Die nachfolgenden Forderungen und Erwägungen beziehen sich auf das „Sondierungspapier“ von SPD, Grünen und FDP, das Grundlage der laufenden Koalitionsverhandlungen ist.

 

Ausbau der Erneuerbaren

 

In dem Papier heißt es: „Wir  machen  es  zu  unserer  gemeinsamen  Mission,  den  Ausbau  der  Erneuerbaren  Energien drastisch zu beschleunigen und alle Hürden und Hemmnisse aus dem Weg zu räumen.“ Das ist in der Tat eine zentrale Aufgabe des künftigen Regierungshandelns. Was aber heißt „drastisch beschleunigen“ genau? Um den 1,5°C-Pfad auch nur mit einer kleinen Wahrscheinlichkeit einzuhalten, muss die Energiewende bis spätestens 2030 abgeschlossen sein. Das bedeutet aber (angesichts der Elektrifizierung von Verkehrs- und Wärme-Sektor): Das derzeitige Ausbau-Tempo bei Wind- und Solarenergie muss im Durchschnitt der kommenden neun Jahre etwa um den Faktor zehn erhöht werden. Denn der Bedarf, der gedeckt werden muss, liegt bei ca. 1800 TWh/a, und bei den notwendigen Langzeit-Speicherkapazitäten sind beträchtliche Umwandlungsverluste in Rechnung zu stellen. Nicht vergessen werden darf der zusätzliche Energiebedarf für die notwendige Rückholung von CO2 aus der Atmosphäre (da bereits der heutige CO2-Gehalt zu einer weitergehenden Erwärmung und dem Erreichen von Kippunkten im Klimasystem führen kann).

Dem genannten Ziel stehen keine technischen oder wirtschaftlichen Hindernisse entgegen. Es kommt auf den politischen Willen zu einem solch ehrgeizigen (und zugleich notwendigen) Programm an.

Neben dem Abbau bürokratischer Hürden und der deutlichen Anhebung der heute abschreckend niedrigen Vergütungshöhen für EE-Strom müssen vor allem alle Ausbau-Obergrenzen für saubere Energien sofort gestrichen werden. Die Ausbau-Untergrenzen müssen vier Jahre lang jährlich verdoppelt werden. Hierbei sollte das Prinzip einer „atmenden Hebebühne“ angewendet werden: Werden die Ausbauziele in einem Zeitraum nicht erreicht, so ist die Einspeisevergütung im folgenden Zeitraum soweit anzuheben, dass der Rückstand wieder aufgeholt wird.

Windkraftanlagen dürfen nicht länger durch restriktive Abstandsregeln verhindert werden. Es reicht völlig aus, den Interessen des Immissions- und Naturschutzes durch die entsprechenden allgemeinen Gesetze und Verordnungen Rechnung zu tragen. Folgende Forderung des Sondierungspapiers muss ebenfalls präzisiert werden: „Für die Windkraft an Land sollen zwei Prozent der Landesflächen ausgewiesen werden.“ Es ist ganz unklar, was mit dieser Zahlenangabe gemeint ist. Wenn etwa die Fläche gemeint ist, die vom Rotor eines Windrads überstrichen wird, d.h. bei einem Rotordurchmesser von 160 Meter ca. 2ha, dann passen auf 2% der Landfläche Deutschlands mehr als 350.000 Anlagen – was niemand ernsthaft fordert. Geht man jedoch von einer „Konzentrationszonen-Berechnung“ aus und rechnet die Fläche zwischen benachbarten Windrädern mit ein, dann landet man eher bei einer Verdoppelung der bisher genutzten Flächen, von der z.B. „Agora Energiewende“ spricht.[1] Ein solcher Zuwachs reicht nach unserer Einschätzung bei weitem nicht aus, um die Aufgaben einer Dekarbonisierung der Energieversorgung inklusive der Elektrifizierung des Verkehrs- und des Wärmesektors sowie die demnächst notwendig werdende CO2-Rückholung von atmosphärischem CO2 zu bewältigen. Das Umweltbundesamt spricht bei einer konservativen Herangehensweise (bei Vernachlässigung wenig windhöffiger Standorte) von einem Potenzial von 930 GW installierbarer Windkraft-Leistung mit einem potenziellen Ertrag von 2400 TWh pro Jahr.[2] Mindestens die Hälfte dieses Potenzials sollte in den kommenden neun Jahren genutzt werden.

Ein Hauptproblem dieser Planung wird ein Mangel an geeigneten Arbeitskräften sein, weil der Ausbau der Erneuerbaren Energien im vergangenen Jahrzehnt so stark gedrosselt wurde. Zur „drastischen Beschleunigung“ des Ausbaus gehört daher auch eine Ausbildungs-, Fortbildungs- und Umschulungs-Offensive, die der Größe der Aufgabe gerecht wird.

