Man benötigt keine prophetischen Fähigkeiten, um den Ausgang der Kopenhagener Klimakonferenz vorherzusagen: Sie wird scheitern wie alle ihre 14 Vorgänger seit 1992. Pardon, natürlich wird sie nicht scheitern, sondern man wird weltbewegende Erklärungen darüber abgeben, welch ernste Bedrohung und nie gekannte Herausforderung der Klimawandel doch darstelle, wie sehr und mit welch tiefer persönlicher Betroffenheit man sich der Notwendigkeit bewusst sei, entschlossen, energisch, konsequent und ohne weiteren Zeitverlust, ohne um den heißen Brei herumzureden und ohne die Weltgemeinschaft weiter mit unnützen leeren, salbungsvollen Worthülsen zu quälen und einzulullen, wirksame Gegenmaßnahmen einzuleiten, und so wird man den weltbewegenden Beschluss fassen, eine Nachfolgekonferenz einzuberufen, auf der man sich dann entschlossen, energisch, konsequent und ohne weiteren Zeitverlust, ohne um den heißen Brei herumzureden....

Und so weiter in Endlosschleife.

Mit solch beißender Kritik sollen nicht etwa die ehrenwerten Bemühungen der vielen für ein internationales Klimaschutzabkommen streitenden Akteure ins Lächerliche gezogen werden - zumal diese sich vermutlich vielfach selbst der Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens zunehmend bewusst sind und trotzdem aus Verantwortungsgefühl und vermeintlichem Mangel an Alternativen weitermachen. Aber angesichts des bedrohlichen Tempos, mit dem die Welt in die Klimakatastrophe hineinrast, ist es schlicht allerhöchste Zeit, sich das totale Scheitern der internationalen Klimadiplomatie einzugestehen, deren einzige – freilich kontraproduktive - Wirkung bisher darin bestand, als Feigenblatt für nationale Untätigkeit herhalten zu müssen, nach dem Motto „Global reden – national aufschieben“, wie Hermann Scheer es ausgedrückt hat. Dieses – zugegeben bittere – Eingeständnis ist die Voraussetzung dafür, endlich neue Wege zu beschreiten, um den Klimaschutz auch ohne internationalen Konsens voranzubringen.

Dazu bedarf es der Einsicht, dass das Scheitern nicht nur durch Zukunftsblindheit und intellektuelle wie ethische Unreife der Verantwortlichen verschuldet ist, sondern wesentlich auch durch einen prinzipiell falschen Ansatz, demzufolge es darum gehen müsse, in einem internationalen Abkommen feste Emissionsrechte für die einzelnen Staaten zu vereinbaren, die dann im Rahmen eines Emissionshandels verschachert werden können. Wir wollen darum einige wesentliche der in früheren Artikeln ausführlich dargestellten Strukturfehler des Emissionshandels noch einmal kurz beleuchten.

Der Emissionshandel geht von der kurzsichtigen Prämisse aus, Klimaschutz sei eine wirtschaftliche Last, die es möglichst gleichmäßig zu verteilen gelte. Noch schlimmer ist, dass er übernommene Reduktionsverpflichtungen tatsächlich in finanzielle Nachteile umsetzt und es dadurch attraktiv macht, sich ihnen so weit wie möglich zu verweigern: Jedem Staat muss daran gelegen sein, sich möglichst viele Emissionsrechte zu sichern, denn diese sind ja bares Geld wert. Dies gilt sogar für eine aus Klimaschutzperspektive „ideale“ Regierung, die nicht nur von der Dringlichkeit rascher Emissionsminderungen überzeugt, sondern auch gewillt ist, dabei eine entschlossene nationale Vorreiterrolle zu übernehmen und diese als große ökonomische Chance und nicht als „Last“ begreift: Selbst sie wird im Interesse der Wirtschaft ihres eigenen Landes bemüht sein, ihre Reduktionszusagen möglichst unambitioniert zu halten - damit die Wirtschaft möglichst viele der dann gar nicht benötigten Emissionsrechte verkaufen kann.1

Auf diese Weise entsteht ein spieltheoretischer Zwang, auf den internationalen Klimakonferenzen als Bremser aufzutreten; der Klimaschutz wird letztlich den idealistischsten (oder „unpatriotischsten“) Staaten aufgebürdet, die die Interessen der eigenen Wirtschaft am ehesten hintanstellen - was ebenso wirkungsarm bleiben muss wie etwa die Finanzierung der Energiewende durch Ökostrom kaufende Idealisten. Es ist nun einmal höchst ungeschickt, zunächst potentielle Vermögenswerte in Form von Emissionsrechten zu generieren, die natürlich für jeden Staat den Reflex auslösen, sich möglichst viele davon sichern zu wollen – und dann zu hoffen, man könne diese gerade neu geschaffenen und verteilten Rechte ernsthaft verknappen.

