Zur Autorin


Kohle ist der CO2-intensivste und somit klimaschädlichste fossile Energieträger. Trotzdem hat sich die jährliche Kohleproduktion weltweit zwischen 2000 und 2012 fast verdoppelt. Die International Energy Agency (IEA) stellte 2013 fest: „mehr als 3/5 der Anstiege der CO2-Emissionen seit 2000 ist auf die Verbrennung von Kohle zurück zu führen“. [1] Dieses rapide Wachstum des Kohlesektors ist möglich, weil die Finanzflüsse in den Sektor zwischen 2005, dem Jahr, in dem das Kyoto-Protokoll ratifiziert wurde, und 2012 um 400% gestiegen sind.
Urgewald meint: „Wer das Geld gibt, trägt Verantwortung für das Geschäft“, und schaut daher seit vielen Jahren hinter den finanziellen Vorhang der Kohle-Industrie. Bei Recherchen in den Shareholder-Listen von Kohleunternehmen stieß urgewald-Geschäftsführerin Heffa Schücking in den vergangenen Jahren immer wieder auf einen Namen: „Government Pension Fund Global“ (GPFG), Norwegens Pensionsfonds. Diese erfolgreiche „Geldvermehrungsmaschine“ hat ein Volumen von umgerechnet 800 Milliarden Euro und hält 1,3 Prozent aller Anteile an Aktiengesellschaften weltweit. Damit ist der Fonds einer der weltweit größten Investoren und einer der 10 größten Financiers der zerstörerischen Kohleindustrie.

Vor dem Hintergrund einer fortschrittlichen Klimapolitik und den ethischen Ansprüchen des Fonds wurde in der Vergangenheit in Norwegen bereits über ein mögliches Kohle-Divestment debattiert. Ein Großteil der Bevölkerung befürwortet einen solchen Ausstieg. Des Weiteren sprechen sich alle Oppositionsparteien im norwegischen Parlament für einen Kohleausstieg aus, konnten sich allerdings bisher nicht auf eine gemeinsame Linie einigen. Lediglich die Minderheitsregierung stand einem solchen Divestment kritisch gegenüber. Urgewald sah darin gute Voraussetzungen, einen wirklich großen Kohleinvestor zum Umdenken zu bewegen.

Jedes Jahr wird in Norwegen eine Liste aller 8-9.000 Firmen veröffentlicht, in die der Fonds im Vorjahr investiert war. Diese Transparenz eröffnete die einmalige Chance, in die Investments hineinzuschauen. Bisher hatte sich niemand die Arbeit gemacht, das Portfolio auf sämtliche Firmen, die in die Kohle-Kette involviert sind, zu durchleuchten. Unser Ansatz war dabei ein neuer, umfassender [2]: Die gängige Praxis ist, reine Kohleunternehmen, wie z.B. Kohlebergbaufirmen oder Minenbesitzer als „Kohleinvestments“ zu zählen. Wir haben jedoch Investments in die gesamte Lieferkette der Kohle – von der Förderung bis zur Nutzung – berechnet, denn problematisch ist ja nicht nur die Kohleförderung, sondern auch ihre Verbrennung. So kamen die Energieversorger, deren Geschäftsmodelle zu einem Großteil auf Kohleverbrennung beruhen, auf unsere Liste. Das gleiche galt für Firmen, die aus Kohle Gas oder Öl herstellen, denn diese Prozesse basieren auf Kohle und sind weitaus klimaschädlicher als die reine Verbrennung der Kohle. Ebenso schafften es Unternehmen, die große Expansionen im Kohlesektor planen, auf die Ausschlussliste, denn das rapide Wachstum des Kohlesektors muss aufgehalten werden.

Im November 2014 veröffentlichte urgewald die aufwändige Studie „Dirty & Dangerous – The Norwegian Government Pension Fund’s Coal Investments“. Die Ergebnisse der Recherche wurden zum Beleg dafür, dass der Fonds, der für den Wohlstand künftiger Generationen anlegen soll, dem Klima weitaus mehr schadet als angenommen. Menschen weltweit sind von den Kohleinvestitionen negativ betroffen.