 

Kohleausstieg

 

Im Sondierungspapier heißt es: „Zur Einhaltung der Klimaschutzziele ist auch ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung nötig. Idealerweise gelingt das schon bis 2030.“ Der Begriff „idealerweise“ legt nahe, dass irgendein Termin zwischen 2030 und dem alten Zieldatum 2038 resultieren kann. Das reicht nicht aus. Ein Kohleausstieg bis 2030 ist das Späteste, was man mit einem 1,5°C-Pfad ansatzweise in Einklang bringen könnte. Angestrebt werden sollte eher ein Datum zwischen 2024 und 2026.

Dass nach der Veröffentlichung des zitierten Satzes der Aktienkurs des Braunkohle-Konzerns RWE einen großen Sprung nach oben machte, legt den Verdacht nahe, dass der Konzern bei einem früheren Ausstiegsdatum erneut mit Milliarden-Zahlungen an „Schadenersatz“ rechnet. Hierzu erklären wir: Für die Folgen der anthropogenen Erderwärmung müssen bereits heute riesige Milliarden-Summen aus Steuermitteln aufgebracht werden (man denke nur an die Hochwasserkatastrophe an Ahr und Erft im letzten Juli). Zusätzlich müssen gesellschaftlich große Investitionen getätigt (und mit Steuermitteln angereizt) werden, um die Energiewende im nötigen Tempo durchzuführen. Sonst werden die Klimafolgekosten weiter rasch wachsen. Die Kohlekonzerne sind nicht Schadenopfer dieser Vorgänge, sondern Schadenverursacher. Wir erwarten von der kommenden Regierungskoalition, dass Maßnahmen getroffen werden, die jede weitere Zahlung von „Schadenersatz“ an diese Konzerne verhindern. Das gebietet im Übrigen auch die Haushaltsdisziplin.

In diesem Zusammenhang sollte im Rahmen der Koalitionsverhandlungen ein Weg zur Erreichung des Kohleausstiegsdatums um die Mitte der 20er Jahre aufgezeigt werden, welcher Schadenersatzforderungen von vornherein vorbeugt. Ob dies mit ordnungsrechtlichen (Abschalttermine) oder mit marktwirtschaftlichen Mitteln (Höhe des CO2-Preises) gelingt, ist sorgfältig zu prüfen.

Bei einem unter Punkt 1. skizzierten Ausbautempo der Erneuerbaren Energien und einem groß dimensionierten Förderprogramm für Langzeitspeicher-Technologien dürfte sich der im Sondierungspapier betonte Punkt „Errichtung moderner Gaskraftwerke“ stark relativieren. Die zunächst angedachte Nutzung durch Erdgas steht dem Ziel des „1,5-Grad-Pfades“ diametral entgegen.

 

Verkehrspolitik

 

Die „Technologieneutralität“ bei der Umstellung der Fahrzeugflotte auf „CO2-neutrale Fahrzeuge“ darf nicht so verstanden werden, dass Verbrennungsmotoren mit PtL-Treibstoffen (“Power-to-Liquid”) darunter inbegriffen werden. Denn die geringe Effizienz der damit verbundenen Umwandlungsketten würde zu einer Aufblähung des Primärenergiebedarfs führen. PtL-Technologien werden zur Lösung der Langzeitspeicher-Frage benötigt und dürfen nicht auf den Straßen verheizt werden.

Es ist nicht einzusehen, dass auf die sofortige spürbare Emissionseinsparung durch ein „generelles Tempolimit“ verzichtet wird. Bekanntlich wären Tempolimits auch ohne die Frage ihrer Klimarelevanz äußerst sinnvoll, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Gesamtbilanz individueller Freiheit auf den Straßen.

 

Europäische Koordinierung

 

Das Sondierungspapier nimmt positiv Bezug auf das EU-Reformpaket „Fit for 55“. Die in diesem Namen enthaltene Zahl zeigt das Treibhausgas-Reduktionsziel der EU bis 2030 an. Dieses ist seinerseits völlig inkompatibel mit einem 1,5°C-Pfad. Die Bundesregierung muss in den europäischen Gremien darauf drängen, dass dieses Programm in Richtung eines „Fit for 100“ weiterentwickelt wird. Dabei darf nicht auf Atomenergie und auch nicht auf Erdgas gesetzt werden. Für die Erreichung von Klimazielen ist es zudem ratsam, den europäischen Emissionshandel durch ein System fester und planbar wachsender Emissionsbepreisung zu ersetzen, das spekulativen Missbrauch (für den der ETS sich sehr anfällig gezeigt hat) verhindert.

 

Nachweise

 

[1]              https://www.agora-energiewende.de/presse/neuigkeiten-archiv/?tx_news_pi1%5Bnews%5D=2034&cHash=394f62d6686ad9a64e4b086ecdb57230

[2]              https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/potenzial_der_windenergie.pdf