Info 181, Stand 10.7.96(überholt)

Durchleitung von Solarstrom durch ausgedehnte Hausnetze

Die Durchleitung von Solarstrom vom Dachboden durch das Hausnetz bis zum Übergabepunkt des EVU im Keller kann teuren Leitungsbau ersparen.

Der Anlaß in Aachen mußte eine bereits auf dem Schuldach montierte Solaranlage wieder abgebaut werden, weil die STAWAG (Stadtwerke Aachen) die Direkteinleitung des Solarstroms in das STAWAG-Netz verlangte. Der Bau der dafür erforderlichen zusätzlichen Stromleitung hätte nach STAWAG-Angaben etwa 50.000 DM gekostet. Im Zusammenhang mit der Liberalisierung der Strommärkte spricht alle Welt von der Durchleitung von Strom durch die Netze der EVU. Wenn zukünftig Atomstrom von Cattenom zu VW nach Wolfsburg durchgeleitet werden kann, warum sollte nicht auch Solarstrom vom Schuldach bis ins STAWAG-Netz durchgeleitet werden können?

Die Durchleitungsregeln Üblicherweise lehnen die EVU die Durchleitung von Solarstrom durch ein Hausnetz mit der Behauptung ab, der aus der Solaranlage stammende Strom würde im Netz des Kunden ,verbraucht" und würde deshalb das Netz des EVU nie oder nur unvollständig erreichen. Diese Behauptung entspringt einer eher laienhaften Vorstellung. Tatsächlich kann Strom im elektrotechnischen Sinne nicht 'verbraucht' werden. Vielmehr ist der Strom, der in einen Verbraucher hineinfließt, genau gleich dem Strom, der aus dem Verbraucher wieder herausfließt. (1. Kirchhoffsche Regel).
Hier geht es auch gar nicht um die ,Lieferung" oder den ,Verbrauch" von Strom. Es geht vielmehr um die Bezahlung der von einer Solaranlage gelieferten elektrischen Arbeit. Stromnetze haben die Aufgabe, elektrische Leistung bzw. elektrische Arbeit zu übertragen. Diese kann an verschiedenen Punkten in das Netz eingespeist und an verschiedenen Punkten wieder entnommen werden. Wenn die Einspeisung durch verschiedene Einspeiser und die Entnahme durch verschiedene Entnehmer vorgenommen wird, ist es nur eine Frage der Vereinbarung, welcher Empfänger für welche eingespeiste Arbeit zu bezahlen hat. Eine Individualisierung der eingespeisten Arbeit findet dabei nicht statt. Wenn Einspeiser, Netzbesitzer und Empfänger verschiedene juristische Personen sind, wird die Bezahlung der gelieferten Arbeit von Durchleitungsgebühren über Durchleitungs-Verträge geregelt (zivilrechtliche Vereinbarungen zwischen den Beteiligten).
Einspeiser (eine Betreibergesellschaft) und Netzbesitzer (die Stadt Aachen) waren im vorliegenden Fall bereit, einen Durchleitungsvertrag abzuschließen. Der vorgesehene Empfänger aber (STAWAG) weigerte sich, die durchgeleitete solarelektrische Arbeit in Empfang zu nehmen. Die STAWAG verlangte vielmehr eine besonders umständliche und teure Art der Zuführung der solarelektrischen Arbeit durch eine zusätzliche Leitung.
Es entsteht hier der Eindruck, daß das EVU seiner Abnahmepflicht für solarelektrische Arbeit generell nicht nachkommen will. Es gilt deshalb zu untersuchen, ob das EVU sich dieser Abnahmepflicht entziehen kann. Das Stromeinspeisungsgesetz bestimmt dazu in seinem § 2: Die Elektrizitätsversorgungsunternehmen sind verpflichtet, den in ihrem Versorgungsgebiet erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien abzunehmen und den eingespeisten Strom nach § 3 zu vergüten." Das EVU ist also gesetzlich verpflichtet, den Strom - genauer gesagt, die elektrische Arbeit - entgegenzunehmen. Es ist durch § 2 StrEG zum Normadressaten des Durchleitungsvertrages geworden. Da Einspeiser und Netzbesitzer sich über die Durchleitung einig sind, das EVU als Empfänger der elektrischen Arbeit von Gesetzes wegen feststeht, steht einer Durchleitung der solar-elektrischen Arbeit bis ins Netz des EVU rechtlich nichts mehr im Wege.

Messung der durchgeleiteten elektrischen Arbeit Da das Netz des Kunden nicht plombierbar ist, kann eine manipulationssichere Messung nur durch einen vom EVU plombierten Zähler erreicht werden, der die elektrische Arbeit dort mißt, wo sie von der Solaranlage in das Hausnetz eingespeist wird. Bei der Frage, ob dem EVU zugemutet werden kann, einen Stromzähler dort einzurichten und abzulesen, wo die Solaranlage ins Hausnetz einspeist - möglicherweise in einem entlegenen Teil des Gebäudes - kommt es auf die Frage der Verhältnismäßigkeit an. Im Vergleich zu einer 50.000 DM-Parallelleitung ist diese sicherlich gegeben. Der zusätzliche Weg des Stromablesers wird außerdem durch den Verrechnungspreis des Solarstromzählers abgegolten.

