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Wer sich über den Stand der weltweiten Bemühungen um eine Begrenzung des Klimawandels und über die Hindernisse unterrichten möchte, die dem entgegenstehen, kann sich in diesem kleinen Band der Reihe „politische ökologie“ einen guten Überblick verschaffen. Im November 2014 erschienen, stellt er eine Momentaufnahme der klimapolitischen Debatte zwischen dem New Yorker Klimagipfel, zu dem UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon am 23. September 2014 eingeladen hatte, und der 20. UN-Klimakonferenz in Lima im Dezember desselben Jahres dar. Die Ergebnisse der Lima-Konferenz haben die Situation nicht so stark verändert, dass die Einschätzungen des Bandes überholt wären.

In 18 knappen Beiträgen werden Schlaglichter auf den klimapolitischen Diskurs und auf einzelne Akteure in der Klimadebatte geworfen. Eine vorsichtig optimistische Grundnote prägt diese Sammlung, auch wenn durchaus widersprüchliche Ansichten hier Platz bekommen haben. So stellt Ottmar Edenhofer (Chefökonom am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung) den fünften Sachstandsbericht des IPCC vor, an dem er mitgewirkt hat, und wirbt dabei auch für Kohlendioxidabscheidung und -speicherung (CCS) sowie für Atomenergie (S. 28). Christian Hey (Generalsekretär des Sachverständigenrats für Umweltfragen) hingegen weist darauf hin, dass nach anfänglicher Euphorie inzwischen „die meisten Demonstrations- und Pilotprojekte für CCS der EU auf Eis gelegt oder beendet“ seien (48). Der Band zielt also nicht auf Konsistenz, sondern auf Pluralität. Man sollte eher einen Überblick über laufende Diskussionen erwarten als eine klare Richtschnur des Handelns. Klimaskeptiker freilich wird man hier vergeblich suchen.

Die Sammlung ist in drei Abteilungen gegliedert: „Kipppunkte“ mit allgemeinen klimatologischen und klimapolitischen Diagnosen; „Sturmhöhen“ mit Berichten über Protestbewegungen in den verschiedenen Weltregionen; und „Tauwetter“, wo Erfolgsstrategien des internationalen Klimaschutzes diskutiert werden. Wollte man eine Quintessenz aus all diesen Stimmen ziehen, so könnte man zwei Hauptargumentlinien herausarbeiten: 1) die Benennung von Mechanismen und Akteure, die den Klimawandel herbeiführen bzw. rasches Handeln dagegen hemmen; 2) Begründungen und Aspekte einer Zuversicht auf die politische Lösung der weltweiten Klimaproblematik.

 

1) Problembefunde

 

Das Grundproblem des anthropogenen Klimawandels ist bekannt: die Emission von Treibhausgasen, vor allem durch fossile Energieträger. So definiert Edenhofer das Treibhausgas CO2 zurecht als Abfall und fordert: „Die Nutzung des CO2-Deponieraums Atmosphäre darf nicht länger kostenlos sein.“ (29) Der Gedanke, dass nur noch eine begrenzte Menge zusätzlichen Kohlenstoffs als CO2 in diese „Deponie“ gelangen darf, wenn die Erderwärmung auf ein noch handhabbares Maß begrenzt werden soll, wird mit dem Begriff eines „Carbon Budget“ gefasst – so von Martin Kaiser und Daniel Mittler (beide hochrangige Mitarbeiter bei Greenpeace). Dass trotz dieses begrenzten „Carbon Budget“, so argumentieren sie, „weiter mit großem Elan nach fossilen Ressourcen gesucht wird – und auch besondere Ökosysteme wie die Arktis nicht vor Ölbohrungen sicher sind – ist mehr als irrational. Es ist Harakiri. Jedes Kohle- und Ölunternehmen, das weiter auf dieses Geschäftsmodell setzt, verantwortet das Leid und Elend derjenigen Menschen, die zukünftig verstärkt von Trockenheit, Meeresspiegelanstieg, Fluten, regenreichen Stürmen und ausbleibenden Ernten betroffen sein werden. Und es muss auch mit juristischen Folgen rechnen.“ (22) Welche juristischen Folgen das sein könnten, wird leider nicht erläutert. Kaiser und Mittler weisen auch auf weitere ökologische Probleme hin, die sich insbesondere aus der energetischen Verwendung von Kohle ergeben und die mit den Folgen der Kohleverbrennung höchst unangenehme Rückkoppelungen ergeben: „Ironischerweise braucht gerade der Abbau von Kohle – die klimaschädlichste aller Energieformen – extrem viel Wasser." (Sowohl im Bergbau, z.B. bei der Trennung der Kohle vom übrigen Gestein, als auch bei der Verstromung in Kraftwerken, werden immense Mengen an Wasser verbraucht bzw. verseucht.) "Demgegenüber verbrauchen erneuerbare Energien extrem viel weniger Wasser und werden somit in einer immer stärker von Wassermangel geprägten Welt auch aus anderen Gründen als dem Klimaschutz zunehmend attraktiver.“ (20)