Die Zahlen zeigten, dass die Kohle-Investitionen sogar deutlich höher lagen als bisher vom Fondsmanagement angegeben: Statt 2,5 Milliarden Norwegischen Kronen (300 Mio. Euro) waren es im Jahr 2013 Anlagen von über 82 Milliarden Norwegischen Kronen (9,7 Mrd. Euro).

Die Verbrennung von Kohle ist eine der größten Quellen für klimaschädliche CO2-Emmissionen. Kohle emittiert mehr CO2 als Öl und mehr als doppelt so viel wie Gas, vergleicht man die daraus gewonnen Energieeinheiten. Das Geld des norwegischen Pensionsfonds, das aus der Ölförderung stammt, in die Gewinnung und Verbrennung von Kohle zu investieren, ist für die Klimabilanz katastrophal.

Obwohl die Internationale Energie Agentur (IEA) warnt, dass die globale Kohlenutzung etwa 2020 ihren „Peak“ erreicht haben muss, expandiert die Kohleindustrie weiter. Mehr als 1.100 Gigawatt neuer Kohlekraftwerke sind heute in Planung oder Bau, und das oftmals in Ländern, die besonderes Potential für erneuerbare Energien bieten. Wenn diese Pläne realisiert werden, wird es unmöglich, eine Begrenzung der Klimaerwärmung auf 2 Grad Celsius zu erreichen.
Von dem norwegischen Geld profitierten Konzerne wie Coal India, im Jahr 2013 der größte Kohleförderer weltweit, verantwortlich für die Verwüstung ganzer Landstriche, für die Vergiftung von Menschen, Böden und Luft durch Kohlebrände. Coal India vertreibt Menschen und gefährdet seltene Tierarten. Die Arbeitsbedingungen in den Minen sind katastrophal und oft tödlich, zahlreiche Minen betreibt der Konzern ganz ohne Erlaubnis.

Die norwegischen Milliarden flossen auch in die Konzerne Arch Coal und Alpha Natural Resources in den USA, verantwortlich für den verheerenden Kohleabbau mit der Methode Mountaintop Removal. Um an die Kohle zu gelangen, sprengen die Unternehmen ganze Bergspitzen in den Appalachen weg, kippen den giftigen Abraum in die Täler und verursachen damit starke Umweltvergiftungen, erhöhte Krebsraten und vermehrte Missbildungen bei Neugeborenen.

Der Druck unserer Studie zeigte Wirkung: Ende 2014 bekam urgewald über die Partner-Organisationen vor Ort erste Kontakte in die norwegische Politik. In einer Anhörung informierte urgewald-Geschäftsführerin Heffa Schücking die Abgeordneten über die Folgen ihrer Investitionspolitik. Wir waren gespannt, wie das Parlament reagieren würde. Denn dort werden jedes Jahr aufs Neue die Investitionsregeln für den Pensionsfonds beschlossen. Dort liegt der Hebel für Veränderung. Zunächst erlebten wir jedoch einen Dämpfer: Die Stellungnahme der vom Parlament berufenen „Expertenkommission“ fiel enttäuschend aus. Die Kommission hatte „Dirty & Dangerous“ anscheinend komplett ignoriert. Eine klimapolitische Verantwortung des Staatsfonds wollte die Kommission nicht sehen. Auch im Parlament zeigte sich keine Mehrheit für einen Kohleausstieg. Wir waren enttäuscht und planten bereits eine breite Protestkampagne als Antwort auf diese Ignoranz.

Doch hinter den Kulissen kam Bewegung ins Spiel: Das Fondsmanagement bei der Zentralbank „Norges Bank“ verkündete plötzlich Anfang 2015, es habe sich von diversen Kohlebeteiligungen getrennt. Offensichtlich eine Reaktion auf unsere Studie „Dirty & Dangerous“, da das Divestment unter anderem Coal India und Mountaintop-Removal-Firmen betraf.

