Für die klimaneutralen Antriebe der Zukunft wird oft eine "Technologieoffenheit" gefordert − de facto haben wirtschaftliche oder klimatechnische Gründe in vielen Bereichen die Weichen bereits gestellt.


Prof. Dirk Uwe Sauer

Scheinbar stehen der Mobilität eine Vielzahl von Möglichkeiten offen, um in eine klimaneutrale Zukunft zu kommen. Batterie-elektrische Antriebe, wasserstoff-elektrische Antriebe, Wasserstoffverbrennungsmotoren, Oberleitungen oder synthetische Kraftstoffe („eFuels“) werden diskutiert, erprobt oder eingesetzt. Immer wieder ist auch der Ruf nach „Technologieoffenheit“ zu hören, was in der Konsequenz heißen soll: „Der Staat bzw. die EU sollen keine Festlegungen vornehmen, sondern alle Möglichkeiten offen lassen (und auch fördern).“


Die Vielfalt ist aber nur scheinbar so groß, wenn die Systemgrenze der Betrachtung im Wesentlichen die Fahrzeuge selber umfasst. Eine realistische Betrachtung der Transformationspfade muss aber neben den Fahrzeugen selber auch die Infrastruktur für die Energieversorgung, die Bereitstellung der Energieträger und die Gesamtwirkung eines Technologiepfads auf die Emission klimaschädigender Gase berücksichtigen. So sind batterie-elektrische Antriebe z.B. für Erntemaschinen wenig sinnvoll, weil einerseits das Gewicht kritisch für die Bodenkompression ist und weil in Erntezeiten ggf. auch rund um die Uhr geerntet wird und dies in der Regel weit weg von einer elektrischen Schnellladeinfrastruktur. Hier könnten u.U. Verbrennungsmotoren mit Biokraftstoffen oder eFuels eine gute Lösung sein, weil die Zahl der Betriebsstunden klein ist, was nach einer Lösung mit möglichst geringen Investitionskosten und einem leichten und kompakten Energieträger verlangt. Die geringe Energieeffizienz der eFuels spielt wegen der überschaubaren Zahl von Betriebsstunden nur eine untergeordnete Rolle, insbesondere fallen aber aus genannten Gründen andere Optionen einfach aus. Auf der anderen Seite stehen die Zeichen z.B. im PKW-Bereich voll auf batterie-elektrischen Antrieben. Abbildung 1 zeigt den Markthochlauf in Deutschland. Im Neuwagenmarkt sind elektrische Fahrzeuge längst keine kleine Nische mehr. Die EU hat ein weitgehendes Verbot für Neuzulassungen mit Verbrennungsmotoren für 2035 beschlossen und viele Fahrzeughersteller streben den vollständigen Technologiewechsel für Europa bereits deutlich früher an.

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Abb 1 — Entwicklung der Zahl der in Deutschland zugelassenen voll-elektrischen Fahrzeuge (BEV) und Plug-in Hybridfahrzeuge (PHEV) bis Ende 2021.  • 

Das batterie-elektrische Antriebssystem


Das batterie-elektrische Antriebssystem hat nicht nur den Vorteil, sehr effizient zu sein, sondern auch einen geringen Wartungsaufwand und eine hohe Flexibilität beim Einbau in die Fahrzeuge aufzuweisen. Die hohe Effizienz ermöglich z.B. auch aerodynamische Designs von Fahrzeugen, weil auf klassische Kühlergrills weitgehend verzichtet werden kann. Und auch wenn es in der Praxis geringere Reichweiten sein werden, so hat doch Mercedes mit dem Konzeptfahrzeug EQXX gezeigt, dass mit einer heute in der Oberklasse üblichen Batteriegröße von rund 100 kWh bei Ausnutzung aller Effizienzpotentiale Fahrleistungen von über 1200 km mit einer Batterieladung möglich sind. Gleichzeitig wird die 350 kW Ladetechnologie entwickelt und installiert, die eine Nachladung der Batterie um 80% in 10 bis 15 min ermöglichen soll. 


Wasserstoff über Brennstoffzellen könnte für die gleiche Fahrstrecke vielleicht in weniger als 5 min nachgeladen werden (700 bar Druckwasserstoff), aber der Energieaufwand liegt rund 2,5-mal so hoch wie bei Verwendung eines batterieelektrischen Antriebs. Das gilt auch nur, wenn der Wasserstoff nach seiner Herstellung durch Elektrolyse nur komprimiert und nicht verflüssigt oder in einem anderen chemischen Träger für den Langstreckentransport gebunden werden muss. Wenn ein Träger wie Methanol, Ammoniak oder LOHC (Liquid Organic Hydrogen Carrier) verwendet wird, wird die Energiebilanz noch ungünstiger. 
Hier wird gerne ausgeführt, dass die geringere Effizienz keinen großen Nachteil darstellt, weil der Wasserstoff in Weltgegenden gewonnen werden kann, in denen mit einer Photovoltaikanlage aufgrund der besseren geographischen und wettertechnischen Lage gut doppelt so viel elektrische Energie erzeugt werden kann. Das Argument ist grundsätzlich valide und die Umwandlung von Strom in Wasserstoff erlaubt auch eine zeitliche und räumliche Entkopplung von solarem Energieangebot und Verbrauch und damit eine relativ einfache Speicherung. Und trotzdem ist die Nutzung von Wasserstoff in PKWs nicht sinnvoll, weil in den kommenden Jahren wahrscheinlich bis weit in die 2030er-Jahre hinein Wasserstoff ein knappes Gut bleiben wird. 


