Von Balkon zu Balkon, von Dach zu Dach: Klimakommunikation, die ansteckt!
Seit ungefähr 5 Jahren beschäftige ich mich mit Klimakommunikation. Dazu gekommen bin ich über die Erkenntnis, dass die Technik allein uns nicht retten wird. Studiert habe ich Erneuerbare Energien und ich war fasziniert davon, was so viele vor uns schon aufgebaut hatten: Erneuerbare Technologien, die immer effizienter & billiger wurden; Gesetze, die Anreize schufen, diese Technologien einzusetzen. Ich hatte das Gefühl: „Jetzt stehen wir kurz vor dem Durchbruch ins Erneuerbare Zeitalter!“
Und aus meiner Ingenieurin-Perspektive sprach ja auch nichts dagegen: Technologie da, bezahlbar, los geht’s. Was in dieser Perspektive fehlte, war die gesellschaftliche Dimension der sozial-ökologischen Transformation.

© SoLocal Energy e.V. | Abb 1 — Mitmach-Solarbaustelle. Selbst für die Energiewende aktiv zu werden motiviert! •
Gesellschaftliche Aushandlungsprozesse als Basis für klimafreundliche Technologien
Wir leben in einem Deutschland, in dem die fossile Lobby es immer wieder schafft, Energiewende-Gesetze zu verkomplizieren und abzuschwächen. Auf dieser Welt gibt es noch immer Staaten, deren Haupt-Geschäftsmodell darin besteht, fossile Energieträger zu verkaufen, mit dementsprechend großem Interesse am klimaschädlichen Status Quo. Die Beharrungskräfte des „alten“ Systems sind also ziemlich stark.
Was also tun? Wir müssen gesellschaftlich um Klimaschutz ringen, damit erneuerbare Technologien endlich zur Norm werden. Und zwar um sozial gerechten Klimaschutz, sonst fällt uns das ganze Vorhaben wieder auf die Füße. Daher spreche ich gerne von Klimagerechtigkeit1, um deutlich zu machen, dass die Klima- und Energiewende nicht nur eine technische, sondern eben eine sozial-ökologische Angelegenheit ist.
Die Debatte um das Gebäude-Energie-Gesetz (als „Heizhammer“ verleumdet) beispielsweise hat gezeigt, dass die Menschen Orientierung brauchen in Zeiten von vielen Veränderungen, Krisen und Unsicherheiten. Welche Regeln gelten? Welche Förderungen gibt es? Und wer soll das alles bezahlen? Werden die Kosten im Mehrfamilienhaus für Dämmung und Ersatz der Gastherme auf die Mieter:innen umgelegt, obwohl diese die Miete ohnehin kaum stemmen können und der Vermieter gut von seinen Mieteinnahmen leben kann? All das sind Gerechtigkeitsfragen, die es zu berücksichtigen gilt, wenn wir viele Leute für’s Klima mitnehmen wollen. Klimagerechtigkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Deswegen habe ich in Kassel ein Kollektiv mitgegründet, SoLocal Energy, das den Bau von PV-Anlagen mit Klimabildung und gemeinsamen Bauaktionen verbindet. Junge Menschen kommen bei Schulprojekttagen oder im SolarCamp mit dem Solarhandwerk in Kontakt und schlagen eher den Weg zu einem Klimajob ein. Menschen können selbst erleben, wie die PV-Technologie funktioniert und haben Spaß bei der gemeinsamen Montage unter unser Anleitung. Von so einem Erlebnis erzählen sie viel eher, als wenn eine Fachfirma kommt und den Job schnell und nüchtern erledigt. Die Nachbar:innen werden vielleicht sogar neugierig.
Wussten Sie, dass in diesem Erleben im nahen Umfeld sogar der größte Einflussfaktor für PV-Anlagen auf Einfamilienhäusern liegt? Laut einer Studie des Potsdam Instituts2 für Klimafolgenforschung beeinflusst die Entscheidung pro PV vor allem, wie viele PV-Anlagen bereits in der Nachbarschaft installiert und sichtbar sind. PV-Anlagen sind also „ansteckend“ – somit tut man nicht nur was für’s Klima und die Energiewende, sondern beeinflusst „nebenbei“ auch noch die Nachbarschaft positiv. Bürger:innen reduzieren ihren ökologischen Fußabdruck UND vergrößern ihren „Klima-Handabdruck“. Dazu später mehr.
Wie kann Klimakommunikation dabei helfen, wirksamer aktiv zu sein?
