Urteil des Landgerichts Dortmund : Messung und Blindarbeit

U. v. 13.12.2002, 60237/02
Mit Anmerkung von Schäfermeier

§§ 3, 7 EEG, § 448 BGB

Quelle: ZNER 2003, Heft 1

1. Anlagenbetreiber dürfen eingespeisten und bezogenen Strom selbst messen.
2. Bei Messung durch den Netzbetreiber ist der Anlagenbetreiber nicht verpflichtet, Kosten für eine Lastprofilmessung zu zahlen.
3. Netzbetreiber dürfen keine Blindarbeit berechnen.
(Leitsätze der Redaktion)
 

Sachverhalt:
Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der V. Die Kläger speisen in das Netz der V., jetzt der Beklagten, seit 1990 Strom ein, der mit Windenergie erzeugt wird. Sie schlossen mit der V. Verträge über die Einspeisung von Strom aus den und Lieferung von Strom an die Windenergieanlagen.
Nach dem ursprünglichen Stromlieferungsvertrag des Klägers zu 5) musste dieser für die Messeinrichtung, mit der der bezogene und eingespeiste Strom gemessen wurde, monatlich einen Pauschalbetrag in Höhe von 18,00 DM bezahlen. Unter Hinweis auf eine Preisanpassungsklausel im Vertrag, nach der auch "die gesamten Kosten ... der notwendigen Messeinrichtungen" berechnet werden könnten, wurde eine Pauschale von 91 EUR Messkosten und 26 EUR für die Überlassung der Wandler verlangt.
Die Verträge kündigte die Beklagte am 21.05.2001 zum 31.12.2001. Sie forderte ab dem 01.01.2002 weiterhin die erhöhten Mess- und Wandlerkosten und Vergütung für Blindstrom. Die im Juli 2001 aufgenommenen Verhandlungen der Parteien über neue Verträge blieben ohne Erfolg.
Der Kläger zu 1) schloss mit Wirkung zum 01.01.2002 einen Vertrag über die Lieferung von Bezugsstrom mit der Fa. L. und ließ sich die Messdienstleistungen nebst Installation der Messeinrichtung übertragen. Ferner übertrug er der Fa. Vi. die Messung für Einspeise- und Bezugsstrom. Die Fa. Vi. teilte der Beklagten die für die Ermittlung der Menge des eingespeisten
Stroms erforderlichen Messdaten mit. Die Beklagte fordert 91 EUR/Monat Messkosten und 26 EUR/Monat für den Wandler, die dem Kläger zu 1) gehören.
Der Kläger zu 5) lässt den Bezugsstrom von R. P. messen. Er liest den eingespeisten Strom an dem von der Beklagten installierten Lastprofilzähler selbst ab.
Die Kläger verlangen Zahlung der von der Beklagten für Messung, Wand- und Blindarbeit einbehaltenen Beträge.

Aus den Gründen:

Die Klage ist begründet:
Die Kläger können von der Beklagten Zahlung des gesamten jeweils einbehaltenen Betrages als dem Grund nach unstreitige restli- che Vergütung für den eingespeisten Strom fordern. Diesen Anspruch können die Kläger nach Überzeugung der Kammer unmittel- bar auf §§ 3, 7 EEG stützen, ohne dass es der Prüfung der Voraussetzungen des § 812 I 1 BGB bedarf.

a) Ein Zurückbehaltungsrecht auf Grund eines Anspruchs auf Abschluss eines Stromlieferungsvertrages zu Bedingungen, die sie für angemessen hält, steht der Beklagten nicht zu. Wie bereits von der Kammer entschieden, bedarf die Abnahme- und Vergütungs- pflicht nach §§ 3, 7 EEG keiner vertraglichen Grundlage, sondern ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Da das EEG einen Liefer- vertrag als Bedingung für Abnahme und Vergütung des einzuspeisenden Stroms aus gesetzlich begünstigten Anlagen nicht vorsieht, darf die Beklagte Vergütung für den eingespeisten Strom nicht wegen fehlenden Vertrages verweigern. Im Übrigen lassen sich die gegenseitigen Rechte und Pflichten im nachfolgend dargestellten Umfang aus den gesetzlichen Vorschriften und
dem Grundsatz von Treu und Glauben ableiten.

