Wieviel muss eine Tonne CO2 kosten, damit sich Klimaschutz lohnt? Bert Metz, Co-Vorsitzender des IPCC: „Wenn eine Tonne Treibhausgas zwischen 20 und 50 Dollar (15 bis 37 Euro) kosten würde, werden viele Investitionen (in Technologien mit weniger Treibhausgasausstoß) bereits attraktiv.“ [1] Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK): Die Tonne CO2 muss 20-30 Euro kosten. [2] Und der SPIEGEL zitiert Aussagen von Wissenschaftlern, wonach der CO2-Preis bis 2030 auf 30 bis 120 Dollar pro Tonne (22 bis 90 Euro) verteuert werden müsste, wenn das 2-Grad-Ziel erreicht werden soll.[3]

Und das soll der Emissionshandel leisten. Elegant, schlüssig, wirtschaftsverträglich; die Vertreter der Wirtschaft haben inzwischen den Widerstand gegen dieses Instrument weitgehend aufgegeben. Das dürfte keine Überraschung sein; wurden doch die Lizenzen bis jetzt kostenlos ausgeteilt.

Sogar die Luftfahrtindustrie hat ihre bisher ablehnende Haltung revidiert. Der Handel mit CO2-Zertifikaten wäre „konsequent und wird ausdrücklich begrüßt.“ Im Vergleich zu Steuern oder Abgaben sei der Emissionshandel die „ökologisch wirksamere und ökonomisch sinnvollere Maßnahme“, um die klimaschädliche Wirkung des Luftverkehrs zu reduzieren. [4] So ein Lob sollte vielleicht zu denken geben.

Die Realität sieht nicht so rosig aus. Ein Jahr nach dem fulminanten Start an der Strombörse, damals wurde die Lizenz zum Ausstoß von einer Tonne Treibhausgas mit fast 30 Euro gehandelt, sind die Preise für die Tonne CO2 bei 23 Cent (!) angekommen. (Leipziger Strombörse am 31.5.07) [5]

Nun will die Koalition aber doch beschließen, was Experten seit langem gefordert hatten: eine Versteigerung von bis zu zehn Prozent der Zertifikate. Mehr ist nach EU-Recht bisher (?) nicht möglich. Aber dazu später. Wir wollen uns erstmal einen Überblick über die möglichen Auswirkungen von CO2-Preisen verschaffen.

CO2-Preis und Lenkungswirkung

In der unten dargestellten Tabelle sehen wir die diskutierte Spannbreite der Zertifikatspreise und daraus resultierende Folgekosten, verglichen mit den Beträgen der bereits realisierten Rot-Grünen Ökosteuerreform.


Tabelle: Aufkommen und Lenkungswirkung von CO2-Lizenzen und Energiesteuern für Deutschland

Zertifikats- preisGesamtauf- kommen*Anteil am BIPAuswirkungen auf den Strompreis**Auswirkungen auf den Benzinpreis***
15 Euro/t CO213,2 Mrd €0,6 %1,1 Cent3,6 Cent
30 Euro/t CO226,4 Mrd €1,2 %2,2 Cent7,2 Cent
90 Euro/t CO279,2 Mrd €3,5 %6,7 Cent21,6 Cent
Finanz. Auswirkungen d. ÖSR (nach letzter Erhöhung 2003)18 Mrd. €0,8 %2,0 Cent (Verbraucher), 0,4 Cent (Industrie)15 Cent

* Bei einem CO2-Ausstoß von 880 Millionen Tonnen (Deutschland 2005, Quelle: Internationales Wirtschaftsforum regenerative Energien, IWR). Das Aufkommen und der Anteil am BIP gelten nur bei Einbeziehung aller Emissionen in den Handel.

** CO2-Ausstoß in Gramm für eine Kilowattstunde. Zielwerte vom Bundesumweltministerium, je nach Energiequelle: Steinkohle: 750 Gramm, Braunkohle 950 Gramm, Gas 365 Gramm. [6] Für die Berechnungen wurde ein Steinkohlekraftwerk angenommen.
Beispiel: Mehrkosten bei 15 Euro pro Tonne CO2: = 0,015 Euro/kg • 0,75 kg CO2/kWh = 1,1 Cent pro kWh


