In den letzten Jahren haben die Rechtsregeln für die Energiewende erheblich zugenommen. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz allein ist von ursprünglich 9 auf über 100 Paragrafen und mindestens genauso vielen Nebenparagrafen angewachsen. Zur Energiewende gehören zahlreiche weitere Gesetze und Verordnungen. Diese reichen vom komplexen Energiewirtschaftsgesetz bis hin zu Rechtsregeln mit Zungenbrecher-Bezeichnungen wie der Marktstammdatenregisterverordnung oder dem Messstellenbetriebsgesetz. Viele dieser gesetzlichen Regelungen dienen der Kontrolle und Regulierung der Energiewende durch Ausbaugrenzen, gesetzliche Einschränkungen, Strafzahlungen und Meldepflichten. Sich an Recht und Gesetz zu halten wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Bleibt die Bürgerenergiewende dabei auf der Strecke?

1. Komplexe Rechtssprache

Wussten Sie, dass alle Gesetz- und Verordnungsentwürfe der Bundesministerien vor ihrer Verabschiedung und Verkündung einer sprachlichen Prüfung unterzogen werden sollen? Jeder Gesetzentwurf soll vorab dem "Redaktionsstab Rechtssprache" zur Prüfung auf sprachliche Richtigkeit und Verständlichkeit vorgelegt werden. Obwohl das Ergebnis dieser Prüfung lediglich empfehlenden Charakter hat, wäre das äußerst sinnvoll. Doch leider gleicht der Versuch, Gesetze verständlicher zu formulieren, sprichwörtlich einer Quadratur des Kreises. Enge Zeitvorgaben bei der Vorbereitung der Gesetze, politische Zielsetzungen, mangelnde Einsicht für eine zügige Energiewende und strikte Auslegungsgrenzen bei der Umsetzung von EU-Vorschriften machen die Arbeit der Linguisten des “Redaktionsstabs Rechtssprache” quasi unmöglich. Das ist ein Desaster, denn schließlich sind die Gesetze für uns Bürger:innen da. Wir alle sind zur Einhaltung verpflichtet – auch ohne juristische Vorbildung! Unsere Rechte und Pflichten als Bürger:innen sollten deshalb so formuliert werden, dass eine dezentrale Energiewende nicht behindert wird.

Hier sprechen wir nicht nur über Interpretationsprobleme von Solarinvestor:innen. Auch Elektrofachbetriebe, Netzbetreiber und selbst Jurist:innen kommen an ihre Grenzen. Die Folge ist: Wer nicht mehr durchsteigt, riskiert Verzögerungen. Wer Rechte, Pflichten und Fristen übersieht, dem drohen Ablehnungen, Vergütungsausfälle und manchmal sogar Strafzahlungen. Unbestimmte Rechtsbegriffe wie zum Beispiel “unverzüglich”, “Privilegierung” oder “Unzumutbarkeit” sind Nährboden für Konflikte. Bürokratische Komplexität und unklare Rechtsbegriffe führen dazu, dass die Energiewende zum Ärgernis wird und dadurch nur schleppend vorangeht. 

Seit dem ersten EEG im Jahr 2000 bietet der SFV eine Betreiberberatung an, um durch den Dschungel der Regelungen zu führen und bei Streitfällen Kontakt zu Rechtsexpert:innen herzustellen. Die folgenden Praxisbeispiele, die uns in der täglichen Beratung begegnet sind, bieten nur einen minimalen Einblick in das Thema "Bürokratie”. Übrigens – seit Monaten sind wir dran, dem Referat “Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung” beim BMWK unsere Vorschläge zu verbesserten Rahmenbedingungen darzulegen.

Unsere Rechte und Pflichten sollten so formuliert werden, dass eine dezentrale Energiewende nicht behindert wird.

Susanne Jung

2. Was bedeutet "unverzüglich"?

Im EEG ist der unbestimmte Rechtsbegriff „unverzüglich“ an 32 Stellen zu finden, beispielsweise bei den Pflichten der Netzbetreiber zum Netzanschluss, zur Bearbeitung von Netzanschlussbegehren, zur Abnahme von EE-Strom oder zur Kapazitätserweiterung des Stromnetzes. "Unverzüglich" bedeutet, dass eine Handlung ohne schuldhaftes Zögern durchgeführt werden muss. Dabei wird keine genaue Zeitspanne festgelegt, sondern die Umstände des Einzelfalls sind entscheidend. Die Handlung muss also so schnell wie möglich, unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände, erfolgen.

