Stromsteuerbefreiung für regenerative Energien?

28.12.2001
Gut gemeint aber wenig hilfreich.
Eine Analyse von Jürgen Grahl


Bei oberflächlicher Betrachtung erscheint es in der Tat nicht recht nachvollziehbar: Nicht anders als fossiler und atomarer Strom, dem die Ökosteuer doch „eigentlich“ gelten sollte, wird auch „ökologisch korrekt“ erzeugter Regenerativstrom mit der Stromsteuer belastet.

Die Umweltverbände fordern die Beseitigung des vermeintlichen Missstandes, die Opposition hat einen weiteren Grund, um gegen die "Absurdität des gesamten Ökosteuer-Konzeptes" zu polemisieren, und selbst die Architekten und Protagonisten der ökologischen Steuerreform vermitteln den Eindruck, als sei die Steuerpflicht für Erneuerbare eine ungeliebte Kröte, die man der EU zuliebe schlucken musste, und als reduziere sich die angestrebte „Weiterentwicklung“ der ökologischen Steuerreform im Wesentlichen darauf, eine Stromsteuerbefreiung für Erneuerbare durchzusetzen.

Nehmen wir die Frage einer derartigen Steuerbefreiung also etwas genauer unter die Lupe. Als außerordentlich hilfreich erweist es sich dabei, das Problem erst einmal aus der langfristigen Perspektive zu betrachten und uns zu vergegenwärtigen, was unsere zentralen Ziele für die nächsten 50 Jahre sind:

(1) die 100 % ige Umstellung unserer Energieversorgung auf erneuerbare Energien (EE) und

(2) der ökologische Umbau unseres Wirtschafts- und Steuersystems.

Wie bereits in den Artikeln „Die ökologischen Strukturfehler unseres Wirtschaftssystems" und „Die ökologische Steuerreform: Arbeit und Wohlstand für alle“ ausführlich dargelegt, ergibt sich die Notwendigkeit der „ökologischen“ Steuerreform keinesfalls allein aus ökologischen Erwägungen; vielmehr erweisen sich wirtschaftliche und soziale Gründe als mindestens ebenso bedeutsam: Die eklatante Schieflage zwischen den Produktionsfaktoren Arbeit und Energie (genauer: die Diskrepanz zwischen Faktorkostenanteilen und Produktionselastizitäten) erfordert zwingend eine weitgehende Verlagerung der gesamten Steuer- und Abgabenlast von der Arbeit hin zur Energie. Langfristig müssen die Staatsaufgaben wie auch die sozialen Sicherungssysteme zum größten Teil über Umweltsteuern finanziert werden, unter denen die Energiesteuern die bedeutsamste Rolle spielen werden. Und diese Steuerquelle wird sich angesichts der enormen Leistungsfähigkeit des Produktionsfaktors Energie als wesentlich ergiebiger erweisen als der Faktor Arbeit, der inzwischen gleichsam vor Erschöpfung schon dem Zusammenbruch nahe ist, wie wir anhand der Arbeitsmarktkrise wie auch der Krise der Renten- und Krankenversicherung täglich beobachten können.

Macht man sich diese Sichtweise zu eigen, so gibt es eigentlich keine Rechtfertigung für eine dauerhafte Steuerfreistellung der EE: Denn im Endzustand eines komplett regenerativen Energiesystems würde sonst ja auch die Besteuerungsgrundlage völlig entfallen. Argumentiert man (wie in den Anfangstagen der Ökosteuerdiskussion) rein ökologisch mit der Internalisierung der externen Kosten, dann wäre das zugegebenermaßen nicht einmal so tragisch: Bei dieser Betrachtungsweise würde die Ökosteuer lediglich die Reparatur der von den konventionellen Energien angerichteten Schäden finanzieren, wäre also nach deren vollständiger Ablösung entbehrlich (wenn man die relativ geringen externen Kosten der erneuerbaren Energien außer acht lässt). Ganz anders jedoch, wenn man die Schieflage zwischen Energie und Arbeit bedenkt, die ja unabhängig von der Art der Energieerzeugung (fossil-atomar oder regenerativ) ist: Unter diesem Blickwinkel muss auch in einer vollständig regenerativen Energiewirtschaft der Faktor Energie einen sehr wesentlichen Anteil an der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme und der Staatsaufgaben tragen, kann also keinesfalls von der Steuer befreit werden. Eine dauerhafte Ökosteuerbefreiung für Regenerative würde zur Inkompatibilität der beiden o.g. zentralen Ziele (1) und (2) führen.

