Die Lähmung globaler ökologischer Konsensstrategien

Warum auch die Internationale Konferenz über Erneuerbare Energien am entscheidenden Momentum versagte

Hermann Scheer

Quelle: Solarzeitalter 2/2004

Globale Herausforderungen können nur mit globalen, einvernehmlich ausgehandelten Strategien bewältigt werden, so das Leitmotiv internationaler Umweltpolitik. Die Gründe wirken überzeugend: Schadstoffe, die in die Atmosphäre oder in Gewässer entlassen werden, kennen keine nationalstaatlichen Grenzen. Die staatlichen Hoheitsgebiete, in denen sie verursacht werden, sind großenteils nicht identisch mit denen, wo die Schadenswirkung unmittelbar spürbar wird. Je mehr überdies die wirtschaftlichen Ströme internationalisiert werden und je mehr sich dabei der globale Standortwettbewerb zuspitzt, desto mehr werden diejenigen, die gutwillig eigenständige Umweltinitiativen ergreifen, von denen wirtschaftlich übervorteilt, die sich einen Teufel um die Umweltprobleme scheren. Dahinter steckt die Annahme, ökologische Vorsorge sei eine wirtschaftliche Last. Multilaterale Umweltpolitik, also eine im globalen Konsens und dementsprechend im Rahmen der Vereinten Nationen, gilt deshalb als alternativlos. Das ist nicht nur das Credo von Regierungen und Internationalen Regierungsorganisationen, sondern auch das der Nichtregierungsorganisationen, der NGOs. Als prominente Beispiele, die dieses Erfolgsrezept bestätigen sollen, gelten zum einen das Montreal-Protokoll gegen den Einsatz der die Ozonschicht zersetzenden Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), zum anderen das Kyoto- Protokoll zur Reduzierung der klimaschädigenden Treibhausgase wie dem C02. Wenn nur endlich alle Industrieländer das Kyoto- Protokoll ratifizieren würden, dann - so der breit gestreute Eindruck - gäbe es eine Chance zur Vermeidung der Katastrophen "after tomorrow".

Die praktische Bilanz dieses Ansatzes ist ernüchternd. Die Diskrepanz zwischen Gefahrenerkenntnis, sich akut häufender und in ihrem Zerstörungspotential ausweitender Umweltkatastrophen einerseits und den tatsächlich ergriffenen Gegenmaßnahmen andererseits ist laufend größer geworden. Weder der spektakuläre Report "Global 2000", entstanden unter der ägide des amerikanischen Präsidenten Carter, noch der alarmierende UN-Umweltbericht aus dem Jahr 1982, noch die "Our Common Future"- Konferenz der UN von 1990, noch die legendär gewordene "Rio-Konferenz" der UN über Umwelt und Entwicklung mit ihrer "Agenda 21" aus dem Jahr 1992, noch die UN-Konferenz über "Nachhaltige Entwicklung" in Johannesburg von 2002 - geschweige denn die zahllosen weiteren Konferenzen einschließlich der Weltklimakonferenzen, zur Wasserproblematik oder zum Schutz der Biodiversität - haben das wirklich ändern können. Das ungeschriebene Motto "global reden, national aufschieben" hat diese Bemühungen mehr geprägt als der Wille oder die Kraft zu verbindlichen gemeinsamen Anstrengungen, die der tatsächlichen Herausforderung angemessen wären. Meistens waren die einzigen praktischen Beschlüsse solche für die Installierung von Netzwerken, Kommissionen und für die Durchführung von Folgekonferenzen. Eine globale "community" von Vertretern internationaler Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, von Fachbeamten nationaler Regierungen und Wissenschaftlern ist entstanden. Man kennt und trifft sich oft, entwickelt eine gemeinsame Expertensprache, produziert am laufenden Meter sich immer mehr angleichende Papiere, feilscht an Sätzen, denen möglichst jeder zustimmen kann. Die Idee kommt schon gar nicht mehr auf, dass das angesichts der rasanten Gefahrenerhöhung nicht alles sein kann.