Wasserstoff - ein knappes Gut 


Die Internationale Energieagentur IEA sieht auf einem Pfad zu einer weltweit klimaneutralen Energieversorgung bis 2050 alleine zwischen 2020 und 2030 eine Steigerung der Elektrolyseurkapazitäten um einen Faktor 2.500, der schwer zu decken sein wird. Wasserstoff (oder seine Derivate) wird aber in einer Reihe von Anwendungen zwingend für einen klimaneutralen Betrieb benötigt. Dazu gehört zuvorderst die Versorgung der Industrie mit Brennstoff für Hochtemperaturprozesse (z.B. Glasschmelze), als chemischer Reaktionspartner (z.B. Stahlherstellung) oder als Rohstoff (z.B. chemische Industrie als Ersatz vor allem von Öl). Aber auch das Stromversorgungssystem braucht mit zunehmendem Anteil erneuerbarer Energien Wasserstoff oder daraus hergestelltes Methan als Langzeitspeichermedium, um auch mehrwöchige Phasen mit geringer Solareinstrahlung und Windgeschwindigkeiten („Dunkelflaute“) zu überbrücken. Im Prinzip muss zumindest der mittlere Stromverbrauch über bis zu drei Wochen z.B. über Gasturbinen mit Wasserstoff oder grünem Methan als Brennstoff bereitgestellt werden können. Neben Anwendungen in der Landwirtschaft wie oben beschrieben, werden aber auch interkontinentale Flugzeuge oder Frachtschiffe auf wasserstoffhaltige Energieträger angewiesen sein. 


Stark diskutiert wird weiterhin die optimale Energieform für schwere Langstrecken-LKW. Während bei den leichteren LKW für den städtischen und regionalen Verkehr bereits ein starker Trend zum batterieelektrischen Antrieb zu sehen ist, werden für die 40-Tonner LKW sowohl batterie- als auch brennstoffzellen-elektrische Antriebe diskutiert und entwickelt. eFuels werden aufgrund der Kosten wohl keine Rolle spielen und bei Oberleitungen ist die Frage, ob dafür eine europaweite Infrastrukturentscheidung möglich ist. Klar scheint, dass batterie-elektrische LKW schneller als Brennstoffzellen-LKW auf den Markt kommen können. So propagiert z.B. Volvo Brennstoffzellen-LKW, will aber bis zu deren großflächigem Hochlauf als Zwischentechnologie batterie-elektrische LKW anbieten. Sinkende Batteriekosten, zunehmende Energiedichten und die Entwicklung von Standards für das Laden mit einem Megawatt lassen einen starken Trend zu batterie-elektrischen LKW immer wahrscheinlicher werden.


Auf die Wirkunsgrade achten


Der Einsatz von CO₂-frei hergestelltem Strom und genauso daraus hergestelltem Wasserstoff sollten nach zwei Kriterien priorisiert werden: 1. Effektivität bei der Reduktion der Emission von Klimagasen, und 2. Sektoren und Technologien, mit sehr langen Investitionszeiträumen. Die Reduktionspotentiale lassen sich relativ leicht berechnen und werden natürlich von Annahmen zu Wirkungsgraden beeinflusst. Aber an den grundsätzlichen Aussagen, wie z.B. in der Tabelle 1 dargestellt sind, ändert sich bei leicht veränderten Annahmen nichts. Hier wird deutlich, dass die Nutzung von Wasserstoff in Fahrzeugen über Brennstoffzellen oder eFuels nur einen geringen Effekt auf die CO₂-Emissionen hat und daher nachrangig priorisiert werden sollte. 

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Tabelle  1 — Direkte CO₂-Einsparpotentiale bei Einsatz von CO₂-freiem Strom in verschiedenen Anwendungsbereichen • 

Anders stellt es sich dar, wenn ganze Industriezweige umgestellt werden müssen oder langfristige Investitionen getätigt werden müssen. So haben z.B. Hochöfen für die Stahlherstellung eine Lebensdauer von rund 40 Jahren. Ein jetzt neu gebauter Hochofen muss also quasi ab jetzt für den Betrieb mit Wasserstoff ausgestattet werden, auch wenn aktuell keine ausreichenden Mengen grünen Wasserstoffs bereitstehen. Daher kann es in solchen Fällen auch notwendig sein, sogenannten blauen Wasserstoff einzusetzen, also Wasserstoff der z.B. mit Kohlestrom erzeugt wird, bei dem dann das CO₂ aber aus dem Abgasstrom abgetrennt und unter der Erde eingelagert wird (CCS – Carbon Capture and Storage). 


