Datum:31.08.04

DER SPIEGEL 35/2004 - Schillernde Landschaften

Kommentar des SFV zu einem Hetzartikel gegen die Photovoltaik

Wolf von Fabeck

Im SPIEGEL 35/2004 demonstriert Autor Christian Wüst, wie man durch geschickte Wortwahl und kleine Verdrehungen der Tatsachen sogar die Markteinführung der Solarenergie zu einer Skandalgeschichte umstricken kann. Für Solarfreunde, denen bei der Lektüre zunächst das Wort im Halse stecken bleibt, haben wir die Dinge vom Kopf wieder auf die Füße gestellt, indem wir die einzelnen Aussagen des unsäglichen Artikels in einer linken Spalte zitieren und in der rechten Spalte kommentieren.

Wir gehen davon aus, dass es einige Leserbriefzuschriften an den SPIEGEL geben wird. Über Kopien für den Solarbrief würden wir uns freuen. Wir lassen aber auf jeden Fall dem SPIEGEL den Vortritt bei der Veröffentlichung.

DER SPIEGEL
Schillernde Landschaften
In Sachsen geht das größte Photovoltaik-Kraftwerk der Welt ans Netz.
SFV
Kommentar
Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) korrigiert die links genannten Vorurteile.
Das Potenzial des Sonnensstroms ist dürftig, die staatliche Förderung enorm Zwei Irrtümer schon im ersten Satz!
- Zum Potenzial: Selbst im schwach besonnten Norddeutschland genügt eine kleine unbeschattete Fläche von 10 Quadratmetern, um den privaten Stromjahresbedarf einer Person zu decken.
- Zur staatlichen Förderung: Die Mindestvergütung für eingespeisten Solarstrom ermöglicht den Betreibern tatsächlich eine kleine Rendite, im günstigsten Fall vergleichbar mit einer banküblichen Kapitalverzinsung. Von einer "enormen Förderung" zu sprechen ist deshalb völlig übertrieben.
Das Grundstück war als "Unland" ausgewiesen und in der Tat kein Platz, der zum Verweilen einlud: 15 Hektar voll Schlamm und Staub, einst Abfallhalde des Braunkohlenbergbaus. 30 Kilometer südlich von Leipzig, auf dem von Baggern und Raupen geschundenen Boden, ging in der vergangenen Woche das größte Solarstrom-Kraftwerk der Welt ans Netz: 33500 Module mit je 72 Silizium-Zellen sollen dort eine Spitzenleistung von funf Megawatt bereitstellen. Die Sonnenernte auf der Industriebrache fossilen Raubbaus taugt für große Gesten. Zusammen mit Umweltminister Jürgen Trittin wird Generalunternehmer Shell Solar das bläuliche Glitzerkabinett am 8. September feierlich beprosten.
Eine wunderliche Freundschaft festig sich da zwischen Ölkonzern und grünem Industrieschreck: Shell ist inzwischen einer der weltgrößten Solarzellenproduzenten und beschäftigt in diesem Sektor schon über 1300 Angestellte. Trittin wiederum ist einer der größten Förderer dieser Technik. "Wunderliche Freundschaft"? Eine schmierige Formulierung! Was soll hier dem Minister eigentlich unterstellt werden?
Strom aus Solaranlagen wird ausgerechnet in Deutschland, wo wegen Sonnenmangels nicht einmal guter Rotwein wächst, mit extrem hohen Preisen vergütet. Der Autor ist vermutlich kein Weinkenner; das aber nur am Rande.
Vermutlich weiß er auch nicht, dass die Ernte von Solarstromanlagen bei gleicher Sonneneinstrahlung um so höher ausfällt, je kälter es ist. Deshalb bringen PV-Anlagen in der Sonnenglut der Sahara nur knapp doppelt so viel wie im kühlen Deuschland. Aber abgesehen davon müssen wir Deutschen lernen, uns mit dem zufrieden zu geben, was uns zur Verfügung steht, und daraus das Beste machen.
Per Gesetz garantiert die rot-grüne Regierung dem Einspeiser je nach Anlage 45,7 bis 62,4 Cent pro Kilowattstunde.
Marktüblich sind etwa 4 Cent, Irrtum! Vier Cent ist der Herstellungspreis für Strom aus einem abgeschriebenen Kohlekraftwerk (Lieferung ab Kraftwerksausgang). Solarstrom dagegen wird im Niederspannungsnetz eingespeist. Dort beträgt der Wert des Stroms (wie man leicht an seiner Stromrechnung nachkontrollieren kann) etwa 17 Cent/kWh. Im übrigen, wer von "marktüblichen" Preisen spricht, sollte sich vorher auf dem Strommarkt umschauen! Die Strompreise sind dort sehr stark von Angebot und Nachfrage abhängig. Für Spitzenlaststrom zur Mittagszeit wird auf dem Spotmarkt (Strombörse in Leipzig) auch schon mal weit mehr als 1 Euro bezahlt. Solarstrom fällt hauptsächlich zur Mittagszeit an, ist also erheblich mehr wert als Strom aus einem Braunkohlekraftwerk.
