Status Quo zum bidirektionalen Laden
Kurz und knapp: Worum geht's beim bidirektionalen Laden?
Bidirektionales Laden heißt: Elektrofahrzeuge werden nicht nur für Mobilität, sondern zusätzlich als Stromspeicher verwendet, um zum Beispiel ein Haus (Vehicle to home) oder das gesamte Netz mit Strom bzw. Netzdienstleistungen zu versorgen (Vehicle to grid).
Warum ist bidirektionales Laden so wichtig?
Elektroautos verfügen über große Speicherkapazitäten, weit größer als die eines privaten Heimspeichers. Gleichzeitig brauchen wir für die Energiewende Speicher, um Schwankungen im Netz, die eine erneuerbare Stromproduktion mit sich bringt, auszugleichen. Dafür braucht es Flexibilität in beide Richtungen: V2G-fähige Elektrofahrzeuge können Energie in das Netz einspeisen, wenn die Nachfrage hoch ist, und Energie aus dem Netz, wenn die Nachfrage niedrig ist, aber das Angebot hoch (z. B. Solarspitzen, Hell-Brisen). Dadurch wird die Stabilität des Energiesystems verbessert, mehr günstiger erneuerbarer Strom integriert und nicht abgeschaltet. Außerdem ist weniger Netzausbau nötig.
Wie viel Speicherpotenzial steckt denn in E-Auto-Batterien?
Aktuell gibt es in Deutschland 1,83 Mio. vollelektrische Autos. Die meisten Modelle haben Batteriekapazitäten von 40 bis 100 kWh. Das summiert sich! Aktuell wird geschätzt, dass über 115 GWh Speicher existieren. Das sind enorme Mengen, etwa doppelt so viel wie alle hiesigen Pumpspeicherkraftwerke zusammen. Allerdings ist davon bislang nur ein kleiner Teil, etwa 166.000 Fahrzeuge, technisch in der Lage, bidirektional zu laden. Aber das wird sich in Zukunft ändern, fast alle Neufahrzeuge sind V2G-fähig.
Können Sie beschreiben, wie die Automobilnutzung zukünftig aussehen wird? Was verändert sich für die E-Autofahrer:innen im Alltag? Wann wird ein Auto aufgeladen, wann wird es entladen, wann zum Fahren verwendet?
Für PV-Anlagen-Besitzer:innen, also vermutlich viele Ihrer Mitglieder, fängt es damit an, dass ein Teil der Kapazitäten aus der Fahrzeugbatterie abends auch zur Stromversorgung des Haushalts verwendet wird. Wenn das Elektroauto tagsüber (bestenfalls zu Solarspitzen zeiten) aufgeladen werden kann, kann es den bisher handelsüblichen Heimspeicher sinnvoll ergänzen. Auf einen Heimspeicher wird man aktuell noch nicht verzichten können, da er als Pufferspeicher benötigt wird. Aufgrund der hohen Eigenverbräuche von Elektroautos entlädt man diese kurz mit hoher Leistung in den Heimspeicher und nutzt diesen dann für die geringen (Stand-by-) Leistungen im Haushalt. Wichtig für diese Anwendung ist ein kompatibles und intelligentes Home-Energy-Management-System (HEMS), das mit der jeweiligen bidirektionalen Ladestation kommunizieren kann. Über Vehicle-to-Grid (V2G) wird der Eigenverbrauch dann weiter optimiert: überschüssiger Strom und die Flexibilität, die eine Fahrzeugbatterie bietet, wird intelligent im Energiesystem angeboten. Zwingende Voraussetzung dafür sind smarte Stromzähler.
Mehr Infos: Home-Management-Energy-System
Ein Home-Management-Energy-System (HEMS) aktiviert Stromverbraucher wie Heizung, Geschirrspüler oder Waschmaschine, wenn viel PV-Strom vom Dach oder der vollgeladenen Batterie verfügbar ist um so den Eigenverbrauch zu maximieren, oder wenn gerade der Strom sehr preisgünstig aus dem Netz bezogen werden kann, was die Wirtschaftlichkeit verbessern kann. Ist zusätzlich zum PV-Speicher auch ein E-Auto mit seiner Batterie an das HEMS angeschlossen, können beide Batterien als Verbraucher (beim Laden) oder als Stromquelle (beim Entladen) genutzt werden.
Was wird sich noch verändern?
Sowohl die Denke über Elektroautos als auch über die Energiewende und erneuerbare Energien. Mit V2G wird Elektroautofahren günstiger, das wird den Wechsel beschleunigen. Der Vergleich zum Smartphone ist hier passend. Viele haben am Anfang gedacht, sie brauchten es nicht. Am Ende haben die Vorteile, trotz einiger Nachteile (z. B. Akkulaufzeit), überwogen. Auch die Politik wird begreifen, dass sie damit neue Narrative bespielen kann. Energiewende und Elektroauto sind nicht mehr ideologisch grün aufgeladen, sondern wirtschaftlich sinnvoll.
