Den Metereologen Sven Plöger kennen wir nicht nur als unseren liebsten ARD Wetterfrosch - er hält auch mitreißende Vorträge und vermittelt uns die aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Wetter, Klima und Erderwärmung in seinen Büchern. Obwohl er keine unangenehmen Fakten verschweigt, verliert er nie seinen Humor und seine Herzlichkeit. Wir fragten ihn: Wie machen Sie das, Sven Plöger?

Ihr neues Buch handelt von den Alpen. Inwiefern kann man an diesem Gebirge ablesen, wie es um unsere Klima-Zukunft steht?

Die Alpen verdichten die Vegetationszonen und Lebensräume des Planeten in erheblicher Weise. Wenn man von Deutschland aus zum Nordpol wandert, dann sind das rund 5.000 Kilometer. Von unseren Laub- und Mischwäldern geht es dabei über die Taiga und Tundra bis ins ewige Eis der Polarregion. Wenn Sie diesen Weg nun senkrecht stellen und aus 5.000 Kilometern 5.000 Meter machen, dann haben Sie quasi die Alpen, schließlich ist der Montblanc als höchste Erhebung etwa 4.700 Meter hoch. Auf dem Weg von unten nach oben durchläuft man in diesem wunderschönen Gebirge also ebenfalls alle Klimazonen! Damit lässt sich hier der Klimawandel auf engstem Raum ablesen.

Am auffälligsten sind sicher die Gletscher, die sich im Hitze- und Trockensommer 2022 so schnell wie noch nie zuvor zurückgezogen haben. Der Abschmelzprozess läuft so schnell, dass wir einen Monat früher bereits soviel Gletscherwasser verloren haben, wie im bisherigen Rekordjahr 2003. Die Gletscherabflüsse vielerorten führen Hochwasser, während andere Flüsse oft nur noch Rinnsale sind.

Besonders ausgewirkt haben sich die geringe Schneedecke des Winters, wodurch der Gletscher kaum gegen die Sonneneinstrahlung geschützt war, der viele Saharastaub im Frühjahr, der den Schnee und das Eis hat dunkler werden lassen, wodurch mehr Wärme aufgenommen wurde und dann natürlich die Hitzewellen ab Juni, die ungewöhnliche Wärme auch in Höhen über 3.000 Meter getragen hat.

 


Die Dramatik der Klimakrise ist heute wissenschaftlich unbestritten, und die Lösungen für eine emissionsfreie Energieversorgung liegen auf der Hand. Warum passiert dennoch so wenig?"

Schon 1941 hat der Klimaforscher Hermann Flohn in seiner Habilitation die Zusammenhänge gut beschrieben, an Hoimar von Ditfurth mit seiner Sendung „Querschnitte“ erinnern sich viele von uns noch. Eine Sendung von 1978 könnte man heute wieder ausstrahlen und würde auf dieselben Aussagen treffen, die wir heute auch machen. Wir haben also kein Wissensproblem, sondern ein Handlungsproblem. Heute ist unser Handeln von Wohlstandsängsten geprägt und dem kollektiven Warten auf den anderen. Warum soll ich beginnen, wenn es der andere nicht tut? Dann ist mein Handeln doch nutzlos! So werden wir aber nie einen Schritt machen. Wir müssen die Chancen einer Transformation hin zu einer neuen Art des Wirtschaftens in den Mittelpunkt stellen.


Es gibt viele Möglichkeiten, etwas fürs Klima zu tun: Lebensstil ändern, demonstrieren gehen, die Politik beraten, vor Gericht ziehen, unser Wirtschaftssystem transformieren… was ist das Wichtigste?

Jede und jeder muss an seiner Stelle und mit seinen Fähigkeiten agieren. Es macht beispielsweise wenig Sinn, wenn ich mich an Schornsteine ankette, um Aufmerksamkeit für das Thema zu erlangen. Ich kann mehr erreichen, wenn ich einer Vielzahl von Zuschauern im TV das schwierige Thema versuche zu „übersetzen“. Ein Wissenschaftler muss die Forschung weiterbringen, ein Konzernchef kann viel tun, wenn er Nachhaltigkeit in seinem Unternehmen wirklich umsetzt. 

 


Befinden wir uns gegenüber Braunkohlebaggern und  SUVs in einer Notwehrsituation? Und was folgt daraus für unser Handeln?

Wir brauchen Regeln, idealerweise im demokratischen Diskurs errungen, der aber irgendwann auch beendet werden muss. Würde Freiwilligkeit immer funktionieren, wäre ich begeistert, aber dann würde es in Trockenzeiten nicht tausende von Plastikswimmingpools geben, die fleißig gefüllt werden, dann würde nicht ein Flugreiserekord den nächsten jagen, wenn die Pandemie gerade nicht so doll zuschlägt und wir würden alle 130 fahren. Es gäbe auch keine Laubbläser oder Schottergärten.

Würde Freiwilligkeit immer funktionieren, gäbe es keine Laubbläser oder Schottergärten.

Sven Plöger

Eigentlich müssten die Fachleute angesichts der wissen-schaftlichen Erkenntnisse laut Alarm schlagen oder in Panik verfallen. Andererseits wird von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern immer das Gegenteil verlangt: Reflektiertheit und Selbstkontrolle. Wie gehen Sie mit diesem Dilemma um?

Für mich ist das kein Dilemma. Wieso soll jemand, der von einer Sache am meisten versteht, durch Selbstkontrolle seinen gesellschaftspolitischen Standpunkt verschweigen? Es macht doch keinen Sinn, wenn Leute mit geringem physikalischem Wissen oder solche mit Eigeninteressen die Diskussion beherrschen. Die Wissenschaft muss etwas sagen!


 

Sie sind durch Ihre Arbeit jeden Tag mit dem Thema Klima konfrontiert: wie halten Sie das angesichts der Dramatik aus, und wieso haben Sie noch so gute Laune?

Ich bin Rheinländer (lacht). Nein, ich bin nicht naiv, aber solange ich weiß, dass es Chancen gibt und solange ich vom Austausch mit Zuschauern weiß, dass immer mehr Menschen sich Sorgen ums Klima machen, weiß ich auch, dass sich eine Gesellschaft ändern kann. Ob aus „kann“ ein „wird“ wird, weiß ich nicht, aber wenn ich eine hoffnungslos pessimistische Haltung einnehme, wird meine Lebenszeit ja auch nicht besser…