74 Kommunen in Deutschland haben seit Mai 2019 den „Klimanotstand“ erklärt, darunter mit der Hauptstadt Berlin zugleich auch ein Bundesland. Das Europäische Parlament tat dasselbe im November 2019. Im Dezember 2020 forderte UN-Generalsekretär António Guterres alle Mitgliedsstaaten der UN auf, den Klimanotstand auszurufen. Zahlreiche Länder, wie z.B. Frankreich oder Neuseeland, und substaatliche Körperschaften, wie z.B. Katalonien, fassten entsprechende Beschlüsse.[1]

Die unmittelbare rechtliche Wirkung all dieser Aktivitäten ist begrenzt; sie haben überwiegend symbolischen Charakter. Oft sind Maßnahmen mit ihnen verknüpft, welche auf eine schnellere Dekarbonisierung im jeweiligen Gebiet zielen. Aber das geschieht immer unter der Prämisse, die üblichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abläufe nicht übermäßig zu stören oder zu verunsichern.

Die zaghaften Schritte passen nicht zur Einsicht in einen Notstand. Häufig sind es Schritte, wie sie vor, sagen wir, 30 Jahren durchaus ambitioniert und respekteinflößend gewesen wären und möglicherweise die jetzt objektiv vorliegende Notstandssituation hätten verhindern oder dämpfen können. Wenn aber das Haus in hellen Flammen steht, diskutiert man nicht mehr darüber, noch einen Rauchmelder mehr im Treppenhaus anzubringen. Dann fängt man an zu löschen.

Das heißt: Die – wenn auch rechtlich nicht bindende – Anerkennung eines Klimanotstands muss sofort zu Notstands-Maßnahmen führen. Maßnahmen, welche die üblichen Abläufe radikal verändern. Die auch wehtun können. Da der Klimanotstand aus dem Ausstoß von Treibhausgasen folgt, muss dieser Ausstoß notfallmäßig beendet werden. Wir beim SFV haben uns 20 Jahre lang den Mund fusselig geredet, wie der Fossilausstieg verträglich gestaltet werden kann. Nun, nach der anhaltenden Sabotage der Energiewende durch frühere Bundesregierungen, kann Verträglichkeit nicht mehr das leitende Kriterium sein – sondern die Rettung der menschlichen Zivilisation.

Glücklicherweise erfordert dieser Notstand nicht die Abschaffung der Demokratie. Die Menschen, die sonst unter Notstandsmaßnahmen am meisten leiden, sind diesmal nicht die Hauptbetroffenen. Im Gegenteil: Es geht überwiegend um Einschränkungen der Handlungsfreiheit gewinnorientierter Unternehmen. Wenn z.B. ein Aluminiumwerk, das den Stromverbrauch der Stadt Köln übertrifft, abgeschaltet wird, dann ist für das Klima viel zu gewinnen und gesellschaftlich wenig zu verlieren (insbesondere hinsichtlich von Arbeitsplätzen, die es in diesem Werk kaum gibt). Wenn es temporäre Fahrverbote für Benzin- und Diesel-Fahrzeuge gibt, wie in den 70er Jahren, dann kann das von vielen Menschen auch als Zugewinn an Lebensqualität wahrgenommen werden. Wenn in bestimmten Branchen, wie z.B. der fossil-atomaren Energiewirtschaft, viele hochqualifizierte Arbeitskräfte freigesetzt werden, dann können diese den Fachkräftemangel in Zukunftsbranchen, wie z.B. bei den Erneuerbare Energien, mildern.

Gewiss: Das wird nicht so einfach sein, wie es sich hier liest. Es wird massive Probleme geben, Widerstände, Konflikte. Das ist nicht schön. Aber, zur Erinnerung: Wir reden von einem Notstand globalen Ausmaßes. Als ab 1945 über 10 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene zusätzlich in den zerbombten westdeutschen Städten untergebracht werden mussten, war dies auch kein Kindergeburtstag, sondern verlangte allen Beteiligten enorm viel ab. Der Prozess gelang, weil die Problemlage für alle offensichtlich war.

Das ist heute ebenfalls der Fall. Der Klimanotstand liegt offen zutage, sei es in den letztjährigen Hochwassergebieten an Erft und Ahr oder mit der diesjährigen Dürre- und Hitzewelle in fast ganz Europa mit ihren teils apokalyptischen Waldbränden; sei es in der anhaltenden Überschwemmungskatastrophe in Pakistan. Seit der Welle von Notstandserklärungen 2019 ist die Ernsthaftigkeit der Lage auch wissenschaftlich immer klarer formuliert worden. Eine kürzlich in der Zeitschrift Science publizierte Studie zeigt, dass wir bereits jetzt die „uncertainty ranges“ mehrerer klimatischer Kipppunkte erreicht haben, welche die Erderhitzung in nicht mehr bremsbarer Weise verstärken könnten.[2] Wir spielen wahrhaftig mit unserer Existenz.

Die Bundesregierung müsste dies nur klar kommunizieren, wenn sie denn unbequeme, aber ‚enkeltaugliche‘ Maßnahmen ergreifen wollte, statt ein LNG-Terminal nach dem anderen aus dem Boden zu stampfen, auf der ganzen Welt die Erschließung neuer fossiler Quellen anzureizen und die Laufzeit uralter Atomreaktoren zu verlängern. Ob dies in einer Regierung gelingt oder auch nur angedacht wird, die sich noch nicht mal auf ein Tempolimit einigen kann, muss allerdings pessimistisch eingeschätzt werden. Das bekannte, Fredric Jameson zugeschriebene, Zitat lässt sich für die Mächtigen dieses Planeten leicht abwandeln: Für diese ist es leichter, das Ende der Welt zu akzeptieren als das Ende des Kapitalismus. Wollen wir ihnen darin weiter folgen?

 

Nachweise

Titelfoto: CC BY-SA 2.0 Takver

[1]              Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Klimanotstand und https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_deutscher_Orte_und_Gemeinden,_die_den_Klimanotstand_ausgerufen_haben

[2]              https://www.science.org/doi/10.1126/science.abn7950#con1