Doch was bedeutet das genau? Welche Wartezeiten sind gerechtfertigt? In Nordrhein-Westfalen meldet ein Netzbetreiber einen Bearbeitungs-Stau von mindestens 12 Monaten bei der Datenerfassung. Vergütungsabrechnungen und Abschlagszahlungen liegen auf Eis. Grund: Personalmangel. Muss das hingenommen werden? Wenn Solarinvestitionen über Kredite finanziert werden, droht bei ausbleibenden Zahlungen immerhin eine Schuldenfalle. Hätte der Netzbetreiber hier nicht vorausschauend Personalplanungen machen müssen, um seinen Pflichten zur Vergütungszahlung unverzüglich nachzukommen? 

Mehr Infos: Rechnung & Mahnung

Für den Fall, dass bei Ihrer Solaranlage noch keine geregelte Bezahlung des Solarstroms erfolgt oder Zahlungen vom Netzbetreiber ausgesetzt werden, haben wir hier einige Informationen für Sie zusammengestellt. 

Was ebenfalls häufig vorkommt: mehrere Wochen vergehen ohne Rückmeldung auf Anfragen, ob die Solaranlage am Standort installiert werden kann. Call-Center sind überlastet und bei Fragen oder Schwierigkeiten auf Onlineportalen der Netzbetreiber fehlt es an Erreichbarkeit. Es mangelt an konkreten Antworten auf die Frage, wann die Netzausbau-Arbeiten endlich beginnen, weil Dauer-Engpässe bei der Verfügbarkeit von Transformatoren, Umspannstationen oder Personal vorliegen. Teilweise fehlen intelligente Messsysteme für die Abrechnung oder es ist kein Netzanschluss möglich.

Es gibt viele Problemfälle zum Thema Unverzüglichkeit. Bei jedem Einzelfall müssen die vorliegenden Umstände geprüft werden, um ggf. rechtlich gegen Verzögerungen vorgehen zu können. So wird die Energiewende immer mal wieder zum echten Ärgernis. Denn allen Problemen ist gemein, dass Solarinvestor:innen kaum nachprüfen können, ob die genannten Engpässe tatsächlich objektiv entstanden sind. Im Sorgenfall bleiben leider nur drei Möglichkeiten – Geduld aufbringen, Zwischenlösungen schaffen oder aber mit Hilfe eines Rechtsanwaltes die Bearbeitungswege beim Netzbetreiber offenlegen lassen. Im Falle der oben geschilderten ausbleibenden Vergütungszahlungen empfiehlt sich allerdings eindeutig, den Rechnungs- und Mahnweg zu beschreiten. Nach § 288 BGB kann man Verzugszinsen geltend machen, die immerhin 9 Prozent über dem Basiszinssatz liegen.

 

© Wikipedia Creative Commons | Abb 1 ― Urteil des Landgerichts Paderborn: Schadensersatzpflicht verlangen, wenn Netzbetreiber den Solarstrom trotz Einspeisezusage nicht abnimmt und vergütet.

© Didgeman, Pixabay | Abb 2 ― Die Clearingstelle EEG | KWKG zum Thema "Unverzüglichkeit" u.a.: "Der Netzbetreiber muss alles ihm zumutbare unternehmen, um die Pflicht unverzüglich zu erfüllen. "

3. Verbesserung beim Mieterstrom: Recht ohne Anspruch?

Seit über einem Jahr wirbt die Bundesregierung mit Vereinfachungen beim „Mieterstrom“. Die sogenannte „Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung (GGV)“ entwickelte sich zum Zauberwort. Sie soll – in Anlehnung an ein österreichisches Modell – der Entwicklung von deutschen Mieterstromprojekten auf die Sprünge helfen. Klappt das? Unabhängig davon, dass unsere österreichischen Nachbarn bislang nur verhalten über Erfolge sprechen, hoffen deutsche Expert:innen dennoch auf einfache Abrechnungswege und Verbesserungen bei den Zuständigkeiten. Als am 16. Mai 24 der neue § 42b Energiewirtschaftsgesetz zur GGV in Kraft trat, gab es eine große Zustimmung. 

