Gemeinsam erzeugen, speichern und nutzen: Das Neubauquartier in Bergneustadt sollte zeigen, wie die Energiewende vor Ort gelingen kann – mit Photovoltaik, Quartierspeicher und klimafreundlicher Technik für 36 Einfamilienhäuser. Doch ein aktuelles Gerichtsurteil bringt das innovative Projekt nun ins Wanken.

In Bergneustadt entsteht ein innovatives Neubauquartier, das beim Klimaschutz Maßstäbe setzen soll. Über die Grundidee berichtete Herr Schäfer von der Eikamp GbR bereits in der März-Ausgabe des Solarbriefs: 36 Einfamilienhäuser, gebaut aus nachhaltigen Materialien, mit hohem Dämmstandard und moderner Technik, jeweils ausgestattet mit einer 10 kWp-Photovoltaikanlage, einer Wärmepumpe und einer Wallbox. Ziel ist es, einen möglichst großen Teil des Energiebedarfs für Haushaltsstrom, Wärme und Mobilität direkt aus erneuerbaren Quellen vor Ort zu decken und so einen hohen Autarkiegrad zu erreichen.

Genau hier setzt das Forschungsprojekt „Quartierspeicher für eine Klimaschutzsiedlung“ an, das von der Technischen Hochschule Köln geleitet wird. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt fördert die wissenschaftliche Begleitforschung. Die Umsetzung selbst soll wirtschaftlich tragfähig sein, damit das Konzept künftig ohne Förder­mittel reproduziert werden kann. Herzstück ist ein zentraler Quartier­speicher, den sich alle Bewohner:innen teilen. Statt 36 einzelner Akkus ist ein großer gemeinsamer Speicher geplant. Berechnungen zeigen, dass sich durch dieses gemeinschaftliche Modell die insgesamt benötigte Speicherkapazität um bis zu 68 Prozent reduzieren lässt, ohne den Autarkiegrad zu verringern. 

Quartierspeicher Anlieferung

Das senkt sowohl den Ressourcenverbrauch als auch die Kosten. Die Umsetzung sollte für die Bewohner:innen möglichst unkompliziert sein und keinen zusätzlichen Aufwand verursachen. Geplant war, dass die Stadtwerke Solingen das Quartiersnetz, den zentralen Speicher und die PV-Anlagen nicht nur errichten, sondern auch finanzieren, betreiben und warten. Damit entfiele für die künftigen Eigentümer:innen der gesamte Planungs- und Investitionsaufwand für ein eigenes, nachhaltiges Energiekonzept. Sie würden ein schlüsselfertiges System erhalten, das erneuerbare Energie direkt vor Ort erzeugt, speichert und zum Verbrauch bereitstellt.  Juristisch sollte dieses System als Kundenanlage eingestuft werden, sodass innerhalb des Quartiers keine Netzentgelte, Umlagen oder Abgaben angefallen wären. Lediglich für Strom, der aus dem öffentlichen Netz bezogen wird, hätten diese Kosten entrichtet werden müssen. Unter diesen Bedingungen ließ sich ein Speicher mit einer Kapazität von rund 500 Kilowattstunden wirtschaftlich betreiben. Der Autarkiegrad des gesamten Systems läge bei knapp 70 Prozent. Das würde bedeuten, dass fast sieben von zehn Kilowattstunden, die im Quartier für Haushaltsstrom, Heizung und Mobilität benötigt werden, aus eigener erneuerbarer Erzeugung stammen würden – ein Leuchtturmprojekt für nachhaltige Neubaugebiete. 

Doch Mitte Mai änderte der Bundesgerichtshof die bisherige Auslegung des Begriffs „Kundenanlage“. Die neue Rechtslage könnte dazu führen, dass das Quartiersnetz als öffentliches Netz eingestuft wird. Damit würden auf jede im Quartier verbrauchte Kilowattstunde PV- oder Speicherstrom nach aktuellen Schätzungen rund 12,5 Cent Abgaben fällig. Das hätte zur Folge, dass der Betrieb des Speichers wirtschaftlich nicht mehr tragbar wäre. Zwar könnten die PV-Anlagen weiterhin wirtschaftlich betrieben werden, aber ohne Speicher halbiert sich der Autarkiegrad auf unter 35 Prozent.

Die neue Rechtslage könnte dazu führen, dass das Quartiersnetz als öffentliches Netz eingestuft wird. Damit würden auf jede im Quartier verbrauchte Kilowattstunde PV- oder Speicherstrom nach aktuellen Schätzungen rund 12,5 Cent Abgaben fällig.

Jonas Quernheim

Das Ziel bleibt unverändert: ein Neubauquartier, das einen hohen Anteil seines Energiebedarfs für Strom, Wärme und Mobilität aus lokal erzeugten erneuerbaren Energien decken kann, wirtschaftlich tragfähig und zukunftsorientiert. Deshalb werden derzeit alternative Konzepte geprüft. Eine Möglichkeit wäre, die PV-Anlagen nicht direkt am Quartiersnetz anzuschließen, sondern wie bei Privat­anlagen hinter dem Zähler innerhalb jedes Hauses. Das würde zwar den Mess- und Abrechnungsaufwand erhöhen, aber zumindest für den Direktverbrauch von PV-Strom könnten Netzentgelte und Umlagen entfallen. In diesem Fall könnte ein kleinerer Quartierspeicher mit etwa 250 Kilowattstunden wirtschaftlich betrieben werden, was einem Autarkiegrad von rund 57 Prozent entspräche. Ob dieses Modell mit der neuen Rechtsauslegung vereinbar ist, wird aktuell durch unseren Projektpartner Dr. Markus Behnisch von der Berliner Umweltrechtskanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll. geprüft.

Das Projekt steht damit an einem entscheidenden Punkt. Gelingt es, die rechtlichen Hürden zu überwinden, könnte das Quartier in Bergneustadt zeigen, wie nachhaltige Neubausiedlungen große Teile ihres Energiebedarfs selbst decken und dabei Ressourcen schonen, Kosten senken und die Energiewende vor Ort sichtbar machen.

Jonas Quernheim

Jonas Quernheim

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Cologne Institute for Renewable Energy (CIRE) der TH Köln. Er beschäftigt sich mit der gemeinschaftlichen Nutzung von erneuerbaren Energien und Energie- management.

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