Putin-Krieg und Klimakatastrophe erfordern beide dasselbe: Möglichst schnell raus aus fossilen Energieträgern! Selten war eine Wahrheit klarer und dringlicher. Aber was passiert in Deutschland, dem Geburtsland der Energiewende? Eine Berliner Regierungspartei sabotiert reihenweise die notwendigen Schritte; und ein südwestdeutscher Energiekonzern steigt jetzt ganz fett ins Fracking-Geschäft ein. Diese Herrschaften gehen ganz offensichtlich davon aus, wir hätten noch eine zweite Erde im Kofferraum.

Kommen wir zunächst zur FDP. Diese Partei trägt gerne die Leitidee „Freiheit“ vor sich her. Aber sie sagt nicht: Freiheit wovon? Freiheit wozu? Freiheit für wen? Die umfänglichen Argumentationen zur Verteilung von Freiheitseinschränkungen, die das Bundesverfassungsgericht im letzten Jahr zur Grundlage seines Klimaurteils gemacht hat, sind in der Parteizentrale der „Liberalen“ anscheinend ungelesen im Papierkorb gelandet. Die Handschrift der FDP in der Ampelkoalition im Bund zeigt sich nirgends klarer als bei der Verhinderung von Tempolimits. Die Raserei bewirkte schon von jeher die „Freiheit“ zahlloser Unfallopfer zu sterben oder den Rest ihre Lebens im Rollstuhl zu verbringen. Mit der Einsicht in die Klimakatastrophe tritt diese ganz konkrete, zynische „Freiheit“ ins Stadium der Verallgemeinerung ein: Diese Raserei bedeutet nun auch einen Beitrag zur „Freiheit“ der gesamten menschlichen Zivilisation – zu verschwinden. Genau so hat der UN-Generalsekretär den letzten IPCC-Sachstandsbericht zusammengefasst. Die FDP aber verteidigt jede einzelne Tonne CO2-Ausstoß bis zur letzten Wählerstimme. Für sie spielen die 3,7 Mrd. Liter Benzin und Diesel, die durch Tempolimits eingespart werden könnten (100 km/h auf der Autobahn, 80 außerorts und 30 innerorts),[1] anscheinend keine Rolle.

Man hätte hoffen können, dass der Ukraine-Krieg und die darauf folgende Energieversorgungs-Krise ein Argument selbst für die Klima-Ignorantesten in der FDP wäre, durch Tempolimits den Spritverbrauch unserer Fahrzeugflotte spürbar zu reduzieren. – Nein: In dieser Frage darf kein Argument das Grundgesetz der Liberalen antasten: „Freie Fahrt für freie Bürger“. Dafür wirft man sogar den anderen heiligen Grundsatz über Bord – den von der Unantastbarkeit des Marktes. Die Spritpreise ziehen an, weil durch Krieg und Embargomaßnahmen das Angebot knapper wird? Die Preise dürfen auf keinen Fall steigen; man setzt einen „Tankrabatt“ durch, um dieses Preissignal des Marktes auszuhebeln. Sonst würde womöglich weniger Auto gefahren – diese Marktlogik gilt es zu verhindern.

Und es sind nicht irgendwelche Autos, die der FDP so am Herzen liegen, sondern speziell die mit Verbrennungsmotoren. Die Partei wehrt sich nun mit Zähnen und Klauen gegen den Beschluss des Europaparlaments vom 8. Juni 2022, einen Zulassungsstopp für Fahrzeuge mit Verbrennern ab 2035 festzuschreiben.[2] (Bemerken wir nur nebenbei, dass dieses Datum mindestens zehn Jahre zu spät liegt.) Ein wichtiges Signal an die Autohersteller, ihre Forschung auf nachhaltigere Lösungen zu konzentrieren, soll an der Ampelregierung in Berlin scheitern, wenn es nach der FDP geht. Die Begründung der Minister Lindner und Wissing trieft nur so vor Realitätsverleugnung. „Verbote stoppen Innovationen“, argumentiert Lindner und wirft damit mal eben sämtliche Einsichten der Technikgeschichte über Bord. Selbstverständlich sind Verbote einer der stärksten Innovationstreiber: Um nur ein verwandtes Beispiel zu benennen: Vor 100 Jahren hätte es mit Sicherheit keinen so fulminanten Aufschwung des Segelflugs und damit der Aerodynamik in Deutschland gegeben, wenn im Zuge des Versailler Friedensvertrags nicht jegliche Motorfliegerei auf Jahre verboten gewesen wäre.

