tun.
Siehe dazu auch unseren Hinweis zu Trend 9.

Trend 12: Die Energiewirtschaft nutzt die Chancen der Digitalisierung (S. 32)

"Digitalisierung" bedeutet im ursprünglichen Wortsinn die Umwandlung analoger Signale in digitale Signale und damit eine Verbesserung der Signalübertragung. Die Stromwirtschaft und das BMWi verstehen darunter allerdings das Auswechseln von analogen Stromzählern (Ferraris-Zählern) gegen sogenannte intelligente Zähler, "Smart Meters".

Die bisher üblichen analogen Ferraris-Stromzähler zeigten den Stromverbrauch zwischen zwei Ablesezeitpunkten mit einem mechanischen Zählwerk in kWh ablesbar an. Die zukünftigen Smart Meters machen nicht nur die gelieferte elektrische Arbeit, sondern die zu jedem Zeitpunkt aufgenommene elektrische Leistung (in kW) jedes Stromverbrauchers und die von jedem EE-Anlagenbetreibern eingespeiste Leistung und ihren fortwährenden Verlauf zu jedem beliebigen Zeitpunkt funktechnisch fernablesbar. Sie sollen außerdem später mit Zusatzeinrichtungen versehen werden, die die Leistungsaufnahme des Haushaltes oder die Leistungsabgabe von EE-Anlagen einschränken oder sogar völlig unterbinden können.

Wer den Verschlüsselungsalgorithmus kennt (oder geknackt hat) kann jede Anlage fernablesen und fernbedienen. Die unbefugte Fernabschaltung aller Verbraucher oder die unbefugte europaweite gleichzeitige Fernabschaltung aller Solar- und Windanlagen und KWK-Anlagen wird damit perfektioniert. Ein ständig zunehmendes Sicherheitsproblem! Das Buch "Blackout" von Marc Elsberg zeigt einen von vielen denkbaren Sabotageabläufen als wirklichkeitsnahen spannenden Krimi auf!

Hier handelt es sich in der Tat um einen "robusten langfristigen Trend", der aber aus unserer Sicht keineswegs erwünscht ist. Eine Berichtigung der bereits gesetzlich angeordneten Entwicklung ist kaum noch denkbar. Die Ausstattung der Millionen von Messstellen mit Smart Meters ist ein Milliardengeschäft für die mit der Stromwirtschaft zusammenarbeitenden Herstellerfirmen.

Für die Betreiber älterer EE-Anlagen, die bisher eigene analoge Stromzähler selbst angeschafft und selbst abgelesen haben, ergeben sich kostspielige Neuanschaffungen und die Verpflichtung, einen professionellen Messstellenbetreiber kostenpflichtig zu beauftragen. Eine nachträgliche Belastung für die Wirtschaftlichkeit der EE-Betreiber und ein enteignungsähnlicher Vorgang! Siehe dazu auch [link: http://www.sfv.de/artikel/messstellenbetriebsgesetz_msbg.htm, den Beitrag zum Messstellenbetriebsgesetz. *)

Ausdrücklich weisen wir darauf hin, dass es bessere Alternativen zur Steuerung der Netzauslastung gibt: Programme, die beim Endkunden ohne zentrale Steuerung vollautomatisch richtig reagieren. Zur Durchführung dieser Programme benötigt man Spannungs- und Frequenzmesser sowie dezentrale Stromspeicher. Von jedem Netzanschlusspunkt aus kann man durch Beobachtung der Netzfrequenz das europaweite Gleichgewicht von Stromerzeugung und Stromverbrauch überprüfen und durch Beobachtung des Spannungsverlaufs das lokale Gleichgewicht.

Wir brauchen keine zentrale allmächtige und allwissende Steuerzentrale, sondern die Schwarmintelligenz von Millionen automatisch richtig reagierender Verbrauchs- und Erzeugungsanlagen.


Für den Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV)

Dipl.-Ing. Wolf von Fabeck
Geschäftsführer

*) Nachträgliche Anmerkung von Susanne Jung am 06.03.2017: Sofern es sich um Bestandszähler handelt, die für die Abrechnung von Strom aus Anlagen bis 7 kW genutzt werden, muss keine Umrüstung umgesetzt werden. Die Anforderungen an den Messstellenbetrieb kann - so die Rechtsauffassung der Clearingstelle EEG - in großen Teilen vom Anlagenbetreiber selbst durchgeführt werden. Nur die Messwertaufbereitung im EDIFACT-Format beherrschen
Anlagenbetreiber in aller Regel nicht. Hierzu müssen Dritte beauftragt werden.]]