In der Klimakommunikation geht es immer wieder um die Frage „Wie motiviere ich mein Gegenüber (oder auch mich selbst), ins Handeln zu kommen?“ Damit kann ich an verschiedenen Ebenen ansetzen: In der Familie, auf der Arbeit, im Sportverein, bei Entscheidungsträgern auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene.
Dabei geht es nicht darum, das Gegenüber mit aller Macht zu überreden. Den moralischen Zeigefinger können wir ebenfalls gleich stecken lassen, wenn wir etwas bewirken wollen. Respekt und eine wertschätzende Haltung sind die Voraussetzung für ein Gespräch auf Augenhöhe, in dem mein Gegenüber einen Schritt auf mich (und/oder mein Vorhaben) zu machen kann. Niemand wird gerne missioniert. Aber ziemlich viele Leute wollen bei attraktiven Aktionen mitmachen oder helfen. Die richtige Ansprache ist zentral, ganz nach dem altbekannten Ausspruch „Tue Gutes und Sprich darüber“.
Hier kommen 3 Schritte, die Sie unterstützen können:
1. Wer ist mein Gegenüber?
Für eine wirksame Klimakommunikation starten wir immer damit, uns ins Gegenüber hineinzuversetzen und versuchen, herauszufinden, was diese Person oder Gruppe motivieren könnte. Das muss erstmal auch nichts mit Klima zu tun haben. Es gibt viele sogenannte Co-Benefits, also Vorteile von klimaschützenden Maßnahmen. Im Beispiel von PV-Anlagen ist das für die meisten die Kosteneinsparung bei der Stromrechnung. Für manche gibt es vielleicht auch ein Sicherheitsgefühl oder eine gewisse Autarkie. Für andere geht es vielleicht auch um Prestige („Nachbar Schmidt hat ja jetzt auch so eine Anlage, das brauch ich jetzt auch“). Das alles sind auch legitime Gründe.
Vielen Leser:innen des Solarbriefs geht es vielleicht so, dass Klimaschutz einen ziemlich hohen Stellenwert im eigenen Leben hat. Wenn wir in die Breite der Gesellschaft wirken wollen, müssen wir anerkennen, dass dies für viele Leute nicht so ist. Im Vordergrund steht die Familie, Gesundheit, Bildung, Spaß oder einfach über die Runden zu kommen. Die gute Nachricht ist: Überall dort können wir anknüpfen, wenn wir unsere Projekte und die Kommunikation drum herum smart gestalten. Und: Jede Gruppe braucht ihre eigene Version von Klimaschutz – ist doch eigentlich logisch, dass Fußballfans und Banker:innen unterschiedliche Aspekte wichtig finden, oder? 3
2. Was ist meinem Gegenüber wichtig?
Deswegen ist Zuhören so wichtig: Wie sieht die Lebensrealität aus? Wo arbeitet die Person? Was macht sie in ihrer Freizeit? Welche Medien konsumiert die Person? Und vor allem: Wo liegen Gemeinsamkeiten? Ihr Gegenüber wird merken, wenn Sie aufrichtig zuhören und sich für Alltagsprobleme interessieren. Menschen haben ein sehr ausgeprägtes Gespür dafür, ob sie respektiert werden. Je mehr Sie das (ehrlich!) vermitteln können, desto offener wird das Gegenüber für Ihr Anliegen.
Wenn Sie dann noch Gemeinsamkeiten finden (und sei es der gleiche Fußballclub oder Lieblingsgetränk), stehen Ihnen die Türen gleich schon viel weiter offen. Indem Sie versuchen, sich in das Gegenüber hinein zu versetzen, nehmen Sie automatisch eine andere Perspektive ein. Der Frage „Was motiviert mein Gegenüber zu klimafreundlichem Handeln?“ kommen Sie dann direkt viel näher und haben bestimmt ein paar Ideen.