b) Die Forderung des Klägers zu 1) ist nicht durch die Aufrechnung mit Gegenansprüchen der Beklagten in Höhe der Klageforderun-
gen dieser Kläger erloschen.
1. Die Erstattung von Messkosten ab 01.01.2002 kann die Beklagte nicht fordern. Eine Anspruchsbegründung für diese Forderung ist nicht festzustellen. In dem vorliegend einschlägigen EEG ist eine derartige Anspruchsgrundlage nicht enthalten. Die entsprechende Anwendung des § 8 KWKG kommt vorliegend nicht in Betracht, da ein Regelungsbedarf nicht besteht. Den von ihm eingespeisten Strom hat der Kläger grundsätzlich entsprechend § 448 BGB selbst zu messen. Diese Messung hat der Kläger zu 1) mit Hilfe der von ihm zu Eigentum erworbenen Messeinrichtungen durch die Fa. V. vorgenommen, die Ergebnisse der Beklagten mitteilen lassen und die Stromangleichung mit Hilfe der eigenen Strom- und Spannungswandler ausgeführt. Ebenso wenig steht der Beklagten ein Anspruch gemäß § 812 I1 BGB für die Messung des eingespeisten Stroms zu, da der Kläger aus den o. a. Gründen um die Messleistungen der Beklagten nicht bereichert ist. Auch ein Anspruch auf Aufwendungsersatz nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag steht der Beklagten nicht zu. Denn da der Kläger eine eigene Messung vornehmen lässt, entspricht die Messung der Beklagten weder seinem mutmaßlichen noch tatsächlichen Interesse. Der von der Beklagten in diesem Zusammenhang dargelegten Erfassungsaufwand dient nicht der Ermittlung des vom Kläger eingespeisten Stroms, sondern der Überprüfung seiner Messung und der durch die Vi. mitgeteilten Ergebnisse, und damit eigenen Interessen der Beklagten.

2.Erstattung einer "Pönale" für zugeführten Blindstrom kann die Beklagte nicht fordern. Eine Anspruchsgrundlage für diese Ver- ragsstrafe ist nicht festzustellen. Weder ist ein Vertrag mit entsprechenden Regelungen zwischen den Parteien zu Stande gekommen noch hat die Beklagte aus den o. a. Erwägungen zu I a Anspruch auf einen Abschluss. Ebenso wenig ist dargelegt, dass der Beklagten dieser Betrag als Schadensersatz für die Verletzung vertraglicher Pflichten durch den Kläger zusteht. Denn es ist weder nachvollziehbar dargelegt noch ersichtlich, inwieweit durch die Zuführung von Blindstrom der Beklagten ein Schaden entstanden ist, der mit einem Aufwand in Höhe der "Pönale" in Stand zu setzen ist. Soweit dieser Aufwand der Beklagten dazu dient, ungünstige Auswirkungen auf die technische Sicherheit ihres Netzes und damit eine Schädigung zu verhindern, ist er nicht als Schaden anzusehen (Palandt 61. Auflage, § 249 BGB a.F. Rn. 30).
Auch ein Anspruch auf Aufwendungsersatz nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag steht der Beklagten insoweit nicht zu. Denn die Beklagte hat jedenfalls nicht nachvollziehbar dargelegt, inwieweit Aufwand im geltend gemachten Umfang notwendig war, um Störungen der Stromversorgung als Folge des vom Kläger zugeführten Blindstroms zu verhindern.
....
e) Die Forderung des Klägers zu 5) ist durch die Aufrechnung mit
Gegenansprüchen der Beklagten [teilweise] erloschen.
....
2. Der Kläger schuldet Aufwendungsersatz nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag für die Messung des im Jahr 2002 in das Netz eingespeisten Stroms als in Höhe der Gebühr von netto 9,20 EUR/Monat für den bisher vom V. für die Messung eingesetzte Einrichtung, insgesamt brutto 32,02 EUR. Denn die Messung des eingespeisten Stroms obliegt dem Kläger in entsprechender Anwendung des § 448 BGB. Die Möglichkeit, den eingespeisten Strom am Gerät der R. P. abzulesen, ersetzt nicht die gem. § 448 BGB erforderliche eigene Messung. Der Kläger schuldet jedoch nur die notwendigen Kosten (Palandt, § 670 BGB Rn. 4; § 683 BGB Rn. 8). Dass für die Messung der Einsatz eines teureren Vier-Quadrantenzählers notwendig ist, ist nicht festzustellen. Die Beklagte selbst hat ausgeführt, dass diese Messeinrichtung nur für die Erfassung des zugeführten Blindstroms notwendig ist. Sie dient nämlich einerseits der Ermittlung der von der Beklagten für zugeführten Blindstrom geforderten "Pönale", die sie aus den o. a. Erwägungen zu I b 2 nicht fordern darf.

