Zusammenfassung:

  • Anstatt Überspannung zu erzeugen, entlasten PV-Anlagen in der Regel das Niederspannungsnetz, in welches sie einspeisen.
  • Die in jedem Wechselrichter vorhandene Abschalteinrichtung verhindert sicherheitsrelevante Überspannungen. Die von einigen Netzbetreibern aufgestellte Behauptung, durch den Anschluss von zu vielen Solaranlagen in einem Netzzweig könnten durch Überspannung Sachschäden auftreten, ist nicht korrekt.
  • Die Abschalteinrichtung im Wechselrichter muss auf die nach Norm gültige obere Spannungsgrenze eingestellt werden. Diese beträgt in Deutschland derzeit 230 Volt plus 10%
  • Beim häufigeren Auftreten von Überspannungen muss der Netzbetreiber die Transformatorspannung niedriger einstellen oder den Trafo auswechseln oder das Netz verstärken.

Die Argumente der Netzbetreiber

Immer häufiger wird der Anschluss auch kleiner Solarstromanlagen mit der Begründung zurückgewiesen, das Niederspannungsnetz werde durch die Einspeisung überlastet und es käme zu unzulässigen Überspannungen. Diese Behauptung ist aus dem folgenden Grund in der Mehrzahl der Fälle falsch.
1. Wenn in einem Netzzweig ausschließlich Stromverbrauch erfolgt, sinkt die Spannung in diesem Zweig bis zum Ende hin ab.
2. Wenn in einen Netzzweig ausschließlich Solarstromanlagen einspeisen, steigt die Spannung zum Ende hin an. Dies ist ein seltener Extremfall.
3. Wenn in einem Netzzweig sowohl Strom verbraucht wird als auch Einspeisung stattfindet, gleichen sich die Effekte der Fälle 1 und 2 weitgehend aus.

Die Netzbetreiber argumentieren mit einem praktisch nie vorkommenden Fall, nämlich Fall 2. Sie gehen - wie sie sagen, "sicherheitshalber" - davon aus, dass die Solarstromanlagen mit voller Leistung einspeisen, während gleichzeitig alle Stromverbrauchsgeräte im Netzabschnitt ausgeschaltet sind. Auf die Praxisferne dieser Rechenweise und auf passende Gegenargumente gehen wir zunächst nicht ein, sondern wir wollen erst einmal die Argumente der Netzbetreiber vortragen und verständlich machen:

Die Bedeutung der Transformatorspannung für die dezentrale Einspeisung

Zur Begründung der (angeblichen) Überlastung geben die Netzbetreiber an, durch die Einspeisung werde die Spannung im Niederspannungsnetz über den zulässigen Wert von 252 Volt (Nennspannung 230 Volt plus 10% im 10-minütigem Mittelwert) angehoben. Dies weisen Sie durch eine einfache (praxisferne) Berechnung nach, die sich am Fall 2 (ausschließlich volle Solarstromeinspeisung, gleichzeitig jedoch kein Stromverbrauch) orientiert.

Tatsächlich bringen aber diese Netzbetreiber selbst ihre Netze auf eine so hohe Spannung, dass schon eine kleine zusätzliche Spannungserhöhung durch Einspeisung von Solarstrom (wenn sie denn eintreten würde) zur Überschreitung der oberen zulässigen Spannungsgrenze führen müsste.

Die erwähnten Netzbetreiber stellen die Transformatoren zur Versorgung des Niederspannungsnetzes so ein, dass sie nicht die Nennspannung von 230 Volt liefern, sondern eine höhere Spannung, z.B. 251 Volt. Dazu werden auf der Sekundärseite des Trafos lediglich einige zusätzliche Drahtwicklungen dazugeschaltet.

Der Grund, warum Netzbetreiber so handeln, ist nicht unbedingt die Absicht, Einspeisung aus Solarenergie zu verhindern, sondern der Wunsch, mit möglichst geringem bautechnischen Aufwand über ihr bereits bestehendes altes Stromnetz ihren Stromkunden möglichst viel Strom liefern zu können. Die elektrotechnischen Normen - an deren Erstellung sie maßgeblich beteiligt sind - erlauben ihnen diese Spannungserhöhung. Allerdings verstoßen die Netzbetreiber, wenn sie die Spannungsgrenzen der Norm voll ausnutzen, unter Umständen gegen das Vorrangsgebot für Erneuerbare Energien nach § 8 Abs. 1 EEG 2009.