Was kann beim V2G gesteuert werden – wie wird entschieden, wann und zu wie viel Prozent ein Fahrzeug be- oder entladen wird?
Beim V2G können die Kund:innen selbst entscheiden, was der minimale, sogenannter State of Charge (SoC) ist, ab dem die Batterie immer sofort geladen werden soll. Zum Beispiel mindestens 100 km. Dann kann der Abfahrtszeitpunkt und der Wunsch-SoC zum Abfahrtszeitpunkt bestimmt werden. Bei mir z. B. jeden morgen um 6 Uhr 80 % und am Samstag um 5 Uhr 95 %. Perspektivisch kann ich dann mit bidirektionalem Laden Nachts bis zu 20 % meiner Batterie für den Strombedarf im Haus nutzen.
Wie funktioniert zukünftig die Abrechnung eines Elektroautos? Mit welchen finanziellen Einsparungen ist zu rechnen?
Es gibt Technologieunternehmen, wie unser Unternehmen The Mobility House Energy, die sich auf die Aggregation und Vermarktung des Stroms aus kleinteiligen und dezentral verteilten Elektroautos spezialisiert haben. Alle möglichen Besonderheiten, wie der jeweilige Mobilitätsbedarf, die Anforderungen der Netzbetreiber oder die Batteriegewährleistungsauflagen der Automobilhersteller, werden dabei berücksichtigt. Es gibt außer uns weltweit noch kein Unternehmen, das V2G kommerziell in Serie hat, allerdings bislang nur in Ländern, die die bürokratischen Weichen bereits gestellt haben, Frankreich zum Beispiel. Die Fahrzeugbatterien werden am Intraday- und Kapazitätsmarkt vermarktet, Kund:innen erhalten etwa 11 Cent pro eingesteckter Stunde Strom. Bei durchschnittlich 13 Stunden täglich sparen Fahrer:innen rund 40 Euro im Monat. Einsparungen bei den Fahrstromkosten von 600 bis 800 Euro pro Jahr sind für Kundinnen und Kunden möglich, zusätzlich ergeben sich Erlöspotenziale für Automobilhersteller (OEM) und CO₂-Reduktionen.
Sind 13 Stunden nicht etwas hoch gegriffen?
In Frankreich sind es ca. 13 Stunden im Schnitt aktuell, also knapp über 50 % eines Tages. Wir haben aber auch Kund:innen, die stecken 17 Stunden am Tag ein.
Hier würden wir gerne kurz auf unterschiedliche Nutzungssituationen eingehen: Sie sprechen von bis zu 600–800 Euro Ersparnis im Jahr, inwiefern sind diese abhängig vom Standort des Autos, z. B. mit oder ohne direktem Ladezugang, mit oder ohne eigener PV-Anlage.
Die Basis der oben genannten Ersparnis ist auf 100-%ige Verfügbarkeit von 10 kW Netzanschluss gerechnet, was einem Einfamilienhaus entspricht. Bei Mehrfamilienhäusern reduziert sich das ggf. je nach Anzahl Elektroautos und dem Netzanschluss. Eine PV-Anlage integrieren wir in die Optimierung und immer, wenn der Strom aus dieser günstiger ist, was aufgrund der Netzentgelte und Steuern fast immer der Fall ist, wird das berücksichtigt. Wir garantieren dann einen fixen kWh-Preis im oberen Drittel der Durchschnittspreise für den privaten Strombedarf und zahlen pro eingesteckter Stunde des Elektroautos ca. 10–15 Cent aus. So reduziert sich die Stromrechnung der Kund:innen, ohne dass diese einen zusätzlichen Aufwand haben. Eingesteckte Stunde heißt dann nicht nur, wenn Strom aus dem Elektroauto bezogen wird, sondern wirklich immer, wenn es angeschlossen ist. Auf die Verfügbarkeit des Batteriespeichers kommt es an.
Tipp: Modellcheck
Welche Modelle können bidirektional laden? Und warum sind eigentlich nicht alle Elektro-Autos V2G-fähig? Diese Infos und eine Zusammenstellung Marken und Modelle gibt es hier:
Wer verdient noch an der Be- und Entladung der Elektroautos?
Erstmal fahren die Durchschnittskund:innen eines Elektroautos durch das bidirektionale Laden fast umsonst. Was darüber hinaus am Energiemarkt verdient wird, teilen sich die beteiligten Player: Automobilhersteller, Technologieanbieter, ggf. auch noch Energieversorger, soweit dieser beteiligt ist.
Bidirektionales Laden lohnt sich aber nicht nur für Eigentümer:innen von Elektro-Fahrzeugen.
Nein, wenn E-Auto-Batterien Preisspitzen an der Börse glätten und den Einsatz fossiler Kraftwerke in Zeiten mit geringer Stromproduktion verringern, dann hat das auch gesamtgesellschaftliche, ökonomische Vorteile. Zum Beispiel reduzieren sich die Kosten, die aktuell durch Redispatch entstehen, also der Abregelung von Stromerzeugern bei Netzüberlastung. Diese Kosten werden aktuell von allen Stromkund:innen über den Strompreis übernommen. Auch der Einsatz fossiler Spitzenlastkraftwerke wird signifikant reduziert, der Strompreis wird günstiger. Studien gehen von bis zu 8,4 Milliarden Euro Systemkosten-Einsparung jährlich aus.
