Ein Rückblick auf 16 Jahre Politik gegen den Klimaschutz

 

Die sechzehnjährige Kanzlerinnenschaft von Angela Merkel ist nun beendet. Bilanzen über diese Zeit sind unzählige veröffentlicht worden. Wir sagen sicherlich auch nichts ganz Neues, wenn wir einen Aspekt dieses Kapitels politischer Geschichte noch einmal gesondert herausgreifen. Aber man kann ihn nicht oft genug betonen.

Ja, Frau Merkel hat einiges in ihrer Amtszeit richtig gemacht. Ihr unaufgeregter Regierungsstil, der Abbau konservativer Ideologie-Bastionen wie der Wehrpflicht oder der Ablehnung gleichgeschlechtlicher Ehen, ihr berühmter Satz “Wir schaffen das!” angesichts des Flüchtlingsdramas von 2015, kurz: ihr Eingehen auf gesellschaftliche Stimmungen auch dann, wenn diese Stimmungen einmal fortschrittlich waren – das steht auf ihrer Haben-Seite. Aber was zählt das gegenüber ihrer Rolle angesichts der größten globalen Herausforderung unserer Zeit – der Klimakatastrophe? In vielen Köpfen im In- und Ausland wird Angela Merkel als “Klimakanzlerin” überdauern. Aber das ist sehr ungerechtfertigt. Schauen wir uns einige Kernpunkte ihrer klimapolitischen Bilanz noch einmal an.

Merkel hat klimapolitisch nicht einfach versagt, indem sie das Nötige unterließ. Als sie im Jahre 2005 ins Amt kam, erbte sie eine Energiewende in Deutschland, die gerade richtig Fahrt aufnahm. Der entscheidende Hebel zur Bekämpfung der Klimakrise war vorhanden, und er wurde bereits genutzt. In zahlreichen Ländern auf der Welt wurde das deutsche EEG kopiert, und die Preise für Erneuerbare Energien, insbesondere für Photovoltaik, hatten bereits zu sinken begonnen. Die Bundesregierungen, in denen Frau Merkel als Kanzlerin Richtlinienkompetenz besaß, wiesen jedoch eine Konstante auf: das Ziel, dieses Erfolgsmodell auszubremsen, zu beschädigen, zu beenden. Auch dies wurde dann übrigens wiederum in vielen Ländern kopiert.

Dabei hatte ihre klimapolitische Karriere vielversprechend begonnen. 1995 leitete Merkel als frischgebackene Bundesumweltministerin die erste Konferenz der Teilnehmerstaaten der UN-Rahmenkonvention zum Klimawandel (UNFCCC), die COP 1. Ihr Einsatz dort bedeutete ihren „Durchbruch“ (so ihr damaliger Staatssekretär),[1] und grundierte ihren späteren Ruf als „Klimakanzlerin“. „Das Kyoto-Protokoll“ von 1997, in dem sich Industrieländer erstmals auf konkrete Emissionsreduktionen von Kohlendioxid verständigten, wurde damals in Berlin vorbereitet, und es heißt, Merkels Engagement sei entscheidend für den Erfolg gewesen.[2]

Aber wie stellte die Umweltministerin sich solche Emissionsreduktionen vor? Bereits kurz nach ihrem Amtsantritt als Bundesumweltministerin hatte Merkel 1994 brav ein früheres Statement der Energiewirtschaft nachgebetet: "Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als 4 % unseres Strombedarfs decken."[3] Schon damals maß die promovierte Naturwissenschaftlerin offensichtlich Industriepropaganda einen höheren Stellenwert bei als den physikalischen Berechnungen über die Energiepotenziale von Sonne und Wind.

