Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schlagen die tonangebenden Wirtschaftswissenschaftler seit Jahrzehnten in großer Einmütigkeit vor, das Wirtschaftswachstum zu steigern. Dieser Vorschlag ist zwar wirklichkeitsfremd, weil binnen weniger Generationen praktisch alle Grenzen in Material- und Ressourcenverbrauch überschritten würden. Dennoch trifft die Behauptung, man müsse die Wirtschaft weiter "ankurbeln“, allerorten auf nicht mehr weiter reflektierte Zustimmung. Dabei hat die konventionelle Volkswirtschaftslehre für die Tatsache, dass trotz ständig wachsender Wirtschaft und satter Firmengewinne die Arbeitslosigkeit in vielen Industrieländern seit Jahrzehnten scheinbar unaufhaltsam ansteigt, keine wirklich überzeugende Erklärung. Sie versäumt es, die technischen bzw. die physikalischen Ursachen dafür zu ergründen, wie denn eigentlich ein Unternehmen die gleiche Wertschöpfung mit immer weniger Personal erwirtschaften kann. Stattdessen geht sie von einer unaufhaltsamen Zunahme der Produktivität der Beschäftigten aus, welche einem geheimnisvollen, nicht näher fassbaren ”technischen Fortschritt“ (oder neuerdings dem ständig zunehmenden Wissen) zugeschrieben wird. Diese Erklärung hat psychologisch unerwünschte - oder vielleicht sogar erwünschte - Folgen. So fühlen sich selbst die von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmer noch geschmeichelt von der Aussage, dass ihre Produktivität ständig weiter steigt, und so akzeptieren sie es als ”unabänderliche Konsequenz“, dass im Zuge von ”Rationalisierungsmaßnahmen“ einige von ihnen entlassen werden müssen.

Tatsächlich aber ist Produktivität keine Eigenschaft der Arbeitnehmer, sondern eine reine Rechengröße - nämlich Wertschöpfung dividiert durch Arbeitsstunden. Tatsächlich werden nicht die Arbeitnehmer produktiver, sondern sie erhalten mehr ”Unterstützung“ durch Automaten und Energie und durch die Verfügbarkeit billiger Grundstoffe. Den immensen Energieaufwand zur Gewinnung der Grundstoffe, zum Antrieb der Automaten und Förderbänder freilich, der eine Erklärung für die Steigerung der Produktion bei abnehmender Beschäftigung geben kann, vernachlässigt die bis heute tonangebende neoklassische Volkswirtschaftslehre mit der geradezu naiven Begründung, dass Energie verglichen mit den Arbeitslöhnen und den Automaten vernachlässigbar wenig koste und somit keinen großen Einfluss haben könne; etwa nach dem Motto: Was nicht viel kostet, ist nicht viel wert. So kommt es zu dem unglücklichen Umstand, dass bei der Suche nach den tieferen Ursachen der Arbeitslosigkeit die Konkurrenz, die der menschlichen Arbeit durch billige Energie erwächst, von vornherein aus der Betrachtung ausgeschlossen wird. Aus dem Erkenntnisstand von Naturwissenschaft und Ingenieurkunst ist die Nichtberücksichtigung der Energie ein schwerwiegender Fehler, denn in der realen Welt werden alle Vorgänge - natürlich auch jedwede Produktion - durch Energieumwandlung angetrieben. Das geschieht unabhängig davon, wie billig oder teuer die Energie ist.

Der Solarenergie-Förderverein Deutschland, dessen Satzung ausdrücklich die Untersuchung der Wechselwirkung von Energiefragen mit anderen Politikfeldern enthält, hat sich von ökonometrischen Untersuchungen überzeugen lassen, die von Naturwissenschaftlern und ökonomen der Universitäten Karlsruhe, Köln und Würzburg sowie der European School of Business Administration in Fontainebleau unter Einbeziehung der Energie als Produktionsfaktor durchgeführt wurden und die zu dem Ergebnis kommen, dass der wirtschaftliche Wert der Energie (ihre sog. Produktionsmächtigkeit) wesentlich größer ist als ihr Anteil an den Produktionskosten - und dass es bei der menschlichen Arbeit - besonders im produzierenden Gewerbe - umgekehrt ist. Dieses Ungleichgewicht erklärt die Zunahme der Arbeitslosigkeit auch in einer weiterhin wachsenden Wirtschaft: Die Kapitalgeber unterliegen ständig dem Anreiz, personalintensive Unternehmenszweige, die wegen der hohen Personalkosten keinen oder wenig Gewinn abwerfen, zu ersetzen, und zwar durch energieintensive Fertigungszweige, die wegen der geringen Kosten und der hohen Produktionsmächtigkeit der Energie hohe Gewinne abwerfen. Die notwendige wirtschaftspolitische Abhilfe ist denkbar einfach herzuleiten: Da der Produktionsfaktor Arbeit in Anbetracht seiner Produktionsmächtigkeit zu teuer, Energie jedoch zu billig ist, liegt es nahe, die Steuer- und Abgabenlast von der Arbeit auf die Energie zu verlagern. Dazu verweisen wir auf den Vorschlag des SFV, den Sie im Internet unter www.sfv.de/lokal/mails/wvf/arbeitun.htm nachlesen können, und auf unser Solarbrief-Sonderheft ”Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit - Aber wie?“, das beim SFV kostenlos angefordert werden kann.

Für den naturwissenschaftlich gebildeten Leser mag der Verweis auf die ersten beiden Hauptsätze der Thermodynamik bereits eine hinreichende Begründung für die Anerkennung der Energie als entscheidender Produktionsfaktor sein. Die Bedeutung der genannten Untersuchungen liegt darin, dass nun erstmals auch quantitative Aussagen darüber vorliegen, welchen Stellenwert die Energie für dieWertschöpfung tatsächlich hat. Solche konkreten Zahlenwerte sind von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, überzeugend und seriös zu begründen, dass sich der Faktor Energie als solide Basis für die zukünftige Finanzierung der Sozialsysteme und der Staatsaufgaben eignet, und den Einwand zu entkräften, die vorgeschlagene Verlagerung der Steuerlast würde die Arbeitslosigkeit noch erhöhen. Es scheint uns daher an der Zeit zu sein, ein wenig näher auf diese Untersuchungen einzugehen und zu versuchen, ihre Hintergründe in möglichst allgemeinverständlicher Form darzustellen.

Diesem sicherlich nicht einfachen Versuch unterziehen sich Reiner Kummel und Jürgen Grahl im folgenden Beitrag.