Dächer und Hausfassaden bieten in Deutschland immer noch ein großes ungenutztes Potenzial

Eine Photovoltaik-Pflicht kann dazu beitragen, die Energiewende zu beschleunigen.
Scheiterte Marburg noch 2010 vor Gericht mit der Einführung
einer kommunalen solaren Baupflicht am hessischen Landes-
gesetz, machte Tübingen 2018 vor, wie es rechtlich gehen
kann. Viele Städte und Gemeinden folgen dem Modell und
haben bereits eine Solar- oder PV-Pflicht für alle geeigneten
Neubauten eingeführt oder prüfen diese. Daraufhin nahm
auch das Land Baden-Württemberg diese Idee auf und könnte
damit eine wichtige Vorreiterrolle für weitere Bundesländer
spielen.

Anstrengungen in den Kommunen und Bundesländern

Der Bundesgesetzgeber hat sowohl Festsetzungsmöglichkei-
ten nach § 9 Abs.1 Nr. 23b im Baugesetzbuch, als auch den
städtebaulichen Vertrag nach § 11 BauGB als kommunale
Handlungsoption ausgestaltet. Das Gesetz ermächtigt die
Kommunen im Bebauungsplan, aus städtebaulichen Gründen,
Gebiete festzulegen, in denen Energiekonzepte aus erneuerbaren Energien berücksichtigt werden müssen. [1]

Schon 2008 wollte das hessische Marburg eine kommunale
Solarpflicht einführen. Mit Hilfe der „Marburger Solarsatzung"
sollten bei allen Neubauten sowie bei Bestandsbauten mit
Änderungen an Dächern oder Heizungsanlagen, verpflichtend solarthermische Anlagen (alternativ auch PV-Anlagen) installiert werden. Zwar schaffte es die solare Beschlussvorlage
durch das Stadtparlament, jedoch wurde das neue Gesetz von
der hessischen Landesregierung ausgehebelt. Diese hatte
die hessische Bauordnung reformiert, um Bauen in Hessen
schneller, kostengünstiger und einfacher zu gestalten. Dabei
wurde der Paragraph bezüglich der Ermächtigung von Gemeinden,
Vorschriften erlassen zu können über "besondere
Anforderungen an baulichen Anlagen" gestrichen.
Damit entfiel für hessische Gemeinden die Möglichkeit per Bebauungsplan
Brennstoffe und Heizungsarten vorgeben zu können. Das
Gießener Verwaltungsgericht wies eine Klage ab. [2]

Überhaupt war der allgemeine Tenor, quer durch alle Partei-
en, Photovoltaik zur Stromgewinnung oder Solarthermie zur
Warmwassergewinnung auf Hausdächern nicht zwingend
vorzuschreiben, sondern auf Freiwilligkeit zu setzen. Weswegen
Ende 2010 auch Kassels Stadtbaurat Dr. Joachim Lohse
mit seinen Vorstoß Solardächer auf Kassels Neubauten vorzu-
schreiben, auf wenig Gegenliebe stieß. [3]

10 Jahre später weiß inzwischen (fast) jeder, wie zwingend notwendig
der PV-Ausbau ist, um die vereinbarten Klimaziele zu
erreichen. Freiwilligkeit und Marktregulierung allein bringen
nicht den gewünschten schnellen Effekt. In vielen Städten und
Gemeinden tut sich was in Bezug auf die solare Baupflicht und
dies gibt Grund zur Hoffnung.

Baden-Württemberg als Vorreiter für weitere Bundesländer?

Die rechtlichen Grundlagen für eine landesweite Photovol-
taikpflicht wird derzeit in Baden-Württemberg auf Betreiben
von Umweltminister Franz Untersteller geprüft. Eine Weiterentwicklung
des Klimaschutzgesetzes soll dafür sorgen, dass
2030 mehr als jede zweite in Baden-Württemberg erzeugte Kilo-
wattstunde aus erneuerbaren Energien kommt. Vorgesehen
ist deshalb unter anderem, laut Pressemitteilung des Landes
vom 6.12.19, dass der Einbau von Photovoltaik-Anlagen bei
Neubauten von 2022 an in Baden-Württemberg verpflichtend
ist. [4]

Maßgeblich vorangetrieben wurde dieser Vorstoß von einigen
Städten und Kommunen Baden-Württembergs, die bereits
eine solche PV-Pflicht eingeführt haben. So ging Tübingen
im Juli 2018 medienwirksam in die solare Offensive. Zwei
Drittel der Gemeinderatsmitglieder stimmten damals für ein
"Zwischenerwerbsmodell", das eine PV-Pflicht auf städtischem
Grund möglich macht.