"Wir befinden uns auf einem falschen Weg und gleichen dieses Manko durch erhöhtes Tempo aus", formulierte einst Stanislaw Lec in seinen "Unfrisierten Gedanken". übertragen auf die rotierende globale Umweltdiplomatie und deren Resultate würde er wohl sagen: "Wir kommen mit unseren Konferenzen nicht weiter und erhöhen deshalb ihre Zahl." Ein ehernes Gesetz jedweder Kommunikation ist: Wenn man eine Prämisse nicht infragestellt, muss man sich ihr - wenn man rational bleiben will oder zumindest so tut - unterwerfen, zumindest wird man von ihr in die Defensive getrieben. Wenn eine Prämisse falsch oder zu eng und einseitig ist, gerät man - ganz rational, diskurs- und handlungsimmanent - auf einen Holz- oder Irrweg. Drei Prämissen der internationalen Umweltdiplomatie sind höchst fragwürdig. Solange man das nicht erkennt, wird es bei dem Zustand bleiben, dass mit immer länger heraushängender Zunge hinter den Gefahren herkonferiert und damit der Wettlauf mit der für die Gefahrenüberwindung noch verbleibenden Zeit verloren wird.

Die erste falsche Prämisse der internationalen Umweltdiplomatie ist das prioritäre Bemühen um globale Konsenslösungen. Zwischen dem zwingenden Erfordernis nach schnell greifender Gefahrenabwehr und dem gleichzeitigen Starren und Beharren auf breit und möglichst allseits getragenen Konsens klafft ein unüberbrückbarer logischer Widerspruch. Wer stets auf Konsens aus ist, liefert sich denjenigen aus, die verhindern, bremsen und verwässern wollen - und diese wird es in allen substanziellen Fragen, die etablierte Interessen treffen, immer geben. Wenn es einmal zu einem Abkommen wie dem Montreal-Protokoll gereicht hat, dann nur, weil nur einer von vielen chemischen Stoffen davon betroffen war, der im übrigen von denselben Produzenten durch einen anderen ersetzt werden konnte. Oder wenn, wie beim Vertrag zur Verhinderung eines Rohstoffabbaus in der Antarktis, noch keiner damit wirklich angefangen hatte. Oder wenn - wie beim Kyoto-Protokoll - nur noch ein kleiner gemeinsamer Nenner übrig bleibt. Lediglich zu 5 % Minderung der C02-Emissionen (gemessen am Stand des Jahres 1990) bis zum Jahr 2012 verpflichtet das Kyoto-Protokoll diejenigen Industrieländer, die es mit tragen. Die sogenannten "C02- Senken", also die Absorbierung von C02-Emissionen durch Waldwachstum und landwirtschaftlichen Feldanbau, dürfen angerechnet werden, so dass aus den 5 % nur noch 2 % werden. Das Intergovernemental Panel on Climate Change (IPCC) hält jedoch im globalen Maßstab bis 2050 eine Minderung von 60 % für unerlässlich, um das Weltklima zu stabilisieren. Die USA sind nicht dabei (und würden auch nach einer Wahlniederlage Bushs nicht mitmachen), und China gilt nicht als in die Reduktionsverpflichtung einzubeziehendes Industrieland. Selbst wenn also das Kyoto-Protokoll umgesetzt wird, so werden im Jahr 2012 wahrscheinlich über 10 % mehr C02-Emissionen in die Atmosphäre entlassen als gegenwärtig! Wer kann sich ernsthaft vorstellen, dass dann - wiederum auf dem Weg der globalen Konsensbildung - der große Sprung möglich werden könnte, mit dem die IPCC-Zielmarke auch nur annähernd erreicht werden könnte? Ein globaler Verhandlungsprozess, der zum zentralen Instrument zur Gefahrenabwehr hochstilisiert worden ist, ist offenkundig dazu nicht geeignet!

Die zweite abwegige Prämisse ist die Wahrnehmung ökologisch ausgerichteter Strategien als wirtschaftliche Last, die letztlich nur gemeinsam getragen werden könnte. Die zwangsläufige Folge ist das Gefeilsche um die Lastenverteilung, um ein "burden-sharing". Dadurch erscheinen Eigeninitiativen als selbstschädigend. Indem die Verantwortung global kollektiviert ist, gilt eigenes attentistisches Verhalten als legitimiert, solange dieser Kollektivierungsprozess nicht gelingt. Die Aspekte, die ein gesellschaftliches, nicht zuletzt wirtschaftliches, Eigeninteresse begründen, werden wegdefiniert - so etwa die der schädlichen externen Effekte des Einsatzes atomarer und fossiler Energiequellen. Der Gesichtskreis verengt sich auf mikroökonomische Kostenbelastungen. Die makroökonomischen Vorteile einer Emissionsminderung und generell einer Energiewende werden zweitrangig, weil diese in jedem Land unterschiedlich und deshalb kaum monetär harmonisierbar sind.

