1. Wie entstehen Strompreise an der Börse?


Der Strompreis an der Strombörse entsteht europaweit nach dem gleichen Prinzip. Die Kraftwerke werden anhand ihrer Grenzkosten aufsteigend angeordnet, also den Kosten, die pro Megawattstunde entstehen, um kostendeckend zu arbeiten. Kraftwerke mit niedrigen Grenzkosten kommen somit zuerst zum Zuge. Diese Einsatzreihenfolge wird Merit-Order genannt.


Abhängig von der Nachfrage der Stromhändler und dem Stromangebot der Kraftwerksbetreiber ergibt sich ein “Markträumungspreis”. Das letzte Kraftwerk, welches noch einen Zuschlag erhält (das sogenannte "Grenzkraftwerk"), bestimmt den Markträumungspreis. Alle anderen bezuschlagten Kraftwerke erhalten ebenfalls diesen Marktpreis und können somit einen Gewinn erwirtschaften.


2. Was ist der Merit-Order-Effekt?


Er bezeichnet das Verschieben der Einsatzreihenfolge durch den steigenden Anteil an Erneuerbaren Energien. Die Grenzkosten für Windkraft- und PV-Anlagen sind sehr niedrig, die Investitionskosten werden in den Grenzkosten nämlich nicht berücksichtigt.
Somit steht Strom aus Erneuerbaren in der Merit Order immer an erster Stelle. Dadurch erhalten teurere Kraftwerke am Ende der Merit-Order keinen Zuschlag. Ist ein geringes Angebot an Erneuerbarem Strom am Markt, können so im Umkehrschluss auch kurzfristig relativ hohe Strompreise entstehen.

Merit-Order-Effekt

Abb 1 — Der Merit-Order im Jahr 2020. Wie Angebot und Nachfrage den Strompreis bestimmen. Quelle: Öko-Institut e.V., https://flic.kr/p/24u1nLR, Lizenz CC BY-SA 2.0  • 


3. Wieso ist der Strompreis in letzter Zeit so stark gestiegen und was hat das mit Gas zu tun?


Zur Stromerzeugung werden auch Gaskraftwerke eingesetzt. Sie haben den Vorteil, dass sie schnell und flexibel regelbar sind und auch kurzfristig Leistung zur Verfügung stellen können. Schon vor der aktuellen Krise zählten sie zu den teuersten Kraftwerken, und die stark gestiegenen Gaspreise führen zu noch höheren Grenzkosten. Erhält ein Gaskraftwerk den Zuschlag, wird dieser hohe Preis an alle Kraftwerke in der Merit-Order ausgezahlt. So können auch Vermarkter von Erneuerbarem Strom aktuell hohe Gewinne einfahren.


4. Welche Faktoren spielen noch in den aktuell hohen Strompreis ein?


In Frankreich stehen wegen technischer Probleme und Wartungsarbeiten viele Atomkraftwerke still. Einige Flüsse hatten in den Sommermonaten Wassermangel, Kraftwerke konnten nicht gekühlt und Kohle nicht transportiert werden. Deutschland exportiert deshalb viel Strom nach Frankreich, was auch hier in Deutschland das Angebot verknappt und sich somit in steigenden Börsenstrompreisen niederschlägt. Aufgrund des Strommarktdesigns mit Merit-Order sorgt ein hoher Anteil an Erneuerbaren Energien in der aktuellen Krisenlage nicht zwingend für einen niedrigen Börsenstrompreis, da das teuerste Grenzkraftwerk immer noch den Marktpreis für alle bestimmt.


5. Können auch private PV-Anlagenbesitzer:innen von den hohen Börsenpreisen profitieren?


Nein, nicht direkt. Sie erhalten die EEG-Einspeisevergütung, die aber bei neuen Anlagen deutlich unter dem Börsenstrompreis liegt. Der Strom aus diesen Anlagen wird von den vier deutschen Übertragungsnetzbetreibern an der Börse vermarktet. Die erzielten Gewinne werden auf dem EEG-Konto eingezahlt, welches zur Finanzierung der Einspeisevergütungen dient. Für das Jahr 2023 wird dadurch mit einem Überschuss von ca. 3,6 Mrd. € gerechnet. Etwaige Fehlbeträge werden durch den Bundeshaushalt ausgeglichen. Aber was mit den erwarteten Überschüssen passieren soll, ist bisher nicht klar. 


Strom aus PV-Anlagen mit mehr als 100 kW Leistung muss an der Börse direkt vermarktet werden. Nur diese können also von den aktuellen hohen Strompreisen profitieren. Kleine Anlagen könnten dies über ein Direktvermarktungsunternehmen theoretisch ebenfalls, jedoch sind die Kosten für Vertrag und die vorgeschriebene Mess- und Steuerungseinrichtung so hoch, dass sich eine Umrüstung wirtschaftlich nicht lohnt. Der Vertrag mit einem Direktvermarkter schlägt z.B. mit mindestens 150 €/Monat zu Buche und viele Anbieter nehmen kleine Anlagen gar nicht erst unter Vertrag.


Für Ü20-PV-Anlagen, die keine EEG-Einspeisevergütung mehr erhalten, wird bis 2027 als Sonderlösung der “Jahresmarktwert Solar” ausgezahlt, welcher sich am Börsenstrompreis orientiert.