Am 6. Juni gab das Bundeskabinett endlich den Startschuss für die nach Koalitionsvertrag einzusetzende Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“. Schlussendlich fiel die Entscheidung auf 24 VertreterInnen aus Forschung, Wirtschaft, aus Umweltverbänden und lokalen Initiativen. Dabei war man bemüht, öffentlich Ausgewogenheit zwischen Kohlebefürwortern und Kohlegegnern zu demonstrieren. [1] Vorsitzende der Kommission sind die früheren Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) und Stanislaw Tillich (CDU) sowie Bahn-Vorstandsmitglied Ronald Pofalla und die Umweltökonomin Barbara Praetorius. Außerdem gehören der Kommission auch drei Bundestagsabgeordnete der Regierungsfraktionen an, die zwar Rederecht, aber kein Stimmrecht haben.
 

Mitglieder der Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung

Jutta Allmendinger - Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung • Gerda Hasselfeldt (CSU) - derzeit Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes • Antje Grothus - Bürgerinitiative "Buirer für Buir" • Christine Herntier - Bürgermeisterin Spremberg, Sprecherin Lausitzrunde • Martin Kaiser - Geschäftsführer Greenpeace • Stefan Kapferer - Vorsitzender Geschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft • Dieter Kempf - Präsident Bundesverband der Deutschen Industrie • Stefan Körzell - Mitglied Bundesvorstand Deutscher Gewerkschaftsbund • Ingo Kramer - Präsident Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände • Michael Kreuzberg - Landrat Rhein Erft Kreis • Felix Matthes - Forschungskoordinator Energie und Klimapolitik Ökoinstitut • Claudia Nemat- Vorstandsmitglied Telekom • Kai Niebert - Nachhaltigkeitsforschung, Universität Zürich • Annekatrin Niebuhr - Arbeitsmarktforschung und Regionalforschung Uni Kiel • Reiner Priggen (B90/Grüne), Vors. Landesverband EEG NRW, • Katherina Reiche - Hauptgeschäftsführerin Verband kommunaler Unternehmen • Gunda Röstel - Geschäftsführerin Stadtentwässerung Dresden, ehem. Parteivors. B90/Grüne, Aufsichtsratmitglied EnBW • Andreas Scheidt - Mitglied Bundesvorstand Verdi • Hans Joachim Schellnhuber - Direktor Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung • Eric Schweitzer - Präsident Deutscher Industrie und Handelskammertag, Alba • Michael Vassiliadis - Vorsitzender IG Bergbau, Chemie, Energie • Ralf Wehrspohn - Leiter Fraunhofer Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen • Hubert Weiger - Vorsitzender BUND • Hannelore Wodtke - Vorsitzende der Wählergruppe "Grüne Zukunft Welzow"

Bundestagsabgeordnete: (ohne Stimmrecht): Andreas Lämmel (CDU), Andreas Lenz (CSU), Matthias Miersch (SPD)

 
Zielsetzung des auch als Kohlekommission bezeichneten Expertengremiums soll es laut Regierungsvertrag sein, bis Ende 2018 ein Aktionsprogramm zu erarbeiten, damit

  • die Lücke zur Erreichung des 40 Prozent-Reduktionsziels bis 2020 so weit wie möglich reduziert wird,
  • das 2030-Ziel für den Energiesektor zuverlässig erreicht und eine umfassende Folgenabschätzung durchgeführt wird,
  • ein Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung, einschließlich eines Abschlussdatums und der notwendigen rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und strukturpolitischen Begleitmaßnahmen vorgelegt und
  • die finanzielle Absicherung für den notwendigen Strukturwandel in den betroffenen Regionen sichergestellt ist. [2]

Das könnte für Uninformierte engagiert klingen, ist es allerdings leider nicht. Würde die Bundesregierung die Pariser Klimaschutzverpflichtungen zur Einhaltung des 1,5°-Ziels ernst nehmen, müssten die gesamten Kohlendioxidemissionen in allen Sektoren (Stromversorgung, Wärme und Verkehr) spätestens bis zum Jahr 2040 auf nahe null sinken [3]. Der schnellstmögliche Ausstieg aus der Braunkohleförderung und -verstromung muss dabei oberste Priorität haben. Jedes Zögern und Verschleppen verringert die Chance, die Erderwärmung noch stoppen zu können.

Doch für diesen umfassenden Ansatz gibt es laut Regierungsprogramm kaum eine Diskussionsbasis. Die Zielvorgaben von CDU/CSU und SPD sollen der Kommission als Grundlage dienen, Vorschläge für ein späteres Gesetz zu erarbeiten, das den Fahrplan zur Erreichung des deutschen Klimaschutzziels 2030 (55 % Minderung der Treibhausgase) festschreiben kann.

