Die Sonne schickt uns täglich das 5.000 bis 10.000-fache des weltweiten Energiebedarfs! Ein gewaltiges Potenzial, das wir in Teilen schon nutzen: aktuell kommen 24 Prozent unseres bundesweiten Stroms von der Sonne. Für die künftige Energieversorgung gehen wir davon aus, dass mindestens die Hälfte der Endenergie solar erzeugt wird. Glaubt man der Energy Watch Group-Studie, wird die Solarenergie weltweit mit fast 70 Prozent sogar den Löwenanteil ausmachen - mit Windenergie als ihr größter Mitspieler. Doch die Zeit drängt!

Hinweis: Alle Seitenangaben beziehen sich auf die Artikel im Online-Solarbrief

Das schlummernde Potenzial

Grob drei Viertel der bundesweiten Solarenergie (68 Gigawatt³) kommt aktuell von Anlagen auf unseren Dächern. Das verbleibende Viertel stammt von Freiflächenanlagen⁴. Da letztere zu Flächen-nutzungskonflikten führen können, suchen wir die Potenziale zunächst an anderen Stellen und werden fündig: Das naheliegendste Potenzial sind unsere Dächer. Prof. Dr. Volker Quaschning kommt zu dem Ergebnis, dass wir in Deutschland etwa 20 Prozent des gesamten heutigen Energiebedarfs (ca. 500 Terawattstunden [5]) alleine über Solaranlagen auf Einfamilienhäusern decken könnten [5a]. Voraussetzung ist, dass alle 16 Millionen Einfamilienhäuser mit einer Solaranlage ausgestattet werden. Hinzu kommt das Potenzial der Dächer von Mehrfamilienhäusern, öffentlichen Einrichtungen und Industriegebäuden. Unser Appell daher an alle: “Packen Sie Ihre Dächer voll und wecken Sie Ihren Teil des schlummernden Potenzials!” Zu Ihrer Unterstützung finden Sie auf Seite 19 die wichtigen Schritte zur eigenen Solaranlage, dazu auch eine Checkliste und die wichtigsten Dos and Don'ts auf Seite 44. Zudem in diesem Heft auf Seite 38: ein Artikel mit rechtlichen und steuerlichen Hinweisen und auf Seite 58 stellen wir Alternativen zur Hausdachanlage vor.


Weitere Potenziale zeigen sich unter dem Begriff  “integrierte Photovoltaik”. Damit sind alle PV-Anlagen gemeint, die sich entweder in die Hülle von Gebäuden, Verkehrswegen und Fahrzeugen oder aber in Agrar- und Wasserflächen einfügen. Konkret sprechen wir hier u.A. von Agri-PV. Das sind PV-Anlagen, die z.B. über oder seitlich an landwirtschaftlich oder gartenbaulich genutzten Flächen eingesetzt werden. Dabei erzeugen sie nicht nur Strom, sondern sorgen auch für Verschattung, Hagel- oder Windschutz, erhalten fruchtbare Ackerflächen und sind ein weiteres finanzielles Standbein einer regionalen Landwirtschaft. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) schätzt, dass in der Landwirtschaft ein technisches Potential von 1.700 Gigawatt Peak (GWp) mittels integrierter PV verborgen liegt. Bei Gebäuden sieht das ISE ein technisches Potenzial von ca. 1.000 GWp. Hier könnte PV, in Dächer und Fassaden integriert, architektonische Aufgaben wie Wärmedämmung, Wind- und Wetterschutz übernehmen. Parkplätze, Straßen, Schienen (359 GWp), PKW und LKW (55 GWp) sind weitere Anwendungsmöglichkeiten integrierter PV. Vorstellen dürfen wir uns hier ästhetisch in Fahrzeuge integrierte PV-Module, überdachte Fahrradparkplätze oder Lärmschutzwände an Autobahnen. Damit ersetzen sie nicht nur Baumaterialien, sondern spielen auch einen weiteren Vorteil aus: PV kommt bei ihrer Stromerzeugung fast ohne zusätzlichen Flächenverbrauch aus. In der Summe schätzt das ISE für integrierte PV ein technisches Potenzial von 3160 GWp [6].


Solaranlagen sind also unglaublich vielfältig, was ihnen hilft, Nutzungskonflikte zu umgehen und Baumaterialien zu ersetzen. Damit finden sie neben den Dächern neue Einsatzgebiete, auf die wir uns freuen dürfen. Modultypen, die es heute schon gibt, stellen wir auf Seite 26 vor.