*** Bei der Verbrennung von 1 Liter Benzin werden etwa 2,4 kg CO2 freigesetzt.

Auswertung Tabelle

  1. Strompreisaufschlag für Verbraucher: Der aus 30 Euro pro Tonne resultierende Preisaufschlag von 2,2 Cent liegt nur wenig über den Steuersätzen der Ökosteuerreform, welche zu keinen wesentlichen Änderungen des Verbraucherverhaltens geführt hat. Der Anteil der Energiekosten an den privaten Konsumausgaben lag 2003 bei 6,5 Prozent gegenüber 6,0 Prozent 1998 [7].
  2. Strompreisaufschlag Industrie: Der Satz von 2,2 Cent pro Tonne liegt zwar deutlich über den subventionierten Ökosteuersätzen für die Industrie, jedoch ist der ermittelte Satz weit geringer als der jetzige Preisunterschied zwischen einzelnen EU-Ländern. Einige Beispiele (aus [8]): Frankreich: 4,98 US-Cent = 3,74 Euro-Cent pro kWh, Deutschland: 5,8 Euro-Cent , Dänemark: 7,2 Euro-Cent, Italien: 12,1 Euro-Cent.
  3. Zum Benzinpreis: Selbst bei 30 Euro/Tonne beträgt der Mehrpreis von 7,2 Cent nur 50 Prozent der Mehrkosten aus der Ökosteuerbelastung. Diese wiederum war weit geringer als die Zusatzkosten durch Schwankungen des Ölpreises. Beides zusammen hat zwar zu Einsparungen beim Benzinverbrauch geführt, keinesfalls aber in dem für die Klimawende erforderlichen Umfang.

Über die große Bandbreite der Klimafolgeschäden

Die hohe Schwankungsbreite bei den Klimaschäden erklärt Olav Hohmeyer, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Flensburg, mit verschiedenen Rechenmodellen. Man entscheidet, ob man zukünftige Klimaveränderungen auf heutige Werte mit Zinssätzen von drei oder fünf Prozent abdiskontiert oder zukünftige Schäden ohne Abzug verwendet. „Je nachdem, wie man dies betrachtet – und das ist letztendlich eine Wertentscheidung – kommt man zu relativ hohen oder relativ niedrigen Zahlen.“ Eine zweite Ursache für die hohe Schwankungsbreite der Zahlen sieht Hohmeyer darin, dass die meisten Klimaschäden in den Entwicklungsländern entstehen: „Die Frage ist, wie bewerte ich es, wenn ich zukünftig Menschen in armen Ländern schädige?“ Die Frage also, ob ein Menschenleben in einem Entwicklungsland genauso hoch bewertet wird wie das in einem Industrieland. [9]

Der ehemalige Chefökonom der Weltbank, Nicholas Stern, geht in seinem Klimabericht von sozialen Kosten in Höhe von 85 Dollar (ca. 64 Euro) pro Tonne CO2 aus. [10] Und eine Studie der Institute IWW und INFRAS aus dem Jahr 2004 geht von Klimaveränderungskosten in Höhe von 140 Euro / t CO2 aus (oberes Szenario). [11]

Vorläufiges Fazit

Ein Preis von 30 Euro pro Tonne CO2 kann nur der Einstieg sein. Weitere Erhöhungsschritte müssen folgen, wenn eine wirksame Lenkungswirkung erreicht werden soll. Kann das aber der Emissionshandel leisten?

Alle Lizenzen versteigern!?

Um wenigstens einen Preis von 20 bis 30 Euro für die Tonne Treibhausgas zu erreichen, fordert Ottmar Edenhofer vom PIK: „Politik kann das nur erreichen, wenn sie erstens weniger Zertifikate ausgibt und diese zweitens zwingend versteigert.“ [2] Auf einer kürzlich stattgefundenen Konferenz1 zum Thema Emissionshandel wurde als langfristiges Ziel ein Versteigerungsanteil von 100% für alle am Emissionshandel teilnehmenden Anlagen (inklusive Neuanlagen) genannt. Dort vorgestellte Berechnungen gingen von einem CO2-Preis in Höhe von 15 bis 25 Euro pro Tonne aus. [12]

Im Moment erlaubt die EU-Regelung jedoch nur eine Versteigerung von maximal zehn Prozent der zugeteilten Zertifikate. Was erstmal unverständlich klingt, hat einen juristischen Hintergrund: Das Bundesumweltministerium rechnet mit Klagen der Wirtschaft vor dem Bundesverfassungsgericht. Um die Versteigerung rechtlich abzusichern, sei es nötig, die Einnahmen ausschließlich für den Klimaschutz zu verwenden. [5]

Und selbst gegen die beabsichtigte Versteigerung der möglichen zehn Prozent regt sich Widerstand. Die Mehrheit der Länder im Bundesrat befürchtet Milliardenausfälle an Steuereinnahmen (Gewinneinbußen der Unternehmen infolge Zusatzkosten des Emissionshandels). Sie fordern zum einen, den Anteil der versteigerbaren Zertifikate möglichst klein zu halten, zum anderen einen finanziellen Ausgleich vom Bund. [13]

Müssen wir uns dann noch wundern, wenn weitaus ärmere Staaten auf die Bremse treten, wenn es um die Durchsetzung praktischer Klimapolitik geht?