Die dritte Prämisse, die zu ökologischen Irrwegen führt, ist die stillschweigende Vorrangstellung des zentralen Credos der internationalen Staatengemeinschaft, das in den 90er Jahren weltweit festgeschrieben wurde: die globale Wirtschaftliberalisierung und die pauschale Fixierung auf Wirtschaftswachstum als dem vermeintlichen Allheilmittel für alle und alles. Damit wird ein Junktim geknüpft, dessen fundamentalistische Paraphrase lautet: Wir können oder dürfen dem ökologischen überlebensinteresse nur Geltung verschaffen, wenn die dafür ergriffenen Maßnahmen den Prinzipien der Marktliberalisierung und dem Ziel des Wirtschaftswachstums nicht widersprechen!

Keinerlei Aktivität ist ohne Energieeinsatz denkbar. In der Weltenergieversorgung hat der Einsatz fossiler und atomarer Energien eine überwältigende Dominanz, und alle Regierungen und Wirtschaftsunternehmen fühlen sich davon auf Gedeih oder Verderb abhängig. Gleichzeitig ist die Umweltzerstörung weit überwiegend eine Folge der fossil/atomaren Energienutzung. Dennoch gibt es eine nach wie vor im wissenschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Denken tief verwurzelte Unterschätzung der umfassenden Möglichkeiten einer Ablösung der etablierten Energiepotentiale durch Erneuerbare Energien. Aus alledem ergibt sich die fatale Situation, dass die Weltgemeinschaft der herrschenden Meinungs- und Entscheidungsträger aus fehlendem Wissen über Alternativen, aus mangelhafter Neugier darüber, aus fehlender praktischer Phantasie, aus allzu großer Rücksicht auf eingespielte Interessen und aus Angst vor einem grundlegenden Strukturwandel der Energieversorgung es immer noch vorzieht, den eigenen und den globalen Kollaps zu riskieren. Dass wegen der sich in überschaubarer Zeit erschöpfenden fossilen Energiereserven Kriege um Energie drohen, war schon 1977 Thema einer Regierungserklärung Präsident Carters. Dass die Hoffnungen auf Atomenergie trügerisch sind, hat sich ebenfalls seit den 70er Jahren weltweit herumgesprochen. Dass die Klimaveränderungen durch fossilen Energieeinsatz katastrophale Folgen haben, die denen eines Atomkriegs nicht nachstehen, war das alarmierende Signal der ersten Weltkonferenz der Klimawissenschaftler 1988 in Toronto. Dass die Entwicklungsländer den mit der nahenden Erschöpfung der fossilen Reserven anstehenden Preissteigerungen auf dem Weltenergiemarkt endgültig nicht mehr standhalten können, wurde bereits in den ölkrisen zwischen 1973 und 1982 überdeutlich, deren Schuldenberg in dieser Zeit von 200 Mrd. auf 1,2 Billionen Dollar anwuchs. Doch gleichwohl blieb ausgerechnet bei der Rio-Konferenz 1992 und in der "Agenda 21" das Energieproblem ausgeklammert, zugunsten des Konsenses. Nicht die atomar/fossile Energieversorgung, sondern die Erneuerbaren Energien galten als untragbare Last. Auch bei den folgenden Weltklimakonferenzen spielte dieses Vorurteil eine tragende Rolle. Und auch die Johannesburg- Konferenz 2002 kam über allgemeine Feststellungen über die Bedeutung Erneuerbarer Energien nicht hinaus, wofür schon die OPEC-Länder sorgten, siehe das Konsensprinzip.