Als Merkel 2005 dann aus der Opposition heraus für das Kanzleramt kandidierte, äußerte sie sich zur Energiepolitik folgendermaßen: Sie wolle Kraftwerksbetreiber und Industrie stark entlasten, die Ökosteuer senken, die Laufzeit der deutschen Atomkraftwerke verlängern, die Menge des eingespeisten Ökostroms mit Quoten begrenzen, und vieles mehr. Dass nur Deutschland und Großbritannien sich selbst verpflichtet hätten, den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken, bewirke Wettbewerbsnachteile.[4] Auf internationalem Parkett forderte die dann tatsächlich gewählte neue Kanzlerin aber weiterhin ambitionierten Klimaschutz, so dass sie 2007 von „TIME“ zur „Umweltheldin“ ausgerufen wurde.[5] Später ebbte auch ihr internationales Klima-Engagement deutlich ab. Beim Klimagipfel 2014 in New York lehnte sie eine Teilnahme „aus terminlichen Gründen“ ab.[6] Gleichzeitig fand nämlich eine Tagung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie statt, der Merkel beiwohnte. Damit war die Prioritätssetzung von Merkels Politik auf den Punkt gebracht.

Die Kanzlerin setzte sich persönlich dafür ein, eine EU-Regelung zu blockieren, mit welcher der CO2-Ausstoß von Autos begrenzt werden sollte. 2008 beschlossen, sollte der Flottenausstoß der Automobilhersteller 2020 nicht mehr als 95 Gramm CO2 pro Kilometer betragen. Die konkrete Festlegung wurde 2013 von Merkel verwässert, mit dem Motiv, die deutschen Automobilkonzerne zu schonen. Der Vorsitzende des Umweltausschusses im Europaparlament, Matthias Groote (SPD), kommentierte damals: "Sie haben einen mühsam erarbeiteten Kompromiss kaputt geschlagen. Das ist das Dreisteste, was ich in acht Jahren Brüssel erlebt habe".[7]

Auch dieses europapolitische Trauerspiel war kein Einzelfall. Wenn EU-Recht die Energiewende erleichterte, wurde es mehrfach nicht oder nicht vollständig in Deutschland umgesetzt. So hat Deutschland die Richtlinie über Erneuerbare Energien von 2018 (RED II) bis heute nicht vollständig umgesetzt. Damit blieb die Bürgerenergiewende für Energiegemeinschaften auf der Strecke. Hiergegen hat der SFV vor einigen Wochen, gemeinsam mit anderen Umweltschutz-Organisationen, Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht.[8] Und hätte die Regierung Merkel die aktuelle europäische Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (BMRL) ernst genommen, dann hätte der Ausbau von Langzeitspeichern bereits den notwendigen regulatorischen Weg finden können. Aber auch das unterblieb.[9]

Angela Merkel, zu deren großen Talenten ein Gespür für die Stimmungen im Land und für das aufgrund dieser Stimmungen Mögliche gehört, hat dies bekanntlich auch in der Energiepolitik einmal gezeigt. Nach der Katastrophe von Fukushima verfügte sie 2011 die Abschaltung mehrerer alter Atomreaktoren in Deutschland und einen Atomausstieg bis 2022, obwohl ihre Regierung noch kurz vorher eine Laufzeitverlängerung für ebendiese Meiler beschlossen hatte. Dies geschah unter dem Eindruck einer fulminanten Massenbewegung auf den Straßen der Republik. Aber ausgerechnet angesichts der Klimakrise hat dieses Gespür sie anscheinend verlassen: Die nicht minder beeindruckende Fridays-for-Future-Bewegung im Jahre 2019 perlte einfach an ihrer Regierung ab.

Hier hatte Merkel einmal einen klaren politischen Kompass: im Konflikt zwischen Klimaschutz und Industrie-Interessen kompromisslos für die letzteren zu optieren. Dies zeigte sich vor allem auch bei ihrem Kampf gegen den Erfolg des EEG. In den Jahren 2010 bis 2012 wurden in Deutschland jährlich mehr als 7 GW Photovoltaik-Kapazitäten zugebaut. Die Branche florierte. In jedem dieser Jahre versuchte die Merkel-Regierung, diese Dynamik zu beenden, indem der Bau einer PV-Anlage zunehmend unattraktiv gemacht wurde. Die drastischen Vergütungskürzungen des Jahres 2012 hatten endlich Erfolg: Merkels Umweltminister Peter Altmaier (CDU) verkündete stolz, dass 2013 der Zubau halbiert worden sei. "Der Erfolg der Reform der PV-Förderung übertrifft die seinerzeit geäußerten Erwartungen bei weitem"; mit diesem skandalösen Satz feierte Altmaier die nachhaltige Zerstörung der Ausbau-Kapazitäten im Bereich Photovoltaik.[10] Bei der Windenergie wiederholte sich das Schauspiel mit einigen Jahren Verzögerung.