für Strom aus Wind, Wasser oder Biomasse werden zwischen 3,7 und 21,5 Cent bezahlt. Das vor vier Jahren verabschiedete Gesetz führte zu einem Boom der Photovoltaik (siehe Grafik), wie er weltweit beispiellos ist.
Das sonnenverwöhnte Italien hat nicht einmal ein Zehntel der in Deutschland installierten Solarzellen, sogar Australien nur einen Bruchteil. Damit wird belegt, dass die deutsche Bevölkerung und die deutsche Politik die energiepolitischen Notwendigkeiten früher erkannt haben als viele andere Länder. Dies wird Deutschland trotz ungünstigerer Voraussetzungen einen wirtschaftlichen Vorteil z.B. auch im Export sichern.
Allein Japan produziert mehr Solarstrom als Deutschland. Doch der Vorsprung schrumpft.
Dabei ist zu befürchten, dass der Geldregen für Sonnenkraft eine energiepolitische Geisterfahrt in Gang gesetzt hat. Wer hier der Geisterfahrer ist, das ist die Frage! Sollte der Autor wirklich noch nicht begriffen haben, dass eine Klimakatastrophe aufgrund des Kohlendioxid-Ausstoßes droht, dass Erdgas und Erdöl zu Ende gehen und die zunehmende Terrorgefahr den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken zu einem immer unkakulierbareren Risiko macht? Hat der Autor noch nie von den externen Kosten der konventionellen Energiebereitstellung gehört?
Denn Photovoltaik ist die derzeit mühseligste und teuerste aller industriellen Methoden, regenerativ Energie zu gewinnen. Jede neue Technik ist zu Beginn teuer. Kohlestrom z.B. kostete im Jahr 1880 nach heutigem Preisniveau etwa 20 Euro pro Kilowattstunde. Solarstrom kostet nur noch 60 Cent und verbilligt sich mit Zunahme der Massenproduktion weiter von Jahr zu Jahr. Bisher betrug die jährliche Preisreduktion durchschnittlich 5% jährlich. Nach Aussage der Enquete-Kommission "Schutz der Erde" des 11. Deutschen Bundestages - unter CDU/CSU-Vorsitz - können die Kosten beim Übergang zur Massenproduktion auf unter 10 Cent/kWh sinken (Band 2, Seite 198).
Von "mühseliger Technik" kann nun wirklich keine Rede sein. Eine Hausdach-Solarstromanlage ist in ein oder zwei Tagen fertig montiert, enthält keine bewegten Teile, braucht keine Brennstoffzufuhr und kommt mit wenigen Stunden Wartung jährlich aus.
Die umstrittene Windnutzung dagegen produziert mit einem Bruchteil der Kosten und des Flächenverbrauchs wesentlich mehr Strom. Flächenverbrauch muss bei Solarstrom nicht sein. Da Solarstromanlagen auch auf kleinen Flächen den gleichen Wirkungsgrad erzielen wie auf großen Flächen, kann Solarstrom mit gutem Ergebnis auf Dächern und sogar an Fassaden gewonnen werden, wobei überhaupt keine zusätzlichen Flächen verbraucht werden. Insofern ist eine Freiflächenanlage kein solartypisches Beispiel.
Wer das Leipziger Sonnenkraftwerk auf eine Großanlage hochrechnet, erkennt schnell die Grenzen des solaren Potenzials:
Konventionelle Kohle- oder Atomkraftwerke leisten 1000 Megawatt rund um die Uhr. Gleichmäßige Stromerzeugung "rund um die Uhr" ist ein Zeichen für energiepolitische Inflexibilität. Wichtiger ist die Stromerzeugung zu solchen Zeiten, in denen hoher Strombedarf herrscht, also zum Beispiel zur Mittagszeit. Aus diesem Grund ist Solarstrom energiewirtschaftlich gerechnet sogar wertvoller als Strom aus Braunkohle- oder Atomkraftwerken.
Eine Solaranlage wie diejenige im Sachsen schafft durchschnittlich nicht mehr als 2 Megawatt. Um einen der großen Strommeiler zu ersetzen, müssten die Kollektoren folglich 7500 Hektar überspannen, etwa die Fläche der Stadt Würzburg. Eine Milchmädchenrechnung! Man braucht keine zusammenhängende Kollektorfläche von der Ausdehnung einer Großstadt, sondern man kann die einzelnen Dachflächen von Millionen Häusern und Hallen (z.B. auch Turnhallen, Fabrikhallen und Feldscheunen) nutzen.
