Datum: 31.03.2005

Offener Brief an den BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) - Friends of the Earth Germany

Liebe Mitstreiter für eine intakte Umwelt, sehr geehrte Damen und Herren des BUND,

in diesem offenen Brief geht es um die "Leitlinien (des BUND) für eine nachhaltig wirksame Energiepolitik in der Legislaturperiode bis 2006". Unmittelbarer Anlass ist ein Interview, welches Umweltminister Jürgen Trittin am 24.03.05 dem SPIEGEL gegeben hat.

  • SPIEGEL: Herr Trittin, die SPD setzt sich im NRW-Wahlkampf von den Gruenen ab. Ministerpraesident Steinbrueck hat Ihnen gerade eine schaedliche Distanz zu Wirtschaft und Technologie vorgeworfen. Was ist Ihre Antwort?
  • Trittin: Mir muss keiner was von neuen Techniken oder von Wachstum und Beschaeftigung erzählen. Wir, SPD und Gruene, haben Regeln durchgesetzt, die den Betrieb von Uraltkraftwerken unrentabel machen. Das Ergebnis ist eine Investitionsoffensive, wie sie Nordrhein-Westfalen in diesem Bereich noch nie gesehen hat. Die Industrie dort hat gerade angekuendigt, fuenf Milliarden in neue Kraftwerke zu investieren. (...)

    (Quelle: Anhang 1)
Zu dieser unglücklichen Aussage zunächst zwei kritische Anmerkungen:

Erstens: Der Betrieb von Uraltkraftwerken wurde nicht unrentabel, weil SPD und Grüne irgendwelche Regeln (gemeint ist der Emissionshandel) durchgesetzt haben, sondern im Wesentlichen, weil nach Ablauf der Auslegungslebensdauer die Kosten der Instandhaltung ansteigen, weil neue Kraftwerke weniger Bedienungspersonal brauchen und weil moderne Kraftwerkstechnik mit weniger Brennstoff auskommt. Der Ersatz überalterter Kraftwerke ist deshalb eine Routineangelegenheit.
Hätte Minister Trittin als Erfolgs-Beispiel den Bau von Hunderttausenden von Solarstromanlagen in den letzten Jahren genannt, so wäre ihm hingegen voll zuzustimmen. Der Boom insbesondere der Solarenergie, der Bau neuer Solarfabriken und der Aufschwung des Solarinstallationsgewerbes gehen eindeutig auf die Verbesserungen der Einspeisebedingungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz zurück. Dieses wurde von Rot-Grün gegen die Stimmen der schwarz/gelben Opposition verabschiedet.

Zweitens: Den Ersatz alter fossiler Technik durch moderne fossile Technik als Ergebnis ambitionierter Umweltpolitik zu bezeichnen, ist fragwürdig. Eine ambitionierte Umweltpolitik müsste im Gegenteil alles daran setzen, den Bau neuer fossiler Kraftwerke durch forcierten Ausbau der Erneuerbaren Energien überflüssig zu machen. Unser Verein hat schon mehrfach darauf hingewiesen, dass dies möglich ist. Eine neue Studie, die von EUROSOLAR veröffentlicht wurde (Quelle Anhang 2), bestätigt dies jetzt mit genaueren Zahlenwerten. Der gesamte Erneuerungsbedarf an Kraftwerken kann somit durch Anlagen zur Nutzung der Erneuerbaren Energien ersetzt werden. Dies wäre ein grandioses Investitions- und Arbeitsbeschaffungsprogramm, welches Deutschland weltweit an die Spitze des wirtschaftlichen Fortschritts katapultieren würde. Sowohl Grünen-Abgeordnete, z.B. Hans-Josef Fell als auch SPD-Abgeordnete, z.B. Dr. Hermann Scheer stehen hinter dieser Aussage
. Notwendig wäre dazu nach unserer Auffassung eine konsequente weitere Verbesserung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes und die Rücknahme aller Privilegien für den Neubau von fossilen Kraftwerken, was faktisch einem Neubauverbot nahekäme.
Durch den Bau moderner fossiler Kraftwerke hingegen wird eine grundsätzliche Lösung des CO2-Problems auf etwa 30 weitere Jahre - Lebensdauer der neuen Kraftwerke - blockiert und eine gewaltige Fehlallokation von Kapital in Gang gesetzt.