Das Tübinger Modell

Die Stadt steuert die Vergabe der Baugrundstücke, indem
sie sämtliche Flächen erwirbt, entwickelt und erschließt.
Beim Weiterverkauf an Bauinteressenten ist im Kaufvertrag
verpflichtend geregelt, eine Photovoltaikanlage auf dem
Neubau zu montieren. Auch bei städtebaulichen Verträgen,
etwa bei der Planung eines neuen Wohngebietes, ist der
Passus enthalten.
"Denn," so Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer im Juli
2018 im Interview mit PV Magazine: "In Grundstückskaufverträge
kann man alles reinschreiben, was nicht sittenwidrig ist. Und in städ-
tebaulichen Verträgen hat man einen ähnlich großen Spielraum."[5]

Dabei hatte das baden-württembergische Waiblingen, als erste
Stadt in Deutschland jedoch weitgehendst unbemerkt, schon
2006 in einem Neubaugebiet eine Solarpflicht eingeführt. Diese
wird in den städtebaulichen und Grundstücksverträgen und
über den Bebauungsplan festgeschrieben. Baubürgermeisterin
Birgit Priebe zufolge, ist in mittlerweile rund 20 Wohn- und
Gewerbegebieten die solare Nutzung der Dächer auf diese
Weise realisiert worden. Anders als in Tübingen, können hier die
Vorgaben auch durch Solarthermie-Anlagen erfüllt werden. [6]
Und obwohl die Festschreibung über den Bebauungsplan nicht
absolut rechtssicher sei, „habe es bisher keine Klagen gegeben. Im
Gegenteil: Die Investoren sähen, dass sich die Photovoltaik für sie
rechnet“, so Birgit Priebe. [7]

Wie sieht es in anderen Bundesländern aus?

Bayern:
In Amberg hat der Stadtrat am 16.12.19, nach Antrag der SFV
Infostelle Amberg, beschlossen, zukünftig in allen Bebauungs-
plänen eine Verpflichtung für PV-Anlagen einzuführen. Möglich
machte dies ein neues Konzept für Bebauungspläne mit dem
Schwerpunkt Nachhaltigkeit. [8]

Zuvor hatte Paffenhofen im März 2019 bereits eine PV-Pflicht für
zunächst ein neues Wohngebiet ausgerufen. In einem älteren
Wohngebiet soll die PV-Pflicht bei Neubauten und Aufstockun-
gen älterer Gebäude ebenfalls zum Einsatz kommen. [9]
In Konstanz hat der Gemeinderat, als Reaktion auf den Ausruf des
Klimanotstands Mitte Mai 2019, eine Solar-Pflicht für Neubauten
auf städtischem Grund verabschiedet. [10]

Hessen:
Die Landeshauptstadt Wiesbaden folgt dem Tübinger Modell und
verpflichtet beim Bauen auf städtischem Grund zur Installation
einer PV-Anlage. [1]

Hamburg:
Hier ist, dank dem neuen Hamburgischen Klimaschutzgesetz,
ab 2023 eine Photovoltaikpflicht für private und gewerbliche
Neubauten vorgesehen. [12]

Berlin und Niedersachsen:
Dort fordern die Fraktionen von B90/Grüne von der Landesregierung die
Einführung einer Photovoltaik-Pflicht nach Tübinger Modell oder durch eine Änderung der Landesbauordnung. [13, 14]

Die Akzeptanz unter den Bürgern ist groß, denn laut einer
bundesweiten Umfrage würden 80 Prozent der Befragten eine
gesetzlich vorgeschriebene solare Nutzung von Dachflächen auf
Wohnungs-und Gewerbeneubauten unterstützen. [15]

Fazit

Ist diese Herangehensweise angesichts der gravierenden Herausforderungen, die eine Klimakrise an uns alle stellt, sinnvoll?
Mehr als 90 Prozent der Deutschen sind zwar dafür, dass die
Energiewende schnell vorangeht, doch schaut man sich die
Zubauzahlen der vergangenen Jahre an, ist von einem persön-
lichen Engagement wenig zu spüren. Das liegt vor allem an den
schlechten politischen Rahmenbedingungen, wie Bürokratie
und geringe Vergütungen.