Das durchgängige Motiv für diese klimapolitisch verheerende Politik ist offensichtlich der Schutz der Fossilindustrie. Der Einsatz für auch neue fossile Infrastrukturen hat bis in die letzten Monate der Regierungszeit Merkels angehalten. Noch im Juli reiste sie nach Washington zum neuen US-Präsidenten Joe Biden, um die Vollendung der Erdgas-Pipeline „Nord Stream 2“ durchzusetzen. Für dieses irrwitzige Projekt [11] war sie bereit, viel außenpolitisches Porzellan zu zerschlagen, die transatlantische Zusammenarbeit zu belasten, osteuropäische EU-Partner sowie die Ukraine zu brüskieren … Dabei war „Nord Stream 2“ ein Kind ihres Vorgängers Gerhard Schröder (SPD), von dem sie sich hier gut hätte absetzen können. Nein, lieber stellte sie die Weichen für eine weitere energiepolitische Abhängigkeit vom Russland Putins, wofür der Atmosphäre weitere Megatonnen an CO2 und Methan winken.

Ziehen wir ein Resümee. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor der Menschheitsaufgabe des 21. Jahrhunderts – vor der Eindämmung der globalen Klimakatastrophe – im Großen und Ganzen versagt. Dieses Urteil wiegt schwerer als bei anderen Politiker:innen: Merkel wusste nicht nur aufgrund ihrer naturwissenschaftlichen Ausbildung besser als andere, was sie tat, sondern sie hatte das auch in ihrem transnationalen Handeln als Umweltministerin dokumentiert. Und sie übernahm 2005 die Regierung eines Landes, das sich bereits auf den Weg einer Energiewende gemacht hatte. Das Ausbremsen dieses vielversprechenden und vielbeachteten Weges wurde zu einer Konstante der von ihr geleiteten Bundesregierungen. – Vor allem dies sollte in künftigen Geschichtsbüchern über diese bedeutende Politikerin stehen.

MesterKlimakanzlerin

Quellennachweise

 

[1]            https://www.sueddeutsche.de/politik/weltklimagipfel-in-paris-die-mission-der-klimaschuetzerin-merkel-1.2759461. - Vgl. auch den Interview-Ausschnitt aus dem Jahre 1997: https://www.youtube.com/watch?v=xrcF--WQa2I 

[2]            https://content.time.com/time/specials/2007/article/0,28804,1663317_1663319_1669897,00.html 

[3]            https://www.sonnenseite.com/de/zukunft/nachgehakt-erneuerbare-energien-was-sind-die-prognosen-von-damals-wert/ 

[4]            Merkel kündigt Wende in der Energiepolitik an. In: Financial Times Deutschland, 9.6.2005. Dokumentiert unter https://sfv.de/lokal/mails/wvf/merkelsw#financia 

[5]            Siehe Anmerkung [2].   

[6]            https://dserver.bundestag.de/btd/18/023/1802399.pdf 

[7]            https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deutschland-gegen-strengere-co2-grenzwerte-das-dreisteste-was-ich-in-acht-jahren-bruessel-erlebt-habe-1.1707369 

[8]            https://www.sfv.de/eu-beschwerde-eingereicht 

[9]            https://www.sfv.de/gutachten-SFVSMARD

[10]         Pressemitteilung des Bundesumweltministeriums vom 8.7.2013.

[11]          https://hans-josef-fell.de/nord-stream-2-missachtet-das-energiesicherheit-wirtschaftlichkeit-und-umweltschutz/