Diese Reaktionen, besonders in der internationalen Presse, erweckten den Eindruck, dass der Fonds sich in die richtige Richtung bewegte. Allerdings beruhten die Meldungen nur auf einem kleinen Teil der Wahrheit. Denn der Verkauf einzelner Aktien bedeutet lediglich die Verschiebung von Vermögen von einem zum nächsten Unternehmen. Wir fragten uns: Wo haben die Fondsmanager gleichzeitig hinzugekauft? Und wir mussten unsere Strategie anpassen. Um der verharmlosenden Selbstdarstellung des Staatsfonds etwas entgegenzusetzen und den Druck zu erhöhen, gab urgewald Ende Mai 2015 ein Briefing heraus, zusammen mit einer aktuelleren Analyse der Kohle-Anlagen. Der Titel stellte fest: „Still Dirty, Still Dangerous“, denn an der Anlagepolitik hatte sich trotz einzelner Verkäufe insgesamt nichts geändert!

Beispiel USA: Während der Fonds fast alle US-Minenbetreiber aus seinem Portfolio gestrichen hatte, investierte er nun in Energieversorger mit hohem Kohleanteil mit insgesamt 20,6 Mrd. Norwegischen Kronen. Das bedeutete im Klartext, dass man nur einen Schritt weiter in der Lieferkette ging und jetzt dort investierte, wo Mountaintop-Removal-Kohle verbrannt wurde.

Beispiel China: Die dortigen Kohleanlagen des Pensionsfonds waren seit dem Jahr 2013 um 32 Prozent gestiegen und hatten eine Summe von 7,2 Milliarden Norwegischen Kronen erreicht. Zusammen verbrennen die elf chinesischen Kohle-Unternehmen, in die der Fonds investiert ist, rund 424 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr. Das verursacht CO2-Emissionen, die 19 Mal so hoch liegen wie der jährliche Treibhausgas-Ausstoß Norwegens.
Es war klar: Zahlen reichen nicht aus. Die Norweger mussten mit Bildern und persönlichen Geschichten überzeugt werden, dass das Geschäft mit der Kohle ein dreckiges ist. Wir baten Menschen in aller Welt um ihre Botschaft an die Menschen in Norwegen. Sie schickten uns Selbstportraits, Fotos, welche die Zerstörungen durch die Kohle in ihren Regionen zeigen. Daraus entstand eine Reihe digitaler Protestpostkarten mit der Bitte: „Dear Norway, please divest!“

In Kooperation mit dem Netzwerk „350.org“ entstand mit diesen und weiteren Motiven eine Kampagnen-Webseite, über die in kurzer Zeit 44.000 Unterschriften für eine Petition gesammelt wurden.

Aber der entscheidende Hebel waren die Geschichten einzelner Menschen: Wir hatten weltweit mit Hilfe von Partner-NGOs nach Aktivisten gesucht, die in Norwegen von den verheerenden Folgen des Kohleabbaus und der Kohleverbrennung berichten können. Wir wollten die Parlamentarier, aber auch die Bürger in Norwegen unmittelbar mit ihren Berichten konfrontieren. Also organisierten wir zusammen mit unseren Partnern in Norwegen zwei „Affected People´s Hearings“ in Oslo, eines davon im Parlament.

Unsere fünf Gäste berichteten dort von Gewässervergiftungen in den USA, Luftverpestung in China, Landvertreibung in Kolumbien, Gesundheitsgefahren durch Kohle in Südafrika und von einem irrsinnigen Kohlekraftwerks-Bauprogramm in den Philippinen.