Ähnliches gilt z.B. für den Umbau der Fahrzeugindustrie auf batterieelektrische Antriebe. Hier wird kein Wasserstoff benötigt, aber zusätzlicher Strom, der in guten Teilen in der Übergangsphase aus fossilen Kraftwerken kommt. Der Umbau der Industrie und die Ersetzung der Fahrzeugflotte dauert aber wenigstens 35 Jahre und kann daher nicht erst gestartet werden, wenn der Strom zu 100% grün hergestellt werden kann. 
Anders ist es beim Einsatz von eFuels bzw. synthetischen Kraftstoffen z.B. in Flugzeugen oder auch Verbrennungsmotoren für Straßenfahrzeuge. Die eFuels können so hergestellt werden, dass ihre chemischen Eigenschaften denen der heute verwendeten Kraftstoffe nahezu identisch sind. Damit können aber die gleichen Flugzeugturbinen oder Verbrennungsmotoren wie heute verwendet werden und es braucht auch keine eine neue Infrastruktur. Hier können die eFuels genau dann eingesetzt werden, wenn es eine ausreichende Verfügbarkeit gibt und alle für den Klimaschutz effektiveren Einsatzfelder bereits bedient werden.


Tempo beim Markthhochlauf


Natürlich wird zurecht in Frage gestellt, ob z.B. ein Hochlauf der Stromproduktion aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen oder der Produktionsanlagen für Wasserstoff so schnell möglich ist, um die gesteckten Klimaziele zu erreichen. In der Tat müssen dafür in vielen Fällen komplexe Lieferketten von Rohmaterialien über die Produktion der Anlagen bis hin zu Installation und Betreib auf- und ausgebaut werden. Dabei lassen konventionelle Abschätzungen über Markthochlaufkurven und Ressourcen die Ziele oftmals als unerreichbar erscheinen. Ein paar Beispiele mögen aber zeigen, dass bei Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen und dem Willen, Ziele zu erreichen, enorme Steigerungen im Ausbau von Technologien erreichbar sind. So sinken Kosten bei entsprechendem Markthochlauf oft deutlich schneller, als auch aus Kreisen von Unternehmensberatungen, Forschungseinrichtungen und der Branche selber vorher prognostiziert werden. So wurden 2012 z.B. Zellpreise für Lithium-Ionen-Batterien von rund 200 €/kWh für 2020 vorhergesagt. Faktisch wurde diese Preismarke bereits 2015 erreicht und 2020 lagen die Preise um die 100 €/kWh. Das verändert wiederum die Prognosen für den Markthochlauf fundamental. Auch die Kostensenkung für Photovoltaikmodule war in den letzten 20  Jahren viel schneller, als dies in den frühen 2000er-Jahren selbst von den optimistischsten Prognosen vorhergesagt worden ist. In einigen Fällen wird durch technischen Fortschritt auch der Ersatz von teuren und kritischen Materialien deutlich schneller erreicht als erwartet. Lithium-Ionen-Batterien von Tesla enthalten heute vielleicht noch 5% des Kobalts pro kWh, der bei der Markteinführung der Technologien vor 30 Jahren verwendet worden ist. 


Auch die Prognosen von Kapazitäten zur Wasserstoffherstellung setzen typischerweise auf dem aktuellen Bestand und den Installationszahlen von Wasserstoffelektrolyseuren auf. Es können aber auch Technologien aus anderen Bereichen zum Einsatz kommen, die bereits wesentlich etablierter sind. So wird z.B. ThyssenKrupp Uhde für das saudi-arabische NEOM-Projekt 2 GW Elektrolyseuranlagen bis 2026 liefern. Diese basierend aber auf der Technik, die seit vielen Jahrzehnten in der Industrie für die Chlor-Alkali-Elektrolyse im Großmaßstab eingesetzt wird. Extrapolationen aus dem Bereich der PEM- oder der alkalischen Elektrolyseure, die aktuell noch im viel kleineren Maßstab hergestellt und betrieben werden, sind daher zumindest sehr unvollständig. Wissenschaft und Industrie können enorme Potentiale aktivieren und freisetzen, wenn die Bedarfe dafür da sind. 

Prof. Dirk Uwe Sauer 
 

Lehrstuhl für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik am Institut für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe (ISEA) und Institute for Power Generation and Storage Systems (PGS) @ E.ON ERC an der RWTH Aachen