Abhilfe davon sollten zwei Initiativen schaffen, die in Johannesburg eingeleitet wurden. Zum einen die Einladung des deutschen Bundeskanzlers Schröder an alle Regierungen zu einer Internationalen Konferenz über Erneuerbare Energien, um auf dieser Initiativen voranzutreiben, die über den ungenügenden Konsenslevel hinausgehen; zum anderen eine Absichtserklärung einer "Renewable Energy Coalition", unterschrieben von über 80 Regierungen, die sich zu überdurchschnittlichen Initiativen bekannten. Dass diese Erklärung nicht viel bedeuten konnte, war jedoch schnell erkennbar: unterschrieben haben auch solche Regierungen, die überwiegend weder vorher noch nachher eigene Initiativen für die Mobilisierung Erneuerbarer Energien ergriffen haben. Einen größeren praktischen Stellenwert hatte die Einladung zur Regierungskonferenz über Erneuerbare Energien, die dann vom 1.-4. Juni 2004 in Bonn stattfand. 154 Regierungen entsandten Delegationen, die UN-Organisationen waren ebenso vertreten wie das NGO-Spektrum. Parallel dazu gab es das Internationale Parlamentarierforum über Erneuerbare Energien, zu dem der Deutsche Bundestag eingeladen hatte und das 350 Vertreter von über 70 Parlamenten zählte.

Die zentrale Frage ist: weist die Internationale Konferenz der Regierungen über die eingefahrenen Gleise internationaler Umweltdiplomatie hinaus oder war es doch nur eine der folgenlosen Globalkonferenzen, die nur Handlungsersatz statt Handlungsimpuls sind? Die Regierungskonferenz hat sicher den bisher größten Beitrag dazu geleistet, Erneuerbare Energien auf der institutionellen politischen Ebene nicht länger notorisch als Randthema abzutun. Es war also das politische Ereignis selbst, das seinen eigenen besonderen Stellenwert hat. Dass eines der führenden und traditionellen Industrieländer der Weltwirtschaft die Erneuerbaren Energien in den Mittelpunkt internationaler Umwelt- und Entwicklungspolitik zu rücken versuchte, ist ein großer Schritt zum Abbau der mentalen Sperren, die ein Brett vor dem Kopf politischer und wirtschaftlicher Entscheidungsträger sind. Es wäre also gar nicht nötig gewesen, dieses Konferenzereignis noch mit einem Konsensversuch ausstatten zu wollen.

Denn genau damit erfolgte ein allzu gewöhnlicher Rückfall in die zweifelhaften Versuche ökologischer Globalstrategien auf der Basis der diesen zugrunde liegenden falschen Prämissen. Stets wurden, mit großem Aufwand betrieben, damit Erwartungen geschürt und Hoffnungen generiert, die ebenso regelmäßig enttäuscht wurden und anstelle weiterführender Initiativen traten. Auch in der von der Regierungskonferenz über Erneuerbare Energien verabschiedeten Deklaration wird allen Teilnehmern alles recht zu machen versucht, um Einstimmigkeit zu erzielen - auch mit der Delegation der Bush-Regierung oder den Vertretern der OPEC-Länder. Entsprechend nichtssagend ist der Text, in dem ein "signifikanter Beitrag" der Erneuerbaren Energien für eine nachhaltige Entwicklung "anerkannt" und dafür "Kooperation und Zusammenarbeit" beschworen wird. Die Konferenz, die über die von Rio und Johannesburg hinausweisen sollte, "stimmte überein", auf deren (nicht gegebenen) Resultaten "aufzubauen" und diese zu unterstreichen ("reaffirm"). Die Regierungen "nehmen zur Kenntnis" ("take note"), dass es Länder gibt, die sich Ziele für den Ausbau Erneuerbarer Energien gesetzt haben und dass ein Lexikon möglicher Handlungsansätze ("a menu of options to decisionmakers") vorgelegt wurde, in dem fast alles enthalten ist, was irgendwo jemals versucht wurde - ohne diese jeweils nach ihrer tatsächlichen Wirksamkeit zu hinterfragen: To whom it may concern. Die Delegierten "unterstützen" den Ausbau humaner und institutioneller Kapazitäten für Erneuerbare Energien, ohne dass gesagt wird, welche dies sein könnten oder sollten, und sie betonen ("emphasize") die Notwendigkeit zusätzlicher Ziele für Forschung und Entwicklung, ohne zu sagen welche. Und sie stimmen überein ("agree"), in einem informellen "global policy network" mit zu arbeiten, unter Einbeziehung von Parlamenten, lokalen und regionalen Autoritäten, des akademischen und des privaten Sektors, internationaler Institutionen, internationalen Industrievereinigungen, Konsumenten, der Zivilgesellschaft, Frauengruppen und "relevanten Partnerschaften weltweit" - also mit allen: die Unverbindlichkeit und Weitschweifigkeit par excellence. Und schließlich wird die auslösende Idee zu dieser Konferenz, die aus dem konsensualen Mustopf der Entwicklungs- und Umweltdiplomatie herausführen sollte, in diesen wieder eingetaucht. "Messbare Schritte" sollen der UN Commission on Sustainable Development (CSD) berichtet und dort ein "follow-up" besprochen werden. Also alles wie gehabt?