3. Wie kann ich meine Kommunikation meinem Gegenüber anpassen?
Das ist natürlich die ganze Kunst der Klimakommunikation. Am besten überlegen Sie sich einen guten Zeitpunkt und Ort, um das Gespräch zu führen, also vielleicht nicht, wenn die Person total gestresst ist und eigentlich gerade woanders hin muss. Für den Beginn bieten sich oft offene Fragen an: „Was denkst du zu …?“, „Hast du schon gehört, dass …?“

© SoLocal Energy e.V. | Abb 3 — Für eine wirksame Klimakommunikation probieren wir, uns in unser Gegenüber hineinzuversetzen. Foto: Solocal Energy e.V. •
Viele Menschen reagieren positiv auf Geschichten statt dröge Fakten. Versuchen Sie also, Ihr Anliegen „schmackhaft“ zu machen – was genau daran könnte attraktiv sein für’s Gegenüber? (siehe Co-Benefits) Am besten, Sie haben verschiedene Möglichkeiten parat, um ans Ziel zu kommen. Wenn es darum geht, eine Solaranlage zu installieren, kann man den Balkon ins Spiel bringen, falls das Dach nicht geeignet ist; Fördermöglichkeiten oder Pachtmodelle, falls das Geld nicht reicht; all-black-Solarmodule, falls es ästhetische Bedenken gibt – und so weiter. In dem Sie verschiedene Wege aufzeigen, geben Sie Ihrem Gegenüber das Gefühl, dass er Handlungsmöglichkeiten hat. Wer mag das nicht, selbstbestimmt zu handeln und eigene Entscheidungen zu treffen? Nur besteht die Auswahl dann nicht mehr zwischen „kein Klimaschutz“ und „Klimaschutz“, sondern zwischen klimaschützender Variante A, B, oder C.
Dabei können Sie auch Ihre eigene Geschichte nutzen: Wie war Ihr Weg zur eigenen PV-Anlage? Was hat Ihnen dabei geholfen? Welche Fehler haben Sie dabei gemacht? Wenn wir zeigen, dass wir selbst nicht die perfekten Klimaschützer:innen sind, macht uns das oft nahbarer und unser Gegenüber kann sich mehr auf uns einlassen. Falls sich im Gespräch Widerstände zeigen, können Sie den Ball auch mal zurückspielen „Wie würdest du Thema X denn angehen?“. Manchmal gewinnt man dadurch selbst Zeit und im Idealfall kommen Sie an etwas ran, an das Sie gut wieder anknüpfen können.
Nochmal zurück zum Beispiel mit dem Solarselbstbau in Kassel: Wir nehmen die Menschen mit auf’s Dach, zeigen ihnen, wie die Solarmodule montiert werden. Sie erleben Energiewende „zum Anfassen“, ganz real. Sie erleben Abenteuer, sie können Neugierde stillen, lernen etwas Neues, gemeinsam mit anderen netten Leuten. Vielleicht sieht der Nachbar sie auf dem Gerüst und sie können stolz hinüberwinken. Wir haben die klimafreundliche Handlung mit positiven Emotionen verknüpft, sodass der Installations-Tag intensiv erlebt wird und auch in der Folge viel anregt, nicht nur bei den Teilnehmenden selbst.
Klimakommunikation ganz praktisch: Solarparties, Solarpopcorn, Wattwanderung & Co
Dafür muss man aber nicht immer direkt aufs Dach steigen4: Die gleichen Ideen kann man auch auf kleinere Vorhaben anwenden: Bei Solarparties5 können Nachbar:innen Anbieter-unabhängig mal eine PV-Anlage „beschnuppern“, in einem lockeren Setting, mit Snacks & Getränken. Den nächsten Info-Stand könnte das Solar-Popcorn versüßen. Für die Bastler:innen könnte ein Upcycling von alten PV-Modulen zu Balkonkraftwerken7 spannend sein. Junge Leute erleben Ferienlager-Feeling in bundesweit stattfindenden Solarcamps.8 Technik-Interessierte lassen sich zu Bürgersolar-Berater:innen9 oder Solar-Botschafter:innen10 ausbilden8. Sportliche Menschen lassen sich für „Wattwanderungen“11 oder „Wattradeln“ begeistern.
Sie sehen: Ideen gibt es viele. (Falls Ihnen die Liste oben nicht reicht, gibt es bei www.engage.jetzt12 noch mehr Engagement-Möglichkeiten in der Bürgerenergie oder diverse Klimaschutzprojekte auf www.climateconnect.earth)13. Die Frage ist nur: Worauf haben Sie Lust? Und worauf könnte Ihr Gegenüber Lust haben? Womit wollen Sie anstecken?
Fußabdruck verkleinern, Handabdruck vergrößern!
Die Klima- und Energiewende ist ziemlich wichtig. Und ein ziemlich großes Vorhaben. Wir als Einzelpersonen können da leider nicht genügend bewirken, wenn wir für uns bleiben und nur individuelle Lösungen umsetzen. Die braucht es auch, um zu zeigen: „Es geht!“. Mindestens genauso wichtig ist, dass wir uns gemeinsam für bessere Rahmenbedingungen einsetzen, damit Klimaschutz zur Norm und ganz einfach für alle wird.
