Frau Althaus, was war Ihr persönlicher Kipppunkt? Was haben Sie draus gemacht?

• Vor ca. 30 Jahren hörte ich im Hessischen Rundfunk (HR) den Aufruf zu einer Fastenaktion vom 15. März an bis Mitte Juni desselben Jahres 1990: „100 Tage ohne Auto“. = Wer macht mit – statt wie meist u.a. auf Süßigkeiten, Alkohol oder das Rauchen - mal auf das Auto zu verzichten ?

Mein Mann war mit einer Anmeldung zu dieser Aktion einverstanden. Die Abmeldung des Autos wurde gefordert, die abmontierten Nummernschilder, die Fahrzeugpapiere und der Autoschlüssel sollten in Frankfurt deponiert, aber innerhalb eines Tages auf Wunsch auch vorzeitig zurück gegeben werden. Bei einem ersten Pressetermin im HR in Frankfurt wurde die allgemeine Skepsis der Journalisten an dem Durchhaltevermögen der dorthin eingeladenen Probanden überdeutlich. Und als es dann zu Ostern schneite und mein Mann mit dem Fahrrad stürzte und einige Stunden mit nasser Anzughose seinen Verpflichtungen nachkommen musste, war das eine ernste Frage an uns.

Am 20. Juni 1990, am 100. Tag, bekamen wir die Unterlagen, den Schlüssel und die Nummernschilder in Frankfurt zurück und die Hochachtung der Presse zu spüren. Zu Hause stand nun die Frage nach einer Fortsetzung des autolosen Lebens und zunächst auch einer angepassten Urlaubsplanung an. Eine verkehrspolitische Studienreise in die Schweiz (mit Bahnen und Bussen bzw. auch zu Fuß) verschaffte uns prägende Einblicke in autofreie Mobilitätsmöglichkeiten einschließlich des vielfältig gültigen "½-Tax-Abos" -– dem Vorbild der später auch in Deutschland eingeführten BahnCard.

Autorrei

Im Herbst schließlich stand die Frage nach der Rückkehr zum Auto wieder an. Aber unsere drei Kinder, die in die Aktion einbezogen waren, antworteten mit der Gegenfrage: „Warum? – Ihr habt doch gesehen, dass es auch ohne Auto geht." So blieb dann das Auto unangemeldet den Winter über in der Garage stehen, während wir uns u.a. auf das Radfahren – auch bei beachtlichen Minustemperaturen umstellten. Allerdings standen auch Bus und Bahn zur Disposition, um bestimmte Wege zu bewältigen. Wir hatten zudem auch festgestellt, dass wir ohne Auto eine Menge Geld einsparen konnten.

Wir überstanden diesen Winter gut und wollten nun das für uns offensichtlich überflüssige Gefährt gerade verkaufen, als wir als schon lange umweltschützerisch interessierte und aktive Zeitgenossen über die Probleme des Regenwaldes in Südamerika im HR eindrücklich Näheres erfuhren. In einer anonymisierten einstündigen Versteigerung über das Radio mit dem Hinweis auf die beabsichtigte Verwendung des Erlöses brachte das gerade knapp zwei Jahre alte Fahrzeug fast den damaligen Neupreis, der den Kauf eines riesigen Urwaldgrundstücks in Costa Rica ermöglichte, das nun grundsätzlich nicht gerodet werden darf.

Wir sind unverändert dankbar für den HR-Hinweis von 1990 zu unserem Ausstieg und fahren auch heute, mit 83 Jahren, lieber mit dem Fahrrad.

Inzwischen ist es zu einer großen Ausnahme geworden, dass wir nach der Gründung eines Carsharing-Vereins einen der dort verfügbaren Wagen ausleihen. Wir planten unsere Fahrten umsichtig und konnten unter den verfügbaren Modellen auswählen. Für Umzüge der Kinder zum Beispiel einen VW-Bus, für unsere ältere Mutter jeweils einen etwas bequemeren PKW. Da wir seit wenigen Jahren -– altersbedingt -– auf „Pedelecs“ umgestiegen sind und manchmal auch demonstrativ auf die Möglichkeit eines autolosen Lebens hinweisen, wundert es nicht, dass mein Mann im vorigen Jahr innerhalb der ersten elf Monate 6.000 km mit einem neuen Rad fahren konnte. Inzwischen ist es zu einer großen Ausnahme geworden, einen Wagen einzuplanen und zu nutzen.

Angesichts der vielfältigen ökologischen Probleme (Abgase / Feinstaub / Lärm ...), der latenten Unfallgefahren und des immensen Flächenfraßes, die der motorisierte Individualverkehr mit sich bringt, ist die Entscheidung zum Verzicht auf ein Privatauto näher liegend als allgemein behauptet. Allein die monatlichen Unkosten (eben nicht nur für den Treibstoff!) legen einen Ausstieg aus dieser Technologie (2 to Technik / 75 kg Mensch) sehr nahe. Wir sind unverändert dankbar für den HR-Hinweis von 1990 zu unserem Ausstieg und fahren auch heute, mit 83 Jahren, lieber mit dem Fahrrad.