In der öffentlichen Diskussion um den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien bis auf 100 Prozent wird das Thema Stromspeichern immer häufiger erwähnt. Jedoch praktisch angewendet wird Stromspeicherung für Erneuerbare Energien in der Regel noch nicht.
Die Stromnetzbetreiber regeln eher Windanlagen ab (z.B. in Westholstein) und verweigern Solaranlagenbetreibern den Anschluss (z.B. in Fröndenberg).
Und für Privatleute gibt es - wenn überhaupt - nur unzureichende finanziellen Anreize zum Bau von Stromspeichernt. Dies haben wir im vorherigen Beitrag Netzausbau oder Stromspeicher ausführlich dargestellt. Dort wurde auch gezeigt, dass im Endausbau bei günstigem Solar- und Windwetter mindestens die Hälfte der von Solar- und Windanlagen erzeugbaren Energie zwangsläufig verloren gehen würde wenn deutschlandweit nur Netzausbau betrieben, der Bau von Speichern aber unterlassen würde.

Kann man auf Stromspeicher verzichten?

Stromspeicher sind allerdings noch sehr teuer. Wir wollen deshalb hier zunächst einmal prüfen, ob man die vollständige Umstellung auf Erneuerbare Energien auch ohne Einsatz von Stromspeichern bewältigen könnte, indem man die Zahl der Wind- und Solaranlagen immer weiter steigert und den Verlust der Überschüsse in Kauf nimmt.

Dazu orientieren wir uns an der Überlegungsskizze Bild 1.

Bild 1   Abendstunden ohne Wind und Solarenergie

Fhlende Leistung

 

Diese Skizze ist uns bereits von dem vorhergehenden Beitrag bekannt, nur wird jetzt das Angebot der Erneuerbaren Energien genauer aufgeschlüsselt. Wir erkennen die wetterabhängigen Energien Sonne und Wind, die zeitlich nahezu konstanten Energien wie Wasserkraft sowie die Energien, die man mit einigem technischen Mehraufwand im Angebot verändern könnte, wie z.B. Strom aus Tiefengeothermie. Hervorgehoben ist durch einen schwarzen Pfeil die fehlende elektrische Leistung am Abend des 14. Tages. Auch am 13. und am 16. Abend ist ein ähnliches Leistungsfehl zu beobachten. Weder Wind- noch Sonnenenergie erzeugen in diesen Stunden Strom. Die fehlende Leistung entspricht etwa der durchschnittlichen deutschen Stromproduktion. Vermutlich wird diese sogar noch höher sein als heute, weil im Zuge der Umstellung auf Erneuerbare Energien große Teile des Verkehrs auf Elektroantrieb umgestellt werden müssen und zunehmend Wärmepumpen zum Einsatz kommen werden.

Selbst ein weiterer Ausbau von Solar- und Windanlagen - ohne Rücksicht auf die Energieverluste - würde an solchen Tagen nichts nützen. Er würde nur den Anteil der nicht nutzbaren Wind- und Sonnenenergie weiter erhöhen, wie die Überlegungsskizze Bild 2 zeigt.

Bild 2   Ineffektive weitere Steigerung von Wind u. Solarenergie

sinnlose weitere Steigerung von Sonne- und Windenergie

Bild 1und Bild 2 stellen die Verhältnisse in Deutschland dar. Wir untersuchen nun die Frage, ob eine solche Mangelsituation, die an einigen Tagen auftreten kann, durch den Ausbau der Europäischen Fernleitungen zu einem sogenannten "Supergrid" (einem Stromnetz mit sehr hoher Übertragungsleistung und geringen Übertragungsverlusten auf Gleichstrom- und Höchstspannungsbasis) vermieden werden könnte. Wir fragen uns also, ob es eine denkbare Lösung ist, aus Ländern mit zeitweiligem Überschuss an Sonnen- und Windenergie elektrische Leistung nach Deutschland zu importieren.

Eine wichtige Eigenheit der PV-Einspeisungen besteht darin, dass mit hundertprozentiger Sicherheit bei Dunkelheit kein PV-Strom eingespeist wird. Durchschnittlich ist es an jedem Tag etwa 12 Stunden dunkel; im Winter sogar erheblich länger. Die Stromverbraucher können jedoch insbesondere in den dunklen Morgen- und Abendstunden des Winterhalbjahrs auf Strom nicht verzichten. Diese "Dunkelheitsversorgungslücken" stimmen europaweit zeitlich bis auf eine kleine - durch den Lauf der Sonne verursachte - Verschiebung in Ost-Westrichtung von maximal zwei Stunden zeitlich überein. Ein noch so engagierter Ausbau der europaweiten Fernübertragungsleitungen kann dem Nachteil der gleichzeitigen Dunkelheit deshalb nicht abhelfen. Wenn es in Europa dunkel ist, ist es leider überall dunkel.