Jeder trägt eine Verantwortung für den Erhalt der Erde und das
Abwenden der Klimakatastrophe. Dies gilt für Architekten, die
begreifen müssen, dass PV- und Solaranlagen integraler
Bestandteil einer Architektur sind. Dies gilt für private
Bauherren/frauen, und dies gilt für Unternehmen und
Vermieter, die vor allem in Gegenden, wo die Nachfrage
nach Wohnraum das Angebot weit übersteigt, zunächst
keinen Kostenvorteil in der Installation einer Anlage sehen.
Solaranlagen müssen auf alle Dächer, egal wie die persönlichen
Umstände vor Ort sind.

Eine PV-Pflicht bei Neubauten kann den Ausbau der Erneuerbaren Energien zwar beschleunigen, ist aber allein nicht ausreichend!
Wir müssen auch die vorhandenen Dächer nutzen!

Der Kreis Düren hat die Zeichen der Zeit erkannt: Mit
dem Ende der Braunkohleförderung werden regenerative
Energien wichtiger denn je und sorgen für nachhaltige
Arbeitsplätze. Im Mai letzten Jahres startete der Kreis
deshalb ein Förderprogramm und unterstützte mit je
1000 Euro den Kauf und Installation von Photovoltaikanlagen für zunächst 1000 Dächer.

Bereits in den ersten drei Monaten gingen 500 Anträge ein. Viele Bauwillige geben zu, dass sie seit Jahren mit dem Gedanken eine
PV-Anlage zu errichten gespielt haben, aber erst nach Bekanntgabe des Förderprogramms endlich zur Tat geschritten sind.
"Genau das wollten wir mit unserem Fonds erreichen: Wir geben
den Anstoß, dass die Menschen in Klimaschutz investieren, was der
Umwelt und der heimischen Wirtschaft zugute kommt”, so Landrat Wolfgang Spelthahn. Aufgrund der großen Resonanz ist geplant,
das Programm fortzusetzen. [16]

Wir wünschen uns, dass neben dem „Tübinger Modell"
auch das „Dürener Modell" für viele Städte und Kommunen zum Vorbild wird.

Quellen

[1] https://www.gesetze-im-internet.de/bbaug/__9.html
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Marburg#Solarsatzung
[3] https://www.hna.de/kassel/hilgen-gruene-gegen-solar-pflicht-stadtbaurat-vorschlag-stoesst-kritik-1043046.html
[4] https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/photovoltaik-pflicht-fuer-neubauten-im-land-1/
[5] https://www.pv-magazine.de/2018/07/06/boris-palmer-zur-neuen-photovoltaik-pflicht-in-tuebingen/
[6] https://www.pv-magazine.de/2018/09/10/waiblingen-setzt-schon-lange-auf-solarpflicht/
[7] https://solarcluster-bw.de/fileadmin/user_upload/Veranstaltungen/pvmagazinedeutschland_03_2018_PV-Pflicht__2_.pdf
[8] https://www.solarverein-amberg.de/sfv/news_artikel.php?id=271
[9] https://pfaffenhofen.de/paf-und-du/nachrichten/photovoltaik-pflicht-im-baugebiet-pfaffelleiten/
[10] https://www.seemoz.de/lokal_regional/die-solarpflicht-ist-beschlossen/
[11] https://www.wiesbadener-kurier.de/lokales/wiesbaden/nachrichten-wiesbaden/wiesbaden-macht-solar-zur-pflicht_20040448
[12] https://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/13278828/2019-12-03-sk-bue-hamburger-klimaplan2019/
[13] https://www.erneuerbareenergien.de/berliner-gruene-wollen-photovoltaik-auf-jedem-neubau-sehen
[14] https://www.fraktion.gruene-niedersachsen.de/landtag/plenarinitiativen/artikel/antrag-fuer-das-klima-auf-die-daecher-gehen-energiewende-
dezentral-gestalten-und-die-sonnenkraft-nut.html
[15] https://www.lichtblick.de/presse/news/2020/02/11/mehrheit-der-deutschen-f%C3%BCr-solaranlagen-auf-d%C3%A4chern/
[16] https://www.kreis-dueren.de/1000daecher