Die Initiative „Agora Energiewende“ gilt als Thinktank, der Konzepte zur Durchsetzung der Energiewende in Deutschland erarbeitet. Das Gewicht ihrer Stellungnahmen ist nicht nur bei der Bundesregierung groß, mit der personelle Verflechtungen bestehen, sondern auch bei der Umweltschutzbewegung, die sich gerne auf Agora-Studien beruft, wenn es um Energiepolitik geht. Der SFV hat den Ansatz von Agora mehrfach kritisiert, weil dieser nicht davon geleitet ist, was notwendig wäre, sondern von den Rahmenbedingungen, die in der Bundespolitik bereits gesetzt sind. Agora erfüllt im Großen und Ganzen nicht die Funktion einer Politikberatung gegenüber der Bundesregierung, sondern die einer Akzeptanzbeschaffung für die Regierungspolitik gegenüber der Bevölkerung bzw. der Umweltbewegung. (1)

Nun hat Agora ein Papier vorgelegt, das einen Weg zur „schrittweisen Dekarbonisierung des Stromsektors bis 2040“ (2) aufzeigen soll. Alles, was wir bisher an der Agora-Politik kritisiert haben, erscheint hier auf die Spitze getrieben. Alle Welt weiß (spätestens nach der Klimakonferenz von Paris), dass wir „an den Kohleausstieg ranmüssen“, um die Worte eines Staatssekretärs der Bundesregierung aufzugreifen (3). Dies muss wegen der Dringlichkeit des Klimaschutzes so schnell wie möglich passieren. Agora aber will diesem Prozess ein sehr gemächliches Tempo gönnen. Man zitiert sogar die Szenarien, die einen schnelleren Ausstieg durchgerechnet haben – um dann ohne weitere Begründung das Jahr 2040 aus „den nationalen mittelfristigen Klimaschutzzielen“ abzuleiten, also aus den völlig unzureichenden Planungen der derzeitigen schwarz-roten Regierungskoalition. (4)

Um die Klimaziele zu erreichen – deren wichtigstes lautet: Begrenzung der treibhausgasbedingten Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad –, soll in Deutschland also noch bis zum Jahr 2040 Kohle verfeuert werden, ein ganzes Vierteljahrhundert. Das ist absurd und widersinnig. Es ist weder durch technische Notwendigkeiten noch durch wirtschaftliche Vernunft zu rechtfertigen, so lange mit dem Kohleausstieg zu warten. Für Agora stehen auch keine technischen oder ökonomischen Argumente im Vordergrund. Das Hauptmotiv für diesen Fahrplan ist ein politisches und lautet – „Konsens“. Der Plan soll umgesetzt werden durch einen „Runden Tisch Nationaler Kohlekonsens“, an dem ein „vertrauensvoller Dialogprozess unter allen Beteiligten“ stattfinden soll. (So die Presseerklärung. In der Agora-Studie selbst ist dann von den wesentlichen Beteiligten bzw. von den „für einen Kohlekonsens relevanten Interessen“ die Rede. (5))

Man darf wohl unterstellen, dass zu diesen „Beteiligten“ die Kohleindustrie gehören wird; ferner wohl die politischen Entscheidungsinstanzen von Bund sowie den Kohleländern. Wer noch? Wird z.B. eine Delegation aus Tuvalu hinzugebeten werden, oder von den anderen pazifischen Inselgruppen, die infolge des Klimawandels vom steigenden Meeresspiegel verschluckt werden? Oder ist deren „Beteiligung“ denn doch allzu passiv, und soll es auch bleiben? Mit anderen Worten: Drohen bei einem Konsens der „Beteiligten“ vielleicht die Interessen der Betroffenen unter den Tisch zu fallen?

Die Methode des „vertrauensvollen Dialogprozesses“ ist für den Agora-Vorstoß das A und O. Ihre ganze Verlautbarung ist gespickt mit harmonisierenden Adjektiven: „konsensorientiert“, „geordnet“, „ausgewogen“, „fair“. Es sollen „unbillige Härten“ (für wen?) vermieden und ein „Ausgleich unterschiedlicher Interessen“ vorgenommen werden. Das wäre ja alles schön und gut und taugt sicher für andere Konflikt-Arenen. Aber in der Klimafrage – salopp formuliert – brennt der Baum! Da kann es nicht mehr darum gehen, mit den Problemverursachern Wattepusten zu spielen – da muss die Feuerwehr ran.