Nun könnte man einwenden, diese Argumentation sei ja nur in der Langzeitperspektive relevant, für eine gewisse Übergangszeit sei daher eine Ökosteuerbefreiung für Erneuerbare durchaus gerechtfertigt, um deren Nachteile im Wettbewerb gegen Kohle und Atom etwas zu mildern. Die Frage, ob dieses Ziel mit einer derartigen Steuerbefreiung überhaupt erreicht werden kann, wollen wir für einen Augenblick zurückstellen; unabhängig davon lassen sich nämlich auch gegen eine vorläufige Freistellung mehrere Bedenken erheben:

  1. Dadurch wird der Blick verstellt für die Möglichkeit und Notwendigkeit der VOLLSTÄNDIGEN Umstellung auf Erneuerbare, wenn wir ausgerechnet die Energieträger, die in einigen Jahrzehnten die Hauptstütze nicht nur unserer Energieversorgung, sondern auch unseres Steuersystems sein sollen, jetzt gewissermaßen „wegen Geringfügigkeit“ erst einmal freistellen; das würde es noch schwieriger machen, die im öffentlichen Bewusstsein vorherrschende Vorstellung einer lediglich „additiven“ Energie zu überwinden. Wer heute mit Nachdruck für eine Ökosteuerbefreiung für EE eintritt, muss sich daher durchaus die Frage stellen lassen, ob er die Idee der vollständigen Umstellung auf EE wirklich vollständig zu Ende gedacht hat bzw. sich dessen bewusst ist, welche Dimension der ökologische Umbau des Steuersystems tatsächlich annehmen muss.
  2. Das System der Förderung der Erneuerbaren wird dadurch intransparenter: Aufgabe der Ökosteuer ist die Nivellierung der Schieflage zwischen Energie und Arbeit sowie die Internalisierung der externen Kosten, nicht aber die Durchsetzung der Regenerativen; hierfür steht mit dem Konzept der kostendeckenden Vergütung ein eigenes höchst wirkungsvolles Instrument zur Verfügung. Dies sollte man möglichst klar auseinanderhalten, damit erkennbar bleibt, welches Element des Steuersystems welche Funktion hat. (Das ist keineswegs nur ein akademisches Problem, eine Frage der „Ästhetik“ des Steuersystems gewissermaßen: Vielmehr hat die mangelnde Akzeptanz unseres Steuersystems und das verbreitete Misstrauen gegenüber jedweder Änderung des Status Quo sicherlich auch und gerade damit zu tun, dass Sinn und Berechtigung der einzelnen steuerlichen Regelungen für die meisten Menschen weitgehend im Unklaren bleiben und oft willkürlich wirken.)
  3. Und schließlich ist es erfahrungsgemäß mit gewaltigen politischen Schwierigkeiten verbunden, eine - auch nur vorübergehende - steuerliche Begünstigung jemals wieder abzuschaffen. Man denke nur an die Subventionen und Steuerbefreiungen in der Landwirtschaft oder im Steinkohlebergbau.

Dennoch müssten wir diese eher prinzipiellen Einwände natürlich hinten anstellen, falls sich eine Befreiung von der Ökosteuer als notwendig oder auch nur zweckdienlich für den Durchbruch der EE erweisen sollte. In der Tat gibt es Situationen, in denen dies der Fall ist - jedenfalls solange keine besseren Förderinstrumente zur Verfügung stehen, man denke beispielsweise an die Förderung von Biokraftstoffen durch eine Befreiung von der Mineralölsteuer.

Im Bereich der Stromerzeugung hingegen ist eine Ökosteuerfreistellung für EE gegenüber dem Konzept kostendeckender Vergütungen nicht nur eindeutig unterlegen, sie erweist sich sogar als mit letzterem geradezu unvereinbar:

Um dies einzusehen, müssen wir uns zunächst vergegenwärtigen, durch welchen konkreten Wirkungsmechanismus eine Steuerbefreiung die EE besserstellt: Sie bedeutet keinen direkten Vorteil für den Anlagenbetreiber, sondern macht es lediglich möglich, Regenerativstrom ein wenig billiger zu verkaufen. Sie fördert den Verbrauch von Regenerativstrom und nicht etwa die Erzeugung. Damit lassen sich praktisch alle Einwände und Bedenken, die der SFV wiederholt gegen den Ökostromhandel vorgebracht hat, unmittelbar übertragen. Welch zahlreiche Missbrauchsmöglichkeiten (Stromwäsche etc.) ausgeschlossen werden müssten, ist ausführlich in einem Artikel von Ralf Bischof in SB 2/00, S. 14f. dargestellt.