Bei der Windenergie gibt es europaweit keine so große Gleichzeitigkeit von Stunden allgemeiner Windstille in ganz Europa. Doch gibt es andererseits auch keine zuverlässige Ergänzung zwischen europäischen Regionen, in denen gerade der Wind weht und anderen, in denen er gerade nicht weht. Ab einer Entfernung von etwa 1.000 km sind die Windverhältnisse statistisch gesehen voneinander zeitlich entkoppelt. Das bedeutet, dass nicht überall der Wind gleichzeitig weht oder gleichzeitig nicht weht. Aber es bedeutet auch, dass der Wind manchmal überall nicht weht, dass also manchmal europaweit Windstille bzw. Schwachwind herrscht. Wenn das dann auch noch an einem trüben Novembernachmittag und -abend vorkommt, fehlt in Europa über Stunden völlig der Strom aus den wichtigsten EE-Stromlieferanten - aus Wind- und Sonnenenergie.

Nach einer im Jahr 1999 von Gregor Czisch veröffentlichten Folie gibt es ab einer Entfernung von 1000 km keine Korrelation zwischen den Windverhältnissen verschiedener Standorte mehr. Korrelation der potent. Stromerzeugung aus WKA an 47 ausgewählten europäischen Offshore-Standorten Die Daten zu dieser Folie stammen aus dem ECMWF, dem Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage. Sie bestätigen, was bereits der gesunde Menschenverstand sagt. Wenn ich weiß, wie stark der Wind bei mir zuhause weht, weiß ich noch lange nicht, wie er in Marokko oder in Polen weht. Bei einer so wichtigen Angelegenheit wie der Energieversorgung darf man sich aber nicht darauf verlassen, dass der Wind immer irgendwo mit ausreichender Kraft weht, sondern man muss sich auf den worst-case einstellen.
 

Ein weiteres Beispiel:
Untersuchungen von Horst Kluttig zur Korrelation zwischen den Windverhältnissen in Aachen und an der Rhonemündung bestätigen dieses Ergebnis.

Bild 3   Entkopplung der Windverhältnisse

Wind-Kohärenz zwischen Rhonemündung und Aachen

Zur Vergrößerung auf das Bild klicken

 

Jeder einzelne Punkt in der Punktewolke stellt gleichzeitig die Windverhältnisse an jeweils beiden Orten dar.
Im oberen Teil der Grafik ist dargestellt, wie gut die Korrelation zwischen zwei Standorten ist, die nur 2 km voneinander entfernt sind.
Im unteren Teil der Grafik erkennt man die Unabhängigkeit der Standorte Herzogenrath bei Aachen und Port St. Louis (Rhonemündung) voneinander bezüglich ihrer Windverhältnisse. Die Farbe der Messpunkte gibt die Windrichtung am Messpunkt an, der auf der Abszisse angegeben ist.

Diese einfachen Überlegungen zeigen, dass es Zeiträume gibt, in denen für die europäische Stromversorgung europaweit weder Wind- noch Sonnenstrom direkt zur Verfügung stehen, selbst dann nicht, wenn die Fernübertragungsnetze für Übertragungsleistungen ausgebaut würden, die ausreichen würden, den gesamten Strombedarf von Osteuopa nach Westeuropa oder von Nordeuropa nach Südeuropa bzw. umgekehrt zu verschieben. Besonders kritisch wird es, wenn dieser Mangel in den winterlichen Abendstunden auftritt, in denen der Strombedarf erfahrungsgemäß besonders hoch ist.