Ein Vergleich: Die Geld-Übertragung durch das Giro-Netz der Banken Es kommt hierbei nicht darauf an, daß der Empfänger genau den Geldschein erhält, den der Absender eingezahlt hat. Es genügt vielmehr völlig, wenn er Wert der Auszahlung dem Wert der Einzahlung im Betrag

Noch ein Vergleich: Das Verlangen, für den Solarstrom eine extra Leitung zu bauen, um ihn 'unvermindert' ins Netz des EVU zu leiten, ist so unsinnig, als würde ein Gläubiger fordern, daß der Schuldner den geschuldeten Geldbetrag als Bargeld in einem besonders gekennzeichneten Briefumschlag abliefert.

Stellungnahme eines Experten zur Durchleitung
Herr Dipl.-Ing. Dipl.-Oek. Dr. jur. Jan G. Tönnies ist Rechtsanwalt und Patentanwalt. Er schrieb dem SFV eine Stellungnahme zum Thema der Hausdurchleitung unter technischen, wirtschaftlichen und juristischen Aspekten.

Sehr geehrter Herr von Fabeck, Sie hatten mich um eine Stellungnahme zu dem im folgenden dargestellten Konflikt gebeten.

Nach einem Beschluß des Aufsichtsrats der EVA (Anm.d.Red.: "Energieversorgung und Verkehrsgesellschaft Aachen mbH") vom 1.3.1995 ist die STAWAG verpflichtet, den von einer PV-Anlage erzeugten, in ihr Netz eingespeisten Strom mit 1,89 DM/kWh (seit dem 01.01.99: 1,76 DM/kWh) zu vergüten. Die STAWAG will aus dieser Formulierung herleiten, die Leistung dieser Vergütung setze voraus, daß der PV-Strom "vor" der Übergabestelle in das Netz der STAWAG "eingespeist" wird; wenn, so wird argumentiert, der PV-Strom durch das Netz des Betreibers geführt wird, sei nur der "tatsächliche" in das öffentliche Netz eingespeiste Strom entsprechend zu vergüten.

Die von der STAWAG eingenommene Position bedeutet, daß die bevorzugte Vergütung mit 1,89 DM/kWh (seit dem 01.01.99: 1,76 DM/kWh) nur dann praktisch relevant wird, wenn der Betreiber eine gesonderte Leitung von der (regelmäßig auf dem Dach montierten) PV-Anlage zu der (regelmäßig im Keller installierten) Übergabestelle legt. Die Kosten einer solchen gesonderten Leitung sind regelmäßig erheblich. Sie können die Kosten der eigentlichen PV-Anlage erreichen, wenn nicht überschreiten. Das Verlangen führt daher in vielen Fällen dazu, daß die Installation einer PV-Anlage unterbleibt.

Das Vorgehen der STAWAG ist aus technischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Sicht nicht gerechtfertigt:

1. Aus technischer Sicht ist der (elektrische) Ort des in das Hausnetz "einspeisenden" Wechselrichters mit dem (elektrischen) Ort der Übergabestelle bei der (zulässigen) Vernachlässigung der ohmschen Netzverluste identisch, da das Potential an beiden Orten immer dasselbe ist.

Ob das Hausnetz zur "Einspeisung" in das öffentliche Netz genutzt wird oder aber eine gesonderte Leitung, ist aus technischer Sicht ohne jede Bedeutung. Die Verlegung einer zu der vorhandenen, zur Versorgung des Hauses dienenden Netzleitung parallelen "Einspeiseleitung" ist technisch ohne jeden Sinn.

Bei einer Nutzung des Versorgungsnetzes als "Einspeiseleitung" ergibt sich die dezentral erzeugte eingespeiste elektrische Arbeit aus dem von dem "Einspeisezähler" gemessenen Arbeit, die dem Netz entnommene elektrische Arbeit aus der Summe des von dem "Einspeisezähler" und der von dem "Stadtwerkezähler" gemessenen Arbeit.

2. Aus wirtschaftlicher Sicht stellt sich die Frage, ob die der STAWAG durch die Lieferung von elektrischer Energie an den Betreiber einer PV-Anlage entstehenden Kosten von der Frage des "Einspeiseortes" (der nur eine Frage des Ortes des Zählers ist) abhängig ist. Dies aber ist nicht der Fall: das "Abnahmeprofil" des Betreibers einer PV-Anlage (und allein das bestimmt die der STAWAG entstehenden Kosten) ist von dem Ort des Zählers völlig unabhängig. Die photovoltaisch erzeugte elektrische Arbeit und die insgesamt verbrauchte elektrische Arbeit lassen sich unabhängig davon, wo der Einspeisezähler angeordnet ist, problemlos rechnerisch bestimmen.

3. Wenn man dagegen mit der STAWAG den Begriff "eingespeist" formaljuristisch interpretiert, verstößt das Verlangen der STAWAG gegen § 226 BGB, wonach die Ausübung eines Rechts unzulässig ist, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen. Es ist nicht erkennbar, daß die STAWAG einen wie auch immer gearteten Vorteil davon hat, daß der Betreiber einer PV-Anlage die von ihr erzeugte elektrische Energie unmittelbar, also unter Umgehung des häuslichen Netzes zu der Übergabstelle führt und der "Einspeisezähler" dort installiert wird. Das Verlangen der STAWAG hat allein den Zweck, dem Betreiber oder potentiellen Betreiber einer PV-Anlage zu schaden.

Die STAWAG versucht mit ihrem Verlangen, den Beschluß des Aufsichtsrats der EVA zu konterkarieren, indem sie ohne sachliche Rechtfertigung die Installation von PV-Anlagen wirtschaftlich behindert.

Mit freundlichen Grüßen

gez. J. Tönnies

Kiel, den 1. Juli 1996