Erneuerbare Energien statt Krieg um Öl

16.2.2003

Als Reaktion auf unseren Aufruf zur Teilnahme an einer Friedensdemonstration erhielten wir einen nachdenklichen Brief eines Vereinsmitgliedes. Der Briefschreiber merkte sinngemäß an, dass ein bedingungsloser Pazifismus die Entwicklung von Diktaturen und weltweitem Unrecht begünstige. Der zweite Weltkrieg hätte z.B. vermieden werden können, wenn die damaligen Alliierten - entweder 1935 beim Bruch des Versailler Friedensvertrages durch den Einmarsch im entmilitarisierten Rheinland oder 1938 anlässlich der deutschlandweiten Ausschreitungen gegen die Juden in der Reichsprogromnacht - den damaligen Diktator Hitler rechtzeitig in die Schranken gewiesen hätten.

Da dieses Argument immer wieder als Begründung für einen Angriff auf den Irak auftaucht, möchten wir öffentlich darauf antworten:

Sicherlich kann man im Nachhinein die Appeasement-Politik der damaligen Allierten - Frieden um jeden Preis - als fatalen Fehler bezeichnen und damit argumentieren, dass durch ein früheres militärisches Eingreifen der Alliierten, zu einem Zeitpunkt, als Deutschland noch nicht voll aufgerüstet war, die späteren Gräuel des Hitler-Regimes zumindest teilweise hätten verhindert werden können.

Doch, wer so argumentiert, sieht nicht das Dilemma, vor dem damals die Staatengemeinschaft genauso stand wie sie es heute tut; ein Dilemma, das wohl so alt ist wie die Geschichte der menschlichen Zivilisation überhaupt. Wir erleben es im internationalen Zusammenleben genauso wie im menschlichen Miteinander:

Alle Verbrechen der Menschheitsgeschichte hätten vermieden werden können, wenn man diejenigen, die sie begangen haben, rechtzeitig vorher hingerichtet, lebenslänglich eingesperrt oder anderweitig "unschädlich gemacht" hätte. Es liegt allerdings auch auf der Hand, wohin eine solche Präventivjustiz geführt hätte, wie viele Menschen ihr unschuldig und unberechtigt zum Opfer gefallen wären.

Eine präventive Bestrafung auf der Basis bloßen - auch noch so berechtigten - Verdachtes, jemand KÖNNTE eines Verbrechens fähig sein, stünde im Widerspruch zu grundlegenden Errungenschaften der Rechtsphilosophie und der Ethik, insbesondere zum rechtsstaatlichen Grundsatz der Unschuldsvermutung.

Im Völkerrecht gibt es eine entsprechende Regelung: Präventivkriege sind verboten.

Auch eine Überreaktion auf eine Verletzung des Völkerrechts ist verboten. Die Verfolgung ethnischer Minderheiten durch die Regierung des Irak würde z.B. keinen Atomangriff auf dessen Städte rechtfertigen.

Soweit vorerst die ethische Seite der Medaille. Doch wenden wir uns nun der machtpolitischen Seite zu: Natürlich verspricht ein militärischer Angriff auf den Irak zum jetzigen Zeitpunkt einen größeren Erfolg als ein späterer Angriff auf einen dann womöglich reichlich mit Massenvernichtungsmitteln ausgestatteten Staat.

Doch Machtpolitik ist mehr als reine Militärpolitik, mehr als nur das Abwägen militärischer Erfolgsaussichten: Tatsächlich würde ein Angriff auf den Irak, der von den Staaten im Nahen Osten als moralisch ungerechtfertigt angesehen wird, allen machtpolitischen Interessen der westlichen Staatengemeinschaft widersprechen - auch denen der USA! Es wäre verheerend für die Stabilität, für die Machtverhältnisse im Nahen Osten, wenn die mehrheitlich moslemische Bevölkerung die Überzeugung gewönne, dass ein Angriff der Industriestaaten auf den Irak vorwiegend aus machtpolitischen Interessen erfolgt, um die Kräfteverhältnisse zwischen den reichen christlichen Industriestaaten und den überwiegend armen mohammedanischen Staaten weiter zu verschieben. Die vorgebliche Legitimation für weiteren hassgeleiteten Terror gegen die gesamte westliche Welt würde weiter verstärkt. Das weltweite friedliche Zusammenleben der Völker und Religionen steht in der zu erwartenden Aufeinanderfolge von Terror und kriegerischen Antiterroreinsätzen auf dem Spiel.
Selbst in der westlichen Welt regen sich bei einem großen Teil der Bevölkerung Zweifel an der moralischen Berechtigung eines Angriffs auf den Irak. Um wieviel mehr finden solche Zweifel bei den moslemischen Völkern Eingang. Die Auswirkungen eines als ungerecht empfundenen Angriffs sind dort unkalkulierbar.

Deshalb sind Fragen der Machtpolitik und die Frage der moralischen Rechtfertigung eines Angriffs untrennbar miteinander verknüpft. Wir dürfen nicht nur, wir müssen uns mit diesen moralischen Fragen befassen.

Fragen wir also nach den weiteren moralischen Gründen, die für einen Kriegseinsatz genannt werden.

Wer moralische Motive wie etwa die Befreiung des irakischen Volkes zur Rechtfertigung des Krieges anführt, der kann nicht sinnvoll erklären, weshalb nur der Irak befreit werden soll und nicht auch die zahllosen anderen Völker auf der Erde, die ebenfalls unter - kaum harmloseren - Unrechtsregimen zu leiden haben. Denkt man diese Logik zuende, müsste die Staatengemeinschaft auf dem halben Erdball intervenieren.