Aber sie gefallen eben nicht den Profiteuren des fossilen Energie-Komplexes, der sich teils mit unlauteren Methoden gegen den notwendigen Wandel sperrt. Die Kampagnen der Klimaskeptiker gehören hierhin. Jens Soentgen (Wissenschaftszentrum Umwelt der Uni Augsburg) und Helena Bilandzic (Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Uni Augsburg) tragen Ergebnisse einer Analyse von knapp 100 klimaskeptischen Sachbüchern vor, aus denen sie immer wiederkehrende Argumentationsmuster herauspräparieren, die letztlich auf eine Art Verschwörungstheorie hinauslaufen. Das folgende Zitat des amerikanischen Journalisten Brian Sussman stellt allerdings eine Extremposition in diesem Feld dar: „Global Warming‘s story begins with a diabolical bastard named Karl Marx.“ (41)

Als weiteres Problemfeld benennt Hermann Ott (Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie) Konstruktionsfehler bei den globalen Klimaschutz-Bemühungen gemäß dem 1997 angestoßenen Kyoto-Prozess. Dem Kyoto-Protokoll konnten „sogar solche Staaten beitreten, die den Klimaschutz nicht fördern, sondern verhindern wollten“ (92), das unterscheidet es von dem erfolgreichen Ozon-Protokoll. Aber auch ohne diesen „Webfehler“ erkennt Ott, dass die Einigung von 190 sehr heterogenen Staaten auf wirksame Klimaschutzziele wohl kaum den Königsweg darstellen kann.

Christian Hey schließlich weist noch auf ein besonderes Problemfeld hin, das in der inzwischen etablierten Bremser-Rolle Deutschlands in der internationalen Klimapolitik besteht. „Die Zeitenwende der deutschen und europäischen Klimapolitik hat ein Symbol: die Absage der Bundeskanzlerin, zum Klimagipfel der Vereinten Nationen zu kommen, der im September 2014 in New York stattfand.“ (44)

 

2) Hoffnungsschimmer

 

Dabei ist doch „nicht zu unterschätzen, wie wichtig das Gelingen der Energiewende in Deutschland ist. Man hört oft den Spruch: ‚Wenn Deutschland das nicht schafft, schafft es niemand.‘“ (99f) Auf diesen wichtigen Sachverhalt weist Jennifer Morgan (Global Director des Climate Program am World Resources Institute) hin. Das mag immerhin umgekehrt die Hoffnung nähren, dass ein Gelingen der Energiewende in Deutschland auch weltweit einen Motivationsschub auslösen könnte.

Kaiser und Mittler sind trotz ihrer oben zitierten düsteren Analysen zuversichtlich: „Trotz der peinlichen 2030-Ziele der EU und eines fehlenden Kohleausstiegsgesetzes in Deutschland gibt es viel Grund für Optimismus.“ (24) Das „Momentum“ sei „auf der Seite der Klimabewegung“ (25). Als Grund für diese optimistische Einschätzung machen sie den wachsenden Problemdruck geltend: Der Hurricane „Sandy machte selbst den Reichen klar, dass auch ihre Gated Communities nicht vor den zerstörerischen Kräften des Klimawandels sicher sind.“ (19) Dementsprechend gelte inzwischen für Teile der Wirtschaft: „Nicht mehr der Klimaschutz wird als Wettbewerbsnachteil verstanden, sondern das zögerliche Handeln der Politik.“ (25)

Diese Entwicklung soll, so meinen Kaiser und Mittler, mit der „größte[n] globale[n] Mobilisierung für die Losung ‚100-Prozent-Erneuerbare für alle‘“ beim diesjährigen Klimagipfel in Paris flankiert werden (25). Auch Hey plädiert dafür, die Klimaschutz-Bewegung solle sich neue Bündnispartner suchen unter den Profiteuren der fälligen Transformation – „institutionelle Anleger, die IT-Branche und den Industrieanlagenbau“ (49).