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Abb 01 — Das technische Potenzial der Solarenergie unter Berücksichtigung integrierter Photovoltaik. Grafik: Eigene Darstellung auf Basis von Fraunhofer ISE-Daten •

 

Treibende Innovationen und sinkende Preise

Der Blick auf die Kosten weckt erneut Begeisterung: Solarstrom ist inzwischen die preiswerteste Art der Stromerzeugung. Hat eine PV-Anlage im Jahr 2006 durchschnittlich noch 5.000 Euro/Kilowatt gekostet, sind es heute nur noch 1.400 Euro/Kilowatt [7]. Die Kosten sind seither also um über 70 Prozent gefallen. Vergleichen wir die Preise über das Jahr 2006 hinaus, ist der Preissturz sogar noch größer. Die Auslöser für diese Entwicklungen sind zum einen innovative Produktionsanlagen und Herstellungsprozesse von Solarzellen und Solarmodulen. Allein im Zeitraum von 2018 bis 2021 haben Produktionsanlagen ihren Durchsatz verdoppelt. Pro Stunde können mit einer Maschine bis zu 10.000 Solarzellen produziert werden [8]. Zum anderen sind die heutigen Solarmodule schon viel besser in der Lage, das eingehende Sonnenlicht in Strom umzuwandeln. Wir sprechen hier vom Wirkungsgrad, der bei den aktuell verbreiteten kristallinen Solarmodulen bei 18 bis fast 23 Prozent [9] liegt. Große Hoffnung setzt die Forschung auf die sogenannten Perowskit- oder Perowskit-Silizium-Tandem-Solarzellen. Damit könnte der Wirkungsgrad auf über 30 Prozent erhöht werden [10]. Auch in der Energiebilanz, den Materialkosten und der Automatisierung von Anlagen-Prozessen gibt es wichtige Fortschritte. Auf lange Sicht dürfen wir also davon ausgehen, dass Solarstrom immer effizienter und günstiger wird. Informationen zu Ihrer persönlichen Wirtschaftlichkeitsberechnung finden Sie auf Seite 21. 


Ein Blick auf das ganze Ökosystem

Wie jeder Teil eines Ökosystems muss auch die Solarenergie mit verschiedenen Gebieten vernetzt betrachtet werden. Es gibt schattige Tage und Nächte. Entsprechend braucht die Solarenergie einen ausgetüftelten Mix mit Wind und anderen regenerativen Energien. Sonne und Wind werden den wesentlichen Anteil unserer künftigen Energieversorgung tragen. Biomasse, Geothermie, und Solarthermie werden auch eine Rolle spielen, sind in ihren Potenzialen jedoch begrenzt. 
Dazu braucht es Speichersysteme, um Energie kurz- und langfristig speichern zu können. Außerdem erfordern 100 Prozent Erneuerbare Energie eine Elektrifizierung des Verkehrs und der Wärmegewinnung (Sektorkopplung). Halten wir an unseren Konsum- und Verhaltensmustern fest, steigt der Stromverbrauch dermaßen an, dass es unrealistisch wird, diesen Bedarf an Energie rechtzeitig klimaneutral zu decken. Somit gehören also auch ambitionierte Effizienz- und Einsparmaßnahmen zum Konzept von 100 Prozent Erneuerbaren Energien.


All diese Punkte sind auch bei der Planung der eigenen Solaranlage relevant. Daher finden Sie in diesem Heft ein Interview zum Thema Raumwärme durch Wärmepumpen sowie Grundlageninfos zum Thema Speicher und Recycling von Solaranlagen. Interessant ist auch ein Beitrag zum Thema “Rebound-Effekt durch PV-Anlagen”. Erste Forschungsergebnisse machen nämlich darauf aufmerksam, dass Haushalte mit einer eigenen PV-Anlage einen Mehrverbrauch von Strom aufweisen [11]. Ein Irrweg, der durch ein geschärftes Bewusstsein vermieden werden kann. 


Der Blick auf das ganze Ökosystem legt auch das demokratische Herz [12] der Solarenergie frei. Dank Modularität und Dezentralität kann jede:r mitmachen. Wer klein einsteigen möchte, nutzt ein Balkonmodul, das kaum zwei Quadratmeter groß ist. Wer ein eigenes Dach hat, nutzt dieses und wer Schafe auf einer Freifläche darunter grasen lassen möchte - auch möglich! Wer keine geeignete Fläche für eine PV-Anlage besitzt, kann bei Mieterstromkonzepten oder einer Solargenossenschaft mitmachen. Alle Lösungen machen uns gemeinsam unabhängig vom Oligopol der Energiewirtschaft. Mehr zu den verschiedenen Beteiligungskonzepten finden Sie auf Seite 58. 

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Abb 02 — PV in der Landwirtschaft erzeugt nicht nur Strom. Sie sorgt zusätzlich für Verschattung, Hagel- oder Windschutz, erhält fruchtbare Ackerfläche und ist ein weiteres finanzielles Standbein einer regionalen Landwirtschaft. •

 

Wettlauf mit der Zeit

Seit mehreren Jahrzehnten wissen wir um die Erderwärmung, ihre Konsequenzen und den Ausweg. Beginnend mit dem Jahr 1990 veröffentlicht der Weltklimarat (IPCC) alle fünf bis sechs Jahre den kompakten wissenschaftlichen Sachstand. So auch wieder im März 2023. Die Kernaussage: Der menschengemachte Klimawandel ist ein wissenschaftlicher Fakt. Um diesen Wandel einzubremsen, müssen wir alle Emissionen radikal auf Null senken. Jahr für Jahr wiederholen sich diese Aussagen und spielen uns vor, dass die Lage gleich bleibt. Dabei ändert sich ein entscheidender Faktor: Die Zeit, die uns noch bleibt.