Nach der Norm IEC 60038 ist die Stromspannung im Niederspannungsnetz zwar auf 230 Volt (Nennspannung) festgelegt; diese Spannung lässt sich aber wegen unvermeidbarer Spannungsverluste in den Versorgungsleitungen nie genau einhalten. Die Norm legt deshalb einen oberen und einen unteren Grenzwert fest. Die Spannung darf nach oben um bis zu 10% ansteigen und nach unten um bis zu 10% absinken. Elektrogeräte müssen mit solchen Schwankungen (zwischen 252 V und 207 V) "leben" können. Wenn die Spannung ansteigt, leuchten Glühlampen heller (brennen auch eher durch. Bei einer gasgefüllten Glühlampe sinkt die Lebensdauer bei einer Überspannung von 10 Volt auf 55%), heizen Elektroheizungen und Kochplatten erheblich schneller (und der Stromzähler dreht sich schneller). Wenn die Spannung absinkt, sind die Effekte umgekehrt. Aber erst wenn die genannten Grenzen nach oben oder unten überschritten werden, hat der Stromkunde die Möglichkeit einer Spannungsbeschwerde.


Die Spannung am Beginn eines Netzzweiges, also direkt hinter dem Transformator, hängt von der Einstellung des Transformators ab. Sie sinkt jedoch zum Ende des Netzzweiges umso stärker ab, je mehr Strom verbraucht wird und je schwächer die Kabelquerschnitte sind. Für den Netzbetreiber hat die oben erwähnte Einstellung einer höheren Spannung den Vorteil, dass die Spannung am Ende des Netzabschnitts nicht unter den zulässigen Wert absinkt. Eigentlich müsste der Netzbetreiber bei zunehmendem Stromverbrauch seiner Kunden das Netz verstärken (stärkere Kabelquerschnitte verwenden). Er erspart sich diese Geldausgabe jedoch gerne durch eine Erhöhung der Transformatorspannung.

Betrachten wir zur Veranschaulichung die Verhältnisse in einem Zweig des Niederspannungsnetzes, z.B. in einem Straßenzug mit großen Mietshäusern zur Zeit des höchsten Stromverbrauchs (und ohne jede Einspeisung aus Solarstromanlagen)
Weitere technische Erläuterungen zu den Bildbeispielen finden Sie im Anhang



Im linken Bildteil sinkt in den Häusern 5 bis 7 die Spannung unter die zulässige Untergrenze von 207 Volt. Im rechten Bildteil hingegen werden durch Erhöhung der Trafospannung auch noch die Häuser 5, 6, 7 und 8 mit normgerechter Spannung versorgt.

 

Doch zurück zum Thema der Anschlussverweigerung wegen (angeblicher) unzulässiger Spannungserhöhung. Betrachten wir zur Veranschaulichung die gleichen Wohnblocks aus Beispiel 1 mit erhöhter Trafospannung von 251 Volt zu einem Zeitpunkt, in dem der Stromverbrauch Null ist. Dann gibt es keinen Spannungsabfall mehr und alle Wohnblocks erhalten die Trafo-Ausgangsspannung von 251 Volt. Dies wird im folgenden Bild im linken Bildteil dargestellt.

Würde jetzt (immer noch in dem unwahrscheinlichen Fall, dass niemand Strom verbraucht und deshalb in allen Häusern die Spannung bereits bei 251 Volt gestanden hat) in Haus 2 auch nur eine einzige Solarstromanlage Strom in das Netz einspeisen, so würde sich die Energieflussrichtung zwischen Haus 2 und dem Trafo umkehren. Der Spannungsabfall ginge dann in umgekehrter Richtung und in allen Häusern steigt die Spannung. Die Spannungsverteilung könnte dann aussehen wie folgt:

Im rechten Bildteil: In den Häusern 2 bis 8 überschreitet bei Solarstrom-Einspeisung die Spannung sogar die obere Spannungsgrenze von 252 Volt. Der Netzbetreiber wird die Einspeisung verbieten. Tatsächlich hat er aber selbst durch die Einstellung des Transformators auf 251 Volt die Ursache für diese Überspannung geliefert.

Das Argument des Netzbetreibers, dass die von ihm vorgenommene Trafo-Einstellung auf 251 Volt nach Norm zulässig ist, trägt nicht. Die erwähnten elektrotechnischen Normen legen den Rahmen fest, innerhalb dessen der Netzbetreiber die Netzspannung halten muss. Doch die Vorrangforderung des EEG für Erneuerbare Energien ist zusätzlich zu beachten. Sie engt die freie Wahl der Spannung für den Netzbetreiber weiter ein. Er darf den oberen Spannungsbereich nur dann und nur so weit nutzen, dass sich dadurch die Einspeisung von Strom aus Erneuerbaren Energien in diesen Netzabschnitt nicht verbietet. Durch das Hochstellen des Transformators hat er den gesamten Spannungsbereich zwischen der unteren zulässigen Spannungsgrenze von 207 Volt bis 251 Volt für die Verteilung von Strom aus dem Mittelspannungsnetz reserviert und für die Aufnahme und Weiterleitung von Solarstrom aus dem Niederspannungsnetz nur den kleinen Restbereich von 251 Volt bis 252 Volt übrig gelassen. Mit dem Vorrang der Erneuerbaren Energien ist dies nicht vereinbar.