Schauen wir uns das "International Action Programme" an, das zum Schluss der Konferenz vorgelegt und als großer Schritt gefeiert wurde, so handelt es sich lediglich um eine Aktionsliste. Alle teilnehmenden Länder und Organisationen erhielten die Gelegenheit, ihre ohnehin laufenden oder geplanten Vorhaben in ein Formblatt einzutragen, und diese Blätter wurden buchstäblich zusammengeheftet - eine Vergewaltigung des Begriffs Programm. Dieses Kompendium reicht dann von der beachtenswerten Ankündigung Chinas, 17 % seiner Stromversorgung bis zum Jahr 2020 mit Erneuerbaren Energien zu decken, bis zur Ankündigung anderer, Seminare über Erneuerbare Energien durchzuführen und Dokumentationen zu erstellen.

Dabei gibt es durchaus sehr konkrete internationale Handlungsansätze, die eine neue internationale Qualität schaffen könnten - vor allem der für die Errichtung einer Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien. Diese Forderung steht in der rot/grünen Koalitionsvereinbarung und wurde vom Bundestag im April 2003 ebenso bekräftigt wie vom Internationalen Parlamentarierforum über Erneuerbare Energien. Obwohl Bundeskanzler Schröder in seiner Rede auf der Regierungskonferenz positiven Bezug auf diese Forderung des Parlamentarierforums nahm, wurde sie als Sand im Getriebe empfunden, weil eben alles vermieden werden sollte, was auf Widerstände stößt und deshalb den Konsensversuch stört. Schon im Vorfeld der Konferenz wurde, auf Betreiben des deutschen Umweltministers, dieser Handlungsansatz verworfen und versucht, seine Thematisierung sorgsam zu vermeiden. Eine solche Agentur wäre diejenige operative politische Maßnahme, die den untragbaren Zustand überwindet, dass es im internationalen System nur solche Institutionen gibt, die die Förderung der Atomenergie (in Form der Internationalen Atomenergie-Agentur) und der fossilen Energiesicherheit (in Form der Internationalen Energie-Agentur der OECD) als Auftrag haben. Deshalb ist es kein Wunder, dass international die Erneuerbaren Energien stets übergangen oder vernachlässigt wurden. Umso verwunderlicher ist es, dass sich ausgerechnet das deutsche Umweltministerium trotz aller diesbezüglichen Beschlüsse und Forderungen der Regierungsparteien und des Bundestages gegen die Initiative für eine internationale Erneuerbare Energie-Agentur sperrt.

Der Grund ist das Kleben an einem durchgängigen multilateralen Ansatz. Der Gedanke, dass es - so wie es internationale Sicherheits- und Wirtschaftsallianzen mit gemeinsamen Institutionen gibt - für die forcierte Lösung globaler Umweltfragen auch internationale Organisationen einer Gruppe von Ländern geben muss, erscheint demzufolge als abwegig. Die Umweltdiplomatie bleibt damit Gefangene ihrer eigenen Prämissen, die nunmehr über ein Vierteljahrhundert dominieren, und ist deshalb unfähig, die selbstauferlegten Handlungsgrenzen zu überschreiten.