Wenn man den unterschiedlichen Ansätzen folgt, die in diesem Band versammelt sind, dann ergibt sich ohnedies ein Mosaik aus vielfältigen Akteuren und Handlungs-„Arenen“. Wenn etwa die Entwicklungs- und Umweltpsychologin Susanne Bruppacher das individuelle Klimaschutzhandeln betont, bei dem „Zielharmonien“ aus Nachhaltigkeit und Lebensqualität gefunden werden sollen (52), dann hat das seinen Wert nicht im unmittelbaren Klimaschutzeffekt solchen Handelns, sondern darin, dass individuelle „Peanuts-Handlungen“ als „Symbolträger“ wichtigere Entwicklungen triggern, d.h. sozusagen ein Klima für den Klimaschutz generieren können (53f). Ähnliches gilt sicher für die eben nicht verzweifelten, sondern mutigen Aktionen von Bewohnern pazifischer Archipele, die durch den Meeresspiegel-Anstieg unmittelbar vom Untergang bedroht sind. Wenn diese sich nicht als „Klimaflüchtlinge“, sondern als „Climate Warriors“ bezeichnen, bekräftigen sie die Dringlichkeit der Entscheidung, ob wir in einer Welt leben wollen, in der z.B. diese Inseln noch existieren (83) – so argumentiert die Politologin Angela Oels (Fernuniversität Hagen).

Die strategische Haupt-Alternative, auf die der SFV mehrfach hingewiesen hat – nationale Vorreiterrolle beim Klimaschutz statt globaler Übereinkünfte – lässt sich bei Lektüre dieses Bandes mit etwas mehr Komplexität anreichern. Dass die Pariser Konferenz in diesem Herbst infolge des letztjährigen Abkommens zwischen den USA und China über Begrenzungen des jeweiligen CO2-Ausstoßes eine „veränderte Verhandlungsdynamik“ nutzen könne, hält Jennifer Morgan nicht davon ab zu konstatieren, von der „Vorstellung, dass ein UN-Abkommen allein das Klimaproblem lösen“ könne, habe man sich „verabschiedet“ (98). Der Politologe Achim Brunnengräber (FU Berlin), der über die Rolle von NGOs bei den Klimaverhandlungen schreibt, empfiehlt eine „Mehrebenenpolitik“, wobei eine „ausgeprägte Betonung der lokalen und regionalen Handlungsebene“ „neuen Schwung in die Klimaverhandlungen bringen“ könne (61). Lutz Weischer und Sönke Kreft (beide Projektleiter bei Germanwatch) betonen, ein Abkommen in Paris sei wichtig, aber gleichzeitig müssten auch „anderswo die Weichen richtig gestellt werden“: beim kommenden G7-Gipfel, in „Vorreiterallianzen“, und vor allem „in der nationalen Klimapolitik“ (101f). Klimaallianzen ambitionierter Staaten regt auch Hermann Ott an, um die Zähigkeit der Konsensfindung auf Klimakonferenzen zu konterkarieren (90f). Die verschiedenen Handlungsebenen, so könnte man diese diversen Einschätzungen synthetisieren, können einander fördern, statt sich zu hemmen. Die Frage der Ebenen-Priorität muss dann aber trotzdem noch gestellt werden, um zu verhindern, dass symbolische Politik mit Alibi-Funktion effektives politisches Handeln ersetzt.

Hans Joachim Schellnhuber und Daniel Klingenfeld (beide vom Potsdam-Institut für Klimafolgenabschätzung) gründen ihren vorsichtigen Optimismus auf die Beobachtung: „Ein reichhaltiges Portfolio emissionsfreier Technologien steht uns mittlerweile zur Verfügung, um den Scheitelpunkt der globalen Emissionskurve rasch nach vorne zu verlagern.“ (107f) Wobei Zeit eben die „zentrale Stellschraube“ ist, „um Risiken zu begrenzen und Kosten zu minimieren“ (108).

Die Frage, warum wir dieses „Portfolio“ inzwischen haben, warum also der Klimaschutz jedenfalls nicht an technischen Problemen scheitern muss, wird in dem Band nicht adressiert. Tatsächlich würde eine solche Analyse ja die Schlüsselrolle verdeutlichen, die das deutsche EEG und die durch dieses bewirkte Verbilligung Erneuerbarer Energien bereits gespielt hat. Hieraus ist der strategische Vorrang nationaler Klimaschutzpolitik abzuleiten. Internationale Verhandlungen oder individuelles Emissionsvermeidungs-Handeln können als flankierende, vor allem bewusstseinsbildende Taktiken ihre Rolle spielen. Dass die deutsche Bundesregierung gleichzeitig bei den internationalen Verhandlungen bremst und „zuhause“ ihre Hausaufgaben nicht macht, ist in diesem Zusammenhang vielsagend. Man sollte es ihr auf keinen Fall durchgehen lassen.

oekom e.V. – Verein für ökologische Kommunikation (Hrsg.): Klimaschutz. Neues globales Abkommen in Sichtweite? (= „politische ökologie“, Bd. 139) München 2014. 145 S., € 17,95. ISBN 978-3-86581-488-3