3. Die weitergehende Forderung des Klägers ist nicht durch die Aufrechnung mit weiteren Gegenansprüchen der Beklagten erloschen. Der Kläger schuldet für 2001 lediglich Messkosten in Höhe der mit der V. vereinbarten monatlichen Pauschale, insgesamt die bereits bei Berechnung seiner Forderung abgezogenen 64,40 EUR. Auf vereinbarten Vorbehalt der Anpassung kann die Beklagte die erhöhten Messkosten nicht stützen. Denn diese Klausel ist unwirksam (§ 9 AGBG), da die Höhe der Anpassung nicht mitgeteilt und kein Recht zur Vertragsauflösung eingeräumt wird (vgl.. Palandt, § 11 AGBG Rn. 8) und daher den Kläger unangemessen benachteiligt.
...

Anmerkung:

1) Im Fall des Landgerichts Dortmund wenden sich insgesamt 6 Kläger gegen die Abrechnungspraxis der beklagten Netzbetreibe- rin. Es geht um die einseitige Erhöhung von Messkosten von 9,20 EUR auf 117,00 EUR netto trotz eines bestehenden Vertrages, die Frage des Messrechts für den eingespeisten und den bezogenen Strom, eine einseitige Erhöhung der Messkosten von 9,20 EUR auf 117,00 EUR netto in vertragslosem Zustand sowie einen Ausgleich für Blindarbeit in vertragslosem Zustand. Die Gründe sind etwas verkürzt wiedergegeben, da die wesentlichen Erwägungen des Gerichts anhand von 2 Klägern verständlicher dargestellt werden können.

2) Das Landgericht geht davon aus, dass für die Einspeisung und Vergütung von erneuerbaren Energien kein Vertrag erforderlich ist. Es lehnt daher die Auffassung des OLG Koblenz und des OLG Schleswig v. 17.05.2002 ab und schließt sich der Rechtsauffassung des OLG Schleswig vom 01.10.2002 an, das ebenfalls von einem gesetzlichen Schuldverhältnis auf Grund von §§ 3, 7 EEG ausgeht.

3) In den Fällen, in denen sich Kläger und Stromlieferanten dahingehend geeinigt hatten, dass die Anlagenbetreiber auch den Bezugsstrom messen, stellt das Landgericht Dortmund unter Hinweis auf § 448 BGB fest, dass der Anlagenbetreiber zur Messung berechtigt ist. Hinsichtlich des Bezugsstroms wird die Sache nicht weiter problematisiert, da der Lieferant des Bezugsstroms sein Messrecht ebenfalls an die Anlagenbetreiber abgetreten hatte.

Dessen ungeachtet hätte die Begründung des Landgerichts für die Erstattung von Messkosten ab dem 01.01.2002 in diesen Fällen auch einfacher ausfallen können, weil die beklagte Netzbetreiberin ab dem 01.01.2002 überhaupt keine Messdienstleistungen erbracht hatte.