Die alte Grundsatzfrage: Steuern oder Sonderabgaben

Das Stichwort „ausschließliche Verwendung für den Klimaschutz“ weist darauf hin, dass Zertifikate rechtlich gesehen ähnlich wie Sonderabgaben behandelt werden. Eine in den 90er Jahren heiß diskutierte Frage war die nach der „ökologischen“ oder „aufkommensneutralen“ Verwendung der Ökosteuern oder -abgaben. Zur Erinnerung: Die Erhebung von Abgaben ist an einen bestimmten Zweck gebunden, Steuern können dagegen „zweckentfremdet“ an anderer Stelle zurückgegeben werden, zum Beispiel für die Senkung von Lohnnebenkosten. Durchgesetzt hatte sich damals die aufkommensneutrale Lösung, weil entscheidend nicht die Erzielung von mehr Einnahmen für den Topf des Umweltministers ist, sondern die möglichst hohe Lenkungswirkung. Diese wiederum hängt vor allem von der Höhe der Steuersätze ab.

Ernst Ullrich von Weizsäcker: „Umweltsteuern können dagegen auf eine Höhe anwachsen, die mindestens eine Größenordnung höher liegt als die gegenwärtigen Sonderabgaben. Selbst ein Faktor 100 gegenüber den heutigen Sonderabgaben ist rechtlich möglich und wirtschaftlich vertretbar.“ [14]

Es wird Zeit, dass wir uns an diese alte Erkenntnis erinnern, um daraus Schlussfolgerungen für die Auswahl effektiver Klimainstrumente zu ziehen.

Tauziehen wie bei früheren Abrüstungsverhandlungen

Als entscheidender Vorteil des Emissionshandels gilt gemeinhin die Tatsache, dass mit ihm Emissionsgrenzen genauer vereinbart werden können als mit anderen Instrumenten. Aber ist das wirklich ein Vorteil? Der Erfolg hängt damit von der Frage ab, in welchem Maße sich die Weltgemeinschaft auf eine schrittweise Reduzierung der Gesamtemissionen verständigen kann. Denn nur das zählt. Jede Vorreiterrolle einzelner Staaten wird durch den Verkauf nicht genutzter Zertifikate an andere Nutzer wieder zunichte gemacht. Aber auf welcher Basis soll eine Einigung möglich sein? Der Westen will nur „abrüsten“, wenn China und Indien mitziehen. Tatsächlich – die Sache erinnert an die Zeit endloser Abrüstungsverhandlungen zwischen Ost und West. Es ist ja nicht einmal klar, welcher Anteil den unterschiedlichen Partnern zufällt. Der Westen stößt 80% der Treibhausgase aus, für 20% der Weltbevölkerung. Zudem gilt: Wer bei diesem Poker zuerst nachgibt, hat das Nachsehen. Jedem Staat muss daran gelegen sein, die eigenen Reduktionszusagen möglichst niedrig zu; denn in diesem Fall kann er vom Verkauf nicht benötigter Emissionsrechte massiv profitieren. Eine wirklich konsequente Reduktionsstrategie kann unter diesen Bedingungen kaum erwartet werden.

Selbst wenn der Emissionshandel funktioniert, ist die Wirkung auf die Wirtschaft weitaus unsanfter als die Energiebesteuerung. Im Unterschied zu den dort festgelegten Erhöhungsschritten gleicht die Steuerung über den Börsenkurs von Zertifikaten einem Vabanquespiel. Niemand weiß genau, wie sich die Preise entwickeln, weil unklar ist, wieviele Zertifikate demnächst auf den Markt kommen und wie hoch die Nachfrage sein wird. (weitere Kritikpunkte siehe [15])

Den Tanker umsteuern!