Natürlich sieht sich auch so ziemlich jede wirksame Klimaschutzmaßnahme auf nationaler Ebene (z.B. eine Energiesteuerreform) ebenfalls mit dem Protestgeheul derjenigen konfrontiert, die Nachteile von ihr befürchten, während die potentiellen Nutznießer sich meist still im Hintergrund halten. Doch sind beide Situationen fundamental unterschiedlich: Bei Maßnahmen im nationalen Rahmen mag es zwar individuelle Verlierer und Gewinner geben, eine weitsichtige Regierung kann sich aber immer noch darauf berufen, dass die Maßnahme für die eigene Volkswirtschaft als Ganzes ökonomisch vorteilhaft ist – und sie guten Gewissens gegen Widerstände durchsetzen. Internationale Reduktionszusagen hingegen sind kaum als für das betreffende Land ökonomisch sinnvoll zu rechtfertigen, denn sie bedeuten einen unmittelbaren Verlust an Vermögenswerten in Form von Emissionsrechten; und selbst wenn man mit den vermiedenen Schäden der Klimakatastrophe argumentiert, so verteilt sich dieser Nutzeffekt auf die ganze Welt, während die entgangenen Emissionsrechte das einzelne Land treffen. Bekanntlich haben Umweltschutzbemühungen seit jeher mit dem Dilemma zu kämpfen, dass kollektiv schädliches (umweltzerstörerisches) Handeln individuell vorteilhaft ist. Wie unsere Betrachtungen zeigen, wird dieses Dilemma durch den Emissionshandel (anders als von seinen Erfindern beabsichtigt) nicht komplett entschärft, sondern in einem wesentlichen Teilaspekt eher noch verschärft: Zwar kann er - sobald erst einmal ambitionierte Reduktionsziele vereinbart sind - tatsächlich zu einer Internalisierung der externen Kosten der Klimazerstörung führen, nur wird es zu solchen Vereinbarungen gar nicht erst kommen, denn das würde den beteiligten Regierungen ein Handeln abverlangen, das zwar kollektiv nützlich, für ihr eigenes Land aber ökonomisch nachteilig ist.

Ein zweiter grundlegender Strukturfehler des Emissionshandels besteht darin, dass er direkt die Emissionsmengen zu steuern versucht. Von Ökonomen wird gerade dies als sein großer Vorteil gepriesen, da damit ja die Erfüllung der Reduktionsziele punktgenau garantiert sei. Außer Acht gelassen wird dabei, dass eine Mengensteuerung zwangsläufig die Kontrolle über die Kosten der Reduktionen aufgibt, denn der Zusammenhang zwischen Reduktion und Zertifikatspreisen ist natürlich nur mit großen Ungenauigkeiten und Unsicherheiten bestimmbar. Hierbei ist die Feststellung wesentlich, dass der Energieeinsatz angesichts der fundamentalen Rolle der Energie als Produktionsfaktor nur recht unelastisch auf steigende Preise reagiert, d.h. auch bei starken Preissteigerungen nur relativ wenig zurückgeht; die Preise, die sich bei einer Mengenregelung wie dem Emissionshandel am Zertifikatemarkt bilden, hängen daher sehr empfindlich von der vorgegebenen Menge ab. Die Steuerung über den Börsenkurs von Zertifikaten gleicht somit einem Vabanquespiel; bei knappen Zertifikaten und hohen Börsenkursen wäre die Wirkung ähnlich wie in vergangenen Ölkrisen: Es käme zu heftigen Preisausschlägen, denen die Wirtschaft aber nicht sofort ausweichen kann, da Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen nur mit einer gewissen Verzögerung greifen. Ähnlich wie bei den Ölkrisen würde sofort Druck auf die Regierungen ausgeübt werden, zusätzliche Zertifikate auszugeben oder den Emissionshandel auszusetzen. Oder der Schwarzmarkt würde mit der „Emission“ zusätzlicher Zertifikate reagieren. Und das Argument, man könne sich gegen allzu starke Schwankungen der Zertifikatspreise durch Futures absichern, klingt angesichts der jüngsten Erfahrungen mit den destabilisierenden Wirkungen eines sich zunehmend von der Realwirtschaft abkoppelnden Derivathandels eher wie eine Drohung: Der Energiepreis würde den Spekulanten überlassen, die Emissionsrechte horten und später teuer verkaufen könnten...