Nun zum Zusammenhang mit den eingangs erwähnten "Leitlinien" des BUND:

In diesen Leitlinien findet sich - im Anschluss an eine Würdigung der Kraftwerksmodernisierung in Ostdeutschland - folgende Passage (Seite 7):

  • "(...) Im rheinischen Braunkohlerevier ist der Kraftwerkspark dagegen überaltert und sehr uneffizient; dort sollten alte Braunkohlekraftwerke noch durch moderne, umwelt- und ressourcenschonendere ersetzt werden. (...)"
    (Quelle: Anhang 3)
Der BUND setzt sich in dieser Leitlinie vom Dezember 2002 also nicht etwa für eine Ablösung alter fossiler Kraftwerke durch Anlagen der Erneuerbaren Energien ein, sondern er FORDERT sogar - was RWE ohnehin plant - Neubau als Ersatz für überalterte Kraftwerke.

Bei den traditionell sehr guten Beziehungen zwischen den Umweltverbänden und dem Umweltministerium ist es nicht verwunderlich, dass Minister Trittin diese Forderung gerne aufgegriffen hat.

Bitte betrachten Sie dies nicht als Vorwurf gegen den BUND, sondern als dringenden Appell, Ihren Kurs in dieser wichtigen Frage zu überdenken und beim Umweltministerium auf Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse zu drängen.

Mit freundlichen Grüßen
Für den Vorstand des Solarenergie-Fördervereins

Georg Engelhard, Wolf von Fabeck


Anhang 1)
http://www.bmu.de/pressemitteilungen/pressemitteilungen_ab_01_11_2004/pm/35261.php


Anhang 2)

Neue Kohle- und Gaskraftwerke überflüssig

Zur heute vorgelegten Studie "Erneuerbare Energien und Energiesparen für den Ersatz überalterter Kraftwerke in Deutschland" erklären Hans-Josef Fell, Vorsitzender EUROSOLAR Deutschland und Hermann Scheer, Präsident von EUROSOLAR:

Die alten Atom-, Kohle- und Gaskraftwerke lassen sich vollständig durch Erneuerbare Energien ersetzen - so das Ergebnis der Studie des Institute for Sustainable Solutions and Innovations (ISUSI), die im Auftrag von EUROSOLAR erstellt wurde.

In dieser Studie wird die Entwicklung bei den Erneuerbaren Energien auf die nächsten 15 Jahre hochgerechnet. Diese neuen Stromerzeugungskapazitäten wurden mit den wegfallenden alten Kraftwerksblöcken verglichen. Ergebnis: Wind-, Sonnen- und Bioenergie sowie Erdwärme können sämtliche Atom-, Kohle- und Gaskraftwerke ersetzen, die bis 2020 wegfallen. Bis zum Jahre 2020 müssen etwa 40 GW Kraftwerkskapazitäten in Folge des Atomausstieges und aus Alterungsgründungen ersetzt werden.

Bis 2020 können etwa 62 GW Erzeugungsleistung neu aus Erneuerbaren Energien bereitgestellt werden. Dabei handelt es sich um eine "Minimalrechnung" allein auf der Basis der Weiterentwicklung. Selbstverständlich wurde in der Studie berücksichtigt, dass Wind- und Sonnenenergie nicht rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Energiesparen eröffnet sogar zusätzlich die Möglichkeit, über die absehbar wegfallenden Kraftwerke hinaus weitere zu ersetzen oder für den Export Ökostrom zu produzieren und so aktiv zusätzlich zum Klimaschutz beizutragen.

Der unnötige Neubau von Gas- und vor allem Kohlekraftwerken würde hingegen über Jahrzehnte hinweg den Ausstoß von Klimagasen fortschreiben und den Zubau von Erneuerbaren Energien blockieren.

EUROSOLAR fordert die Energiewirtschaft dazu auf, auf den Neubau von Gas- und Kohlekraftwerken zu verzichten und ihre eigenen Investitionen auf den weiteren Ausbau Erneuerbarer Energien und Einsparinvestitionen zu konzentrieren.

Die Studie steht zum Download bereit: http://www.hans-josef-fell.de/download.php?id=374&filename=studie.pdf

V.i.S.d.P. Irm Pontenagel
EUROSOLAR e.V., Bonn


Anhang 3)

Der Energiereferent des BUND sandte uns am 21. März 2005 als kurze Antworf auf unsere Frage, ob der BUND ein Neubau-Verbot für fossile Kraftwerke unterstützen würde, die Energie-Leitlinien des BUND zu. Sie sind für Jedermann nachzulesen unter http://www.bund.net/lab/reddot2/energiepolitik_2786.htm