Für einen großen Teil der Bevölkerung ist die Mitwirkung an der Energiewende beispielsweise erheblich erschwert: Mieter:innen haben erst seit Kurzem das Recht auf ein Balkonkraftwerk. Dieses wurde durch viele „Guerilla-PV“-Anlagen und politischer Arbeit vieler Engagierter ermöglicht. Mieterstrom hingegen ist noch immer ein komplexes Feld, vor dem viele Vermieter:innen zurückschrecken. Es gibt vielleicht sogar motivierte Mieter:innen und Vermieter:innen, aber die Hürden sind oftmals zu groß. Hier braucht es eben die verbesserten Rahmenbedingungen, damit Mieterstrom (oder auch die Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung) sich durchsetzen kann und für viele Menschen in Reichweite kommt.

© Holly McKelvey | Abb 4 — Erst wenn Strukturen nachhaltig sind, wird nachhaltiges Handeln zum Selbstläufer! •
Der Handabdruck – Der Hebel zur Veränderung
Das Konzept des Handabdrucks wurde vom indischen Centre for Environment Education entwickelt und von Germanwatch aufgegriffen, um den Fokus stärker auf positives, wirkungsvolles Handeln zu lenken. Im Gegensatz zum bekannten ökologischen Fußabdruck, der den Schaden misst, den wir durch unseren Lebensstil verursachen, steht der Handabdruck für veränderndes Handeln, das über das eigene Verhalten hinausgeht – etwa durch politisches Engagement, Bildungsarbeit oder das Anstoßen klimafreundlicher Strukturen in Schule, Beruf oder Kommune.
Daher möchte ich Sie ermutigen, Ihren Fußabdruck zu verkleinern, mit individuellem Klimaschutz, aber eben noch viel wichtiger: Ihren Handabdruck zu vergrößern! Überall, wo Sie unterwegs sind, können Sie einen positiven Impact haben. Germanwatch hat zum Handabdruck viele tolle Materialien14 entwickelt, unter anderem den „Handel-o-Mat“. Schauen Sie zur Inspiration gerne dort rein, für sich selbst oder für die Menschen, die Sie zum Aktiv-werden motivieren wollen.
Manchmal kommt es uns vielleicht so vor, als ob niemand anderes sich für Klimaschutz interessiert. Es ist aber ganz genau anders herum! Viele Menschen möchten selbst mehr für Klimaschutz machen und erwarten auch mehr von der Politik, aber unterschätzen, wie viele andere um sie herum es eigentlich genau so sehen.
Darum ist es so wichtig, immer weiter über Klimakrise und Klimagerechtigkeit zu sprechen: Wir machen damit sichtbar, dass wir viele sind und viele verschiedene, mit ihrer jeweils eigenen Version von Klimaschutz. Damit ermutigen wir dann wieder andere, auch darüber zu sprechen und so, von Balkon zu Balkon und von Dach zu Dach, begeistern wir mit einer positiven Zukunftsvision für die Energiewende.
Es lohnt sich!
Weiterlesen? Kerstins Tipps:
© SFV Sehr empfehlenswerter Vortrag von Kerstin zu Klimakommunikation von der letzten SFV/BAK Tagung 2024.
© SoLocal Energy e.V. aus Kassel bietet Klimabildung, Solar-Selbstbau und vieles mehr: www. solocal-energy.de
© Christian Gutsche bietet ein kostenloses Übungsbuch zu Klimakommunikation
© Christopher Schrader | Über Klima sprechen - Das online Handbuch zur Klimakommunikation in Papierform, als Podcast oder als Lernplattform
Quellen
[1] https://www.bpb.de/themen/klimawandel/dossier-klimawandel/515255/klimagerechtigkeit/
[3] Ja, es gibt auch fußballbegeisterte Banker:innen ;)
[4] Falls doch: Hier gibt es eine Übersicht von Solarselbstbau-Gruppen in Deutschland: https://selbstbau.solar/karte/
[6] Erprobt in Kassel: elektrische Herdplatte, anschließen an ein Balkonkraftwerk (falls Netzanschluss vorhanden) oder eine kleine Inselanlage, Mais mit Öl in den Topf und fertig!
[7] https://balkon.solar/news/2024/07/13/weltrekord-in-solar-upcycling-geschafft/
[8] https://solarcamp-for-future.de/
[9] https://buergersolarberatung.de/
[11] https://wattwanderungen.hoou.tuhh.de/
[13] https://climateconnect.earth/de/browse
[14] https://www.handabdruck.eu/