Spätestens bei durch die Decke schießenden Zertifikatspreisen würde die Verheißung einer punktgenauen Einhaltung der Reduktionsziele also ohnehin unerfüllbar. Dabei kommt es darauf gar nicht an: Es gibt nämlich keinen „richtigen“ Reduktionspfad, an den sich sklavisch zu halten irgendeinen Sinn ergäbe; jede weitere Emission von Treibhausgasen ist eigentlich schon zu viel und führt uns tiefer in die Katastrophe. Der einzig „richtige“ Reduktionspfad kann daher nur der schnellstmögliche sein. Was „schnellstmöglich“ genau bedeutet, bemisst sich dabei am technisch Möglichen und an der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften. Dies zeigt, dass es nicht darauf ankommt, die Reduktionen punktgenau zu steuern, sondern die ökonomischen Rahmenbedingungen so rasch und entschlossen wie irgend möglich zu ändern, um alle verfügbaren volkswirtschaftlichen Ressourcen (insbesondere die heute ungenutzten in Form von Millionen von Arbeitslosen!) in Richtung Treibhausgasreduktion umzulenken. Hierfür sind Preisregelungen (wie eine Energiesteuerreform oder EEG-artige Regelungen), nicht Mengenregelungen der richtige Ansatzpunkt.

Eine weitere, psychologisch fatale Wirkung des Emissionshandels hat Hermann Scheer treffend beschrieben: „Der Begriff des ,Emissionsrechts' macht aus einer bisher legal geduldeten Emission eine öffentlich legitimierte. Die Duldung wurde immer damit begründet, dass es keine Alternative gebe und Energie eben unverzichtbar ist. Die Geschichte des Rechts zeigt, dass kein legaler Rahmen auf Dauer aufrecht zu erhalten ist, wenn er als nicht mehr legitim empfunden wird. Nicht alles, was rechtens ist, ist auch legitim. Mit der Erkenntnis, dass es die Möglichkeit einer emissionsfreien Energieversorgung mit Erneuerbaren Energien gibt, verlieren fossile Energien ihre Legitimität. Durch ein völkerrechtlich verankertes System von quotierten und handelbaren „Emissionsrechten“ erscheinen jedoch nur noch die rechtlosen Emissionen als illegitim. Denjenigen mit ,Emissionsrecht' wird die höhere Weihe verliehen, dass sie integraler Bestandteil eines Weltrettungsversuchs sind. Sie werden damit legitimatorisch aufgewertet und auf eine Stufe mit den Erneuerbaren Energien gestellt, deren besondere Legitimation dadurch relativiert wird.“ (H. Scheer, Das Kyoto-Syndrom und das Elend der Energie- und Umweltökonomie, Solarzeitalter 1/2005, S. 18)

Bedenkt man dies alles, dann kann man sich vielleicht leichter mit dem Scheitern eines weiteren Klimagipfels abfinden. Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich wäre es ungleich besser, die Weltgemeinschaft würde sich in einem Anfall von Erleuchtung auf ein entschlossenes gemeinsames Vorgehen gegen die wohl größte Herausforderung der Menschheitsgeschichte einigen. Nach Lage der Dinge ist damit freilich nicht zu rechnen. So bleibt nur zu hoffen, dass jeder weitere gescheiterte Klimagipfel die Einsicht befördert, dass sich der tote Punkt, in den der Konsensualismus die Klimaschutzbemühungen hineinmanövriert hat, wohl nur dadurch überwinden lässt, dass einzelne, einsichtigere Länder nationale Vorreiterrollen übernehmen - und damit demonstrieren, dass Klimaschutz keine Bürde, sondern eine große ökonomische Chance ist.

Literaturhinweis: Zahlreiche Aufsätze zum Emissionshandel finden sich unter http://www.sfv.de/sachgeb/Emission.htm