Es war eine düstere Tour um die Welt mit unzähligen Bildern und Geschichten. Als Iris Cheng Fotos von extremer Kohle-Smog-Belastung in China zeigte, sah man das Erschrecken in den Gesichtern der Zuhörer. Es wurde still im Raum, als Donna Lisenby, den Tränen nah, von den vielen Krebserkrankungen ihrer Bekannten erzählte, die an Gewässern leben, die durch Kohleasche kontaminiert werden. Aus Fakten wurde Gefühl. Seit Jahrzehnten sind unzählige Zahlen zu den Folgen der Kohlewirtschaft bekannt und verbreitet. In Oslo wurden sie zu fünf Gesichtern.
Das brachte den Wendepunkt. In Gesprächen mit Parlamentariern wurde in den Tagen darauf klar, dass tatsächlich eine Mehrheit für ein Kohle-Divestment zu erwarten war. Dann kam die entscheidende Debatte im Finanzausschuss Anfang Juni. Wir erlebten eine Überraschung: Regierungs- und Oppositionsparteien stimmten für ein ambitioniertes Kohle-Divestment. Die Einigung im Parlament orientierte sich zudem eindeutig an unseren Vorschlägen für weitreichendes Divestment. Demnach wird der Staatsfonds alle Beteiligungen an Bergbaufirmen und Energieversorgern abstoßen, die mit mindestens 30 Prozent Kohle arbeiten. Unsere Analyse zeigt: Zu den insgesamt 122 betroffenen Unternehmen gehören auch die zwei größten deutschen Energieversorger E.ON und RWE. Sie verlieren damit einen ihrer wichtigsten Investoren.

Die Momente des Feierns sind im Kampf gegen Kohle sehr selten. Dies war ein solcher Moment. Das größte Kohle-Divestment, von einem der weltgrößten und wichtigsten Investoren! Ein Erfolg, gewidmet den unzähligen Betroffenen weltweit. Internationale Medienberichte sendeten ein Ausrufezeichen an alle Investoren: Norwegen ist das Vorbild, ihr solltet die nächsten sein! Kurz vor dem wichtigen Weltklimagipfel in Paris zündet Norwegen ein Leuchtfeuer für den Klimaschutz!

Für urgewald geht die hartnäckige Arbeit weiter. Es geht darum, zu überwachen, dass Norwegen Wort hält. Urgewald begleitet zusammen mit den norwegischen Partnerorganisationen den Divestment-Prozess. Und wir machen weiter Druck, damit nicht ausgerechnet multinationale Bergbaugiganten wie BHP Billiton oder Glencore weiter im Portfolio bleiben. Diese fördern zwar jährlich weit über 22mio Tonnen Kohle (äquivalent zum jährlichen CO2 -Ausstoß Norwegen) fallen aber unter die beschlossene 30% Grenze.

Urgewald wird weiterhin auf große Investoren, z.B. die Kirchenbanken, Einfluss nehmen und wirkungsvolles Divestment einfordern. Wir wollen dafür sorgen, dass bei vielen Divestment-Entscheidungen unsere Kriterien herangezogen werden, um „Fake-Divestments“ zu verhindern.

Im Vorfeld der Klimakonferenz in Paris im Dezember arbeitet urgewald gemeinsam mit dem internationalen NGO Netzwerk BankTrack daran, öffentlichen Druck auf Banken und Investoren zu machen. Sie sollen entsprechend der großen Verantwortung des Finanzsektors ihre klimaschädlichen Investments beenden. urgewald knöpft sich vor allem die bis jetzt beratungsresistenten und größten deutschen Kohleinvestoren Deutsche Bank und Allianz vor.


Christina Beberdick, MSc, ist Umweltsoziologin und arbeitet als Campaignerin bei urgewald.


Fußnoten
[1] Veröffentlichung des ”Medium-Term Coal Market Report 2013”, Maria van der Hoeven, 16.12.2013.
[2] Unsere Berechnungen des Kohleanteils im Pensionsfonds beinhalten: Unternehmen mit einem Umsatz, der mind. zu 30% auf Kohle basiert, Energieversorger deren Stromproduktion zu 30% aus Kohle generiert wird, Unternehmen, die Expansionspläne im Kohlesektor haben und Mischkonzerne, die zwar unter die 30% Grenze fallen, die aber einen relevanten Kohleanteil von mindestens 22 Mio. t haben.