Aachen, 21. Mai 2024 – Der Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V. (SFV) hat heute in einem Offenen Brief den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier aufgefordert, seine Unterschrift unter die Novelle des Klimaschutzgesetzes zu verweigern.

Damit könnte das Gesetz nicht im Bundesanzeiger veröffentlicht werden und folglich auch nicht in Kraft treten. Als Begründung für seine Forderung weist der SFV auf die Verfassungswidrigkeit der KSG-Novelle hin.

Der Bundestag hat die KSG-Novelle am 26. April beschlossen, worauf der SFV umgehend mit einer inhaltlichen Kritik antwortete. Am 17. Mai verzichtete der Bundesrat darauf , den Vermittlungsausschuss anzurufen. Die Unterschrift des Bundespräsidenten ist nun der letzte Schritt vor dem Inkrafttreten des Problem-Gesetzs.

Den Offenen Brief hat der SFV hier dokumentiert. Der Text wird nachfolgend vollständig wiedergegeben.

 

Sehr verehrter Herr Bundespräsident,

in Kürze wird Ihnen die zweite Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) zur Unter­schrift vorgelegt werden.

Wir haben schwere Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des neuen KSG und bitten Sie, aus diesem Grund Ihre Unterschrift unter das Gesetz zu verweigern.

Uns ist bewusst, dass eine solche Unterschrifts-Verweigerung in unserer Verfassungsord­nung die absolute Ausnahme bilden sollte. Aber der vorliegende Fall ist so gravierend, dass er eine solche Ausnahme rechtfertigt, ja: notwendig erscheinen lässt. Dabei möchten wir auf die fehlerhafte Formulierung des Gesetzes, die eine Zurückweisung schon aus formalen Er­wägungen rechtfer­tigt, gar nicht eingehen. Vielmehr möchten wir folgende inhaltliche Be­gründung vortragen:

1.  Mit dem „Klimaurteil“ des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 24. März 2021 - 1 BvR 2656/18, 1 BvR 288/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20) wurde dem Klimaschutz in Deutsch­land Grundrechts-Rang zugeschrieben. Das ursprüngliche KSG vom 12.12.2019 gefährde „praktisch jegliche grundrechtlich geschützte Freiheit“ kommender Generationen, insoweit es zu viele der nötigen Anstrengungen in eine unbestimmte Zukunft verlagere. Der vom BVerfG formulierte Grundsatz der „intertemporalen Freiheitssicherung“ hat nun Verfas­sungsrang.

2.  Unmittelbar nach dem „Klimaurteil“ wurde die erste Novelle des KSG beschlossen. Das Ziel­jahr für Klimaneutralität wurde von 2050 auf 2045 vorverlegt, und für den Zeitraum nach 2030 wurden konkrete Minderungsziele für THG-Emissionen eingeführt. Nach unserer Über­zeugung stellten diese Schritte nur marginale Verbesserungen dar, welche die intertempo­rale Freiheitssi­cherung nicht zu gewährleisten vermögen. Aber wenn auch das Ambitionsni­veau unzureichend blieb, schien doch das Maßnahmen-Niveau immerhin geeignet, die Ziele des KSG zu erreichen. Dies liegt vor allem an den Überprüfungsmechanismen und den Nach­regelungsprozeduren, die das Gesetz vorsieht. Die Stichworte lauten „Sektorenziele“ und „Sofortprogramm“. Zwei Mal (zu­letzt am 16.5.2024) hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Bundesregierung verurteilt, das bestehende Klimaschutzgesetz einzuhalten und ausrei­chen­de Sofortprogramme für die säumigen Sektoren vorzulegen. Die jetzige No­velle ist of­fen­sicht­lich dadurch motiviert, die gerichtsnotorischen Rechtsverstöße nachträg­lich zu legi­ti­mieren.

3.  Gerade Sektorenziele und Sofortprogramme als Rückgrat des KSG soll durch die jetzt vor­lie­gende Novelle entfernt werden. Dadurch stellt sie nach einhelliger Einschätzung von Me­dien, Umweltverbänden und auch der Opposition im Bundestag eine empfindliche Schwä­chung des Klimaschutzes dar. Dies wird mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die – ohnehin un­zureichenden – Reduktionsziele des KSG verfehlt werden. Bekanntlich ist genau dies im Hinblick auf bestimmte Sektoren (namentlich den Verkehrssektor) auch die Absicht der Novelle. Die kli­mapolitische Untätigkeit im Verkehrssektor bis 2030 wird aufgrund der “Lebensdauer” der Fahr­zeuge notwendig dazu führen, dass in diesem Sektor auch 2045 noch in beträchtlichem Umfang Treibhausgase emittiert werden. Außerdem verhindert die neue Regelung, dass der vorgesehene Reduktionspfad überboten wird (was aber unbedingt ange­strebt werden müsste): Jede Überer­füllung in einem Sektor reizt andere Sektoren an, noch weniger Anstrengungen zu unternehmen, so dass die jährlich zulässige summarische Ober­grenze voll ausgeschöpft wird.

4.  Diese intendierte Verschlechterung des Klimaschutzes findet in der Zeit einer dramati­schen Zuspitzung der Klimakrise statt. Das BVerfG legte 2021 seinem Klima-Urteil den Ge­danken der Treibhausgas-„Budgets“ zugrunde. Die Bundesregierung hat uns gegenüber wie­derholt aus­drücklich beteuert, in ihrer Klimapolitik keinen Budget-Ansatz zu verfolgen (vgl. fragdenstaat.de/anfrage/klimaneutralitat/), was auf ein Ignorieren des Klimaurteils des BVerfG hinausläuft. In den inzwischen verflossenen drei Jahren sind (in Deutschland und welt­weit) so viel wei­tere Treibhausgase in die Atmosphäre emittiert worden, dass diese Budget-Be­rechnung nun neu durchgeführt werden müsste – mit dem sicheren Ergebnis, dass noch viel we­niger „Budget“ übrig ist (möglicherweise überhaupt keines mehr). Als Folge die­ser Einsicht müss­ten nun zum Allermindesten die Klimaschutz-Anstrengungen deutlich ver­stärkt werden. Die KSG-Novelle unternimmt aber das genaue Gegenteil.

5.  Mit dem erreichten Grad an Erderwärmung und den daraus folgenden Extremwetterer­eignis­sen und Meeresspiegelanstiegen wird nicht nur die „intertemporale Freiheitssiche­rung“ zer­stört, sondern es treten nun auch unmittelbare Beeinträchtigungen der grundge­setzlich garan­tierten Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 [2] GG) und auf Eigentum (Art. 14 [1] GG) in den Vordergrund. Diese werden mit weiter fortschreitender Erderwärmung weiter zunehmen. Es ist die Verpflichtung jeglicher Politik, diesen Prozess so gut wie möglich zu begren­zen. Die Abschwächung des KSG ist auch unter diesem Gesichts­punkt fatal.

Die genannten Gründe wiegen auch wegen der Unumkehrbarkeit der Klimakatastrophe be­son­ders schwer. Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident, sind die letzte Instanz, welche die verfas­sungsrechtlich höchst bedenkliche Novelle im politischen Raum noch stoppen kann. Deshalb ap­pellieren wir heute an Sie, Ihre Unterschrift unter die KSG-Novelle zu versagen, mit Berufung auf Ihren Amtseid, in dem Sie gelobten, Ihre „Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, sei­nen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen“ zu wollen.

Hochachtungsvoll ...