Wenn wir der Entwicklung nicht hinterherlaufen wollen, müssen wir zuerst die Ursache der Krise benennen. Der Stern-Bericht bezeichnet den Klimawandel als größtes Marktversagen, welches die Menschheit je gesehen hat. Eine kleine Anmerkung: Nicht der Markt hat versagt; dieser reagiert genauso, wie die gesetzten Rahmenbedingungen ihn lenken. In der Diskussion um die Ökologisch-Soziale Steuerreform in den 90er Jahren wurde das Bild vom fehlgesteuerten Tanker Marktwirtschaft geprägt, der mittels anderer Steuern (nomen est omen) auf sinnvollen Kurs gebracht werden sollte.
Nur wenn wir die Analyse akzeptieren, dass der Markt wird in die völlig falsche Richtung gesteuert, finden wir auch eine wirkliche Lösung für die gegenwärtige Krise; es ist möglich und weitaus effektiver, den Markt im Ansatz in die richtige Richtung zu lenken, als über die Menge an zulässiger Erwärmung zu streiten.

Viele Gründe für die Einführung von Energiesteuern

Prof. Hans Binswanger, einer der Vordenker der Ökosozialen Steuerreform: „Nach meiner Erfahrung lässt sich ein politisches Postulat nur durchsetzen, wenn es gleichzeitig mehreren Zielen dient, mindestens drei. Und so geht es heute darum, ökologischen Erfordernissen durch Maßnahmen gerecht zu werden, die sich auch aus anderen Gründen aufdrängen.“ [16]

Konkret: Wenn im Gegenzug zur Einführung von Energiesteuern andere Steuern und Abgaben mit negativer Lenkungswirkung radikal gesenkt würden, zum Beispiel die Lohnnebenkosten, gäbe es plötzlich viele einleuchtende Gründe für die Einführung von Energiesteuern: Senkung von Lohnnebenkosten für personalintensive Branchen (Dienstleistungen, Handwerk, verarbeitende Industrie), Reduzierung von Lohnkosten in Krisenregionen und –branchen, Senkung hoher Personalkosten im sozialen und Bildungsbereich. Die Finanzierung der Sozialsysteme könnte endlich von den Arbeitskosten abgekoppelt werden.

Unter diesen Bedingungen wären weitaus höhere Steuersätze möglich. Und damit Lenkungseffekte, die weit über die Möglichkeiten des Emissionshandels hinausreichen (siehe Zitat von Weizsäcker). Ob dann die Tonne Treibhausgas neunzig oder gar hundertzwanzig Euro kostet, sei dahin gestellt. Aber es wäre kein prinzipielles Problem mehr. Damit hätten wir endlich ein attraktives Modell, um Klimaschutz mit nachhaltiger Entwicklung zu verbinden. Welches sowohl für die aufstrebenden Schwellenländer taugt wie für den Westen, von dem zu Recht eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz erwartet wird.

Quellen:

[1] Spiegel Online 4.5.07: So kann sich die Welt noch retten
[2] taz 2.3.07: Den Energiemarkt endlich liberalisieren
[3] Spiegel Online 21.2.07: Menschheit muss Trendwende bis 2020 schaffen
[4] Süddeutsche Zeitung 11.2.07: Luftfahrtindustrie sagt nicht länger „Nein“
[5] Spiegel Online 31.5.07: Bund will CO2-Zertifikate versteigern
[6] Tagesspiegel 12.3.07: Glos untergräbt Klimaschutz
[7] Bundesministerium für Wirtschaft: Energiekosten der privaten Haushalte (Energiedaten Tabelle 28)
[8] Bundesministerium für Wirtschaft: Internationaler Energiepreisvergleich für Industrie, Tabelle Elektrizität (Energiedaten, Tabelle 4)
[9] Bundesverband Windenergie e.V. http://www.wind-energie.de/de/themen/wirtschaftsfaktor/externe-kosten/ Externe Kosten - die vergessenen Kosten der Energieversorgung
[10] Stern-Review: Der wirtschaftliche Aspekt des Klimawandels. Zusammenfassung. Seite XIX f.
[11] IWW Karlsruhe, INFRAS Zürich: Externe Kosten des Verkehrs, Aktualisierungsstudie 2004
[12] Vortrag Eric Heymann, Branchenanalyse / Deutsche Bank Research: „Erfahrungen mit dem Emissionshandel“
[13] Tagespiegel 9.6.07: Länder wollen Braunkohle bevorzugen.
[14] Ernst U. von Weizsäcker: Erdpolitik, 2.Auflage 1990, S.161
[15] Jürgen Grahl: Der Emissionshandel - Eine Alternative zur Energiebesteuerung?
[16] „Bündnis 2000“ 9/93: Interview mit Prof. Binswanger