500 Gigatonnen CO₂, so rechnet der IPCC, trennen uns (seit Anfang 2020 gerechnet) vor dem Überschreiten der 1,5°C Grenze mit einer 50%igen Wahrscheinlichkeit. Wenn wir global weitermachen wie bisher, werden wir diese gewaltige Menge zusätzlicher Treibhausgase bis 2030 emittiert haben.[13] Aktuelle Tendenz: Die globalen Emissionen steigen mit jedem Jahr. [14] Von der Kehrtwende zu Null-Emissionen sind wir also noch weit entfernt. Mit der Konsequenz, dass Wetterextreme die Risiken für unsere Gesundheit und unsere Ökosysteme erhöhen.


Nun verbleiben uns also noch etwa 7 Jahre, bis wir die 1,5° Grenze mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit überschreiten. 7 Jahre, um unsere Emissionen weltweit in allen Sektoren auf  mindestens die Hälfte zu reduzieren [15]. Im Sinne der Klimagerechtigkeit sind ökonomisch entwickelte Staaten, wie Deutschland, sogar aufgefordert, schon eher bei Null-Emissionen angekommen zu sein.


So weit die Theorie. Und was sagt die Realität? Unsere derzeit global geplanten Maßnahmen zur Emissionseinsparung reichen nicht aus und eine sofortige 1,5° C-konforme Kehrtwende gleicht einem Wunder! Zu utopisch ist es, dass die bestehenden Technologien schnell genug ausgerollt werden können. Noch utopischer ist es, dass es eine neue Technologie geben wird, die rechtzeitig einen relevanten Beitrag leisten kann. So schreibt der IPCC, dass die Erderwärmung wahrscheinlich noch im Laufe des 21. Jahrhunderts die 1,5° Grenze übersteigen wird. [16] Den Wettlauf mit der Zeit haben wir bereits verloren.


Und was machen wir nun mit dieser Information? Nachlassen, weil wir ohnehin schon verloren haben? Nein! Denn für jedes Zehntel Grad ist es wert, zu kämpfen. Und somit spielen unsere Entscheidungen der nächsten Jahre weiterhin eine entscheidende Rolle für unsere Zukunft und die der kommenden Generationen. Jede neue Solaranlage ist ein Schritt in die richtige Richtung.  

Quellen und weitere Infos: 

[1] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/stromerzeugung-windenergie-kohle-solar-erdgas-atomstrom-101.html

[2] ​​https://www.energywatchgroup.org/wp-content/uploads/EWG_LUT_100RE_All_Sectors_Global_Report_2019.pdf

[3] https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/ErneuerbareEnergien/ZahlenDatenInformationen/EEStatistikMaStRBNetzA.pdf?__blob=publicationFile&v=11

[4]  https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/erneuerbare-energien/photovoltaik#Steuer

[5]  https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Energie/Erzeugung/_inhalt.html

[5a] Volker und Cornelia Quaschning (2022), Energierevolution Jetzt. Carl Hanser Verlag München. Seite 195.

[6]  https://www.ise.fraunhofer.de/de/leitthemen/integrierte-photovoltaik.html

[7]  https://www.pv-magazine.de/2023/03/10/die-zukunft-der-photovoltaik-ein-ausblick/

[8] https://www.bmwi-energiewende.de/EWD/Redaktion/Newsletter/2021/05/Meldung/direkt-erfasst_infografik.html

[9]  https://taiyangnews.info

[10] https://www.ise.fraunhofer.de/de/geschaeftsfelder/photovoltaik/perowskit-und-organische-photovoltaik/perowskit-silicium-tandemphotovoltaik.html

[11] https://www.ioew.de/presse/pressemitteilungen/jede-kilowattstunde-zaehlt-energiesparen-trotz-umstieg-auf-erneuerbare-energien

[12]  https://www.sfv.de/lokal/mails/wvf/koenigin

[13]  https://report.ipcc.ch/ar6syr/pdf/IPCC_AR6_SYR_SPM.pdf

[14]  https://report.ipcc.ch/ar6syr/pdf/IPCC_AR6_SYR_SPM.pdf

[15]  https://www.ipcc.ch/report/ar6/syr/downloads/press/IPCC_AR6_SYR_PressRelease_en.pdf

[16]  https://report.ipcc.ch/ar6syr/pdf/IPCC_AR6_SYR_SPM.pdf