Seitdem besteht zwar quasi ein Anspruch auf Umsetzung der GGV, in die Gänge kommt dieses Modell jedoch nicht. Es fehle an Regelungen zur Marktkommunikation zwischen Reststromlieferanten, Netzbetreibern und Solarinvestor:innen, an Standards für die dynamische oder statische Abrechnung der gelieferten Solarstrommengen an die Mieter, so die Akteure. Diskutiert wird auch, ob der grundzuständige Messstellenbetreiber (=Netzbetreiber) für die Erfüllung der Zusatzleistung zur GGV zuständig sei. Ebenso gäbe es Engpässe beim Einbau von Smart Meter Gateways und – besonders ärgerlich – Diskussionen, wie hoch die Kosten zur Abwicklung sein dürfen. Droht das neue Mieterstrommodell zu einem Rohrkrepierer zu werden? Den gesetzlichen Rechtsanspruch auf die GGV-Abrechnung kann man momentan jedenfalls noch nicht wirklich einfordern, denken viele. Die Bundesnetzagentur sieht das anders. Sie schreibt am 2. August auf Nachfrage des SFV, dass die Realisierung von Projekten der Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung nach dem Verständnis der Beschlusskammer 6 unter Zugrundelegung der bereits festgelegten und standardisierten Prozessvorgaben möglich ist.  Alles nur konstruierte Probleme der Marktakteure? Immerhin muss die Marktkommunikation und damit die Abrechnung zwischen dem Netzbetreiber, den verschiedenen Stromlieferanten und den Stromkunden sicher funktionieren. Aber muss die Umsetzung so viel Zeit in Anspruch nehmen?

Ähnlich schleppend läuft auch die Umsetzung des sogenannten „virtuellen Summenzählers“ für Mieterstromabrechnungen an. Bereits vor über einem Jahr wurde diese Abrechnungsmethode im Messstellenbetriebsgesetz rechtswirksam. Mit der virtuellen Berechnung soll auf den Einbau eines teuren Summenzählers im Mehrfamilienhaus verzichtet werden können, weil es möglich ist, Lieferung und Bezug von Strom rechnerisch (virtuell) zu ermitteln. Eine wirklich sinnvolle Entscheidung, denn so können bis zu 20 % der Umrüstungskosten eingespart werden. Bislang bleibt diese rechnerische Lösung für viele allerdings nur eine Wunschvorstellung. Netzbetreiber weigern sich vielerorts, den virtuellen Summenzähler anzuerkennen. Es fehlt an einer Klarstellung zur Einhaltung technischer Vorgaben bei der Regelbarkeit von Anlagen ab 25 Kilowatt und Abrechnungssoftware. Wo bleibt der Rechtsanspruch – nach über einem Jahr Umsetzungszeit?

Tipp: SFV-Beratungsangebot zum Mieterstrom

Wir bieten ab Sommer 2024 eine Initialberatung für Solaranlagen auf und an Mehrfamilienhäusern an. Sie soll als Vorbereitung für gemeinschaftliche oder von Einzelinvestor:innen getätigte Solarstromprojekte dienen. 

4. Balkonsolar: Privilegierte Maßnahme?

Über ein Jahr lag ein Gesetzesentwurf des Bundesministeriums für Justiz brach, nach dem Steckersolargeräte in Mehrfamilienhäusern im Wohnungseigentümergesetz als privilegierte Maßnahme aufgenommen werden sollten. Im Juli 2024 fasste der Bundestag endlich den Beschluss, die finale Entscheidung des Bundesrates steht bei Redaktionsschluss noch immer aus und wird aufgrund der Sommerpause Anfang Oktober erwartet. Doch ist nun alles klar und der Weg für Steckersolargeräte geebnet? Nicht ganz. Denn durch die Privilegierung sollen Vermieter und WEGs bestenfalls nicht mehr über das "Ob", sondern nur noch über das "Wie" mitentscheiden können. Die Rechte der privaten Solarstromer wurden zwar gestärkt, aber vermutlich wird in gerichtlichen und außergerichtlichen Verhandlungen weiterhin zu klären sein, wann eine Ablehnung gerechtfertigt ist und wann eben nicht. Denn Vermieter:innen und Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG)  werden weiterhin mitsprechen wollen, wenn an ihrer Immobilie ein Steckersolargerät angebracht werden soll. So könnte es zu Diskussionen kommen, ob und wann die Anbringung des Moduls zu bautechnischen Schäden, denkmalschutzrechtlichen Beeinträchtigungen oder nachbarschaftlichen Blendwirkungen führt.

