Zur Autorin

„Ziehen Sie ihr Geld ab von den Problemverursachern und investieren Sie in die Lösungen.“

Kein Geringerer als der frühere Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu aus Südafrika unterstützt die internationale Kampagne „Gofossilfree“, eine der am rasantesten wachsenden Bewegungen weltweit. Sie will öffentliche Institutionen dazu bewegen, Öl-, Gas- und Kohlekonzerne finanziell auszutrocknen. Das Stichwort lautet: Divestment. Vorbild ist ein ähnliches Vorgehen gegen die Apartheid in Südafrika. Bei deren Abschaffung hatte der Abzug internationaler Gelder eine entscheidende Rolle gespielt.

Über 440 Institutionen, Pensionsfonds, Universitäten, Stadtverwaltungen und Unternehmen aus aller Welt haben schon beschlossen, ihr Geld aus der Fossilindustrie abzuziehen und umzuschichten. Die schwedische Kirche – mit 6,4 Millionen Mitgliedern die größte Organisation des Landes, hat sich bereits als „kohlenstofffrei“ deklariert, und im Mai 2015 forderte auch der Finanzausschuss im norwegischen Parlament, dass die staatlichen Pensionsfonds künftig weitgehend ohne Papiere aus der Kohleindustrie wirtschaften. Es geht bei alledem um viele Milliarden Euro.

Begonnen hat alles 2011 in den USA. Damals forderten ein paar Studierende ihre Hochschulleitungen auf, sich nicht mehr finanziell an Konzernen wie Exxon und BP zu beteiligen und auch die Kooperation mit Banken und Fonds daraufhin zu überprüfen. Schon ein Jahr später stieg die Klimaschutzorganisation „350.org“ ein und die Sache nahm rasant an Fahrt auf. Innerhalb nur eines Jahres gründeten sich 500 Initiativen.

Schließlich ist die Rechnung, die Organisationsgründer Bill McKibben aufmacht, ebenso simpel wie einleuchtend: Will die Menschheit die Klimaerwärmung auf maximal zwei Grad beschränken, darf sie bis Mitte des Jahrhunderts nur noch 565 Gigatonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen. Doch die bereits entdeckten und bisher noch in der Erde lagernden Öl-, Gas- und Kohlevorräte enthalten zusammen 2795 Gigatonnen Kohlendioxid. Längst sind sie als erwartete Gewinne in die Bilanzen der Konzerne eingearbeitet. Ihr Wert beträgt nach heutigen Marktpreisen 21 Billionen Euro.

Im Klartext heißt das: Entweder bleiben die Bodenschätze zu 80 Prozent unter der Erde und die 200 internationalen Kohle-, Öl und Gasunternehmen müssen etwa 17 Billionen Euro abschreiben – oder das Treibhaus Erde wird so stark angeheizt, dass der Lebensraum von Milliarden Menschen vernichtet wird.

Der Name von 350.org basiert auf der Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre, die die Wissenschaft langfristig als akzeptabel für die Atmosphäre einschätzt: 350 von je einer Million Molekülen. McKibben und seine Organisation haben im vergangenen Jahr (2014) den alternativen Nobelpreis gewonnen.

In der Anfangszeit standen vor allem Hochschulen im Fokus der Aktivitäten. Die sind in den USA zum Teil sehr reich und finanzieren sich zu einem erheblichen Teil aus Studiengebühren. Durchschnittlich zwei bis drei Prozent ihres Vermögens stecken in der Fossilindustrie, schätzt der Wirtschaftsinformationsdienst Bloomberg, zusammengerechnet knapp zehn Milliarden Dollar. Während sich das Management der Eliteuniversität Harvard bisher noch weigert, ihr Vermögen nach klimaschädlichen Investitionen zu durchforsten, hat die ebenfalls sehr renommierte Stanford-Universität bereits damit angefangen. Im Oktober 2014 schloss sich auch die Uni Glasgow als erste europäische Hochschule an, nachdem sich über tausend Studierende an einer einjährigen Kampagne beteiligt hatten. Die Entscheidungen könnten sich nicht nur als moralisch vorteilhaft erweisen.

Zu denken geben sollte, dass die Rockefeller-Brother-Stiftung in New York im Herbst 2014 ebenfalls beschlossen hat, die Finanzierung der fossilen Industrie vollständig aufzugeben und ihr 827-Millionen-Dollar-Vermögen anderweitig anzulegen. Das sei auch wirtschaftlich sinnvoll, hieß es zur Begründung. Kein anderer Name ist stärker mit dem schwarzen Gold verbunden als der Name des amerikanischen Clans.