4) Bemerkenswert an den Feststellungen des Landgerichts ist, dass die Messung des eingespeisten und des bezogenen Stroms durch die Anlagenbetreiber im Widerspruch zur sog. "Verbändevereinbarung II plus" und zum "Metering Code" steht. In diesen Vereinbarungen der Elektrizitätswirtschaft insbesondere zur Netznutzung ist geregelt, dass jeweils der Netzbetreiber berechtigt sein soll, die Messung für den Stromlieferanten auszuführen. Das führt zu einer Monopolisierung des Messwesens. Mit der Entscheidung wird verdeutlicht, dass Stromlieferant und Stromkunde abweichende Vereinbarungen treffen dürfen. Das kann zu einer Liberalisierung des Messwesens und für die Stromkunden zu einer Verringerung der Messkosten insgesamt führen.

Für die Betreiber von Windkraftanlagen sind die Höhe der Messkosten insbesondere für den Bezugsstrom seit Jahren ein großes Ärgernis. Insbesondere bei kleineren Windkraftanlagen zwischen 200 kW und 1 MW machen die Kosten für die Messung des Bezugsstroms nahezu 50 - 80 % der gesamten Bezugsstromkosten aus. Das liegt daran, dass die Netzbetreiber seit Jahren dazu übergehen, die vergleichsweise günstigen Ein- oder Mehrtarifzähler systematisch durch sogenannte Vier-Quadranten-Lastgangzähler auszutauschen, die ca. 10 - 15-fache Kosten pro Jahr verursachen. Begründet wird die Notwendigkeit des Zählertausches unter anderem mit den Erfordernissen einer sicheren Netzführung, der Verbändevereinbarung II plus, dem Metering Code oder dem Bilanzkreismanagement. Im Verfahren beim Landgericht Dortmund konnte die beklagte Netzbetreiberin mit keinem dieser Argumente Gehör finden.

5) Etwa seit Mitte des Jahres 2001 versuchen verschiedene Netzbetreiber, in Bezug auf die Verursachung von Blindarbeit bei der Einspeisung von erneuerbaren Energien die Zügel anzuziehen. Teilweise wird bei Windparks monatlich eine Vergütung für Blindarbeit von bis zu 4.000,00 EUR verlangt.

Das Urteil des Landgerichts Dortmund ist in Bezug auf die Behandlung von Blindarbeit ein erster Lichtblick. Deutlich wird bei der Entscheidung des Landgerichts, dass die Aussichten der Netzbetreiber, Blindarbeit vergütet zu verlangen, ohne vertragliche Grundlage schlecht sind. Zahlungsansprüche können sich daher nur aus den §§ 280 ff BGB (Schlechterfüllung von gesetzlichen oder vertraglichen Pflichten) oder aus Geschäftsführung ohne Auftrag ergeben, wenn Anlagenbetreiber Maßnahmen zur Begrenzung des Leistungsfaktors unterlassen. Der beklagten Netzbetreiberin war es aber nicht gelungen, im Einzelnen nachvollziehbar zu begründen, in welchem Umfang das Netz von den Klägern gesetzeswidrig belastet wurde. Von unmittelbarer Bedeutung ist das Urteil aber nur für die Anlagenbetreiber, die in das Netz ohne Vertrag einspeisen oder die Regelungen zur Blindarbeit und zum Leistungsfaktor lediglich unter Vorbehalt bei Abschluss eines Vertrages akzeptiert haben.
Ob Vereinbarungen zum Leistungsfaktor und zur Bezahlung von Blindarbeit in Stromeinspeise- und Netznutzungsverträgen den Vor- schriften zur Kontrolle von allgemeinen Geschäftsbedingungen Stand halten, dürfte in Zukunft insbesondere unter Berücksichtigung der Erwägungen des Landgerichts Dortmund und § 10 EEG, §§ 2,16 EnWG zu prüfen sein.

RA Andreas Schäfermeier, Lippstadt
 
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