Aber selbst fürs Wattepusten hat sich Agora strategisch unklug aufgestellt. Die Harmoniestrategie führt dazu, von vorneherein schädliche Kompromisspositionen einzunehmen, die als Endergebnis schon frustrierend wären, als Ausgangsposition aber politisch katastrophal sind. Die Zielvorgabe 2040 für den Kohleausstieg ist ein Beispiel dafür. Aber es geht noch weiter: Im Gegenzug zu diesem laschen „Kohleausstiegsgesetz“ soll sich, fordert Agora, die Politik dazu verpflichten, „künftig keine weiteren einseitigen Belastungen der Kohle einzuführen“.

Künftig keine weiteren Belastungen für die Kohle – das ist an sich schon ein skandalöser Blankoscheck für die Klimaverderber. Man muss ihn aber im Lichte der auch von Agora richtig erkannten Einschätzung zur Übereinkunft von Paris lesen:

Aus den zur Konferenz eingereichten nationalen Minderungszielen (Intended Nationally Determined Contributions, INDCs) ermitteln unterschiedliche Abschätzungen noch eine mittlere weltweite Temperaturerhöhung zwischen 2,7 und 3,5 Grad Celsius. Eine schrittweise Erhöhung des Ambitionsniveaus alle fünf Jahre ist jedoch bereits verabredet.“ (6)

Wie stellt man sich nun bei Agora eine solche Erhöhung des Ambitionsniveaus im Energiesektor vor, wenn man schon 2016 alle weiteren „Belastungen für die Kohle“ kategorisch ausschließt?

Was Agora hier vorschlägt, so lässt sich zusammenfassen, ist ein Garantiegesetz für die deutsche Kohlewirtschaft zur unbehelligten Verfeuerung ihrer Klimakiller-Rohstoffe. Für einen „Thinktank“, der sich angeblich der Energiewende verschrieben hat, ist das erbärmlich. Wir hoffen sehr, dass der Umweltbewegung in Deutschland nun endlich klar wird, welche Rolle Agora in der Debatte tatsächlich spielt.

Lassen wir den Thinktank abschließend noch einmal zu Wort kommen. „Das Eckpunkte-Papier von Agora Energiewende sieht vor, die Abschaltung der Kohlekraftwerke so kostengünstig wie möglich zu gestalten.“ Fragt sich nur: kostengünstig für wen? Für die Bewohner Ostfrieslands, die irgendwann beginnen müssen, ihre Wohnsitze landeinwärts zu verlagern? Für die kommenden Abermillionen von Klimaflüchtlingen und die Gesellschaften, die ihnen Zuflucht gewähren? Oder doch am Ende eher für die Kohlekonzerne, die möglichst lange Gewinn aus ihren Dreckschleudern ziehen wollen? Oder sollen die politischen Kosten für eine Bundesregierung günstig gestaltet werden, die ihre Energiewende-Bremserpolitik erneut mit der Studie eines Energiewende-Thinktanks verbrämen kann, der solche Politik als ‚fortschrittlich‘ adelt?

 

Nachweise

 

1 Vgl. Wolf von Fabeck, Geschäftsführer des SFV, Schreiben an Patrick Graichen, Direktor der Agora Energiewende, September 2014; Wolf von Fabeck: Vernachlässigung des Klimaschutzes durch Agora Energiewende. Wie eine regierungsnahe Organisation zunehmend Einfluss auf die Umweltbewegung gewinnt, Oktober 2015.
2 Agora Energiewende: Elf Eckpunkte für einen Kohlekonsens. Konzept zur schrittweisen Dekarbonisierung des deutschen Stromsektors (Kurzfassung). Januar 2016. S. 27.
3 Soweit nicht anders vermerkt, stammen alle Zitate aus: http://www.agora-energiewende.de
4 taz, 11.1.2016, S.4.
5 Agora Energiewende: Elf Eckpunkte. S. 26.
6 Ebd. S. 19.