Das EEG führt zu einem Paradigmenwechsel. Vorrang haben nicht mehr die Großkraftwerke, die eine Energieflussrichtung von "oben" nach "unten" vorgeben, sondern die dezentralen Einspeiser, die in einer zunehmenden Zahl von Fällen eine Energieflussrichtung von "unten" nach "oben" herbeiführen. Die Energieflussrichtung von "oben" nach "unten" ist nicht mehr die Norm. Der Netzbetreiber darf sein Netzmanagement - also z.B. das Einstellen der Transformatoren - deshalb nicht mehr ausschließlich auf die Energieflussrichtung von "oben" nach "unten" ausrichten. Er muss den Transformator mindestens so einstellen, dass im folgenden Netzabschnitt Spielraum sowohl für die notwendige Spannungsanhebung bei überwiegender Einspeisung als auch für eine Spannungsabsenkung bei überwiegender Höchstlast bleibt.

Wenn dies nicht mehr möglich ist, wenn also im praktischen Netzbetrieb trotz optimaler Einstellung der Trafospannung der Bereich zwischen den vorgegebenen Spannungsgrenzen nicht mehr ausreicht, ist dies ein Indiz dafür, dass die Übertragungskapazität des Netzes ausgeschöpft und der Netzbetreiber zum Netzausbau verpflichtet ist.

Behelfsweise könnte der Netzbetreiber auch Ortsnetztrafos mit im Betrieb regelbarer Spannung verwenden und den Zeitpunkt eines notwendigen Netzausbaus hinausschieben.

Die Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit braucht hier nicht weiter geprüft zu werden, weil der Netzbetreiber als Gebietsmonopolist die Versorgung - zu der seit dem EEG auch die Versorgung mit Strom aus Erneuerbaren Energien gehört - in seinem Versorgungsgebiet sicherstellen muss.

Möglichkeiten des Anlagenbetreibers

Bei Anschlussverweigerung wegen angeblicher Überlastung des Niederspannungsnetzes bieten sich folgende Möglichkeiten an:

  • Der Anlagenbetreiber verlangt die Einstellung der Ortsnetztrafos auf den Nennwert von 230 Volt.
  • Bei Anlagen bis 30 kW lässt sich der Anlagenbetreiber einen anderen Verknüpfungspunkt zuweisen, gibt den Bau der Anschlussleitung in Auftrag und lässt sich die Mehrkosten durch den Netzbetreiber nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EEG 2009 erstatten.

In jedem Fall fordert der Anlagenbetreiber den Netzbetreiber zum umgehenden Ausbau des Netzes auf.

Die teilweise von Netzbetreibern aufgestellte Behauptung, durch den Anschluss von zu vielen Solaranlagen in einem Netzzweig könnten durch Überspannung Sachschäden auftreten, ist nicht korrekt. Der Grund liegt darin, dass jeder PV-Wechselrichter mit einer automatisch wirkenden Einrichtung versehen ist, die die Solaranlage außer Betrieb setzt, wenn die Netzspannung am Wechselrichter den zulässigen Wert von 252 Volt übersteigt.

Anhang: Technische Erläuterungen zu den Bildbeispielen

Die technischen Daten wurden so gewählt, dass die Spannungsabfälle in der Versorgungsleitung zwischen den Verknüpfungspunkten mit den Hausanschlüssen jeweils ganzzahlige Werte ergeben. Der maximale Stromverbrauch in den Wohnblocks wurde gleich angenommen. Die Abstände zwischen den Verknüpfungspunkten wurden als gleich angenommen. Der Spannungsabfall im Transformator selber wurde vernachlässigt.
(Tatsächlich erfolgt im Transformator ein zusätzlicher Spannungsabfall, so dass es in Einzelfällen durchaus sinnvoll sein kann, einen Transformator mit gleichem Übersetzungsverhältnis, aber mit geringerem Innenwiderstand einzusetzen.)

Zu Bild 1: Die Spannungsabfälle zwischen den einzelnen Häusern sind ungleich, weil die fließenden Ströme ungleich sind. In der Versorgungsleitung zwischen Haus 7 und Haus 8 fließt nur der Strom für Haus 8. In der Versorgungsleitung zwischen Haus 6 und Haus 7 fließt ein doppelt so großer Strom, weil Haus 7 und Haus 8 versorgt werden müssen. In der Versorgungsleitung zwischen Haus 5 und Haus 6 fließt der dreifache Strom usw. Dementsprechend beträgt der Spannungsabfall zwischen Haus 7 und Haus 8 ein Volt, der zwischen Haus 6 und Haus 7 zwei Volt usw.