Auch das erste Presseinterview von Peter Altmaier könnte bereits heute schon als trauriger Hinweis verstanden werden, wohin die Reise am Verhandlungstisch gehen soll: Statt den schnellstmöglichen Kohleausstieg ganz oben anzustellen, wurde die Kommission aufgefordert, sich zunächst vorrangig mit den Themen "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" in den von der Kohleindustrie geprägten Regionen der Lausitz und des Rheinlandes zu widmen. Bereits Ende Oktober sollen Empfehlungen für „Maßnahmen zur sozialen und strukturpolitischen Entwicklung der Braunkohleregionen sowie zu ihrer finanziellen Absicherung“ [4] vorgelegt werden.

Dass man sich um soziale und strukturelle Veränderungen in den Regionen kümmern muss ist keine Frage. Die Energiewende geht nur mit den Menschen und die Verantwortung für die Schäden und finanziellen Lasten des jahrzehntelangen Bergbaus dürfen nicht auf den Schultern der Betroffenen ausgetragen werden.

Dass sowohl im Regierungsprogramm als auch im Titel der Kommission der gewichtige Begriff „Strukturwandel“ aus dem ehemaligen Klimaschutzplan 2050 (verabschiedet 2016) übernommen wurde, ist psychologisch geschickt. Wie leicht ergeben sich da Assoziationen zu regionalen Zukunftsängsten und Arbeitsplatzverlusten. Und wie einfach ist es dann, den sanften Ausstieg aus der Kohle auf dem goldenen Tablett zu präsentieren.

Hilfreich und versachlichend für die Diskussion ist deshalb die jüngste Studie des Umweltbundesamtes [5]. Dort liest man: „Fast zwei Drittel der aktuell in der Braunkohleindustrie Beschäftigten werden bis 2030 in Rente gehen. Das ermöglicht, die Braunkohleverstromung ohne betriebsbedingte Kündigungen so weit zurückfahren, dass Deutschland sein Energiesektor-Klimaschutzziel 2030 erreicht. Voraussetzung ist, dass keine Neueinstellungen erfolgen und der Kohleausstieg geordnet durch einen politischen Konsens erfolgt.“

Außerdem muss deutlich gemacht werden, dass der Ausstieg aus der Kohle kein regionales Desaster ist sondern zahlreiche Chancen für die wirtschaftliche Entwicklung, die regionale Wertschöpfung, für eine ökologische Trendwende und für neue Arbeitsplätze - vor allem im Erneuerbaren-Energien-Bereich - bringt.

Bis Ende Oktober soll es einen Zwischenbericht der Kommission zum Thema geben, in dem konkrete Vorschläge für die Entwicklung der Regionen nach der Ära der Braunkohle dargestellt werden.

Erst danach wird im Gremium über den Ausstieg aus der Kohle beraten werden. Die Ergebnisse sollen zur nächsten UN-Klimakonferenz, die am 3. Dezember im polnischen Kattowitz beginnt, präsentiert werden. Das ist sportlich, denn die Vorstellungen der Klimaschützer und Kohlefreunde liegen weit auseinander. Bleibt man bei den zeitlichen Zielvorgaben aus dem Regierungsprogramm, werden die Zielvorgaben des Pariser Klimaschutzvertrages weiterhin eklatant missachtet.

Am 24. Juni 2018 - zwei Tage vor der ersten Sitzung der Kohlekommission - haben mehrere Tausend Menschen in Berlin für den Kohleausstieg und echten Klimaschutz demonstriert. Unter dem Motto „Stopp Kohle – Deine Hände für den Klimaschutz“ forderten die DemonstrantenInnen von der Bundesregierung einen zügigen Kohleausstieg, mit dem die nationalen Klimaziele und das Pariser Klimaabkommen eingehalten werden. Sie fordern ein Sofortprogramm zum gesetzlichen Ausstiegs-Fahrplan für Kohlekraftwerke und Tagebaue. Alle Pläne für neue Kohlekraftwerke, Tagebaue und Erweiterungen müssen gestoppt werden. Und anstelle den Kohlekonzernen einen vergoldeten Ausstieg zu präsentieren, sollen die betroffenen Kohleregionen und Beschäftigten unterstützt werden.

Quellen:

[1] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/ Pressemitteilungen/2018/20180606-bundeskabinett-setzt-kommission-wachstum-strukturwandel-und-beschaeftigung-ein.html

[2] Auszug aus dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU/SPD vom 12.3.2018, https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/ koalitionsvertrag_2018.pdf

[3] Prof. Quaschning: Deutschland versagt beim Klimaschutz, https://www.volker-quaschning.de/datserv/CO2-D/index.php

[4] Einsetzungsbeschluss der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/ Pressemitteilungen/2018/20180606-bundeskabinett-setzt-kommission-wachstum-strukturwandel-und-beschaeftigung-ein.html

[5] Studie des Umweltbundesamtes „Braunkohleindustrie: Kaum betriebsbedingte Kündigungen nötig“ https://www.umweltbundesamt. de/themen/braunkohleindustrie-kaum-betriebsbedingte