Die Legitimationsfrage eines US-amerikanischen Angriffs auf den Irak stellt sich insbesondere, wenn wir uns aus Sicht der Völker im nahen Osten einige bedenkliche Fehlentwicklungen in den USA selbst anschauen: Dort gibt es die Todesstrafe, dort werden alle Angehörigen moslemischen Glaubens gesondert staatlich erfasst. Vermutete El-Kaida-Angehörige - exterritorial auf dem US-Stützpunkt in Kuba festgehalten - erhalten dort weder den vom Kriegsvölkerrecht garantierten Schutz eines Kriegsgefangenen, noch den Status eines Untersuchungsgefangenen. Die USA besitzen Massenvernichtungsmittel. Die USA weigern sich, dem Verbot von Landminen, dem Verbot biologischer Waffen, dem Vertrag für die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofs beizutreten. Die USA haben den Vertrag mit der Sowjetunion über die Nichtaufrüstung im Weltraum einseitig aufgekündigt. Die USA nehmen für sich in Anspruch, den Bruch von Resolutionen des Sicherheitsrates durch Androhung militärischer Gewalt selbst zu ahnden (aber offenbar nur wenn es sich um Resolutionen gegen den Irak handelt).
Damit Sie uns nicht missverstehen: Es handelt sich hier "lediglich" um Mißstände innerhalb eines Rechtsstaates, die natürlich in keiner Weise mit den Verbrechen des irakischen Unrechtsregimes zu vergleichen sind; und selbstverständlich sind Massenvernichtungswaffen in den Händen des Bagdader Regimes auch für uns weitaus besorgniserregender als in den Händen der USA.

Aber die Legitimationsfrage bleibt: Wie lässt es sich der Weltöffentlichkeit und insbesondere den Völkern des nahen Ostens vermitteln, dass die Atommacht USA anderen Staaten den Besitz von Atomwaffen notfalls mit militärischer Gewalt (einschließlich der Androhung des ATOMWAFFEN-Einsatzes als ultima ratio!) verwehren will? Wie lässt sich ferner die Inkonsequenz rechtfertigen, dass zwar der Irak mit Krieg bedroht wird, andere durchaus vergleichbare Regime hingegen nicht? (Man denke nur an Nordkorea.)

Um einem weiteren Missverständnis vorzubeugen: Wir stehen auf dem Standpunkt, dass ein Staat, wenn er angegriffen wird, sich verteidigen darf und soll und dass ihm seine Verbündeten helfen dürfen; wir, die Unterzeichner dieses Briefs, sind insoweit keine Pazifisten.

Aber wir lehnen einen Präventivschlag ab.

Besonders verwerflich erscheint uns ein Präventivschlag, wenn dieser in einem von uns kaum nachzuvollziehendem Ausmaß den machtpolitischen Eigeninteressen eines Staates dient, noch dazu desjenigen Staates, der selber den Präventivschlag ausführen will.

Abschließend noch ein Wort an diejenigen, die eine Beteiligung an einem Kriegseinsatz gegen den Irak deswegen als verpflichtend ansehen, weil sie die Rolle der UNO stärken wollen:

Die Sehnsucht nach einer UNO, die - mit den notwendigen Machtmitteln ausgestattet - weltweit ohne Ansehen der betreffenden Staaten für die Einhaltung der Menschenrechte sorgt, darf uns nicht dazu verführen, die augenblicklichen Verhältnisse mit unserem Wunschbild zu verwechseln:

  • Machtmittel sind genügend vorhanden, aber sie unterstehen nicht der UNO.
  • Ankläger, Richter und vollstreckende Gewalt sind vorhanden, aber sie gehorchen den Interessen einer einzigen Regierung.
  • Um die Menschenrechte, die im Irak täglich verletzt werden, geht es nach den öffentlichen Bekundungen aus USA und Großbritannien höchstens in zweiter oder dritter Linie.
  • Die Verstöße, um deretwillen der Irak angegriffen werden soll, Besitz von Massenvernichtungsmitteln werden bei anderen Staaten hingenommen.
  • Tatsächliche oder vermutete Beweise für Verstöße des Irak werden den von der UNO mit der Untersuchung beauftragten Inspekteuren vorenthalten. Sie werden stattdessen zur Aufheizung der öffentlichen Meinung verwendet. In diesem Zusammenhang stimmt es sehr bedenklich, dass Colin Powell am 5.2. vor der UNO unverblümt bezweifelt hat, dass der elementare Rechtsgrundsatz "In dubio pro reo" auch für den Irak gelte.

All diese Überlegungen bekräftigen uns darin, einen Präventivkrieg gegen den Irak eindeutig abzulehnen.

Wir haben an den Großdemonstrationen am 15. Februar in Berlin und in der Europäischen Hauptstadt Brüssel teilgenommen. Unsere Teilnahme stand unter dem Motto:

 

Erneuerbare Energien
statt Krieg um Öl

 

Außerdem hängen Transparente mit diesem Aufruf weiterhin sichtbar an Hauswänden in Aachen und anderen Orten. Damit möchten wir nicht nur jeden Einzelnen auf eine mögliche wichtige friedensschaffende Eigeninitiative (Bau einer PV-Anlage, Fahren mit Pflanzenöl, Beteiligung an Windkraftanlegen usw.) hinweisen. Wir erhoffen uns außerdem, dass die Regierenden die Notwendigkeit einer energischen Förderung der Energiewende besser als bisher erkennen. Die Gefahr zukünftiger Verteilungskriege um die zu Ende gehenden Energie-Ressourcen muss verringert werden.

Falls Sie eine günstige Bezugsquelle für ein solches Transparent suchen, wenden Sie sich an uns.