Schon früh sprang der Funke von den Universitäten auf kirchliche Organisationen über. Dafür sorgte vor allem die religiöse Umweltorganisation GreenFaith, die Anfang der 1990er Jahre von Menschen aus den Führungsgremien jüdischer und christlicher Institutionen in New Jersey gegründet wurde und später islamische, buddhistische und hinduistische Kollegen dazugewann. Mehrere hundert Theologen sind hier inzwischen organisiert. „Ist es unmoralisch für religiöse Gruppen, in fossile Firmen zu investieren? Ist es ein moralischer Imperativ, in eine Zukunft mit grüner Energie zu investieren? In einem Wort: Ja“, bringt Leiter Fletcher Harper die Position von GreenFaith auf den Punkt. Auf der Homepage der Organisation finden Unterstützer aus den verschiedenen Religionsgemeinschaften Begründungen aus ihren jeweiligen Schriften. Der Finanzbeirat des World Council of Churches hat inzwischen empfohlen, sich der Kampagne anzuschließen.

Doch vor allem von unten bekommt die Bewegung Dampf. Einfache Kirchenmitglieder starten Unterschriftensammlungen oder spielen Straßentheater, so wie im Dezember in London, wo die übliche Besetzung der Weihnachtsgeschichte überraschend um BP-Manager und Klimawissenschaftler erweitert wurde. In Australien versuchen religiöse Gruppen schon seit längerem, den Kohleabbau bei Maules Creek im Osten des Kontinents durch zivilen Ungehorsam zu verhindern, nun treiben sie mit viel Elan die Gofossilfree-Kampagne voran. Allerdings ist auch der Gegenwind in dem an Bodenschätzen reichen Land sehr stark. Der Geschäftsführer des Kohle-Verbands bezichtigt die Aktivisten nicht nur der Sabotage, sondern betreibt auch intensivste Lobbyarbeit bei der Regierung. Die nahm daraufhin kürzlich den Beschluss zurück, dass Australien bis 2020 ein Fünftel seiner Energie aus Erneuerbaren erzeugen soll.

In Deutschland ist die Gofossilfree-Bewegung dagegen noch klein. In einigen deutschen Uni-Städten haben sich inzwischen Kampagnengruppen gebildet, wie z. B. in Freiburg, Konstanz, Stuttgart, Heidelberg, Münster, Aachen und Berlin. Sie konzentrieren sich auf die Hochschulen und in Münster auch auf den kommunalen Haushalt; noch blockiert die CDU entsprechende Beschlüsse.

In deutschen Kirchenkreisen ist die Kampagne inzwischen auch nicht mehr ganz unbekannt. „Wir haben uns schon mit dem Thema befasst, und es gibt bei uns durchaus Sympathisanten“, berichtet Karin Bassler, die den Arbeitskreis Kirchliche Investments der EKD koordiniert. Über 30 Institutionen sind hier vertreten - Landeskirchen, Kirchenbanken, die Diakonie Württemberg und kirchliche Pensionskassen. Welche Summen die beteiligten Institutionen investieren und wie viel Geld davon in Kohle-, Öl- und Gasfirmen stecken, kann Bassler nicht sagen, weil die Rechnungslegung noch nicht vereinheitlicht ist. „Wir sind ja außerdem keine Zentralkirche wie in Schweden, sondern ein Dachverband. Jedes Mitglied bei uns ist eigenverantwortlich.“ Die Offenheit für das Thema sei durchaus unterschiedlich ausgeprägt. „Das hängt von Personen ab, nicht von der der Höhe der zu investierenden Summen“, so Bassler. Heinz Thomas Striegler, Leiter der Kirchenverwaltung und Finanzdezernent der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, zählt zu den Aufgeschlossenen. „Das Thema ist interessant und ich werde eine Diskussion in den synodalen Ausschüssen anregen“, versichert er. Etwa zwei Milliarden Euro hat seine Landeskirche anzulegen – überwiegend Rücklagen für die Altersversorgung, Kirchenbauten und sonstige Belange sowie als Treuhänderin für Stiftungen. Etwas mehr als ein Viertel des Geldes steckt gegenwärtig in Aktien.

Schon vor längerem hat die Landeskirche Anteilsscheine bestimmter Energiemultis ausgeschlossen. Etwa fünf Prozent der Papiere gehören gegenwärtig zu Firmen aus dem Bereich Energie und Energierohstoffe. Einige davon könnten aber auch Unternehmen sein, die Solaranlagen, Windräder oder Ökostrom erzeugen, so Striegler; bisher sei das nicht trennscharf aufgeschlüsselt. Er warnt außerdem vor unbedachten Aktivismus und Luftschlössern. „Man muss gut abwägen: Noch ist Deutschland bei der Stromversorgung auf fossile Kraftwerke angewiesen.“ Um die Energiewende zu unterstützen, hat die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau vor drei Jahren entschieden, sich finanziell an einem Hochspannungsnetzbetreiber zu beteiligen – ein Zeichen, dass gut gemeint nicht immer auch gut gemacht ist. Außerdem nimmt sie einiges Geld in die Hand, um ihren Gebäudebestand und die PKW-Nutzung klimafreundlicher zu gestalten.