Geothermie - Woher bekommen wir die fehlende Leistung

Bevor wir uns endgültig für die teuren Speicher entscheiden, sollten wir noch eine andere Möglichkeit untersuchen, den engagierten Ausbau der Tiefengeothermie zur Stromerzeugung. Hierzu die Überlegungsskizze Bild 4

Bild 4   Geothermie mangelabhängig eingesetzt

Geothermie bedarfsabhängig zeitlich verschieben

 

Wir erkennen im linken Teilbild, dass die grundlastähnliche Dauererzeugung von Elektrizität mit Hilfe der Geothermie nur einen geringen Effekt hat. Zwischen dem zweiten und neunten Tag erhöht der Einsatz geothermisch erzeugter Elektrizität lediglich die ungenutzten Überschüsse.
Hingegen wäre es sinnvoll, Geothermie zur Stromerzeugung dann, und nur dann einzusetzen, wenn Sonne und Wind nicht ausreichen.
Bei genauem Hinsehen stellt man fest, dass im rechten Teilbild die fehlende Leistung sich verringert hat und die ungenutzten Überschüsse geringer geworden sind.
Dazu müssten die Geothermieanlagen zukünftig bereits in der Planungsphase anders, nicht auf Grundlast- sondern auf Mittellast- oder Spitzenlastbetrieb ausgelegt werden. Die Wärmeleistung und die Maschinensätze müssen deutlich vergrößert werden. Ohne entsprechend erhöhte Förderanreize im EEG wird das nicht geschehen.
Soweit wie möglich sollte man diese Kraftwerke - wie alle Spitzenlastkraftwerke in der Nähe der Verbrauchszentren errichten.


In gleichem Sinne müssen auch die Förderbedingungen für Strom aus Anlagen zur Nutzung von Biomasse-Reststoffen geändert werden. Allerdings können Biomasse-Reststoffe nur einen kleinen Teilbetrag bei gleichzeitigen Ausfall von Wind- und Sonnenenergie ausgleichen. Und der gesonderte Anbau von Biomasse zur energetischen Nutzung kann nicht empfohlen werden.Bedenken gegen den gesonderten Anbau von Biomasse zur energetischen Nutzung wurden vom SFV mehrmals veröffentlicht und werden zunehmend in der ökologisch interessierten Öffentlichkeit akzeptiert.

Die hier durchgeführte worst-case Betrachtung zeigt:

Im Endausbauzustand brauchen wir Stromspeicher, die den höchsten Leistungsbedarf (abzüglich Wasserkraft-, Geothermie- und Bioreststoff-Energie) des jeweils zu versorgenden Gebietes vollständig decken können müssen.

Diese extreme Anforderung an die Ausspeicherleistung (die Entlade-Leistung) der Energiespeicher ist den meisten Freunden der Erneuerbaren Energien bisher kaum bewusst.

Die Frage nach dem "Supergrid"

Bisher haben wir uns mit der notwendigen Ausspeicherleistung der Speicher befasst. Eine andere wichtige Frage ist die nach dem notwendigen Speicherinhalt, dem Fassungsvermogen, bzw. der zu speichernden Energie.
Das notwendige Fassungsvermögen dieser Speicher ergibt sich aus der im worst-case zu erwartenden Zeitdauer des Energiemangels. Ob diese verringert werden kann, indem ein internationales "Supergrid" errichtet würde, wollen wir anhand eines Überlegungsmodells bedenken.

Gehen wir davon aus, dass es 5 verschiedene Staaten in Europa gibt, die sich mit einem Supergrid miteinander verbinden. Zunachst wird natürlich jeder Staat seinen eigenen Bedarf decken. Soweit das Angebot an Solar- und Windleistung den Bedarf übersteigt, wird er seine Notfallspeicher auffüllen. Erst wenn seine Notfallspeicher aufgefüllt sein werden, und wenn dann immer noch ein Leistungsüberschuss vorliegt, wird er den Leistungsüberschuss über das Supergrid an einen anderen Staat weiterleiten. Wie oft das der Fall sein wird, lässt sich anhand eines so einfachen Überlegungsmodells nicht feststellen. Auf jeden Fall bietet ein Supergrid den Vorteil, dass das Fassungsvermögen der Energiespeicher vermindert werden kann.
Ob sich dann aber nicht eher eine Erweiterung des nationalen Notfallspeichers rechnet, ist nicht nur eine Frage der Statistik und der anzunehmenden Kosten, sondern auch eine Frage der politischen Umsetzbarkeit. Im Zweifelsfall ist die nationale Lösung vorzuziehen, weil sie schneller umsetzbar und im Katstrophenfall robuster ist.

Das Endergebnis: Auf ein Supergrid kann verzichtet werden, wenn die Notfallspeicher in ihrem Energiefassungsvermögen vergrößert werden. Auf die Notfallspeicher mit der weiter oben hergeleiteten unerwartet hohen Ausspeicherleistung kann man hingegen nicht verzichten.

 

 

Eine kurze Zusammenfassung aller Anfang Dezember 2010 zum Thema Ausbau von Netzen und Stromspeichern erschienenen Beiträge finden Sie hier.