Noch gravierender aber ist, dass in dem im EEG verwirklichten System garantierter Mindestvergütungen ein Steuervorteil für Regenerativstrom zumindest in den nächsten Jahren in aller Regel gar nicht den Erneuerbaren zugute kommen, für die Betreiber keinerlei zusätzliche, über das EEG hinausgehende Förderung mit sich bringen würde: Stünde Regenerativstrom im direkten, schutzlosen Wettbewerb mit Kohle- und Atomstrom, dann könnte der Betreiber in der Tat Mehrerlöse in Höhe der Steuervergünstigung erzielen. Er wäre aber dennoch schlechter gestellt als im heutigen EEG-System: In diesem liegen die gesetzlichen (Mindest-)Vergütungen mit gutem Grund derzeit noch deutlich über den Marktpreisen. Erst in dem Augenblick aber, in dem die Differenz zwischen den Vergütungen des EEG und den Erzeugungskosten konventioneller Kraftwerke geringer wird als der Steuervorteil, kann der Anlagenbetreiber eine höhere Vergütung am Markt durchsetzen, erst ab hier kommt die Steuerbefreiung wirklich den EE zugute.

Davon kann heute offensichtlich noch keine Rede sein. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (und wohl noch auf Jahre hinaus) würde - da die EEG-Mehrkosten ja im Zuge des bundesweiten Ausgleichs auf alle Stromkunden umgelegt werden - mit einer Steuerbefreiung für Erneuerbare lediglich eine allgemeine Strompreissenkung subventioniert.

Kurz gesagt: Entgegen weitverbreiteter Auffassung addieren sich die Wirkungen von EEG und Steuervorteil nicht! Das gilt übrigens auch für jene „ehrlichen“ Ökostromhändler, die die freiwilligen Mehrzahlungen für eine über den EEG-Standard hinausgehende Förderung verwenden und sich soweit wie möglich über den bundesweiten Ausgleich refinanzieren: Auch sie haben von der Steuerfreistellung zunächst keinen Wettbewerbsvorteil, bessergestellt würde ausgerechnet jener Ökostromhandel, bei dem die EEG-Mehrkosten aus dem allgemeinen Strompreis herausgenommen und einseitig auf die Ökostromkunden umgelegt werden.

Die Steuerbefreiung entfaltet ihre Wirksamkeit also im Gegensatz zur kostendeckenden Vergütung erst relativ spät (inbesondere bei der Photovoltaik!), erst „kurz vor“ Erreichen der Wirtschaftlichkeit - und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem man aufgrund der obigen längerfristigen Überlegungen allmählich schon wieder über eine Abschaffung der Steuerbefreiung nachdenken müsste! Der hauptsächliche Effekt wäre damit ein weitgehend kosmetischer: Man könnte ein wenig früher (vielleicht ein paar Jahre) auf die Festschreibung von Mindestvergütungssätzen verzichten. Möglicherweise geht es den Verfechtern einer Steuerbefreiung aber ja - bewusst oder unbewusst - gerade darum: das von den politischen Gegnern als interventionistisch angefeindete Konzept kostendeckender Vergütungen möglichst schnell durch vermeintlich marktkonformere (oder populärere bzw. leichter vermittelbare?) Instrumente wie z.B. Steuerbegünstigungen ersetzen zu können. Unter dem Aspekt der politischen Durchsetzbarkeit mag das zunächst als klug erscheinen, langfristig kann es sich jedoch leicht als kontraproduktiv erweisen: Den Siegeszug der EE beschleunigt es jetzt und in den nächsten Jahren in keiner Weise, eher im Gegenteil: Nach einer Stromsteuerbefreiung der EE würde es wohl noch schwerer werden, echte kostendeckende Vergütungen (insbesondere für die Photovoltaik) durchzusetzen, zumal gegen den Irrtum, dass sich die Wirkungen von EEG und Steuerbefreiung addierten und daher nunmehr niedrigere Vergütungssätze ausreichten, zweifellos nur sehr schwer anzukommen ist.

(aus Solarbrief 3/01)