Die Einstellung zu dieser Agentur war deshalb auf der Internationalen Regierungskonferenz nicht zufällig der Lackmus- Test dafür, ob man bereit ist, über das selbstreferentielle System internationaler Umweltkonferenzen hinauszugehen. Dieses ist zum Schneckentempo verpflichtet und will allen wohl und niemandem weh tun - und bleibt deshalb hoffnungslos hinter der tatsächlichen Gefahrendynamik zurück. Längst sind viele NGOs darin wohl integriert und haben dabei ihre treibende Rolle eingebüßt: Der WWF hat auf der Bonner Konferenz heftig gegen die Agentur für Erneuerbare Energien votiert, und auch Greenpeace - die noch in Rio die bereits damals von EUROSOLAR initiierte Forderung teilten - hält sich bedeckt, ebenfalls zugunsten des Konsenses. Während der Greenpeace-Vertreter auf der Konferenz deren "Ergebnisse" mit begrüßte, stand die Greenpeace-Jugend vor der Konferenzhalle mit dem Transparent "Rio, Johannesburg, Bonn - we are disappointed". Die NGOs sitzen, auch das gehört längst zum Ritual globaler Umweltkonferenzen, im "Multi-Stokeholder Forum" neben den Vertretern der Interessenorganisationen der Umweltzerstörer, und sollen auch hier zu einem gemeinsamen Nenner kommen, was nur möglich ist durch Ausklammern der heiklen Fragen.

Ökologische Globalstrategien erfordern Initiativen, die auf Durchbrüche zielen und damit eine Dynamik in Gang setzen, der andere folgen und denen sich letztlich niemand mehr entziehen kann. Solche Durchbrüche sind nur mit Alleingängen möglich: solche einzelner Länder oder Ländergruppen, die in erster Linie die Vorteile und Vorzüge - nicht zuletzt für ihre eigene wirtschaftliche Erneuerung und Zukunftsfähigkeit - im Auge haben und nicht nur die "Lasten". Mit dem deutschen Erneuerbaren-Energie-Gesetz ist die alternative Prämisse auf nationaler Ebene verfolgt worden, mit der Bereitschaft zum Energiestreit statt zum Konsens. Mit dem Ergebnis, dass damit ein internationales Beispiel gesetzt wurde, dem nunmehr andere - dadurch ermutigt - folgen. Auf der internationalen Ebene ist diese Handlungsmaxime von den deutschen Veranstaltern der Internationalen Regierungskonferenz jedoch wieder fallen gelassen worden.

Konkrete Anstöße hierzu lagen der Konferenz vor. Sie wurden vom Weltrat für Erneuerbare Energien auf dem von diesem veranstalteten Weltforum vorgelegt und spiegeln die gebündelten Erfahrungen der weltweiten Protagonisten in diesem Feld wider, vor allem die der unabhängigen Vereinigungen für Erneuerbare Energien. Doch deren Vorschläge galten offenbar als zu ambitioniert, darunter auch der für die Erneuerbare-Energie-Agentur als greifbarster Maßnahme. Sie tropften an der Regierungskonferenz ab.

Diese wurde damit zu einem weiteren Beispiel für die Konsenslähmung ökologischer Globalstrategien. Deren Bühne sind große Konferenzen, die mit Hilfe eines entsprechenden Medienechos den Eindruck eines globalen Aufbruchs erzeugen. Doch wenn das Echo verhallt, zeigt sich, dass auf der Stelle getreten wird und das business-as-usual weitergeht. Für vorantreibende Initiativen muss man bereit sein, eine Vorreiterrolle zu übernehmen und dafür Mitstreiter zu mobilisieren. Jeder muss mitmachen können, aber man darf sich nicht bremsen lassen. Deshalb ging es auch nicht darum, sich auf der Internationalen Konferenz über Erneuerbare Energien um einen Beschluss für die Errichtung dieser Agentur zu bemühen, zumal dieser ohnehin keinerlei Verbindlichkeit hätte beanspruchen können. Vielmehr hätte es darum gehen müssen, die Initiative dafür vorzustellen und andere einzuladen, sich daran gleichberechtigt zu beteiligen. Indem das versäumt wurde und sogar alles weitere dem sattsam bekannten Schredderprozess der Maschine internationaler Konsensproduktion übergeben wurde, hat auch diese Konferenz an ihrem entscheidenden Momentum versagt: Plattform für die Generierung weiterführender konkreter Initiativen zu werden, damit unsere Ökosphäre noch eine Chance hat.


Dieser Beitrag erscheint in der neuen Ausgabe des "Kursbuch" unter der Überschrift "Die Magier kamen und keiner verstand zu deuten die Flammenschrift an der Wand".