In Aachen gibt es derzeit einen Streitfall in einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG). Vor einiger Zeit wurde dort mehrheitlich beschlossen, ein Blockheizkraftwerk zur Wärme- und Stromversorgung anzuschaffen. Die Kosten sollten entsprechend dem Bedarf auf die Haushalte verteilt werden, um die Finanzierung sicherzustellen. Ein Ehepaar widersprach dem Beschluss, da das neue Kraftwerk mit Erdgas betrieben werden sollte, wurde jedoch überstimmt. Danach planten sie den Einsatz eines Steckersolargeräts, um zumindest ihren Strombedarf größtenteils mit Solarstrom abzudecken. Allerdings stieß auch dieses Vorhaben auf Widerstand in der Eigentümerversammlung. Es wurde argumentiert, dass der reduzierte Stromverbrauch in der WEG andere Haushalte bei der Finanzierung des neuen Blockheizkraftwerks stärker belasten würde. Wer hat in diesem Fall Recht? Kann die “Privilegierung” von Balkonsolaranlagen eine Lösung bieten?

5. Geringe Strommengen: Konflikt um fast nichts?

Zu den Klassikern der Bürokratie-Aufreger gehören zweifelsohne die horrenden Rechnungen für Minimalverbräuche von Wechselrichtern bei Volleinspeiseanlagen. Sehr wenige Kilowattstunden Strombezug werden mit sehr hohen Kosten belastet. Zum Arbeitspreis wird noch eine Grundgebühr aufgeschlagen, sodass auf den Abrechnungen der Energielieferanten (meist Grundversorger) jährlich satte 100 € und mehr stehen. Im Solarpaket 1 haben wir durch vehemente Interventionen ein paar Änderungen bewirken können. Zumindest diejenigen Betreiber:innen, die am Standort der Volleinspeiseanlage noch einen regulären Stromliefervertrag für ihren Strombezug im Gebäude abgeschlossen haben, können die Minderverbräuche der Wechselrichter diesem Vertrag zuordnen lassen. Das ist ein guter Anfang, aber noch keine wirkliche Lösung. Denn alle anderen ohne einen solchen Vertrag bleiben auf den Kosten der hohen Grundgebühren sitzen. Hier setzen Grundversorger weiterhin viel in Bewegung, um das Geld einzutreiben, beauftragen Inkassobüros und drohen mit dem Abschalten der Anlage.

Anders verhält es sich bei den geringen Strommengen, die von Betreiber:innen von Balkonkraftwerken vor Ort nicht genutzt werden und in das öffentliche Netz fließen (müssen). Sobald ein neuer digitaler Einspeisezähler installiert wurde, gibt es für eingespeisten Steckersolarstrom keinen Cent Vergütung. Im Rechtsdeutsch heißt das "unentgeltliche Wertabnahme”. Laut Bundesregierung sei der Bürokratieaufwand für solche geringen Mengen zu hoch. Die Steckersolargeräte würden sich ja dennoch rechnen. Das stimmt zwar, aber gerechtfertigt ist die vergütungslose Abnahme aus unserer Sicht nicht. Und es geht noch schlimmer: Wenn Netzbetreiber für die Abrechnung der eingespeisten Kilowattstunden zu null Cent zusätzlich eine Servicegebühr vom Kunden verlangen – wie uns ein Mitglied bereits berichtete – dann ist die Grenze der Ungerechtigkeit definitiv überschritten.

6. Frust statt Lust auf Erneuerbare?

Nach diesen wenigen Beispielen könnte man den Eindruck bekommen, bei der solaren Energiewende laufe vieles schief. Ganz so schlimm ist es glücklicherweise nicht. Der Ausbau der Solarenergie hat in den letzten zwei Jahren zwar für den Klimaschutz nicht hinreichend, aber dennoch deutlich zugenommen. Viele gute Entscheidungen – insbesondere der Wegfall der EEG-Umlage auf Eigenversorgung, eine größere Flächenkulisse für PV-Anlagen, der Volleinspeisebonus und mehr – haben einige Knoten gelöst. Besonders hervorzuheben ist auch der neue Paragraf 2 im EEG, der dem Ausbau der Erneuerbaren ein überragendes öffentliches Interesse zuordnet und bei der Schutzgüterabwägung einen vorrangigen Belang einräumt. So haben endlich auch Solaranlagen auf denkmalgeschützten Häusern, in Gärten und auf kleinen Reihenhäusern eine Chance. Wir werden die Energiewende weiter begleiten und uns dafür einsetzen, dass bürgernah und dezentral keine Floskeln bleiben.