Während sich deutsche Kommunen noch so gut wie gar nicht mit Gofossilfree beschäftigt haben, haben so unterschiedliche Städte wie San Francisco und das holländische 30.000-Einwohner-Städtchen Boxtel bereits ihren Abschied von Öl- und Kohlefirmen beschlossen. Das gibt Auftrieb für Aktivisten an anderen Orten. Die Stadtpolitiker in Kopenhagen sehen sich nun mit der Forderung konfrontiert, die Beteiligungen an Shell, Statoil, ExxonMobil, Gazprom und RWE zu veräußern – schließlich hat die dänische Hauptstadt vollmundig angekündigt, 2025 die weltweit erste CO2-freie Hauptstadt sein zu wollen. Etwa ein Prozent der Stadtfinanzen stecken heute in fossilen Beteiligungen. Die Daten hat die Organisation DanWatch recherchiert. In Deutschland erweist sich vor allem Urgewald als überaus kundig, wenn es um die Verflechtung von Banken, Kohlekonzernen und anderen fossilen Unternehmen geht.
Und wie sieht der Gegner aus? Die Konzentration sowohl in der Öl- und Gasindustrie als auch in dem wesentlich kleineren Kohlesektor ist enorm. Nur etwa 200 Firmen sind hier weltweit engagiert. Auch die Zahl der wichtigsten Finanziers ist überschaubar. Mit Abstand der größte ist der Vermögensverwalter BlackRock in New York mit etwa 140 Milliarden Dollar. Die russische, kolumbianische und norwegische Regierung zählen ebenfalls zu den Top-5 beim Öl- und Gasinvestment. Damit wird der finanzielle Einfluss der Gofossilfree-Kampagne zwar absehbar erst einmal begrenzt bleiben. Doch wie es laufen kann, wenn man die Zeichen der Zeit verschläft, müssen der Stromkonzern RWE und seine Anteilseigner schmerzhaft erfahren. Kostete die Aktie vor sechs Jahren noch 100 Euro, so dümpelt sie heute im einstelligen Bereich herum: Statt auf erneuerbare Energien zu setzen, hatte RWE immer neue Kohle- und Gaskraftwerke gebaut. Allein die Stadt Essen verlor dadurch 680 Millionen Euro. Wäre sie früher ausgestiegen, ginge es ihr heute deutlich besser.

Natürlich hat die Kampagne viel mit Zahlen zu tun – aber auch mit Lebensfreude, neuen Erfahrungen und dem Ende von Ohnmachtsgefühlen beim Thema Klimawandel. Bei der letzten RWE-Hauptversammlung gelang es Molina Gosch aus der Gofossilfree-Gruppe in Münster, ein Protestbanner in den Saal zu schmuggeln, obwohl der Sicherheitsdienst alle Besucher so intensiv wie am Flughafen gefilzt hatte. Sie hatte das bemalte Laken unter ihrem Kleid versteckt. „So was hatte ich noch nie getan – und es hat großen Spaß gemacht,“ berichtet die 31-jährige.

Nicht nur Molina Gosch, sondern Hunderttausende anderer fühlen sich plötzlich nicht mehr hilflos gegenüber den Energieriesen – und sie sind überzeugt, eine Waffe gegen die klimazerstörenden Goliaths gefunden zu haben. „Endlich gibt es einen Hebel, der uns ermöglicht, konkret und vor Ort etwas zu tun gegen diejenigen, die den Klimawandel verursachen“, sagt Michalina Golinczak, die sich in Berlin für die Kampagne engagiert. Mehr als181 Länder und Universitäten haben sich zum Divestment verpflichtet – und mit jeder Divest-Ankündigung werden es mehr. Teil einer Weltbewegung zu sein, motiviert und beschwingt die Aktivisten. Und schließlich hat so etwas ja schon einmal geklappt – damals bei der Abschaffung der Apartheid in Südafrika.


Annette Jensen ist freie Journalistin und Buchautorin aus Berlin.
Nach 8 Jahren bei der taz, in der sie das Wirtschafts- und Umweltressort mitbegründet hat, schreibt sie seit 1998 für verschiedene Medien und hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt „Wir steigern das Bruttosozialglück. Von Menschen, die anders wirtschaften und besser leben“ und zusammen mit Ute Scheub „Glücksökonomie. Wer teilt, hat mehr vom Leben“.