Aktuell funktioniert bidirektionales Laden in Deutschland noch nicht? Woran liegt’s?
In Deutschland hängen wir regulatorisch leider ziemlich hinterher. Die technische Voraussetzung ist gegeben, aber es scheitert noch am teuren Messkonzept für V2G (zweiter Zähler), dem schleppenden Smart-Meter-Rollout bzw. den dahinterliegenden Prozessen. Und solange der Strom aus E-Auto-Batterien doppelte Netzentgelte zahlen muss, nämlich beim Be- und beim Entladen, wird es nicht wirtschaftlich.
Alle Vorteile durch bidirektionales Laden von E-Autos auf einen Blick:
- Betriebskosten der Endkund:innen werden gesenkt
- Die Batterie wird systemdienlich genutzt, die Netze entlastet
- Erneuerbare Energien müssen nicht abgeschaltet werden, das spart enorme Summen ein und ist ökologisch sinnvoll
- Je mehr Erneuerbare genutzt werden, desto weniger CO2-Emissionen entstehen
- Ressourceneinsparung: Die Batterien der E-Autos werden nicht nur für Mobilitätszwecke genutzt
Im Durchschnitt liegen die Netzentgelte bei 11 Cent, also ca. 30 % des Strompreises, und werden eigentlich nur beim Strombezug erhoben. Wieso ist das bei der Einspeisung von Strom aus E-Auto-Batterien anders?
Für das Laden des Elektroautos (Strombezug) werden selbstverständlich Netzentgelte bezahlt. Entlade ich das Auto jedoch z. B. in der Abendspitze netzdienlich mit mittags geladenem PV-Strom und muss diesen dann bis zum Morgen wieder nachladen, zahle ich nochmal Netzentgelte. Das zerstört den Business Case. Großspeicher sind bis 2029 befreit und sprießen daher aktuell wie Pilze aus dem Boden, weil sie super rentabel sind.
Für Hauseigentümer:innen mit PV-Anlage müssten die Netzentgelte doch vollständig entfallen: Das Beladen eines Elektroautos über das Hausnetz und auch das Entladen in das Hausnetz belastet doch keine Netze bzw. ist netzentgeltbefreit?
Bei V2H, also wenn ich aus dem Auto nichts ins Netz zurückspeise, sondern alles im Haus lasse, stimmt das.
Wie sieht es hier politisch aus, wann ist mit Fortschritten zu rechnen?
Das Thema ist seit 2021 im Koalitionsvertrag verankert, 2025 erneut. Erst im Februar hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die damalige Bundesregierung aufgefordert darzulegen, warum V2G bislang nicht ermöglicht wurde. Die Nationale Plattform Mobilität (NPM), die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur (NLL), der VDA, der BDEW sowie die „Coalition of the Willing“ im BMWK fordern die Einführung seit Jahren und haben alle relevanten Umsetzungsvorschläge erarbeitet. In 2026 ist mit einer typisch deutschen komplizierten Lösung zu rechnen – hoffentlich eher Anfang als Ende.
Was sind die nächsten regulatorischen Schritte auf dem Weg zum V2G?
Erstens muss die Doppelbelastung von zwischengespeichertem Strom aus Fahrzeugbatterien weg. Zweitens brauchen wir dringend mehr Smart Meter (intelligente Messsysteme) und die dahinterliegenden Prozesse müssen kund:innenfreundlich, einheitlich, effizient und digital gestaltet werden. Drittens braucht es die Einführung dynamischer Netzentgelte und die marktgestützte Beschaffung von Flexibilität durch Verteilnetzbetreiber auf Wettbewerbsmärkten.
Die deutsche Automobilindustrie steht unter erheblichem Handlungsdruck …
Absolut! Wettbewerbsfähige Lösungen entstehen gerade außerhalb Deutschlands – die Gefahr besteht, dass Innovationsführerschaft und Wertschöpfung ins Ausland abwandern. Bidirektionalität spart für die Kund:innen ungefähr doppelt so viel wie unidirektionales Laden. Wenn ich die Flexibilitäten der Fahrzeuge (aber auch z. B. Heimspeicherbatterien) nicht nütze, baue ich parallele Strukturen auf (Großspeicher, Gaskraftwerke, Druckluftspeicher …). Das ist volkswirtschaftlicher Schaden. Alles, was wir in Deutschland zuerst entwickeln und auch anwenden, schafft einen starken Heimatmarkt, auf den automatisch der Export fußt.
Dann wollen wir mal hoffen, dass wir 2026 in Deutschland auch endlich soweit sind – möglichst unkompliziert und unbürokratisch. Wir danken für das Gespräch!