Zur Hoffnung, der Platzbedarf könnte durch effizientere Solarzellen bald stark schrumpfen, besteht kein Anlass. Schon heute wandeln die Zellen etwa 50 Prozent des physikalisch Machbaren um. Dramatische Steigerungen des Wirkungsgrads sind nicht mehr zu erwarten. Da das angebliche Flächenproblem keine wesentliche Rolle spielt, können wir gelassen die weiteren Verbesserungen des Wirkungsgrades abwarten. Wenn die heute montierten Solarzellen nach 20 oder 30 Lebensjahren ausgewechselt werden, werden zur Nachfolge mit großer Wahrscheinlichkeit noch leistungsfähigere Solarmodule zur Verfügung stehen.
Trotzdem geht der Ausbau von Solar-Großanlagen unverzagt weiter. Der Solarenergie-Förderverein Deutschland lehnt den Bau von Freiflächen-Solarstromanlagen ab, weil Landflächen in Mitteleuropa knapp sind und weil es genügend Flächen an und auf Gebäuden gibt. Die Zukunft der Solarstromnutzung liegt an und auf Gebäuden.
Im kommenden Jahr wird Shell zwei weitere Kraftwerke mit je mehr als zehn Megawatt Spitzenleistung fertig stellen.
Der Anteil der Sonnenkraft an der gesamten Stromproduktion bleibt dennoch marginal: Nach optimistischen Schätzungen wird er in Deutschland bis 2010 von einem halben Promille auf ein Prozent ansteigen. Das wäre ein Anwachsen auf das Zwanzigfache in sechs Jahren. Und in den folgenden sechs Jahren würde der PV-Anteil bei gleichbleibendem Wachstumstempo dann auf zwanzig Prozent ansteigen!
Die Branche, einst Reservat zotteliger Weltveränderer, ist indes längst in der Hand schneidiger Ökonomen. Im nagelneuen Mercedes steuert Gero Hollmann, Geschäftsführer der Berliner Geosol GmbH, durch das sächsische Unland-Dorado. Sein Ziel: verödete Industrieflächen in bläulich-schillernde Kollektorenfelder zu verwandeln. Als Bauherr der Sonnenkraftwerke ist der adrette Mittdreißiger der zentrale Partner von Shell Solar. Der gelernte Bankkaufmann spricht die klare Sprache des Return of Investment. Die Allianz aus dem ökobeflissenen Öl-Imperium und seiner Acht-Mann-Firma nennt er ein "Winning Team". Der eigentliche Hintersinn dieser Zeilen ist nur schwer zu erraten. Vielleicht will der Autor beklagen, dass Firmen mit dem Bau von Solarstromanlagen Geld verdienen.
Unsere Gegenfrage ist, ob er für seinen Artikel etwa kein Geld bekommt.
Das Leipziger Sonnenkraftwerk kostete 22 Millionen Euro und wechselte kürzlich von Geosol in den Besitz einer Fonds-Gesellschaft der WestLB. Als "Westfonds Solar 1" soll die Sonnenernte sicher und zügig die kassen der Anleger füllen.
Dank der gesetzlich garantierten Mondpreise für den Sonnenstrom dürfte "Solar 1" schon in zwei Jahren in die Gewinnsphäre vorstoßen. Dies ist vergleichbar mit dem Ergebnis einer Bankeinlage. Bereits nach einem Jahr erhält man dort die ersten Zinsen und befindet sich damit in der "Gewinnzone".
Wären die Solarkollektoren des Leipziger Kraftwerks allerdings mit Strom zum deutschen Sonnentarif hergestellt worden, müssten die Anleger lange auf Renditen warten: Glücklicherweise stellt uns die fossile Energiewirtschaft noch Energie zur Verfügung, mit der wir uns auf die kommende Energiekrise technisch vorbereiten können. Wenn wir abwarten würden, bis konventionelle Energie aus Knappheitsgründen immer teurer und schließlich unbezahlbar wird, hätten wir unsere Chancen auf eine bezahlbare Energiewende verspielt.
Zur Produktion der Siliziumzellen sind enorm hohen Temperaturen nötig. Nach Shell-Schätzungen muss die Anlage etwa drei Jahre störungsfrei laufen, um allein die Energiemenge zurückzugewinnen, die für die Herstellung der Solarmodule verbraucht wurde. Zum Jammern gibt es keinen Anlass! Insgesamt werden die Solarmodule während der voraussichtlichen Betriebsdauer von über 20 Jahren das Siebenfache des zu ihrer Herstellung benötigten Energiebetrages ernten!
Christian WÜST Der Spiegel 35/2004. Solarenergie-Förderverein (SFV)