Die FDP spricht von „Technologieoffenheit“ und von Treibstoffen, die aus überschüssigem Strom erzeugt werden. Also in einem Verfahren, wo mindestens viermal, wahrscheinlich neunmal so viel Energie für eine Kilowattstunde benötigt wird wie bei der direkten elektrischen Nutzung. Um sie dann einer Maschine zuzuführen, die ihrerseits über einen Wirkungsgrad von 40% kaum hinauskommen kann. Die FDP erklärt also – äußerst vorsichtig kalkuliert – eine Verzehnfachung des Energiebedarfs für eine seriöse Alternative. Vermutlich glauben sie diesen Unsinn selbst nicht; aber er verbrämt ihr eigentliches Motiv: bedingungsloser Schutz der bestehenden Großindustrie. Wobei die Damen und Herren Liberalen sich mal bei den Autokonzernen umhören sollten, wer dort eigentlich noch Probleme mit der Entschließung des EU-Parlaments hat.

Werfen wir nun einen Blick auf einen anderen Sektor der Großindustrie: unsere Energiewirtschaft. Einer der großen Vier der fossilen Stromwirtschaft, der Energiekonzern EnBW, gab am 21. Juni bekannt, einen Langzeitliefervertrag über Flüssiggaslieferungen aus den USA abgeschlossen zu haben. Beginnend mit dem Jahr 2026, soll 20 Jahre lang – also bis 2045 – 1,5 Mio. Tonnen Fracking-Gas pro Jahr abgenommen werden.

War da nicht was, mit Klimaneutralität 2045, oder so? Alleine aus diesem Deal sollen im Jahr 2045 noch weit über 3 Mio. Tonnen CO2 in die Atmosphäre emittiert werden[3] – soweit nicht bei Umwandlung und Transport des LNG durch Methanschlupf noch viel größere Treibhausgas-Schäden entstehen.

Georg Stamatelopoulos ist „Vorstand für Nachhaltige Erzeugungs-Infrastruktur“ bei EnBW. Er freut sich öffentlich über diesen schmutzigen Deal: Der diene dazu, „die deutsche Gasversorgung in der Übergangszeit der Energiewende zu sichern“.[4] Offensichtlich hat er ganz eigene Vorstellungen von Ablauf und Länge dieser „Übergangszeit“. In der ARD-Sendung „Wirtschaft vor acht“ kommentiert die Börsen-Expertin Anja Kohl: Die USA „fahren die Kapazitäten hoch; doch dies wird dauern.“[5] Eine „Übergangszeit“, die durch das langfristige Hochfahren der Förderung fossiler Brennstoffe geprägt ist – ist das unsere Antwort auf die Klimakatastrophe? Und, bitte sehr: Der EnBW-Deal, der, so ist zu befürchten, nicht der letzte seiner Art bleiben wird, hat nichts mit dem derzeitigen Ukraine-Krieg zu tun, es sei denn, man geht davon aus, dass dieser 2026 und 2045 noch nicht beendet sein wird. Es hat alles damit zu tun, dass man sich weigert, dem ausgerufenen Klimanotstand mit Notstandsmaßnahmen (oder auch nur mit einem entschlossenen Richtungswechsel) zu begegnen. Dieser Notstand beruht nicht auf einer Laune streikender Schüler:innen, die ihn nur klar benannt und sichtbar gemacht haben. Er beruht auf physikalischen Gesetzen, die zwingend gebieten, weitere fossile Infrastrukturen mit allen Mitteln zu verhindern. Das wäre Aufgabe unserer Bundesregierung.

Aber es ist nicht ersichtlich, dass die Regierung die Absicht hätte, dem schwerkriminellen Verhalten von EnBW einen Riegel vorzuschieben. Und dabei ist es nicht nur die FDP, an deren Haltung man verzweifeln möchte, wenn einem die Zukunft der Menschheit ein Anliegen ist.
 

 

Quellennachweise

[1]    https://www.duh.de/tempolimit-jetzt/

[2]    https://www.zeit.de/mobilitaet/2022-06/christian-lindner-verbrennungsmotor-neuwagen-verbot

[3]    Nach Berechnungen des BMU erzeugt ein Kilogramm Erdgas im Durchschnitt 2,23 kg CO2; das ergibt bei 1,5 Mio. Tonnen Erdgas 3,345 Mio. Tonnen CO2-Ausstoß. Vgl. https://www.ista.com/de/unternehmen/nachhaltigkeit/co2-rechner/    

[4]    https://www.enbw.com/unternehmen/presse/enbw-venture-global-lng.html

[5]    https://www.ardmediathek.de/video/wirtschaft-vor-acht/wirtschaft-vor-acht/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3dpcnRzY2hhZnQgdm9yIGFjaHQvOWJhNTA4M2UtMmQyNy00MjBiLThlMmQtMjk1YjFhNjQ5YWMy