Senkenzertifikate: Pioniere & Ausblick

― SFV Redaktion

 

Ohne CO₂-Rückholung keine Klimaneutralität

Über den Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energie-Rohstoffe hinaus muss der bereits angehäufte Treibhausgasgehalt der Atmosphäre wieder gesenkt werden. Und da auch in einer vollständig dekarbonisierten Welt der menschengemachte Ausstoß von Treibhausgasen – vor allem Methan, Lachgas und Kohlenstoffdioxid – nicht vollständig unterbleiben kann, brauchen wir Methoden zur Rückholung dieser Treibhausgase auch, um in der Jahresbilanz „klimaneutral“ zu sein.

Die Dringlichkeit dieses Problems ist in der Politik bisher fast überhaupt nicht bewusst geworden. Deshalb ist es wichtig, dass die Pionierarbeit der Entwicklung geeigneter Techniken der Rückholung durch Privatinitiative angestoßen wird, die einfach „ins Beginnen kommen“ – während wir gleichzeitig die Regierungen daran erinnern müssen, auf diesem Gebiet Aktivität zu entfalten, um gute Rahmenbedingungen und effektive Finanzierungswege zu eröffnen.

 

Rolle von Pionieren

Eine Möglichkeit zur Unterstützung der Pionierarbeit ist die im vorstehenden Interview beschriebene Konzeption der Senkenzertifikate. Dabei unterstützen Menschen, die ihren unvermeidlichen CO₂-Fußabdruck kompensieren wollen, Rückholungsmaßnahmen finanziell. Hierfür erhalten sie ein „Zertifikat“. Erhältlich sind diese Zertifikate - in unterschiedlichen Ausführungen - bereits für die (Wieder-)Aufforstung, Humusaufbau und Pflanzenkohle.

Diese Senkenzertifikate unterscheiden sich von den bekannten Emissionszertifikaten in einem wesentlichen Punkt: Während die letzteren (z.B. im europäischen ETS-System) gekauft werden, um eine zukünftige Emission zu ermöglichen, bestätigen die Senkenzertifikate eine bereits getätigte Kohlenstoff-Bindung. Diese Eigenlogik regt nicht unbedingt dazu an, mit den Zertifikaten nach ihrem Erstkauf weiteren Handel zu treiben. Insofern darf man gespannt sein, ob und in welcher Weise sich das System dieser Zertifikate zu einem echten Markt weiter entwickeln wird.

 

Gefahr des Zertifikatehandels

Was nach Meinung des SFV unbedingt vermieden werden muss, ist, dass Senkenzertifikate an das System der Emissionszertifikate gekoppelt werden. Dann könnten z.B. die Betreiber:innen eines Kohlekraftwerks mit dem Erwerb eines Senkenzertifikats das Recht erhalten, die gleiche Menge CO₂ aus ihrem Kraftwerk wieder zu emittieren, und wir wären keinen Schritt weiter. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die CO₂-Rückholung noch lange viel teurer sein wird als die Emissionsvermeidung. Insofern liegt es näher, dass Kraftwerksbetreiber:innen eher Emissionszertifikate kaufen. Sollten letztere jedoch knapp werden, braucht es eine Regulation, damit fehlende Emissionszertifikate nicht durch Senkenzertifikate ersetzen werden. Denn sonst entstünden quasi automatisch zusätzliche Ver-schmutzungsrechte. Hier gilt der Grundsatz: Emissionen und Senken sind zwei verschiedene Sektoren, die nicht miteinander vermischt werden dürfen. Die Idee der Senkenzertifikate kann aber in zweierlei Hinsicht produktiv werden:

 

1) Für die private Bilanzierung – hier handelt es sich um rein freiwillige Maßnahmen, die eben der Unterstützung der Pioniertätigkeit auf diesem Sektor dienen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass nicht alle Rückholungs-Modelle von gleicher Qualität sind. Große Unterschiede bestehen etwa darin, wie nachhaltig eine Rückholung ist. Hier ein paar Beispiele, worauf zu achten ist:

 

  • Zum einen lohnt ein Blick auf die Stabilität der Kohlenstoffsenken: Während z.B. Humus bei schlechter Bewirtschaftung innerhalb sehr kurzer Zeit wieder unter Freisetzung von  Methan und CO₂ abgebaut werden kann, ist Pflanzenkohle im Boden über Jahrhunderte stabil. Dennoch gehen auch hier geringe Mengen an flüchtigen Kohlenstoffbestandteilen verloren. Dies gilt es in die Senkenberechnung einzubeziehen - wissenschaftlich fundiert. Ein gepflanzter Wald, der nach wenigen Jahren verdorrt oder verbrennt, oder für den vorher gar ein intakter Wald gerodet wurde, ist dem Klima keine Hilfe.
  • Es gilt auch hier der Grundsatz “Regionalität”: Jedes Land hat für sich die Aufgabe, Klimaneutralität zu schaffen. Es ist  absolut zu vermeiden, dass für z.B. europäische Kohlenstoffsenken entsprechende Flächen im globalen Süden umgenutzt werden, die zur dortigen Nahrungsmittelversorgung genutzt werden. Viele Kompensationsmaßnahmen, die in anderen Weltgegenden vorgenommen werden und deswegen oft ein gutes „Preis-Leistungs-Verhältnis“ versprechen, kranken zudem an der unzureichenden Überprüfbarkeit.
  • Es gilt darauf zu achten,  dass Kompensationsmaßnahmen nicht mehrfach angerechnet werden. Deshalb ist es wichtig, solide, fälschungssichere und vertrauenswürdige Zertifizierungssysteme aufzubauen, deren Transaktionen transparent und nachvollziehbar sind. Und hier können die freiwilligen Pioniere eine wichtige Rolle spielen.

 

2) Ein gesamtgesellschaftliches Rückholungsregime der Zukunft wird auf ein solches solides Zertifizierungssystem angewiesen sein. Es ist deshalb – ebenso wie die Entwicklung der Rückholungstechniken – wichtig, dass ein solches System bereits vorher in der Praxis entwickelt wurde. Hier besteht eine gewisse Ähnlichkeit zur Entwicklung der Technischen Überwachungsvereine. Überwacht würden damit die Praxen der Rückholer:innen (z.B. Landwirt:innen, die mit Pflanzenkohle arbeiten). Die Finanzierung sollte perspektivisch von den idealistischen Privat-Unterstützer:innen auf die Gesamtheit der Steuerzahler:innen übergehen. Damit wird die CO₂-Rückholung davor bewahrt, zum Spielball spekulierenden Kapitals zu werden oder gar zur Verlängerung der Fossilwirtschaft missbraucht zu werden.